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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Sir Bash. Das Idol meines Herzens – es ist mein eigenes Weib.
Love. Ihr eigenes Weib?
Sir Bash. Ja, mein eigenes Weib. Es ist Alles aus mit mir – ich bin verloren.

Der Weg, ihn zu fesseln.

 

»Laß uns etwas Neues schauen.« Dies war das Geschrei der Menschen zur Zeit des Propheten und wird es bleiben, bis alle Prophezeihungen in Erfüllung gegangen und alle Offenbarungen bestätigt sind. Der Mensch ist in Nichts beständig, als in der Unbeständigkeit. Er hat die Weisung, die geschäftigen Bienen sich zum Muster zu nehmen und die zu seinem Nutzen bereiteten herrlichen Schätze aufzubewahren; aber er zieht den unsteten Flug des Schmetterlings vor, verfolgt seinen sorglosen Weg von Blume zu Blume, bis er, durch seine schnellen Bewegungen ermüdet, eine zeitlang ausruht und mit sich selbst zu Rathe geht, wohin er nun weiter seine Irrbahn nehmen soll, um »etwas Neues« zu suchen.

Dies ist der schlimme Hang, der unsere Stammeltern zu Fall brachte, der sich auf uns vererbt hat und nun der Grund unserer Thorheiten und unserer Verbrechen ist. Wäre der Mensch nur beständig, so wäre er auch vollkommen; aber das ist ihm nicht gegeben. Er kennt die Gefahren und die Beschwerlichkeiten des Wanderns, er kennt den Unterschied, der zwischen den Pflichten stattfindet, welche eine eigennützige und herzlose Welt, und welche Anhänglichkeit und Liebe erfüllt. Er weiß, daß die Heimath, die süße Heimath ein Himmel mit so vieler Seligkeit ist, als diese Welt gewähren kann; aber doch muß er wandern, um den Werth seiner Heimath begreifen zu lernen, und, obwohl er sie mit Entzücken begrüßt, so drängt es ihn bald nach seiner Rückkehr wieder hinaus; und abermals verläßt er sie, um Veränderung zu suchen. So ist der Mensch von der Schönheit der Tugend überzeugt und erkennt den Frieden, welchen ihre Ausübung gewährt; aber doch, fortgetrieben durch die ruhelose Erbschaft unserer Stammeltern, stürzt er in die Irrgänge des Lasters – bis er, überzeugt, daß alles Täuschung ist, reuevoll und übersättigt, seine Schritte zurücklenkt. So vergeht sein Dasein im Sündigen, Bereuen, wieder Sündigen – im Suchen nach etwas Neuem.

Im ersten Augenblicke der Trennung von seiner Gattin fühlte Rainscourt sich von einer schweren Last, die ihn schon seit Jahren gedrückt hatte, befreit, oder wie von Ketten erlöst, an die er lange Zeit angeschmiedet gewesen. Er wünschte sich daher selbst zu seiner wieder erlangten Freiheit Glück und stürzte sich mit einemmal in die Tiefen des Lasters und des Leichtsinns; er suchte Vergnügen auf Vergnügen, Veränderung auf Veränderung – kurz Alles, was das Leben nur darbieten oder Geld ihm verschaffen konnte. Eine Zeitlang hielt er sich für glücklich, allein es gibt eine Wiedervergeltung, der man sich nicht entziehen kann, und wer immer mit schlechten Menschen umgeht, muß mehr als ein anderer den schlimmen Folgen der Völlerei ausgesetzt sein. Er fand die Männer verräterischer und undankbarer, die Frauen treuloser, die Ausschweifungen ekelhafter – die Schlemmerei entnervender als je, und richtete sich sowohl körperlich als geistig durch allzugroße Excesse zu Grunde. Uebersättigt und unzufrieden mit Allem suchte er etwas Neues.

Mehr als zwei Jahre hatte er seine Gattin und Tochter, die noch immer ihren Landsitz zu – – bewohnten, nicht gesehen, ja, kaum je an sie gedacht. Da er nun nichts mehr anzufangen wußte, so fiel es ihm ein, die Landluft könnte vielleicht seine Gesundheit wieder herstellen, und er empfand eine Art Theilnahme, wenn nicht für seine Frau, doch wenigstens für seine Tochter. Er beschloß daher, ihnen einen Besuch abzustatten. Die Pferde wurden bestellt, und zu Mrs. Rainscourts Erstaunen, welche von seinem Vorhaben durchaus nicht in Kenntniß gesetzt war und den Gedanken, einen Besuch ihres Gemahls, als ein Hirngespenst betrachtete – erschien Rainscourt gerade, als sie im Begriffe stand, sich in Gesellschaft M'Elvina's, seiner Gattin und des Vikars, der während dieser Zeit ihr Hausfreund geworden war, zum Diner niederzusetzen.

Wenn Rainscourt schon über das Aufblühen Emiliens, die jetzt ihr vierzehntes Jahr zurückgelegt hatte, entzückt war, so erstaunte er noch mehr bei dem Anblicke seiner Frau, die ihm wo möglich noch schöner vorkam, als selbst an dem Tage, an welchem er sie vor den Altar geführt hatte. Länger als zwei Jahre hatte Mrs. Rainscourt ein zufriedenes, wenn auch nicht vollkommen glückliches Leben genossen. Sie hatte ihre Gesundheit, ihre Blüthe, ihre Gemüthsruhe, und da ihr nirgends Anlaß zur Erbitterung gegeben wurde, auch ihre heitere Laune wieder erlangt; und sie, gegen deren außerordentliche Schönheit er in Folge der Gewohnheit blind geworden war, kam ihm jetzt nach einer so langen Abwesenheit alt eine von derjenigen ganz verschiedene Person vor, die er mit so viel Gleichgültigkeit verlassen hatte. Wenn er sie ansah, schien er etwas von jenem lebhaften Entzücken zu empfinden, von welchem verdorbene Gemüther gar nichts ahnen, außer wenn sie in ihrem Suchen nach etwas Neuem glücklich sind.

Rainscourt hatte indeß nicht so ganz Unrecht, wenn er seine Gattin als eine von derjenigen, die er verlassen, ganz verschiedene Person hielt. Der Vikar, den sie mit ihren Verhältnissen bekannt gemacht, hatte es an eifrigen und nachhaltigen Bemühungen, Menschen zu bessern, nicht fehlen lassen. Durch öftere Unterredung und Einschärfung unserer Christenpflichten hatte er ihr Gemüth allmälig liebevoll und versöhnlich gestimmt; da ihr nun aber keine Gelegenheit gegeben war, diese Tugenden auszuüben, so machte sie sich mit der Geduld und Demuth bekannt, die ein Theil der Pflichten des Weibes sind.

Sie empfing ihren Gatten mit Liebe und Achtung, während seine Tochter ihm in die Arme flog und dadurch bewies, daß sie durchaus nicht, wie er vermuthet hatte, gegen ihn eingenommen sei.

Erfreut durch diese Aufnahme, und vergnügt über die Gesellschaft, die er zufällig getroffen, wurden in Rainscourt Gefühle rege, die lange geschlummert hatten, und er kam auf den Gedanken, daß eine häusliche Einrichtung unter der Leitung einer so trefflichen Frau, wie Mrs. Rainscourt, und geziert durch die Schönheit seiner Tochter, nicht bloß angenehmer, sondern auch ehrenvoller sein würde, als das Leben, dem er in der letzten Zeit sich ergeben hatte. Er gefiel sich vortrefflich, war entzückt über das freundliche und liebevolle Benehmen des Vikars, fand in Susanna eine liebenswürdige, junge Frau, und in M'Elvina einen köstlichen Gesellschafter. Als er sich in das zu seiner Aufnahme eingerichtete Zimmer zurückzog, nahm es ihn nicht wenig Wunder, daß er bisher nie daran gedacht habe, den Seinigen einen Besuch abzustatten.

Rainscourt hatte die Absicht gehabt, die Gastfreundlichkeit seiner Gattin nur auf eine Nacht in Anspruch zu nehmen und dann sogleich nach einem fashionablen Bade abzureisen; aber die Freundschaft zwischen ihm und Mrs. Rainscourt schien sich dermaßen zu erneuern, daß am folgenden Tage die ganze Gesellschaft von dem Vikar in seine Pfarrwohnung eingeladen wurde. Dann folgte eine andere von M'Elvina auf den folgenden Tag nach seinem Landhause. Dies bestimmte Mr. Rainscourt, noch ein paar Tage länger zu bleiben.

Als aber die Zeit der Abreise herankam, fühlte sich Mr. Rainscourt bei seinen neuen Bekannten so heimisch, war über seine Tochter so entzückt, und zu seinem Erstaunen so bezaubert von seiner Gattin, daß er den Ort nicht verlassen konnte.

Die Frauen sind sprichwörtlich scharfsichtig in Allem, was das Herz betrifft, und auch Mrs. Rainscourt nahm bald wahr, daß die Zuneigung ihres Gemahls nicht erkünstelt sei. Zufriedengestellt durch die Entdeckung, daß sie ihre Reize noch nicht verloren habe; und – geschah es nun aus dem verzeihlichen Gefühl, sich wegen seiner Trennung von ihr zu rächen, oder ihm zu beweisen, daß er den Werth dessen, was er weggeworfen nicht gekannt habe – Allem aufbietend, um ihm zu gefallen, war sie nicht allein liebenswürdig, sondern sogar bezaubernd, und nach einem Aufenthalte von drei Wochen, die ihm als eben so viele Tage vorkamen, mußte Rainscourt, gegen seinen Willen, sich selbst das Bekenntniß ablegen, daß er in seine von ihm verstoßene Frau glühend verliebt sei.

Er fühlte jetzt, daß er, wenn er an der Spitze einer eigenen häuslichen Einrichtung stünde, eine höhere Stellung in der Gesellschaft einnehmen und er eine größere Bedeutung erlangen würde, falls sich die Erbin eines so beträchtlichen Vermögens unter seinem Schutze befände. Er glaubte, wenn Mrs. Rainscourt sich bewegen ließe, wieder mit ihm zusammen zu leben, so könnte er glücklich sein und mit Freuden die Pflichten eines Vaters und Gatten erfüllen. Weder dem Vikar noch M'Elvina entgingen diese Gefühle; und der Erstere, der an dem Spruche festhielt, daß das, was Gott vereinigt habe, der Mensch nicht trennen solle, faßte jetzt den Plan, der Sache wo möglich eine glückliche Wendung zu geben. Rainscourt, der den Einfluß, welchen der Vikar bei seiner Gattin besaß, wohl bemerkte, entschloß sich, seinerseits ihn zu ersuchen, er möchte die Rolle eines Vermittlers übernehmen.

Der Vikar war sehr erfreut, als Rainscourt eines Morgens bei ihm einsprach und ihm seine Wünsche offenbarte. Das Herz des trefflichen Mannes wünschte nichts so sehr, als die Entzweiten wieder zu vereinigen – den Gatten der Gattin und den Vater der Tochter wieder zu geben. Er nahm daher das Geschäft mit Freuden über sich und ging Nachmittags, während Rainscourt, um nicht zugegen zu sein, bei M'Elvina einen Besuch abstattete, auf seinen Gesandtschaftsposten, wo er Friede und gegenseitiges Zutrauen wieder herzustellen suchte.

Mrs. Rainscourt war bei einem solchen Vorschlage nicht überrascht, sondern hörte dem Vikar aufmerksam zu, als er darauf hinwies, wie nothwendig es sei, zu vergeben, wenn sie selbst auf Vergebung hoffe – als er erklärte, er sei völlig überzeugt, daß ihr Gatte jetzt ganz andere Gesinnungen hege – als er von den unangenehmen Bemerkungen, denen eine von ihrem Gatten getrennte Frau jederzeit ausgesetzt sei, – von der Wahrscheinlichkeit, daß er nicht allein der schuldige Theil sein möchte, und von dem Vortheile sprach, der aus ihrer Wiedervereinigung, wozu er sie zu bewegen suchte, für ihre Tochter erwachsen würde.

Mrs. Rainscourt war bis zu Thränen gerührt. Der Kampf zwischen ihrer früheren Liebe und ihren verletzten Gefühlen – die Erinnerung an seine lange Vernachlässigung im Vergleich mit seinen jetzigen Aufmerksamkeiten, – das stürmische Leben, welches sie in seiner Gesellschaft geführt, und ihre Gemüthsruhe seit ihrer Trennung – dies Alles wurde so genau gegen einander abgewogen, daß die Wagschaale sich auf keine Seite neigen wollte.

Sie weigerte sich, eine bestimmte Antwort zu geben, bat aber um ein paar Tage Bedenkzeit, und der Vikar, weicher sich an das Sprichwort erinnerte, daß in Angelegenheiten des Herzens »ein Frauenzimmer, welches überlegt, verloren ist,« verließ sie, in der glücklichen Ahnung, daß seine Bemühungen mit einem guten Erfolge gekrönt werden würden.

Aber Mrs. Rainscourt wollte nicht ihr eigenes Herz zum Schiedsrichter machen. Es war ein Fall, den, nach ihrer Ansicht, ein Frauenzimmer nicht wohl entscheiden konnte, und da sie schon so lange Zeit mit M'Elvina in vertrautem Verhältnisse stand, so beschloß sie, die Sache ihm vorzulegen und seine Meinung als maßgebend anzunehmen.

Am nächsten Tage ging Mrs. Rainscourt allein nach M'Elvina's Landhause, und nachdem sie Susanna gebeten hatte, jeden Besuch abzuweisen, setzte sie genau alle Umstände auseinander, welche der Trennung von ihrem Gemahle vorhergegangen waren, und sagte auch, zu welcher Entscheidung man sie jetzt aufgefordert habe.

Susanne, welche wohl fühlte, daß sie in einem Falle, der für Mrs. Rainscourt's künftiges Glück von so hoher Wichtigkeit war, keinen Rath ertheilen könne, legte augenblicklich die ganze Sache M'Elvina vor.

Seine Antwort war bestimmt:

»Ich bedaure sehr, Mrs. Rainscourt, daß meine Meinung von der des würdigen Vikars abweicht; aber ich fürchte, seine geringe Weltkenntniß würde in diesem Falle sowohl ihn als Sie mißleiten. Ehe Mr. Rainscourt eine Woche sich hier aufgehalten, sagte ich im Voraus, was Susanne bestätigen kann, daß man ihnen diesen Vorschlag machen würde. Im Allgemeinen mit seinem Charakter und den Gründen Ihrer Trennung bekannt, suchte ich mich bei ihm in Gunst zu setzen, um seine wahren Gesinnungen zu erforschen. Mit Bedauern muß ich jedoch die Ueberzeugung aussprechen, daß seine Zuneigung zu Ihnen, so groß sie auch in der That gegenwärtig sein mag, sich nur als vorübergehend erweisen wird, und daß Sie von einer Wiedervereinigung nur neue Kränkungen zu erwarten haben. Er ist nicht gebessert, sondern blos von anderen Genüssen übersättigt, und von Ihren Reizen bezaubert, hat er aus Leidenschaft wieder Zuneigung zu Ihnen gefaßt, nicht aber aus innerer Ueberzeugung oder Gewissensbissen über seinen ungeordneten Lebenswandel. Sie sind jetzt glücklich – Ihre Weigerung kann, wird seine Aufmerksamkeit noch mehr anspornen und dadurch Ihr Glück erhöhen; Ihre Nachgiebigkeit hingegen würde für Sie Beide eine Quelle des Unglücks werden. Dies ist meine Meinung. Lassen Sie ihn nicht wissen, daß ich Ihnen diesen Rath gegeben habe, denn Sie würden dadurch eine Vertraulichkeit vernichten, die ich zu Ihrem Vortheile unterhalten möchte. Geben Sie aber jetzt, und so lange er hier verweilt, keine entschiedene Antwort; denn ich merke, daß er heftig ist, wenn seine Wünsche durchkreuzt werden. Verlangen Sie, wenn er abgereist ist, eine weitere Bedenkzeit von vierzehn Tagen; dann werden Sie im Stande sein, nach reiflicher Ueberlegung eine Entscheidung zu treffen, ohne daß er auf Ihre Gefühle, die, zur Ehre der Frauen, in Angelegenheiten des Herzens der kalten Vernunftgründe, der Klugheit und weltlichen Weisheit spotten, einen störenden Einfluß gewinnen kann.«

Der Rath des Mannes der Welt überwog den des Gottesmannes, und Rainscourt, der ungeduldig in der Stadt auf Antwort gewartet hatte, erhielt eine entschiedene, aber freundliche Weigerung. Voll Grimm zerriß er den Brief in Stücke und brach, noch heftiger als vor ihrer Trennung in seine Gattin verliebt, nach Cheltenham auf.


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