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Eilftes Kapitel.

Durch lumpige Kleider sieht man kleine Fehler;
Vornehme Röcke aber bergen Alles.

Lear.

 

Willy, der von den überstandenen geistigen und leiblichen Anstrengungen gänzlich erschöpft war, beantwortete M'Elvina's Ermahnung bloß mit einem lauten Schnarchen, woraus der Kapitän deutlich sehen konnte, daß seine Warnung dießmal nicht gehört worden war.

»Aber,« sagte Debriseau nach einer kurzen Pause, »wie lange währte denn dieser Anfall von Ehrlichkeit?«

»Wie meinen Sie das? – Wie lange meine Ehrlichkeit währte? Nun wahrhaftig, Kapitän Debriseau, sie hat bis jetzt gewährt und wird währen, so lange dieser mein Körper zusammenhält. Doch ich will in der Erzählung fortfahren.

»Am nächsten Morgen begab ich mich der Aufforderung gemäß zu dem alten Herrn. Er sagte wieder zu mir: ›Ehrlichkeit ist eine seltene Waare.‹ Ich hätte ihm sagen können, daß dieß immer eint meiner Tugenden gewesen sei, aber ich hielt an mich. Dann fragte er mich nach meinem Gewerbe und worin meine gegenwärtigen Geschäfte beständen. Da ich nun zwischen zwei Professionen zu wählen hatte, von denen aber die letztere mir zu der Waare, die er so sehr anpries, in eben dem Maße verhalf, als die frühere derselben entgegen war, so erwiederte ich, daß ich ein Seefahrer sei.

»Dann weiß ich eine Anstellung für Sie,« erwiederte der alte Herr und richtete mehrere Fragen hinsichtlich des Dienstes, den ich kennen gelernt, an mich. Hierauf bat er mich, bis drei Uhr einen Spaziergang zu machen, und sagte, es würde ihn freuen, mich um diese Zeit beim Mittagessen bei sich zu sehen. – ›Wir werden alsdann Gelegenheit haben, ohne Zeugen ein wenig mit einander reden zu können.‹

»Ich folgte der Einladung genau, und mein alter Freund, der die Pünktlichkeit selbst war, ließ mich kaum zwei Minuten in dem Empfangzimmer warten, als das Diner aufgetragen wurde. Sobald wir gespeist hatten, schickte er die Aufwärterin hinweg und schloß die Thüre ab. Nachdem er mich während einer lebhaften Unterhaltung bei einer Flasche Portwein über verschiedene Punkte ausgeforscht hatte, that er mir zu wissen, daß einer seiner Freunde eines geschickten Mannes als Schiffskapitän benöthigt sei, und fragte mich, ob ich diese Stelle annehmen würde. Der Vorschlag sagte mir zu, und er bemerkte hierauf, daß ich einige Kenntniß davon haben müsse, wie Beamte zu behandeln wären, zumal ich im chinesischen Handel beschäftigt gewesen sei, und daß er glaube, das Fahrzeug werde beim Schmuggeln an der englischen Küste verwendet.

»Dieß machte mich ein wenig stutzig, denn ich fürchtete, der alte Herr möchte meiner neuerworbenen Waare eine Falle legen, und ich wollte bereits meine Weigerung nebst einigen Zeichen von Unwillen ausdrücken, als ich in seinem Gesichte eine Aenderung bemerkte, die auf getäuschte Erwartung zu deuten schien; – und so zögerte ich nur so lang, bis er mir umständlich erklärt hatte, daß dieß Geschäft durchaus kein unehrliches sei, worauf ich, von seinem vollkommenen Ernste überzeugt, einwilligte. Noch ehe die zweite Flasche geleert war, hatte ich herausgebracht, daß er nicht für einen Freund, sondern für sich selbst und eines seiner eigenen Fahrzeuge einen geschickten Kapitän suchte, und daß er ein bedeutendes Kapital in dem höchst einträglichen Geschäfte stecken hatte. Die Brieftasche, welche ich zurückgegeben, war von nicht geringer Wichtigkeit; wäre sie in andere Hände gefallen, so hätte sie viel ausplaudern können.

»Ich bin jetzt drei Jahre in Diensten des alten Gentleman und er ist ein großmüthiger und guter Herr gewesen, auch ist seine Tochter ein liebes, anmuthiges Mädchen. Ich verlor mein letztes Fahrzeug, aber erst, nachdem es ihm zehntausend Pfund eingetragen hatte, und jetzt läßt mir der alte Herr ein anderes zu Havre bauen. Um nicht müssig zu gehen, habe ich in der Zwischenzeit das Kommando einer von den Compagnieschaluppen übernommen, denn der alte Herr hat gar viele Aktien bei der Spekulation und seine Empfehlungen werden stets beachtet.

» Voici monsieur Beaujou, avec les habits,« sagte der Gastwirth, indem er die Thür öffnete und den marchand de modes maritimes, der ein großes Bündel trug, hereinführte.

»Jetzt, Junge, stehe auf,« sagte M'Elvina, unsern Helden eine Zeitlang rüttelnd, ohne daß dieser aus seiner Schlafsucht erwachen zu wollen schien.

»Bring' ihn auf den andern Gang,« sagte der Kapitän, indem er denselben vom Sopha aufhob und aufrecht hinstellte.

»'s ist noch kein Zucker darin,« sagte Willy, welcher träumte, daß er mit Zubereitung des Clarets für den alten Schiffsmeisters -Gehülfen beschäftigt sei.

»Ah!« sagte Debriseau lachend, »der glaubt, seine Mamma gebe ihm Thee.«

»Der lügnerische kleine Schelm sagte mir diesen Morgen, er habe keine Mutter; wach' auf, Mr. William Seymour, meine ich (hiebei äffte er Willy nach); Offizier, meine ich; o du bist ein artiger, ehrlicher Junge. Hast du eine Mutter oder lügst du im Schlafe so gut als im Wachen? Sei ehrlich!«

Die letzten Worte, welche Willy so oft hatte wiederholen hören, öffneten nicht bloß seine Augen, sondern erinnerten ihn auch daran, wo er sich befand.

»Nun, Bursche, wollen wir dich auftakeln! Du sagtest, wie du dich noch erinnern wirst, du habest deiner Equipirung halber nach Hause gehen wollen, und nun will ich dieselbe übernehmen, damit du eine Lüge weniger auf dem Gewissen hast.«

Durch M'Elvina's Freigebigkeit war Willy bald mit zwei Anzügen versehen, an denen nur wenig geändert werden durfte, und Monsieur Beaujou machte seinen Bückling und verschwand, nachdem er den weiteren Befehl erhalten hatte, auch noch für Hemden und andere nothwendige Bedürfnisse zu sorgen.

Die beiden Kapitäne nahmen ihre Lehnstühle wieder ein; unser Held jedoch legte sich abermals auf das Sopha und versank nach einer Minute in einen so tiefen Schlaf als vorher.

»Und jetzt, M'Elvina,« nahm Debriseau wieder das Wort, »möchte ich doch wissen, wie es Ihr Prinzipal anging, um Ihr gegenwärtiges Geschäft mit Ihrer ängstlichen Beachtung der Ehrlichkeit zu vereinigen? Denn ich für meinen Theil muß bekennen, daß, obwohl der Schmuggelhandel meine einzige Erwerbsquelle ist, ich ihn doch nie als einen ehrlichen Beruf vertheidigt, sondern mich öfters mit Ungeduld nach der Zeit gesehnt habe, in welcher es mir vergönnt sein würde, ihn aufzugeben.«

»Ihn verteidigen? Nun, ich will Ihnen die Gründe angeben, deren sich der alte Herr bediente. Sie überzeugten mich, und wie ich vorhin sagte, bin ich haltbaren Gründen stets zugänglich. Kapitän Debriseau, Sie werden hoffentlich zugeben, daß die Gesetze für Alle, Hohe und Niedere, Reiche und Arme vorhanden sein sollen.«

»Allerdings.«

»Auch werden Sie zugestehen, daß Gesetzgeber nicht Gesetzbrecher sein sollen, und wenn sie es sind, daß sie nicht erwarten können, Andere werden das achten, was sie selbst verachten.«

»Auch das gebe ich zu.«

»Ferner – nach den Gesetzen unseres Landes ist der Hehler so schlecht als der Stehler, und diejenigen, welche einen andern zum Verbrechen verleiten, sind ebenso schlecht als der Verbrecher selbst.«

»Unleugbar,« antwortete Debriseau.

»Nun haben Sie alle diese Voraussetzungen zugegeben und wir werden deßwegen zu einem unfehlbaren mathematischen Schlusse gelangen. Also Gesetzgeber sollen keine Gesetzbrecher sein. Wer gab diese Gesetze? – Die Aristokratie der Nation im Ober- und Unterhause. Gehen Sie, welche Nacht Sie wollen, in die Oper oder an einen andern öffentlichen Versammlungsort, wo die Frauen und Töchter dieser Herren sich einfinden. Ich will meinen Kopf wetten, daß jedes dieser Frauenzimmer irgend einen Contrebande-Artikel als Schmuck tragen wird; nicht Eine ist da, die nicht im Besitze geschmuggelter Sachen wäre; und sie muß daher eben so schlecht sein, als diejenigen, welche durch sie angereizt wurden, die Landesgesetze zu übertreten. Denn, wäre nach Schmuggelwaaren keine Nachfrage, so würden auch keine eingeführt.«

»Aber sie trinken doch sicherlich nicht Alle Branntwein?« entgegnete Debriseau.

»Branntwein trinken? Sie denken nur an Ihren verdammten Handel von Cherbourg – Ihre Ideen sind beschränkt. Wird denn außer Branntwein Nichts geschmuggelt? Wenn die Ehemänner und Väter dieser Ladies – eben die, welche selbst die Gesetze gegeben haben, eine Uebertretung derselben nachsehen, warum sollten auch nicht Andere so handeln?

»Der einzige Unterschied hiebei ist, daß die Mächtigen, welche aller Behaglichkeiten und Genüsse dieser Welt sich erfreuen, die Gesetze aus Eitelkeit und Laune übertreten und die Bedürftigen veranlassen, die Mittel zur Befriedigung ihrer Prunksucht herbeizuschaffen – Schutz genießen und keine Strafe dabei zu fürchten haben, während der waghalsige Seemann, der den Unterhalt seiner Familie nur dadurch erwerben kann, daß er die Wünsche jener befriedigt, oder der arme Teufel, welcher unglücklicher Weise mit einem Faß Branntwein ertappt wird, als ein Missetäter in's Gefängniß wandern muß. Und doch, Debriseau, kann es nicht zweierlei Gesetze geben, eines für den Reichen und eines für den Armen. Wenn ich höre, daß die Aristokraten-Weiber von den Zollwächtern aufgegriffen und die geschmuggelten Sachen, die sie tragen, ihnen vom Leibe gerissen werden, und daß man sie auf obrigkeitlichem Wege zu zwölfmonatlichem Gefängnisse verurtheilt, dann und erst dann werde ich eingestehen, daß unser Gewerbe unehrlich sei.«

»Sehr wahr,« sagte Debriseau, »man sieht daraus, wie thöricht die Menschen handeln, indem sie die Gesetze für ihre Herren machen.«

»Ist es nicht empörend,« fuhr M'Elvina fort, »wenn man über das Benehmen des Richters nachdenkt, der vielleicht vier bis fünf arme Schlucker wegen eines Vergehens gegen diese Gesetze in ein finsteres Loch gesprochen hat? Er verläßt den Sitz der Gerechtigkeit und kehrt in den Schoos seiner Familie zurück. – Da ist sein Weib« – (hiebei machte M'Elvina die gehörigen Gebärden). – ›Nun, mein Lieber, du kommst doch endlich – das Mittagessen ist schon seit einer halben Stunde fertig. Ich glaubte, du würdest mit diesen verwünschten Schmugglern nimmer fertig werden.‹ ›Ja, meine Liebe, der Fall war sehr schwierig; und ich habe das Urtheil unterzeichnet, wornach sie in das Landgefängniß abgeliefert werden sollen. Es sind recht lästige Kerls, diese Schmuggler.‹ – Nun schaut einmal die Dame an: »was ist das für ein Kleid, das Sie angelegt haben, um Ihren Gatten zu bewillkommen?« » Gros de Naples de Lyon.« – »Was sind für Spitzen daran?« » Valenciennes.« – »Ihre Handschuhe, Madame?« Fabrique de Paris. – »Ihre Bänder, Ihre Schuhe, Ihr Handtuch?« Alles, alles Contrebande. – Würdiger Richter, wenn du die Wagschale der Gerechtigkeit unparteiisch handhaben willst, so fertige noch einen Haftbefehl aus, ehe du dich an die Tafel setzest; schicke dein Weib in Gesellschaft der armen Schmuggler fort, um zwölf Monate im Gefängnisse zu schmachten, alsdann speise mit so viel Appetit, als du kannst. Und nun, Debriseau, habe ich Sie überzeugt, daß ich bei meinem jetzigen Geschäfte sagen kann, es sei ehrlich?«

»Ja, ich denke, wir können es beide; aber würde dieses Uebel nicht durch freien Handel ausgerottet werden?«

»Das verhüte der Himmel!« antwortete M'Elvina lachend; »dann wäre es ja vorbei mit dem Schmuggeln


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