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Fünfundfünfzigstes Kapitel.

Du bist also überzeugt, daß unser Schiff auf Böhmens Einöden gerathen ist.
Ja, mein Herr, und ich fürchte, wir haben zu einer unglücklichen Zeit gelandet.

Wintermährchen.

 

Gegen Mitternacht brach der Mond durch die Wolken, die allmälig nach dem östlichen Horizonte sich hinwendeten, wie wenn sie von unsichtbaren Geistern in der Luft zusammengerollt würden. Der Wind, nach mehrern ohnmächtigen Stößen, die den letzten Athemzügen eines Sterbenden, der nur ungern vom Leben scheidet, gleich waren, legte sich, und es trat völlige Ruhe ein. Dann schlug er östlich um. Die Gewalt der Wogen ließ nach, bis sie das Wrack, noch kurz zuvor das Ziel ihrer Wuth, nur noch umspielten. Die dunkeln Schatten der Felsen wurden nicht mehr durch den weißen Schaum der Brandung gehoben, welcher so eben noch mit der größten Heftigkeit gerast hatte.

Vor Tagesanbruch war Alles ruhig, und die Ueberlebenden, fröstelnd und in ihren nassen Kleidern schaudernd, ermuthigten einander durch die Aussicht auf das nahe Ende ihrer Leiden, sobald der Tag anbrechen würde. Glänzend ging die Sonne auf und schien, indem sie ihre forschenden Strahlen durch den wolkenlosen Aether schoß, in ihrem Stolze gleichsam auszurufen: »Schaut wie ich euch so eben nach kurzem Verzweifeln Licht und Wärme, Freude und Rettung bringe.«

Die über das Wasser hervorragenden Felsen, auf welche die Unglücklichen vorher mit Angst geblickt und sie als sichere Werke ihres Untergangs betrachtet hatten, wurden jetzt freudig von ihnen, als eben so viele Anhaltspunkte begrüßt, wenn sie den Versuch machen wollten, an's Land zu gelangen.

Die kühnsten und erfahrensten Schwimmer stürzten sich in das Wasser und arbeiteten auf die nächste Felsengruppe zu, an der sie nicht ohne Schwierigkeit dadurch hinaufklommen, daß sie sich an funkelnd schlüpfrigem Seegrase hielten, welches die Felsen, gleich dem struppigen Haare auf den Köpfen eben so vieler emportauchender Riesen bedeckte.

Das Winken der Leute, welche glücklich die Felsen erreicht hatten, ermuthigte eine zweite Schaar zum Nachfolgen, während Andere, die nicht schwimmen konnten, ängstlich nach Materialien zu einem Floße suchten, um auf diesem an das Land zu kommen.

Die Selbstsucht, welche bis dahin geherrscht hatte, trat jetzt wieder in den Hintergrund. Eben diejenigen, welche ihre Kameraden bei dem Versuche, auf ihren Sicherheitsplatz zu gelangen, ohne Hülfe, ja ohne einen Seufzer über das unglückliche Schicksal derselben hatten zu Grunde gehen lassen, legten jetzt, da die Hoffnung auf Rettung fast bis zur Gewißheit der Rettung wieder erwacht war, eben so viele Theilnahme für die Erhaltung anderer, in einem Zustande der Erschöpfung Daliegender, als für ihre eigene, an den Tag. Die noch übrigen Offiziere wurden wieder geachtet, und auf den Trümmern der Aspasia herrschten auf's Neue Disciplin und Gehorsam bis zum letzten Augenblicke.

Nach wenigen Stunden waren Alle, Kranke, Erschöpfte und Verwundete, an das Land gebracht, und das Floß kehrte zu dem Wrack zurück, um was noch irgend brauchbar war, herauszuschaffen.

Unser Held, der, außer dem Hochbootsmanne, der dem Range nach unter ihm stand, der einzige gerettete Offizier war, hatte das Kommando übernommen und beschäftigte sich, die zum Schutze und der Erhaltung seiner Mannschaft nöthigen Vorkehrungen zu treffen. Er wandte seine Blicke nach allen Richtungen umher, in der Hoffnung, für seine verwundeten und erschöpften Kameraden irgendwo Hülfe zu finden. Aber da war nichts, als eine Reihe unfruchtbarer Hügel, mit großen, abgerissenen Felsblöcken bedeckt; nirgends konnte man eine Kultur wahrnehmen und kein Hausthier zeigte sich, woraus man hatte schließen können, daß menschliche Hülfe nahe sei. Einer von den Leuten, der zum Recognosciren ausgeschickt war, kehrte nach wenigen Minuten zurück und meldete, er habe hinter einem hervorragenden Felsen, aus den er hinzeigte, kaum zweihundert Ellen entfernt, eine Hütte, oder wie man sie in Irland nennt, ein Shealing entdeckt, von wo aus ein Fußweg über den Berg zu führen scheine. An diesen Ort beschloß unser Held die Kranken zu bringen, und brach in Gesellschaft des Hochbootsmanns und des Matrosen, welcher die Nachricht gebracht hatte, auf, um die Hütte zu untersuchen.

Als er über den Felsen hinaufgestiegen, sah er die Hütte, die ganz baufällig war und aller Wahrscheinlichkeit nach seit längerer Zeit verlassen sein mußte, auf einem etwa einen Morgen großen, vor Zeiten bebauten Felde stehen, auf dem aber jetzt Unkraut und Disteln üppig wucherten. Er näherte sich dem Eingange, und als die plumpe Thüre beim Oeffnen in den Angeln knarrte, ward er von einer schwachen Stimme mit dem Rufe empfangen:

» Qui va là

»Da drinnen sind Irländer,« bemerkte der Matrose.

»Ich glaube eher, daß es Franzosen sind,« erwiederte unser Held, während er hereintrat. Wirklich entdeckte er auch sieben bis acht Unglückliche von der Mannschaft des französischen Linienschiffes, die verwundet und im höchsten Grade erschöpft dalagen.

» Bonjour, camarade,« sagte einer von ihnen, indem er sich nicht ohne Schwierigkeit auf seinen Ellenbogen stützte – » As-tu de l'eau-de-vie?«

»Ich glaube nicht,« erwiederte Seymour, mitleidig die Gruppe betrachtend, von welcher Alle ihre Augen nach ihm richteten, obgleich sie sich wegen ihrer Wunden nicht rühren konnten. »Wir sind schiffbrüchig, so gut wie ihr.«

»Was! gehört Ihr zu der verdammten Fregatte?«

»Allerdings,« entgegnete Seymour, »und nur wenige von uns sind noch am Leben, um das Unglück erzählen zu können.«

» Vive la France!« rief der Franzose; » puisqu'elle n'a pas échappé – je n'ai plus de regrets.«

»Vivat, Vivat!« wiederholten sämmtliche Franzosen mit schwacher Stimme.

» Et moi, je meurs content!« murmelte einer, welcher wenige Augenblicke nachher den Geist aufgab.

»Seid ihr die einzigen Davongekommenen?« fragte Seymour.

»Die einzigen Davongekommenen,« erwiederte der Wortführer, »die einzigen von achthundert und fünfzig Mann – Sacristie – as-tu de l'eau-de-vie?«

»Ich weiß nicht einmal, was wir haben – etwas ist von dem Wrack gerettet worden,« erwiederte Seymour; »wir werden es bereitwillig mit euch theilen und helfen, so gut wir können. Wir waren Feinde, aber jetzt sind wir Leidensgenossen. Ich muß euch verlassen, um unsere Verwundeten heraufzuschaffen. Es ist hier, so viel ich sehe, hinreichend Raum für uns Alle. Adieu, pour le moment!«

» Savez-vous que c'est un brave garçon, ce lieutenant-là?« bemerkte der Franzose gegen seine Kameraden, als Seymour und seine Begleiter die Hütte verließen.

Seymour kehrte an das Gestade zurück, und bei Zusammenberufung seiner Leute fand er, daß die Zahl der Ueberlebenden aus vierundvierzig Matrosen und Seesoldaten, dem Hochbootsmann und ihm selber bestanden. Davon lagen fünfzehn verwundet oder mit zerschmetterten Gliedern umher. Aus dem Schiffe waren auch noch verschiedene Sparren, Bretterstücke, einige kleine Segel, ein paar Tonnen mit Rind- und Schweinefleisch, und ein Rumfäßchen gerettet worden. Das letztere war wunderbarer Weise durch die Brandung gesegelt und unbeschädigt an's Land geworfen worden. Die zum Trocknen ausgebreiteten Segel wurden zuerst nach der Hütte geschafft, um ein Lager für die Kranken und Verwundeten zu bereiten, die innerhalb einer Stunde sammt den verwundeten Franzosen ein so behagliches Bett hatten, als es unter solchen Umständen der Fall sein konnte. Dann wurden die Spieren und sonstigen Holzstücke herbeigeholt, um auch auf dem längstverlassenen Herde ein Feuer zu machen, während ein anderes draußen vor der Hütte zum Kleidertrocknen angezündet wurde. Ferner wurde das Rumfäßchen unter die Thüre gerollt und unter die Erschöpften eine Portion, gemischt mit Wasser aus dem nicht weit entfernten Bache, vertheilt. Die Matrosen zogen ihre nassen Kleider aus und hingen sie an dem Feuer draußen zum Trocknen auf; dann begaben sie sich wieder in die Hütte, um ihre nackten Leiber gegen das ungelinde Wetter zu schützen.

Der vorsichtig unter die Unglücklichen ausgetheilte Rum wurde von dem, der unsern Helden zuerst angeredet hatte, begierig getrunken, und nach einer halben Stunde schien derselbe wieder neu belebt. Er stand auf, bewegte sich langsam hin und her, und konnte bald seine Glieder vollkommen wieder gebrauchen. Als bei einer zweiten Dosis Rum sein Blut wieder gehörig in Umlauf kam, schien ihm weiter gar nichts mehr zu fehlen. Es war ein kräftiger, gut aussehender Mann, mit einem großen und buschigen Haare. Seymour blickte ihn forschend an und glaubte, er müsse ihn schon einmal gesehen haben, wie lange her es auch schon sein mochte.

»Sie entschuldigen – aber ich glaube, wir haben uns schon einmal in Cherbourg getroffen. Heißen Sie nicht Debriseau?«

» Sacristie!« rief der Franzose, indem er sich durch das Haar fuhr, » je suis connu! Und wer sind Sie?«

»O, nun weiß ich gewiß, daß Sie es sind,« erwiederte Seymour lachend – »ich kenne Ihre alte Gewohnheit – erinnern Sie sich nimmer des Knaben, den Kapitän M'Elvina von dem Wracke nahm?«

» A, mon ami – Seymour, meine ich – Offizier, meine ich,« rief Debriseau; » Est-ce donc vous? Mais, mon Dieu, que c'est drôle! (dabei fuhr er wieder durch die Haare und knirschte mit den Zähnen) » un diable de rencontre!«

»Aber, wie kommt es, daß Sie an Bord eines französischen Kriegsschiffes geriethen?«

»Wie? O ich hatte Unglück, nachdem M'Elvina fort war, und fand, trotz seiner Beweisgründe, bei näherer Ueberlegung, daß das Geschäft doch kein ehrenhaftes sei. Da ich die Küsten sehr gut kannte, so ging ich als Lootse an Bord.«

»Aber, Debriseau, sind Sie nicht aus Guernsey gebürtig, und ist dieß nicht eine britische Besitzung?«

»Bah! Das ist Alles eins, mon ami; wir Inselbewohner sind wie die Fledermaus in der Fabel – Maus oder Vogel, wie es sich gerade schickt – wir gehören jedem Lande an. Ich für meinen Theil habe eine starke Vaterlandsliebe für beide.«

Das Gespräch unterbrach hier der eintretende Hochbootsmann, der zum Schutze des Rumfäßchens, auf das er sich mit seiner Bibel gesetzt hatte, draußen geblieben war.

»Es kommt Hülfe, Mr. Seymour. Wenigstens zwanzig oder dreißig Mann steigen den Hügel herab.«

»Hurrah für Alt-Irland. Das sind Jungen, die auch nach dem unglücklichen Freunde sehen,« schrie Conolly, einer von den Matrosen, welcher seinen Landsleuten dieses Lob ertheilte, während er nackt am Feuer saß.


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