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Vierzigstes Kapitel.

Dummköpfe wollen zweimal hintergangen sein.

Dryden.

 

Seymour unterließ nicht, von Mrs. Rainscourts Einladung Gebrauch zu machen, und war bald der unzertrennliche Gesellschafter Emiliens. Seine Aufmerksamkeiten gegen Sie ergötzten M'Elvina's und ihre Mutter höchlich, die einen kleinen Liebeshandel zwischen einem jungen Midshipman von sechszehn und einem Mädchen von vierzehn Jahren durchaus nicht von Bedeutung hielten.

Als die beiden Urlaubsmonate zu Ende waren, mußte sich Seymour auf das Wachtschiff begeben, in dessen Bücher sein Name eingetragen war. Mit schwerem Herzen sagte er M'Elvina's Lebewohl. Er hatte die Abschiedsthränen von Emiliens Wangen weggeküßt und ihre junge Liebe, so rein wie die zwischen Bruder und Schwester, erzeugte in beider Herzen ein Gefühl, welches die Abwesenheit nicht zu unterdrücken vermochte.

Als unser Held sich bei dem Kommandanten des Wachtschiffes meldete, war er erstaunt, als derselbe gar nichts von ihm zu wissen vorgab und den Sekretär rufen ließ, um zu erfahren, ob sein Name in der Schiffsliste stehe.

Der Sekretär erschien. Es war ein Mann von mittlerer Größe, äußerst sorgfältig und zierlich gekleidet und dem Aussehen nach etwa vierzig Jahre alt. Er trug die Schiffsliste unter dem Arme, legte sie mit einem tiefen Bückling gegen den ersten Lieutenant auf das Gangspill, durchlief von oben bis unten mehrere Seiten mit dem Finger und entdeckte endlich den Namen unseres Helden.

»Es ist Alles in Richtigkeit, junger Herr,« sagte der Lieutenant. »Führen Sie ihn in die Kajüte hinunter, Mr. Skrimmage und stellen Sie ihn vor. Natürlich haben Sie Ihre Hängematte mitgebracht und es steht zu erwarten, daß Ihr Koffer gut verschlossen ist; im andern Falle muß ich Ihnen sagen, daß Sie morgen früh Ihre Kleider nicht mehr mit dem Verzeichnisse davon in Uebereinstimmung finden werden. Aber das können wir hier nicht anders machen. Wir müssen aus diesem Schiffe so zu sagen eine Art Durchfahrt passiren, und ein Jeder muß für sich selbst Sorge tragen.«

Seymour dankte dem ersten Lieutenant für diesen Wink und begab sich mit dem Sekretär hinunter, der ihn ersuchte, vorher in seine eigene Kajüte zu treten, ehe er sich in das Konstabelzimmer führen ließ, wo die Midshipmen speisten und Mr. Skrimmage den wichtigen Posten eines Proviantmeisters bekleidete.

»Mrs. Skrimmage, meine Liebe,« sagte Seymours Begleiter, »erlauben Sie mir, Ihnen Mr. Seymour vorzustellen.«

Die Dame machte eine sehr zierliche Verbeugung und bot unserem Helden mit herablassender Miene einen Sitz an. Bald darauf begann Mr. Skrimmage:

»Es ist Sitte, mein lieber Herr, daß jeder Gentleman, der in die Midshipman-Kajüte aufgenommen wird, eine Guinee Eintrittsgeld zahlt. Dann beträgt das Kostgeld für die Woche blos fünf Schillinge, die aber immer zum Voraus bezahlt werden müssen. Sie werden daher die Güte haben, die unbedeutende Summe von sechsundzwanzig Schillingen zu entrichten, ehe ich Sie bei Ihren neuen Tischgenossen einführe. Sie müssen mich entschuldigen, daß ich das Geld gleich jetzt verlange, denn Sie dürfen versichert sein, ich setze durchaus kein Mißtrauen in Ihre Ehrenhaftigkeit; aber da ich das einzige Mitglied der Midshipman-Kajüte bin, das als stationär angesehen werden kann, so wurde mir das lästige Amt eines Proviantmeisters aufgebürdet, und ich habe, indem mehrere junge Herren das Schiff eilends verließen, ohne die Rechnungen zu berichtigen, schon so viel Geld verloren, daß ich mir Vorausbezahlung zu einer Regel gemacht, von der ich niemals abweiche.«

Als Mr. Skrimmage seine Rede, die in den sanftesten und überzeugendsten Ausdrücken seinem Munde entfloß, beendigt hatte, entrichtete Seymour die verlangte Summe, die von dem Sekretär sofort in das Kostbuch eingetragen und quittirt wurde. Dann führte ihn Skrimmage in das Konstabelzimmer, wo er dreißig bis vierzig Midshipmen bei einander traf, deren Lärm und Gelächter ein solches Getöse hervorbrachte, daß die Stimme seines Begleiters, der laut ausrief: »Mr. Seymour, meine Herren, Ihr nunmehriger Tischgenosse,« gar nicht gehört wurde. Dann verließ Mr. Skrimmage das geräuschvolle Gemach, welches unserem Helden wie ein losgelassenes Irrenhaus vorkam.

Auf der einen Seite des Konstabelzimmers saßen in einem Kreise auf dem Deck, mit untergeschlagenen Beinen und bis aus das Hemd ausgezogen, fünfzehn bis zwanzig Midshipmen. In den Händen hielten sie ihre wie Stricke zusammengedrehten Taschentücher. Ein Ueberrock und ein Bügelholz, daß sie von dem Schiffsschneider, der auf dem Hauptdecke arbeitete, entlehnt hatten, lag in ihrer Mitte, und sie stellten sich alle, wie wenn sie an diesem Rocke nähen wollten. Es war das Schneiderspiel, dessen ganze Unterhaltung darin bestand, daß man Schläge austheilte und empfing. Jeder am Spiele Theilnehmende führte einen besondern Namen, auf den er, wenn er gerufen wurde, augenblicklich Antwort geben mußte, widrigenfalls ihn die übrige Gesellschaft strenge bestrafte. Die Namen waren von Farben hergenommen, wie Schwarzkappe, Rothkappe u. s. w. Die feine Unterhaltung, welche der Schneidermeister begann, nahm folgenden Fortgang – wobei jedoch zu bemerken ist, daß mit der größten Schnelligkeit gesprochen würbe.

»Das ist ein falscher Stich – wer machte ihn?«

»Schwarzkappe.«

»Nein, Sir; ich nicht, Sir.«

»Wer denn, Sir?«

»Rothkappe.«

»Sie lügen, Sir.«

»Wer denn, Sir?«

»Blaukappe, Blaukappe.«

»Sie lügen, Sir!«

»Wer denn, Sir?«

»Gelbkappe, Gelbkappe.«

Gelbkappe halte unglücklicher Weise nicht sogleich ein »Sie lügen« in Bereitschaft, wurde streng dafür bestraft, und das Spiel nahm wieder seinen Fortgang.

Der Theil des Spieles jedoch, welcher die größte Heiterkeit hervorbrachte, bestand darin, den Schneidern ein Bügeleisen zu verschaffen. Etliche, die es schon mit einander verabredet hatten, ergriffen Einen der Umstehenden, der nicht auf seiner Hut war und warfen ihn in den Kreis, wo derselbe sofort von allen Mitspielergeprügelt und gestoßen wurde, bis es ihm gelang, zu entwischen. Ein Anschlag dieser Art ward bald auch auf Seymour gemacht, der, mit dem Spiele genau vertraut, sich, sobald er merkte, daß man ihn in den Kreis hineinstoßen wolle, auf Hände und Kniee niederließ, so daß der Andere in seiner eigenen Schlinge gefangen wurde und über Seymour hinweg selbst in den Kreis hineinpurzelte, aus dem er endlich eben so ärgerlich über das allgemeine Gelächter als über die erhaltenen Schläge entwischte.

Seymour, der gerne jeden Spaß mitmachte, bat um Arbeit und wurde unter die Gesellen zugelassen.

»Wie heißen Sie, Sir?«

»Kastanienbraune Kappe,« erwiederte Seymour, eine Farbe wählend, die ihm hinlängliche Zeit zum Antworten gewähren konnte, wenn er gerufen wurde.

»Hol' mich der Teufel, wenn Sie nicht ein alter Fuchs sind,« bemerkte einer von der Gesellschaft, und das Spiel nahm mit so viel Geräusch als je seinen Fortgang.

Aber wir müssen dasselbe verlassen und zu Mr. Skrimmage zurückkehren, der sonderbarer, wenn auch nicht beispielloser Weise in den niedrigsten Dienstgraden sich ein beträchtliches Vermögen gesammelt hatte. Er hatte bei einem Gerichtsanwalt die Schreiberei erlernt und war von da aus, wie oder warum sagt Deponent nicht, in der Eigenschaft eines Sekretärs an Bord eines Kriegsschiffs versetzt worden. Das Fahrzeug war ein alter mit fünfzig Kanonen versehener Zweidecker, deren einige damals noch im Dienste beibehalten wurden, obgleich sie längst nicht mehr gebraucht werden. Da er ein langsamer Segler war und sonst zu nichts taugte, so mußte er stets große Convoy's von Kauffahrern nach Amerika und Westindien begleiten. Obwohl andere Kriegsschiffe hie und da ihn bei seinem Geschäfte unterstützten, so war doch der Kapitän des Zweideckers seiner langen Dienstzeit wegen immer der vorgesetzte Offizier, und die Schiffer der Kauffahrer mußten an Bord seines Schiffes kommen und ihre Convoy-Instruktionen, so wie die kleine Unterscheidungsflagge abholen, die immer unentgeltlich ertheilt wurden.

Skrimmage jedoch, der schon bei seinem früheren Geschäfte gewohnt gewesen, nie ein Papier ohne Bezahlung abzugeben, hatte auch in seinem gegenwärtigen Amte keine Lust dazu. Da er es nicht wagen durste, eine direkte Forderung zu machen – so verfiel er auf eine Kriegslist, die ihn zum Zwecke führte. Er entlehnte nämlich von verschiedenen Personen sieben bis acht Guineen, und wenn die Schiffer der Kauffahrer an Bord kamen, um ihre Instruktionen zu holen, so ließ er sie in seine Kajüte hinunterführen und empfing sie daselbst mit vielen Komplimenten und in sehr hübscher Kleidung. Die Guineen waren auf dem Tische ausgebreitet, so daß man sie leicht überzählen konnte.

»Nehmen Sie Platz, Kapitän. Dürfte ich Sie um Ihren werthen Namen, so wie den Ihres Schiffes bitten?« Während des Niederschreibens derselben bemerkte er ganz gleichgültig: »Ich habe heute erst sieben Instruktionen abgegeben.«

Der Kapitän, welcher während dieser Zeit unbeschäftigt war, schaute natürlich in der Kajüte umher und erblickte gewöhnlich auch die Guineen, welche der genannten Zahl der ausgefertigten Instruktionen völlig gleichkam. Er kam daher auf den Gedanken, daß dieselben Schreibgebühren wären.

»Was bin ich schuldig, Sir?«

»Ganz nach Ihrem Belieben. Einige zahlen eine Guinee, Andere zwei.«

Eine Guinee wurde auf den Tisch gelegt; und so strich Mr. Skrimmage vermittelst seiner Heckpfennige von jedem Convoy, das sein Kapitän geleitete, wenigstens hundert Guineen in die Tasche, ohne deswegen Etwas direkt zu fordern. Nach vier Jahren, während welcher Zeit er sich ein artiges Sümmchen zusammen gebracht, ward das Schiff für dienstunfähig erklärt und Mr. Skrimmage an Bord des Wachschiffes versetzt, wo seine Schlauheit augenblicklich die Vortheile wahrnahm, die es ihm bringen müßte, wenn er fortwährend Schiffssekretär und Proviantmeister der Midshipmen-Kajüte bliebe. Nach einer achtjährigen Dienstzeit wollte man ihn zum Zahlmeister ernennen, was er aber ausschlug, unter dem Vorwande, er sei ein verheiratheter Mann und ziehe Armuth mit Mrs. Skrimmage höherem Range und besserer Löhnung ohne sie vor. Nun wird der Leser sich nicht sehr verwundern, wenn er hört, die untergeordnete Stelle habe durch Anwendung kluger Plane ein solches Einkommen abgeworfen, daß Mr. Skrimmage im Laufe von zwölf Jahren sich ein Vermögen von fünfzehntausend Pfund sammelte.

Ein Wachtschiff ist ein Fahrzeug, wo Offiziere und Matrosen so lange Aufenthalt finden, bis sie sich auf die Schiffe, denen sie angehören, begeben können, oder bis man sie einberuft. Daher kömmt es, daß auf einem solchen Schiffe ein beständiger Wechsel stattfindet und ein Midshipman oft kaum drei Tage an Bord ist. In der That werden wir so ziemlich annehmen dürfen, daß während des Krieges, im Laufe von zwölf Monaten, gegen tausend Midshipmen auf einem Wachschiffe zu- und abgingen. Da nun Mr. Skrimmage sich stets eine Guinee als Eintrittsgeld und eine wöchentliche Vorausbezahlung der Kosten entrichten ließ, so kann man sich leicht vorstellen, welch' gewinnbringendes Amt Mr. Skrimmage bekleidete. Ueberdieß wurden seine Rechnungen niemals geprüft. Mrs. Skrimmage ging ihm dabei thätig an die Hand; sie lebte mit geringen Kosten an Bord und vergrößerte durch ihre Aufmerksamkeiten für die lieben kleinen Middies, die auf eine Zeitlang an Bord waren, so wie für die Kleidung derselben, die Einkünfte ihres Mannes beträchtlich.

Ihre Geschichte war folgende. Sie hatte drei Stadien durchlaufen – war zuerst Kammermädchen bei einer Lady in der Stadt gewesen, und nachdem sie sich in dieser Stellung ein wenig vom »hohen Tone« angeeignet, wurde sie noch etwas Anderes in der Stadt, und endlich Mrs. Skrimmage.

Um sich desto mehr Achtung zu verschaffen, waren Mr. Skrimmage, so wie seine Frau, sehr sorgfältig und delikat in ihrer Kleidung und in ihrem Umgange. Er spielte den Gentleman, sie die Lady. Dieß ging meistens ziemlich gut; zuweilen gab es jedoch unangenehme Fälle, die sich Mr. Skrimmage seines Interesses wegen schon mußte gefallen lassen. Es mag hier noch bemerkt werden, daß er nach Beendigung des Kriegs um Entlassung aus seinem vieljährigen Amte nachsuchte, dieselbe erhielt und mit dem halben Solde eines Zahlmeisters sich aus dem aktiven Dienst zurückzog.

Der Aufwärter und sein Junge machten, als sie mit zwei ungeheuren schwarzen Theekesseln in das Konstabelzimmer hineintraten, der lärmenden Unterhaltung ein Ende. Dieß war das Signal zum Theetrinken.

»Hurrah! die Brühefabrikanten!« rief der Schneidermeister aus, indem er vom Spiele aufstand. Ein Regiment von Tassen wurde auf beiden Seiten des langen Tisches in Linie aufgestellt und Alle sprangen durcheinander nach Stühlen.

»He! Mr. Cribbage,« rief ein alter Schiffsmeistersgehülfe dem Proviantmeister zu, welcher bald nach den Theekesseln hereingekommen war und am Ende der Tafel Platz nahm – »wie nennen Sie dieses Gebräu da?«

»Was soll das heißen, Sir?« erwiederte Mr. Skrimmage mit hochwichtiger Miene.

»Nun, ich meine, daß in diesem Wasser da verdammt wenig Thee ist. Ich habe schon Branntwein von eben so dunkler Farbe gesehen, als dieser Wasserthee, oder dieses Theewasser ist.«

»Aufwärter,« sagte Mr. Skrimmage, indem er seinen Kopf über seine Schulter nach diesem hinwendete, »haben Sie nicht das bestimmte Maß Thee in den Kessel gethan?«

»Ja, Sir,« erwiederte der Aufwärter, »auf jeden Herrn einen Theelöffel voll.«

»Sie hören, meine Herren,« sagte Mr. Skrimmage.

»Hören? Ja, aber wir schmecken nicht. Ich möchte einmal den Thee hineinthun sehen,« fuhr der Schiffsmeistersgehülfe fort.

»Sir,« entgegnete Mr. Skrimmage, »ich muß mir die Freiheit nehmen, Ihnen zu bemerken, daß der Aufwärter nicht dafür verantwortlich ist, sondern Mrs. Skrimmage thut immer selbst die bestimmte Maaß Thee hinein.«

»So, diese Kanaille!« ließ sich Einer am andern Ende des Tisches vernehmen.

»Wie?« rief der ergrimmte Ehemann aus, »was hörte ich da? Wer hat es gesagt?«

»Dieser junge Herr da, Mr. Skrimmage,« sagte ein boshafter Bursche und zeigte auf seinen Gegenmann.

»Ich nicht, Sir,« erwiederte Jener, wie in dem eben beendigten Spiele. »Sie lügen, Sir.«

»Wer denn, Sir?«

»Schwarzkappe, Schwarzkappe,« indem er auf einen Andern zeigte.

»Ich, Mrs. Skrimmage beschimpfen? Sie lügen, Sir.«

»Wer denn, Sir?«

»Rothkappe, Rothkappe.«

»Ich Mrs. Skrimmage beschimpfen? Sie lügen, Sir.«

So machte die Anklage die Runde um den Tisch, zur großen Ergötzlichkeit der ganzen Gesellschaft, mit Ausnahme des Proviantmeisters, der es bereute, von dem Gesagten Notiz genommen zu haben.

»Meine Herren, dieß ist ein Betragen, welches ich kaum hingehen lassen kann,« bemerkte Mr. Skrimmage, der jederzeit den suaviter in modo den Vorzug gab. »Als Proviantmeister dieser Kajüte –«

»Ist es Ihre Pflicht, uns etwas zu essen zu geben,« bemerkte einer der Midshipmen.

»Meine Herren, Sie sehen, was auf dem Tische steht; es sind Verhaltungsregeln und Bestimmungen festgesetzt, von denen man nicht abweichen darf, und –«

»Diese verlangen, uns verhungern zu lassen. Ich bezahlte sechsundzwanzig Schillinge und habe in den drei Tagen, seit ich hier bin, noch keine sechsundzwanzig Bissen erhalten. Ich möchte doch Ihre Rechnungen einmal sehen, Herr Proviantmeister.«

»Bravo! Er soll uns seine Rechnungen zeigen,« schrieen mehrere von der Gesellschaft.

»Meine Herren, die Rechnungen können zur Einsicht vorgelegt werden, und sie halten, wie ich Ihnen wohl versichern darf, die strengste Prüfung aus. Sie muß aber von Denjenigen vorgenommen werden, welche sie mit Recht fordern dürfen, und ich kann nicht glauben, daß Jemand, der erst seit drei Tagen auf dem Schiffe ist, dieselben zur Einsicht verlangen kann.«

»Aber ich bin schon seit drei Wochen hier,« sagte ein Anderer, »und habe bereits ein Pfund und sechszehn Schillinge bezahlt. Mir steht also das Recht darauf zu, und ich verlange die Rechnungen – nun, so tragen Sie uns die Rechnungen auf, da wir sonst nichts bekommen können.«

»Die Rechnungen – die Rechnungen!« riefen jetzt so viel drohende Stimmen, daß Mr. Skrimmage blaß wurde und es räthlich fand, dem Sturme nachzugeben.

»Aufwärter, überbringen Sie Mrs. Skrimmage die Empfehlungen der Herren und bitten Sie dieselbe, das Kostrechnungsbuch zu schicken. Verstehen Sie, Empfehlungen der Herren an Mrs. Skrimmage.«

»Zum Teufel mit Mrs. Skrimmage!« rief abermals einer der Midshipmen; und das Schneiderspiel begann auf's Neue, bis der Aufwärter mit dem Rechnungsbuche hereintrat.

»Mrs. Skrimmage läßt sich den Herren empfehlen und sie würde mit Vergnügen ihre Bitte erfüllen; allein in Folge ihres Unwohlseins in der letzten Zeit gingen die Rechnungen nur bis zu Ende des vorigen Monats.«

Ein solches Verfahren beobachtete der schlaue Sekretär jeder Zeit und schnitt dadurch jede fernere Nachforschung ab. Doch der Unwille der Midshipmen ließ sich nicht mehr bändigen, und da sie demselben auf diesem Wege nicht Luft machen konnten, so thaten sie es auf einem anderen.

»Meine Herren,« begann Einer der Aeltesten von der Gesellschaft, Mrs. Skrimmage's Redeweise nachäffend; »ich möchte Sie bitten, daß sie die Güte hätten, keinen solchen Lärm aufzuschlagen, da ich eine Rede zu halten wünsche, und ich bitte Sie, daß zwei von Ihnen die Gefälligkeit haben mögen, an der Thüre Wache zu stehen, um Niemand hinein oder hinaus zu lassen, damit ich ohne Störung meine Meinung vorbringen kann.

»Meine Herren, wir haben unser Kostgeld bezahlt und bekommen nichts zu essen. Wir haben die Rechnungen verlangt und man hat uns ›mit Unwohlsein‹ abgefunden. Da nun in die Ehrenhaftigkeit des Proviantmeisters durchaus kein Zweifel gesetzt werden darf, so mache ich den Vorschlag, ihm eine allgemeine Quittung auszustellen.«

»Da ist eine Feder um dieselbe zu schreiben,« sagte ein Anderer, indem er das Bügelholz emporhielt, dessen sie sich bei ihrem Spiele bedient hatten.

»Meine Herren, Sie geben also insgesammt Ihre Zustimmung, daß der Proviantmeister geholzt wird?«

Das Beifallsgeschrei setzte Mr. Skrimmage in Schrecken. Er machte den Versuch, aus dem Konstabelzimmer zu entfliehen, wurde aber von den beiden Schildwachen zurückgehalten. Dann bat er um Gehör –um Erlaubniß, sich erklären zu dürfen; aber Alles vergebens. Unter lärmendem Gelächter zog man ihn nach dem Tische.

»Furchtbares Kopfweh – Mrs. Skrimmage – nervenschwach – vollständige Zufriedenstellung – kein gentlemengleiches Betragen – mich beschweren beim ersten Lieutenant –« waren die unzusammenhängenden Theile seiner Einwendungen, die man vernehmen konnte. Er wurde quer, das Gesicht nach unten gekehrt, über den Tisch gelegt; dann hob man ihm die Rockschöße auf und zahlte ihm mit dem Bügelholze zwei Dutzend so kräftige Streiche zu, daß sein Geschrei noch lauter war als das schallende Gelächter seiner Züchtiger.

Während dieser Scene ging es in dem Konstabelzimmer so lärmend und toll zu, daß man nichts von dem, was vor der Thüre vorging, vernehmen konnte. Als aber Mr. Skrimmage wieder aufrecht dastand und der Tumult theilweise nachließ, hörte man die Stimme des Schiemanns und das Gekreisch der Mrs. Skrimmage, die draußen standen und Einlaß begehrten. Die Thüre ward geöffnet und die Lady flog herein.

»Mein Skrimmage! – mein Skrimmage! was haben dir die Unmenschen gethan!« fuhr die Lady keuchend fort, indem sie sich an die Midshipmen wandte, welche auf die Seite getreten waren; »ihr Alle sollt aus dem Dienste gejagt werden – ihr sollt – ja ihr sollt – Wir wollen sehen – wir wollen uns an ein Kriegsgericht wenden – lacht nur – aber wir wollen. Verhöhnung eines höheren Offizirs – ja, eines Sekretärs und Proviantmeisters! Der Dienst ist beschimpft – ihr Schurken! Spottet nur – ich kratze euch die Augen aus – das will ich! Kommen Sie, Mr. Skrimmage, wir wollen auf's Halbdeck gehen und sehen, ob man den Dienst so beschimpfen darf. Ihr Schandmenschen –« jetzt hielt die Lady inne, da sie durch ihr heftiges Schimpfen außer Athem gekommen war.

»Meine Herren,« sagte der Schiemann, sobald er Gehör erlangen konnte – »der erste Lieutenant wünscht den Grund Ihres Lärmens zu erfahren.«

»Unsere Empfehlung an Mr. Phillips und melden Sie ihm, daß wir unsere Kostrechnungen in's Reine gebracht haben und uns vom Proviantmeister noch eine Kleinigkeit herausgeben ließen.«

»Ja wohl« – begann Mrs. Skrimmage wieder, »ihr Schurken, ihr schmutzige Beutelschneider – ihr Spitzbuben– ihr Schlangenbrut – ihr Abschaum der Erde – ihr Maulaffen – ihr! – Ja streckt nur die Zunge gegen mich heraus – ihr – ihr Hunde – ihr Teufelsbuben – wartet, ich will euch alle zehn Gebote in das Gesicht kratzen – ich will – ja, das will ich – ihr feige Bettlerbrut –«

Jetzt verlor sie wieder den Athem.

»Ich will Ihnen was sagen, Madame,« fiel der alte Schiffsmeistergehülfe ein; »wenn Sie nicht sogleich Ihren Rand halten, beim Teufel! so werden Sie gebolzt.«

»Was, mich schlagen? Das wollt ihr? mich schlagen? Das will ich einmal sehen. Kommt nur her, ihr elende Tropfen!«

»Holzt sie, holzt sie!« schrieen alle Midshipmen auf einmal, die durch die pöbelhafte Sprache der Frau nicht wenig in Wuth versetzt waren. Augenblicklich wurde sie von einem Dutzend ergriffen und nach dem Tische gezogen. All' ihr Streiten half nichts, und es hatte den Anschein, daß die Drohung in Erfüllung gehen würde.

»Oh! behandelt man auf solche Weise eine Lady? – Skrimmage! Hülfe! zu Hülfe!«

Skrimmage, von seinen Schlägen noch völlig betäubt, sprang jetzt auf den Ruf seines geängsteten Weibes empor, stürzte auf sie zu und schlang seinen Arm um ihren Leib – »Schonen Sie ihrer, meine Herren, schonen Sie ihrer um's Himmels willen! Schonen Sie ihrer – oder,« fuhr er mit zitternder Stimme fort, »wenn Sie sie bolzen wollen, nur nicht auf den bloßen –«

Die Appellation an das Schamhaftigkeitsgefühl und an die Menschlichkeit verfehlte ihren Zweck nicht, und Mr. und Mrs. Skrimmage wurden ohne weitere Belästigung aus dem Konstabelzimmer entlassen. Als aber die Lady glücklich an der Thüre des Zimmers war, vergaß sie ihren angemaßten hohen Stand, drehte sich um, machte eine Faust gegen ihre Verfolger und ließ ihnen eine tüchtige Ladung so derber Schimpfwörter zukommen, daß ich den Leser mit Wiederholung derselben verschonen will – worauf sie Arm in Arm mit ihrem Gatten das Konstabelzimmer verließ.

»Mrs. Skrimmage läßt sich den Herren empfehlen,« schrie einer der Midshipmen nach, worüber ein schallendes Gelächter entstand, als eben der Schiemann wieder eintrat.

»Meine Herren, der erste Lieutenant sagt, alle Diejenigen, welche auf ein Schiff nach Plymouth warten, sollen augenblicklich mit ihren Effekten auf das Verdeck kommen. Es ist eine Fregatte zu ihrer Aufnahme bereit – sie hat den blauen Peter aufgehißt und ihre Topsegel sind angeholt.«

Dieß machte weiterem Skandal ein Ende, da wenigstens zwanzig da waren, deren Schiffe auf jener Station lagen. Während sie sich zur Abreise anschickten, brachte Mr. Skrimmage seine Kleider in Ordnung und begab sich dann auf das Verdeck, um bei dem ersten Lieutenant Beschwerde zu führen. Da er aber schon häufig solche Klagen vorgebracht hatte, und Mr. Phillips, welcher wußte, daß er sein Schicksal verdiene, derselben müde war, so wies er ihn mit der gewöhnlichen Bemerkung zur Ruhe: »Wie kann ich diese jungen Leute bestrafen, wenn sie auch Unrecht haben? sie entschlüpfen mir ja augenblicklich durch die Finger. Die, über welche Sie sich beklagen, steigen eben jetzt an der Schiffsseite hinab! Warum legen Sie das Proviantmeisteramt nicht nieder

Allein Mr. Skrimmage wollte aus den bereits angegebenen Gründen nichts von einem solchen Rathe hören und begab sich wieder in die Kajüte hinunter. Etliche Tage empfing die Tischgesellschaft aus Furcht vor einer wiederholten Bügelholzdosis eine bessere Kost; dann ging es wieder, wie vorhin.


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