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Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Furchtbar erdröhnt des Himmels Batterie,
Die Gottheit zürnt in lautem Donnerschlag;
Es braust der Sturm, der Regen strömt in Fluthen,
Und Blitze zucken durch die Finsterniß.
Nur Wenige entkommen an das Land.

Blackmore.

 

Es war jetzt nicht Zeit, daß Menschen gegen Menschen Krieg führten. Die Elemente rasten mit all' ihrem Grimme. Der Sturm heulte, die See tobte, der Donner rollte und blendend zuckten die Blitze. Der Ewige war nahe in seiner ganzen Majestät, und doch lagen die zwerghaften Sterblichen mit einander im Streite. Aber Kapitän M – war unbewegt, furchtlos, unerschütterlich, und die durch sein Beispiel angefeuerte, um die ganze Welt unbekümmerte Mannschaft verachtete das Drohen der Elemente.

»Setze dich auf dein Pulverkistchen und halte es trocken, du junger Affe,« sagte der Schiemann, welcher das Geschütz befehligte, zu dem Burschen, der die Patronen zu wiederholter Ladung in Bereitschaft hielt. Das Feuer gegen den Franzosen wurde eifrig unterhalten, als der Schiffer wieder auf das Verdeck kam und dem Kapitän berichtete, daß die Fregatte höchstens noch vier Seemeilen von einer Küste entfernt sei, an welcher, wenn man den Franzosen noch länger verfolge, sie nächstens anfahren würden.

»Die Fregatte kann es so nicht mehr lange aushalten, Sir; schauen Sie windwärts – der Sturm nimmt zu – ›der Blasebalg‹ arbeitet wieder auf's Neue.«

Der Sturm heulte jetzt mit verdoppelter Wuth und der Regen, welcher wegen des starken Windes statt der perpendiculären eine horizontale Richtung annahm, vermehrte die Kühlte noch, anstatt sie zu mildern. Der Donner rollte – und die Fregatte war dermaßen von Wasser überfluthet, daß die Lunten wiederholt an die Geschütze gehalten wurden, ohne daß das Feuer sich dem Pulver mittheilte, indem das Brandrohr schon nach einigen Minuten von Regen und Gischt durchnäßt war. Indeß war jedoch dieß jetzt von keinem Belang, da Sturm und Regengüsse den Feind ihren Augen jetzt entzogen hatten. »Schaut aus nach ihm, Bursche, sobald die Bö vorüber ist,« rief Kapitän M–.

Einem Blitze, der die Mannschaft einen Augenblick blendete, folgte ein so naher Donnerschlag, daß die Schiffsbalken von der Lusterschütterung erzitterten. Die elektrische Masse entlud sich zum zweiten Male und ein Blitz schlängelte sich am großen Maste der Fregatte herunter, durchbrach das Halbdeck und nahm seine Richtung nach dem Pulvermagazin. Kapitän M–, der erste Lieutenant, der Schiffer und fünfzig bis sechzig Matrosen wurden von dem heftigen Schlage niedergeworfen. Viele waren getödtet, mehrere verwundet und die Uebrigen, geblendet und betäubt, fielen beim Schwanken des Schiffes leewärts. Allmälig kamen die bloß Betäubten wieder auf die Beine, und unter den Ersten war der Kapitän. Sobald er das Bewußtsein wieder in Etwas erlangt hatte, befahl er mit seiner gewöhnlichen Geistesgegenwart, man soll die Feuertrommel rühren, und schickte Leute hinab, um die Größe des Schadens zu untersuchen. Ein starker Schwefelgeruch durchdrang das Schiff und stieg aus den Luken herauf; die Verwirrung war so groß, daß mehrere Minuten vergingen, ehe Meldung erstattet wurde. Das elektrische Feuer sei augenblicklich dicht an der Branntweinkammer und dem hinteren Magazine vorüber durch den Schiffsboden gefahren. Noch ehe dieser Bericht einging, hatte der Kapitän den Befehl gegeben, die Verwundeten zu dem Arzte hinunter zu schaffen und die Todten unter das Halbdeck zu bringen. Die elektrische Materie hatte sich am Fuße des Hauptmastes, den sie unbeschädigt gelassen, geheilt – ein Theil davon war, wie schon erwähnt, nach unten gefahren, während der andere den eisernen Riegel, der den untern Theil der großen Betingen verband, gestreift hatte, nach den beiden Fockmast-Halbdeck-Karronaden übersprungen war und sie im gleichen Augenblicke abgefeuert hatte, die sie bedienenden Leute theils tödtend, theils verwundend.

Der Blitz hatte verschiedene Wirkungen hervorgebracht. Die Leute, welche sich dicht am Fuße des Hauptmastes befunden und sich an den Tauen gehalten hatten, waren zu Kohle verbrannt. Ihre geschwärzten Leiber lagen rauchend in den Ueberresten ihrer Kleider, und strömten einen abscheulichen Ammoniakgeruch aus. Einige waren bloß an Armen und Beinen verwundet; aber ihre versengten Glieder waren zusammengeschrumpft, und sie wimmerten vor unsäglichen Schmerzen, als man sie die Luken hinabtrug. Die schrecklichsten Wirkungen hatte der Blitz bei den Kanonen hervorgebracht. Die Kapitäns der beiden Karronaden und mehrere Matrosen, die sich in ihrer Nähe befanden, waren todt. – Wären jedoch die Leichname nicht, durch die starke Schwankung des Schiffes, aus ihrem Gleichgewichte gebracht worden, so hätte man ihr schreckliches Schicksal nicht sobald wahrgenommen. Nirgends ließ sich eine Verletzung an ihnen entdecken – jede Muskel befand sich noch in derselben Lage, in welcher sie der Blitz getroffen hatte – der Ausdruck des Gesichtes war unverwischt; die Augen schienen noch zu leben, und wie vorher auf das Geschütz gerichtet zu sein; sie hatten noch immer den Leib vorwärts gebeugt, die Arme ausgestreckt, und hielten die Lunte an die Zündpfanne. Nur aus ihrem bleichen Aussehen konnte man schließen, daß sie todt waren.

Der Kapitän befahl dem Burschen auf dem Pulverkistchen, der noch immer dem Befehle des Schiemanns zufolge dasaß, aufzustehen und den Leuten beim Hinuntertragen der Verwundeten zu Helfen. Er blieb jedoch auf seinem Kistchen, die Augen auf den Kapitän gewendet ruhig sitzen, und rührte sich nicht, um dem Befehle nachzukommen, obgleich derselbe in barschem Tone wiederholt wurde – er war todt!

Während der Verwirrung und des panischen Schreckens, welcher diese Katastrophe begleitete, waren die Kanonen verlassen worden. Sobald man die Verwundeten hinuntergeschafft hatte, befahl der Kapitän dem Hochbootsmann, zu den Posten zu pfeifen; denn der Tambour, der die Feuertrommel hätte rühren sollen, war mit andern vor seinen höchsten Richter gefordert worden. Die Geschütze wurden von Neuem bemannt, und das Feuer begann wieder; doch der Mangel an Energie und das düstere Schweigen zeigten deutlich, daß die Mannschaft, wenn sie auch gehorchte, es doch nicht mit Freuden that.

»Noch einen Ruck am Vorstagsegel, Mr. Hardsett,« rief Kapitän M. durch sein Sprachrohr.

»Ja, ja, Sir; zieht es ein, Jungen,« erwiederte der Hochbootsmann, indem er mit der Pfeife zwischen den Zähnen, den Anstrengungen der Leute mit seiner gewaltigen Körperkraft zu Hülfe kam. Die Schote war hinten und der Hochbootsmann murmelte, wie gewöhnlich, Bibelsprüche: – »Er lässet die Wolken aufgehen vom Ende der Erde, der die Blitze sammt dem Regen machet, der den Wind aus heimlichen Oertern kommen lässet, – der die Erstgeburt schlug in Aegypten.«

Der erste Lieutenant und der Schiffer befanden sich auf der Windseite, und unterhielten eine eifrige Berathung. Der Kapitän stand auf der Leelaufplanke, und ertheilte dem steuernden Schiemann von Zeit zu Zeit Befehle, das Schiff anders zu richten, je nachdem es der Lauf des kampfunfähigen Feindes forderte.

»So will ich nun mit ihm reden,« rief Pearce, das Gespräch beendigend aus, und ging nach der Leeseite zu dem Kapitän.

»Kapitän M., ich habe die Ehre gehabt, längere Zeit unter Ihrem Kommando zu dienen, und ich hoffe, Sie werden mir das Zeugniß ertheilen, daß ich es in der Erfüllung meiner Pflicht nie an Eifer fehlen ließ.«

»Nein, Mr. Pearce,« erwiederte der Kapitän, ernst lächelnd; »ohne Schmeichelei, Sie ließen es nicht daran fehlen.«

»Dann, Sir, werden Sie es mir auch nicht übel nehmen, oder es unwürdigen Beweggründen zuschreiben, wenn ich mir eine Bemerkung erlaube.«

»O gewiß nicht, zumal ich überzeugt bin, daß Sie sich keine Bemerkung erlauben werden, die sich nicht mit Ihrer Pflicht verträgt, oder der Dienstordnung zuwiderläuft.«

»Gut denn, Sir, so will ich Ihnen mit aller schuldigen Ehrerbietung sagen, daß ich und die andern Offiziere der Meinung sind, unsere Handlungsweise sei, unter den gegenwärtigen Umständen, eine Versuchung, wo nicht eine Beleidigung des Allmächtigen. Blicken Sie auf den Himmel, auf die wüthende See; hören Sie das Brausen des Sturmes, und denken Sie an die Wirkungen, welche der Blitz vor kaum einer halben Stunde hervorbrachte. Während der Allmächtige in seinem ganzen Grimme, in seiner ganzen schrecklichen Majestät sich offenbart, ist es dann für arme sterbliche Zeit, einander zu bekriegen? Was sind unsere schwachen Batterien, was der Donner unserer Kanonen in Vergleichung mit den Alles zermalmenden Batterien des Himmels? Hat er nicht selbst zu uns geredet – und erkennt die Schiffsmannschaft dieß nicht an, indem sie muthlos ist, seitdem das Schiff vom Blitze getroffen wurde? Die Offiziere fühlen es alle, Sir. Ist es nicht tollkühn – mit aller gebührenden Ehrerbietung, Sir, ist es nicht sträflich?«

»Ich achte Ihre Gefühle als Christ und als Mensch,« entgegnete der Kapitän; »aber ich kann Ihre Meinung nicht theilen. Daß die Gewalt des Allmächtigen sich offenbart, gestehe ich zu; ich fühle, wie Sie, daß Gott groß, der Mensch schwach und unmächtig ist. Daß aber uns zur Warnung dieser Sturm braust – dieser Donner rollt – dieser Blitz uns getroffen hat, das gebe ich nicht zu. Die Ursachen gehen von dem Allmächtigen aus; aber die Wirkungen überläßt er den unveränderlichen Gesetzen der Natur. Hätte sich auch kein anderes Schiff in der Nähe befunden, würde uns dieser Blitzstrahl doch getroffen haben; und dieser Sturm würde nicht nachlassen, wenn wir auch die Pflichten gegen das Vaterland hintansetzten.«

Der Schiffer griff an seinen Hut und gab keine Antwort. Es war jetzt ungefähr Ein Uhr, und indem sich der Horizont ein wenig aufhellte, konnte man leewärts Land erblicken.

»Land!« rief einer der Matrosen.

»In der That!« bemerkte der Kapitän gegen den Schiffer, »wir sind dem Lande näher, als Sie dachten.«

»Vielleicht um Etwas, Sir; aber bedenken Sie, wie viele Stunden wir schon dem Feind nachsetzen.«

»Ganz richtig,« erwiederte der Kapitän, »und noch dazu die Bucht; es nimmt mich überdies gar nicht Wunder.«

»Sollen wir Luv halten, Sir? Wir find an einem todten Legerwall.«

»Mr. Pearce, nicht bälder, als bis das Schicksal des feindlichen Schiffes entschieden ist.«

»Land am Wetterbug!« meldete der Hochbootsmann von dem Vorderkastell.

»In der That!« sagte der Kapitän, »dann ist die Sache bald entschieden.«

Die Schiffe setzten noch immer ihren Laus in schiefer Richtung nach dem Lande fort, und Verfolger sowohl als Verfolgte gingen ihrem Untergange entgegen. Aber Kapitän M. hatte gegen die verschiedenen Winke, die er von dem ersten Lieutenant und andern erhielt, ein taubes Ohr. Er kannte die Gefahr, und schaute ihr mit düsterem, trotzigem Blicke entgegen.


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