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Dreißigstes Kapitel.

Und solltet ihr stoßen auf sein Schiff,
Muß diesen Rath ich geben.

Ballade von Sir Andrew Barton, 1560.

Besonnenheit
Und Kühnheit sind der Ehre Zwillinge,
zusammen machen sie den Helden aus;
Vereinzelt aber einen Prahler.

Beaumont und Fletcher.

 

Als die Untersuchung zu Ende war, lichtete Kapitän M., um die unterdessen erhaltenen Befehle auszuführen, die Anker und legte sich auf's Kreuzen, bis Mangel an Lebensmitteln und Wasser ihn nöthigen würden, in den Hafen zurückzukehren. Viele Tage hindurch hatten die Wächter in den Mastkörben umsonst umhergespäht, um ein fremdes Schiff zu entdecken, dessen Verfolgung und Wegnahme auch eine Abwechslung in das einförmige Leben zwischen Himmel und Wasser bringen würde – bis endlich an einem Sonntag Vormittag, als Kapitän M. gerade Gottesdienst hielt, der Matrose im Mastkorbe auf's Verdeck herunterrief: »Ein fremdes Segel am Luvbug!«

Der Puritaner entsetzt sich vielleicht, wenn er hört, daß der Gottesdienst sogleich, obwohl mit Anstand, geschlossen würde; allein als Kapitän M. sah, wie unruhig sich die Mannschaft auf ihren Sitzen, den Spillbalken, geberdete, so hielt er es für unmöglich, ihre Aufmerksamkeit noch länger bei den Gebeten festzuhalten, auch wenn er fortzufahren die Absicht gehabt hätte, denn er wußte wohl, daß jede Gottesverehrung, an welcher Geist und Herz nicht teilnehmen, nur müssige Ceremonie, wo nicht gar ein feierliches Affenspiel ist. Die Leute wurden auf ihre Posten gerufen, alle Segel beigesetzt, und nach einer Stunde konnte man den Fremden von der Fockraae aus schon mit bloßem Auge sehen.

»Für was für ein Schiff halten Sie es, Mr. Stewart?« sagte der erste Lieutenant, als dieser oben im Mastkorbe sitzend sein Fernglas gerade auf das Fahrzeug richtete.

»Ein Kauffahrer, Sir, voll Ballast.«

»Was sagte er, Jerry?« fragte Prose, der neben diesem an der Laufplanke stand.

»Ein französisches Schiff mit schwerer Ladung, Prose.«

»Schön, Jerry,« sagte Prose, die Hände reibend. »Wir werden Prisengelder erhalten, das behaupte ich.«

»O freilich. Wenigstens zwanzig Pfund werden auf einen Midshipman kommen; denn die Ladung muß Zucker und Kaffee sein. Wenn man nur nicht so verteufelt lange darauf warten müßte. Ich würde meinen Antheil hundewohlfeil verkaufen. Hätten Sie nicht dazu Lust, Prose?«

»Nein, Jerry, ich bin kein Freund von Spekulationen; indeß, wie viel würden Sie dafür nehmen?«

»Zehn Pfund. Das Schiff ist ja gewiß unser.«

»Zehn Pfund! Nein, Jerry, das ist zu viel. Ich will Ihnen was sagen – ich zahle Ihnen fünf Pfund.«

»Topp!« erwiederte Jerry, der sehr gut wußte, daß ein Schiff mit Ballast ihm nicht dreißig Schillinge eintragen würde, auch wenn es der Kapitän nach dem Hafen sendete, was gar nicht wahrscheinlich war. »Wo ist das Geld?«

»Sie müssen auf meine Ehre vertrauen; im ersten Hafen, in den wir einlaufen, sollen Sie, das verspreche ich Ihnen, das Geld haben.«

»Ich setze nicht das geringste Mißtrauen in Ihre Worte oder Ihre Ehre, Prose; aber doch wäre es mir lieber, wenn ich das Geld in der Hand hätte. Könnten Sie es nicht entlehnen? Doch es hat nichts zu sagen, die Wette ist gültig.«

Nach zwei Stunden war die Fregatte dem Fremden so nahe gekommen, daß sich seine Wasserlinie von dem Verdecke ganz gut unterscheiden ließ. Er zog seine Flagge auf und segelte herbei.

»Er hat die englischen Farben aufgehißt, Sir,« berichtete Stewart dem Kapitän.

»Wie? Stewart, sagten Sie nicht, er habe die englische Flagge aufgehißt?« fragte Prose mit ängstlicher Miene.

»Freilich, Sie Pinsel.«

»Ach!« rief Prose erschrocken aus, »wahrhaftig, da habe ich fünf Pfund verloren.«

Das Fahrzeug kam unter den Spiegel der Fregatte und bat, sie möchte ihm ein Boot zuschicken, indem es Nachrichten mitzutheilen habe. Das Boot kam wieder zurück und berichtete Kapitän M. – das Fahrzeug sei von einem französischen Kaperschiffe, einem Schooner, der in dieser Gegend große Räubereien begingen, geentert und ausgeplündert worden; der Kaper habe es vor kaum acht Stunden verlassen, seine Richtung gegen Portorico genommen und zwei Kaufleute, die Passagiere gewesen, mit sich fortgeführt.

Das Boot war augenblicklich heraufgehißt und alle Segel beigesetzt. um nach jener Insel zu steuern, die nicht fünfzehn Meilen entfernt war.

Als der Tag sich neigte, waren sie so glücklich, den von einer Windstille befallenen Schooner nahe am Lande zu erblicken. Als dieser wahrnahm, daß er der Fregatte unmöglich entrinnen könnte, so ging er in einer kleinen seichten Bucht, eine Kabeltaulänge vom Ufer entfernt, vor Anker. Nachdem Kapitän M. sein Schiff so nahe, als das Fahrwasser es erlaubte, nämlich zwei oder drei Meilen vom Schooner, herangebracht hatte, so daß der letztere unmöglich entrinnen konnte, ging auch er vor Anker und kündigte den Offizieren seinen Entschluß an, denselben am folgenden Tage mit den Booten herauszuhauen.

Die Offiziere, welche mit dem Kommando der Boote beauftragt werden sollten, und die für den Angriff bestimmte Mannschaft wurde ausgewählt und auf dem Quarterdeck eine Musterung über dieselbe gehalten, ehe die Hängematten abgerollt wurden, damit die Ersteren sich in Bereitschaft hielten und die Letzteren die Nacht hindurch in ihren Hängematten blieben. Alle diejenigen, welche in die Lotterie einsetzen sollten, wo die Gewinne Ehre und die Nieten Tod hießen, sahen mit Angst dem Aufgang der Sonne entgegen.

Es gab nur Wenige unter ihnen, deren Gemüther von so durchaus roher Komposition waren, daß sie die ganze verhängnißvolle Nacht hindurch schlafen konnten. Sie erwachten, sagten ein oder zwei Gebete, und schliefen wieder ein.

Die Sonne hatte sich noch nicht über den Horizont erhoben, obwohl die Morgenröthe verkündete, daß die kreisende Erde in Kurzem die Aspasia in ihren Bereich bringen würde, als die Pfeifen des Hochbootsmannes und seiner Gehülfen bald das Zeichen: »Alle Matrosen hinauf! – Die Hängematten ausgerollt!« gaben, und dasselbe mit jener, dem englischen Seemann, sobald Gefahren drohen, so charakteristischen Schnelligkeit befolgt wurde. Die Hängematten waren bald weggestaut und die Matrosen aufgestellt.

»Heraus mit den Booten.« Die Raatakeln und Etagen wurden angehakt und die Boote sanken mit einem lauten Geplätscher ins Wasser hinunter, während die Kutter bereits von den Schanzjütten herabgelassen und unter den Vorputtingen bemannt worden waren.

Sobald es Tag geworden war, erblickte man den Kaper, der, ihre Absichten ahnend, die ganze Nacht dazu angewandt hatte, alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen, um den erwarteten Angriff zurückzuschlagen. Er war durch Kabeltaue und Halsen geschützt, die von den Bugs und der Viering ausliefen – seine Steuerbordseite hatte er seewärts gerichtet – sein Enternetz bis an das untere Tackelwerk ausgeholt – und Balken ragten von allen Seiten hervor, um so viel als möglich den Feind vorn Anlegen abzuhalten. Der Wind regte sich nicht, die See war glatt wie ein Spiegel, und die französische Farbe herausfordernd an jeder Mastspitze aufgehißt, hing schlaff an den Spieren herunter, als wenn sie den Wind erwartete, der sie lustig aufblähen sollte. An jeder Seite des Schooners waren acht Stückpforten gebohrt, und die Geschütze, welche aus denselben hervorsahen, Tod und Verderben den Angreifenden drohend, glichen den Zähnen des Wolfes, der begierig den Angriff seines unerschrockenen Verfolgers erwartet.

Die Boote hatte man mit Geschützen versehen, und auf Trave-Hölzern befestigt, um im Stande zu sein, sie über die Bugs hinweg abzufeuern, ohne den Ruderern hinderlich zu sein. Das Pulver und die Munition hatte auf dem hintern Theile einen sichern Platz erhalten.

Die Matrosen mit umgeschnallten Säbeln und einer Pistole im Gürtel oder an einem Taue zur Seite des Bootes befestigt – die Seesoldaten, so viel derselben jedes Boot tragen konnte, welche mit ihren Musketen zwischen den Seinen und ihren mit Pfeifenerde bestrichenen Bajonet- und Patrontaschenkuppeln, die sich über ihren alten, halb schmutzigen, halb geputzten Jacken kreuzten, in den Sternschoten saßen – Alles war zum Abrudern bereit, als Kapitän M. die Offiziere, welche er für tiefe Expedition ausersehen, in seine Kajüte rufen ließ. Bully, der erste Lieutenant, halte das Wechselfieber und Kapitän M. erlaubte ihm auf Macallan's Einwendung, nicht, das Kommando zu übernehmen. Price, Courtenay, Steward und drei andere Midshipmen waren diejenigen, welche man für diesen gefahrvollen Dienst auserlesen hatte.

»Meine Herren,« sagte der Kapitän, als sie in der Kajüte um den Tisch herumstanden und auf seine Instruktionen warteten; »ich muß Sie auf einige Punkte aufmerksam machen, die Sie, wie ich wünsche, wohl im Gedächtnisse behalten sollten, jetzt, da Sie im Begriffe stehen, einen aller Wahrscheinlichkeit nach, sehr schwierigen Dienst zu übernehmen. Dieser Kaper hat bereits so viel Unheil gestiftet, daß ich es für meine Pflicht halte, ihn wo möglich wegzunehmen, und obwohl es keinen Dienst gibt, der, allgemein gesprochen, verhältnißmäßig so viel Menschenleben kostet, wie das Heraushauen eines Schiffes, so habe ich doch den Entschluß gefaßt, lieber zum äußersten Mittel zu greifen, als denselben entrinnen zu lassen, damit er unserem Handel noch ferneren Schaden zufüge.

»Bedenken Sie jedoch, meine Herren, und an Sie, Mr. Price, als den Kommandanten der Expedition, wende ich mich hauptsächlich, daß selbst in diesem äußersten Falle ohne die geeigneten Maßregeln nicht nur unser Sieg zu theuer erkauft, sondern auch eine große Anzahl Menschenleben aufgeopfert würden, ohne daß wir in unserem Versuche glücklich wären. Ihren Muth bezweifle ich nicht im Geringsten; aber erwägen Sie wohl, daß es etwas mehr, als blos thierischer Muth ist, was ich von meinen Offizieren erwarte; denn wäre sonst nichts erforderlich, so könnte man den Befehl über diese Boote eben so gut jedem gemeinen Matrosen anvertrauen, der, gleich unseren vaterländischen Bullenbeißern, mit völliger Gleichgültigkeit seinen Kopf in den Rachen des Löwen stockt.

»Was ich von jedem Offiziere, der auf meine Empfehlung hin befördert zu werden wünscht, verlange, erwarte und haben will, ist das, was ich ein wackeres Benehmen nenne, das heißt, jene Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart, vermöge deren er, mitten unter den Gefahren, alle erdenklichen Fälle berechnet, in der Hitze des Kampfes aus einer günstigen Gelegenheit Vortheil zieht und das Ungestüm derer zügelt, die in den gefährlichen Irrthum verfallen sind, ihren Feind zu verachten. Das alleinige Gute, was ein solch ungestümes Feuer hat, ist, daß man es der Unentschiedenheit vorziehen muß.

»In einem solchen Dienste kann es auch bei dem größten Muthe und den klügsten Maßregeln doch nicht ohne Verlust ablaufen; auch kann man sich nicht gegen unvorhergesehene Fälle schützen; finde ich aber, daß durch ein tollkühnes und unbesonnenes Benehmen ein größeres Opfer gebracht wird, als die Noth erfordert, so können Sie sich darauf verlassen, daß ich nicht verfehlen werde, dem schuldigen Offizier zu zeigen, wie hoch ich das Leben eines britischen Matrosen anschlage. Nach dieser Warnung will ich Sie nun mit meinem Plane bekannt machen, der mir zu Erreichung eines glücklichen Erfolges am besten dünkt. Ich habe hier auf diesem Papier eine rohe Skizze, um Ihnen denselben dadurch zu erläutern.«

Kapitän M. ging alsdann in eine Erörterung seines Angriffplanes ein, sprach über die Vorsichtsmaßregeln, welche getroffen werden müßten, und bemerkte noch schließlich, daß sie sich durch seine Vorschläge keineswegs für gebunden halten, sondern sie blos hinsichtlich ihres Benehmens als Fingerzeige betrachten sollten, wenn sie dieselben je nach den Umständen und den Maßregeln des Feindes, die sich während des Gefechtes von selbst ergeben würden, für die besseren hielten. Die Offiziere kehrten auf das Verdeck zurück und begaben sich in ihre Boote, wo sie viele von den jüngeren Midshipmen fanden, die, obgleich nicht zu diesem Dienste bestimmt, sich in die Boote eingeschmuggelt hatten, um an dem Kampfe Theil zu nehmen. Kapitän M. hielt sie nicht zurück und stellte sich daher, wie wenn er sie nicht gewahr würde, als er über die Bordseite hinaus blickte und den Booten abzurudern befahl. Kaum war dieser Befehl ertheilt, als die zurückgebliebene Mannschaft das Takelwerk erkletterte und die absegelnden Kameraden mit drei Hurrah begrüßte.

Die Bootsmannschaft warf ihre Ruder in die Höhe und erwiederte den Gruß mit derselben Anzahl Hurrah's. Dann sanken die Ruder wieder in's Wasser, und die kleine Flotte segelte dem Ufer zu.


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