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Fünfzigstes Kapitel.

Cym. Guiderins hat
Am Hals ein Mal, 'nen blut'gen Stern.

Bal. Dieser ist's,
Der jetzt noch jenes Zeichen an sich trägt.

Shakespeare.

 

Bevor Mr. Rainscourt Cheltenham verließ, schrieb er eilends noch ein Billet an die M'Elvina's und ersuchte sie, Emilie, deren Gegenwart auf dem Schlosse nöthig wäre, unter ihre Obhut zu nehmen und dieselbe alsdann, sobald sie ihre eigenen Angelegenheiten geordnet hätten, mit sich nach Irland hinüberzubringen, wo er eine Zeitlang sich aufzuhalten beabsichtigte. Wenige Tage nach Rainscourt's Abreise von Cheltenham begleiteten sie Emilien, die seit dem Tode ihrer Mutter bei ihnen sich aufgehalten hatte, nach dem Schlosse, in das sie zum ersten Male mit Widerwillen zurückkehrte.

Vielleicht möchte der Leser fragen, ob Rainscourt nicht von seinem Gewissen gequält wurde. Ich habe nie gehört, daß er nur im Mindesten in dieser Hinsicht sich etwas merken ließ. Man hat das Gewissen als einen höchst ungestümen Mahner beschrieben, vor dem kein Ansehen der Person gelte, und der uns Alle zu feigen Memmen mache. Soweit ich aber nach äußeren Zeichen urtheilen kann, gibt es keinen größeren Höfling, als das Gewissen. Allerdings, wenn wir in Noth sind, macht es uns Vorwürfe und hält uns das Verzeichniß unserer Verbrechen so dicht unter die Nase, daß wir jede Zeile lesen müssen. Wenn Krankheit den Körper verzehrt und der Gedanke sich aufdringt, daß man fort muß, ohne zu wissen, wohin, setzt es den an Leib und Seele Geschwächten zu und raubt ihnen vollends das Restchen Standhaftigkeit, welches sie noch besaßen. Aber in der fröhlichen Jugend, bei blühender Gesundheit, wenn wir die Mittel besitzen, unsere Thorheit auszuüben und täglich und stündlich unsere Vergehen zu häufen, »da erwähnen wir der Hölle nie vor gebildeten Ohren.« Kurz, das Gewissen belästigt denjenigen nie, der mehr als zehntausend Pfund jährliche Einkünfte hat. Gleich einem Londoner Kaufmann zeigt es die Rechnung nicht vor, so lange man neue Bestellungen macht. Erweist euch aber als zahlungsunfähig dadurch, daß ihr die Summe nicht mehr vergrößert, so mahnt es euch ungestüm und verlangt einen Wechsel auf die andere Welt, dessen Zahlung gleich der aller andern wahrscheinlich uns sehr unangenehm sein und unbequem fallen wird. Das Gewissen ist demnach kein ehrenhafter, strenger Rathgeber, sondern ein kriechender Schurke, welcher – überzeugt, daß er auf irgend eine Art bezahlt werden muß – dich fortwährend Schuld auf Schuld häufen läßt und deine Rechnung, statt sie warnend dir vorzulegen, noch vor dir verbirgt, so lange du die geringste Miene zeigst, sie noch zu vermehren.

M'Elvina's, die Emilien nicht sich selbst überlassen konnten, nahmen ihren Wohnsitz auf dem Schlosse, bis die nöthigen Anordnungen getroffen waren. Dann bezogen sie mit ihr das Landhäuschen wieder, um ihre eigenen Angelegenheiten besser zu leiten. Emilie war tief betrübt über den Verlust ihrer Mutter. Sie war ihr mehr eine liebevolle und nachsichtige Freundin gewesen, als daß sie die Tochter ihre Abhängigkeit halte fühlen lassen. Die M'Elvina's hegten daher den Wunsch, Emilien von dem Schlosse zu entfernen, wo Alles, was sie erblickte, an ihren großen Verlust erinnerte, und selbst Kleinigkeiten das kindlichliebende Mädchen immer von Neuem betrübten. Und man mag ihr verzeihen, wenn ich sage, daß sie die bittersten Thränen auf dem Sopha vergoß, wo William Seymour so schnell Abschied von ihr genommen hatte.

Der Vikar beeilte sich, ihr mit seinem Troste beizustehen, und da er sah, daß Emilie so gefaßt war, als man erwarten konnte, ging er nach einem langen Besuche mit M'Elvina spazieren, um einen genaueren Bericht über das unglückliche Ereigniß zu hören. M'Elvina erzählte die Sache umständlich, doch ohne des durch die Jokey's veranlaßten Geredes zu erwähnen; denn er wußte wohl, daß der Vikar zu liebevoll war, um in einer, die menschliche Natur so entwürdigenden Anklage etwas Anderes, als die unumstößlichsten Beweise zuzulassen.

»Es ist sonderbar,« bemerkte der Vikar sehr ernsthaft, »aber es scheint, als ob ein böser Stern die Besitzer dieser schönen Güter verfolge. Admiral de Courcy starb in den betrübtesten Umständen, ohne daß ihm Freunde oder Verwandte die Augen zugedrückt hätten. Seinem Tode folgte der seines nächsten Erben, welcher beinahe in demselben Augenblicke, wo ihm die Herrschaft zufiel, ertrank – und ich, der sein Vormund war, habe meinen Pflegling niemals zu Angesicht bekommen. Jetzt haben wir einen dritten gewaltsamen Todesfall – und dieß Alles in einer Zeit von zwölf bis dreizehn Jahren. Sie haben wahrscheinlich schon von den Lebensumständen des vorigen Erben gehört?«

»Ich hörte Sie sagen, er sei auf dem Meere ertrunken; sonst aber ist mit nichts bekannt.«

»Oder man vermuthet vielmehr, er sei ertrunken, denn zuverlässige Beweise sind nicht vorhanden. Er wurde auf einer Prise fortgeschickt, die nimmer zum Vorschein kam; und obwohl man keine völlige Gewißheit darüber hat, so zweifle ich doch nicht, daß er umgekommen ist. Nie war ich so betrübt, als über den Tod dieses Kindes. Seine Geschichte ist so sonderbarer Art, daß ich sie noch Niemand mitgetheilt habe, weil Umstände darin vorkommen, deren Geheimhaltung auch entfernten Verwandten angenehm sein möchte. – Doch wenn Sie mir versprechen, M'Elvina, keinem Menschen etwas davon anzuvertrauen, will ich sie Ihnen mittheilen.«

Das Versprechen wurde gegeben und der Vikar begann die Geschichte des Admiral de Courcy – sein Benehmen gegen seine Gattin und Kinder – die unglückliche Heirath und den noch beklagenwertheren Tod Eduard Peters oder vielmehr Eduard e Courcy's – des Admirals Anerkennung seines Enkels auf dem Todtenbette – den Bericht Adams – dessen Tod – die Absendung des Knaben in einer Prise und dessen Ertrinken im Meere. »Ich habe Alles schriftlich,« fuhr der gute Mann fort, »und besitze die nöthigen Aktenstücke. Die Identität des Knaben ließe sich leicht durch das Zeichen eines breiten Pfeiles beweisen, welchen ihm der alte Adams auf die Schulter geätzt hat.«

»Himmel! Ist es möglich?« rief M'Elvina aus, den Vikar beim Arme ergreifend.

»Was ist Ihnen?«

»Nun, der Knabe lebt – er war in den letzten zwei Jahren in Ihrer Gesellschaft.«

»Jener Knabe?«

»Ja, jener Knabe – ist William Seymour.«

»Barmherziger Gott! Wie unerforschlich sind deine Wege!« rief der Vikar mit Staunen und Ehrfurcht aus. »Sagen Sie mir, mein lieber Herr, – wie können Sie Ihre Behauptung begründen?«

Will sich der Leser des Umstandes erinnern, daß der Vikar Kapitän M. besuchte, so wird er auch wissen, daß jener, sobald er den Tod des Kindes erfuhr, so bestürzt darüber war, daß er es nicht für nöthig hielt, einem Fremden alle Umstände mitzutheilen; und da andererseits Kapitän M., als Seymour nach drei Jahren wieder zum Vorschein kam, nichts Näheres davon wußte, auch weder des Vikars Namen noch Adresse kannte, so fand er sein Mittel, die Wiederentdeckung des Knaben seinen Freunden zu wissen zu thun.

»Ich muß Ihnen jetzt, Sir,« sagte M'Elvina zu dem Vikar, »das Vertrauen, welches Sie mir geschenkt haben, dadurch erwiedern, daß ich Ihnen ebenfalls unter dem Versprechen des Geheimnisses einige Umstände aus meinem früheren Leben mittheile, über welche ich erröthen muß, und zu deren Enthüllung mich bloß William Seymour's Interesse bewegen kann.«

M'Elvina erzählte hierauf, wie er früher mit Schmuggeln sich abgegeben – wie er den Knaben von dem Wrack gerettet – wie er drei Jahre lang für ihn gesorgt – wie Kapitän M. sein Schiff weggenommen, und wie er diesen bewogen habe, den Knaben unter seine Obhut zu nehmen. Das Zeichen des Pfeils sei so deutlich als je zu sehen, und die Identität des Knaben könne ohne allen Zweifel genügend dargethan werden.

Der Vikar hörte der Erzählung mit aller Theilnahme zu, welche sie verdiente, hielt sich ebenfalls von der Unumstößlichkeit der Beweise überzeugt und sagte alsdann:

»Dieß wird ein harter Schlag für unsere Emilie sein.«

»O ganz und gar nicht,« erwiederte M'Elvina, der dem würdigen Manne augenblicklich das Herz erleichterte, indem er ihn mit dem zärtlichen Verhältnisse zwischen Beiden und Seymour's ehrenwerthem Benehmen bekannt machte.

»Wie wunderbar doch Alles geht!« erwiederte der Vikar. »Das gäbe einen schönen Stoff für einen Roman. Nur wünsche ich, daß es, wie die meisten Dichtungen dieser Art, auch ein glückliches Ende nehmen möge.«

»Ich stimme mit Ihnen überein; aber lassen Sie uns überlegen, welche Maßregeln jetzt zu ergreifen sind.«

»Ich glaube, man sollte Seymour zu unverzüglicher Rückkehr auffordern.«

»Dieß ebenfalls ist mein Rath; aber aus den letzten Nachrichten, die mir von ihm zukamen, muß ich schließen, daß das Schiff bereits die Station verlassen haben und sich auf der Heimreise befinden wird, ehe unsere Briefe dort anlangen. Mein Plan ist, vor Allem still zu schweigen bis zu seiner Rückkehr. Die Thatsachen sind bekannt und können von uns Allen bestätigt werden. Lassen Sie uns sogleich die Vorsichtsmaßregeln ergreifen, welche die Rechtskundigen für erforderlich halten, damit, im Falle wir plötzlich sterben sollten, es an Beweismitteln nicht fehle. Wir dürfen indeß nicht eher handeln, als bis Seymour angekommen ist, den an Mr. Rainscourt haben wir einen schwierigen und gefährlichen Gegner.«

»Sie haben Recht,« versetzte der Vikar; »wann treten Sie Ihre Reise nach Irland an?«

»Schon in einigen Tagen – allein ich werde gleich bei der Hand sein, sobald man mir die Ankunft des Schiffes meldet. Inzwischen werde ich, um allen etwaigen Hindernissen vorzubeugen, bei Gericht meine Aussage eidlich bekräftigen.«

M'Elvina und der Vikar trennten sich jetzt. Der Erstere theilte, als ein gehorsamer Ehemann, seiner Gattin die freudige Nachricht mit, und diese, obwohl sie das Geheimniß bei sich behielt, sprach, um Emilien zu beruhigen, von nichts Anderem, als von Seymour. Nach wenigen Tagen hatte M'Elvina alle seine Angelegenheiten in Ordnung gebracht – das Landhaus würde einem Agenten zum Verkaufe übergeben; das Ehepaar verließ nun mit Wehmuth einen Wohnsitz, wo es so viele Jahre in ungestörtem Glücke zugebracht hatte, und reiste nach Galway ab, wo sie Mr. Rainscourt gleich bei ihrer Ankunft trafen. Sie übergaben ihm seine Tochter und bezogen dann ihr eigenes Haus, das sich auf dem von M'Elvina erkauften Gute, etwa eine Meile vom Schlosse entfernt, befand. M'Elvina's Name war ein Schlüssel zu den Herzen seiner Pächter, die einander erzählten, daß das Haupt der Familie jetzt wieder in sein Besitzthum gelangt sei. Er habe das wahre Auge der M'Elvina's – daran könne man nicht zweifeln, denn keine andere Familie habe solche Augen. Daß Seine Gnaden ihr Herz erfreut habe, indem sie die Herrschaft wieder in den Händen der alten Familie sehen – einer Familie, so alt wie irgend eine in Alt-Irland.

M'Elvina schwieg, als ein kluger Mann. Dann sprachen sie von ihren Unfällen – von der mißgerathenen Kartoffelernte – den rückständigen Pachtgeldern – eine Bitte folgte der andern, bis M'Elvina sich endlich genöthigt sah, sie sämmtlich an seinen Geschäftsführer zu verweisen, den er zur möglichsten Milde ermahnte.

Emilie war jetzt wieder in dem Schlosse, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens zugebracht hatte, und fand Alles wie neu, außer der alten Wärterin Norah. Die Nachbarschaft der M'Elvina's war ein großer Trost für sie; denn sie konnte an den ausschweifenden Freunden ihres Vaters keinen Gefallen finden. Ihr Leben war eingezogen – aber sie hatte zahlreiche Hülfsquellen in sich selber, und der Winter schwand ihr schnell dahin.

Im Frühjahr kehrte sie mit ihrem Vater nach London zurück. Mit Stolz führte Rainscourt seine Tochter in die Gesellschaften ein. Es gab Viele, die ihre Schönheit oder ihr Geld bewunderten. Aber umsonst: ihr Herz war schon vergeben; und mit Freude kehrte sie, nach beendigter Saison, wieder nach Irland zurück, um im traulichen Kreise mit den M'Elvinas zu leben, und in der Einsamkeit ihren Gedanken an den schönen und hochherzigen William Seymour nachzuhängen.


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