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Fünftes Kapitel.

Sein eig'ner Herr, deß Erbschaft Unglück ist.

Byron.

 

Unsere Erzählung kann in einem gewissen Grade mit einer jener Pantomimen verglichen werden, welche die Theater alljährlich den Kindern zur Erhöhung ihrer Ferien-Festlichkeiten geben. Wir beginnen mit düstern, feierlichen Scenen, die hie und da von einem glänzenden Bilde unterbrochen sind, welches durch den Gegensatz seiner Umgebung um so leuchtender strahlt, und so schreiten wir fort, bis Harlekin, nach Gebühr mit seiner Ruthe versehen, eintritt und sich anschickt, zu Land und zur See Abenteuer aufzusuchen. Um die Parallele zu vervollständigen, sollte das Ganze mit dem höchsten Licht und Herrlichkeitsschimmer endigen, wo alsdann unsere geblendeten Augen sich wieder erholen, und die Täuschung mit dem Niederfallen bei grünen Vorhangs verschwindet, der gleich dem Ende am Schluß des dritten Bandes uns meldet, daß Alles vorüber ist.

Es muß uns indessen erlaubt sein, in diesem Kapitel ein wenig zurückzugehen, bevor wir unsern Helden aus die unsichere und stürmische See des menschlichen Lebens vom Stapel laufen lassen. Zum vollen Verständnisse der Erzählung ist es nothwendig, die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Großvater unseres Helden zu lenken.

Der Admiral De Courcy stammte in gerader Linie von einer alten, reichen und hochadeligen Familie ab. Er hatte das Unglück, in früher Jugend seinen Vater zu verlieren, und das einzige Kind einer schwachen, ihn verzärtelnden Mutter zu sein. Man nehme zu all diesem noch hinzu, daß er der Erbe eines bedeutenden Familienbesitzthums war, und nun wird der Leser sich wohl denken können, wie selbst ein Kind von den besten Anlagen verzogen werden mußte.

Aber der junge De Courcy war kein Kind von glücklichen Anlagen, sondern hatte einen heftigen, halsstarrigen und eigensinnigen Charakter, den auch die festeste Hand nicht leicht bändigen konnte. Als grausamer Tyrann einer zärtlichen, in den Knaben vernarrten Mutter, und seiner ganzen Umgebung widerwärtig, erreichte er das männliche Alter. Sein unruhiger Sinn bewog ihn, den Seedienst zu erwählen. Zu derjenigen Zeit, welche wir jetzt schildern, fand man den Namen des Jungen häufig auf den Listen eines Kriegsschiffes, während der Knabe selbst sich auf der Schule oder zu Hause bei seinen Verwandten herumtrieb. Stand etwa diesem Leben ein Hinderniß im Wege, so würde dasselbe leicht durch Connexionen hinweggeräumt.

Die Folge davon war, daß der junge De Courcy ohne alle Kenntniß seines Berufes, ohne beim Beginn seiner Laufbahn gehorchen zu lernen, ehe er befehlen durste, in dem frühen Alter von achtzehn Jahren zum Kapitän einer schönen Fregatte ernannt wurde; und da in jenen Zeiten die Gewalt der Kapitäne aus Kriegsschiffen fast ohne Schranken war, und man ihr Benehmen niemals untersuchte, so hatte er eine nur zu günstige Gelegenheit, seinen tyrannischen Neigungen nachzuleben. Seine Laune und Gewaltthätigkeit kannte keine Gränzen, seine Grausamkeit war abscheulich und sein Schiff führte den Beinamen »die schwimmende Hölle«.

Doch auch die größte Ausdehnung hat ihre Gränzen. Als kein Offizier auf dem Schiffe mehr bleiben wollte und das Ausreißen unter der Mannschaft so überhand nahm, daß die schöne Fregatte unbemannt und nutzlos im Hafen liegen mußte, so sah die Behörde sich endlich in die Nothwendigkeit versetzt, einem Manne, der sich selbst nicht beherrschen konnte, das Kommando abzunehmen. Die Mannschaft wurde entlassen, und so groß auch Kapitän De Courcy's Einfluß sein mochte, konnte er ihm doch keine anderweitige Anstellung verschaffen. Er war seit einiger Zeit in Besitz seiner ausgedehnten Güter gekommen, und zog sich nun voll Grimm gegen die Behörde, den an seiner Umgebung auszulassen die Rachsucht ihn antrieb, auf das Schloß seiner Vorfahren zurück. Aber statt durch eine gute Anwendung seines Vermögens Freude und Behaglichkeit um sich her zu verbreiten, machte er sich durch Geiz verhaßt, ein um so verächtlicheres Laster, als man es bei einem so jungen Manne gar nicht erwartete.

Allein er war mehr ein Gegenstand des Mitleids als des Abscheus. Bei einem schönen Aeußern, gewinnenden Manieren, von hoher Geburt und bedeutenden Verbindungen, im Besitz eines blendenden Vermögens, kurz, mit jedem Vorzuge begabt, den die Welt geben konnte, war er durch das unüberlegte Benehmen einer zärtlichen Mutter, deren Herz er gebrochen, ein höchst unglückliches Geschöpf geworden. Er entbehrte alle geselligen Freuden, denn seine Nachbarn wollten nichts mit ihm zu schaffen haben, selbst heirathstiftende Mütter, deren Herz sich nur von Interessen bestimmen ließ, und die eine Schaar erwachsener Töchter zu versorgen hatten, hielten das Opfer für zu groß und schauderten vor einer Verbindung mit Kapitän De Courcy. Gemieden von den Pächtern seiner großen Güter, die im Unglücke niemals Mitleiden bei ihm gefunden, und im Falle sie auf den bestimmten Termin nicht bezahlen konnten, ohne Barmherzigkeit augenblicklich ausgepfändet oder verjagt wurden, verabscheut von seinen eigenen Dienstleuten, die, sobald man ihre Dienste nicht ausdrücklich verlangte, bei seiner Annäherung verschwanden, oder, wenn sie gerufen wurden, nur mit Zittern und Beben sein Zimmer betraten, – war ein einsamer und unglücklicher Mensch, sich selber und andern zur Qual. Wahrlich, Salomo's Ausspruch ist weise, »daß derjenige, welcher die Ruthe spart, sein Kind verderbt.«

Die Einförmigkeit des Lebens, dessen einziger negativer Genuß darin bestand, Andere zu verfolgen, bewog Kapitän De Courcy, von Zeit zu Zeit eine Badereise zu machen; und sei es, daß Verbannung von jeder Gesellschaft zu Hause ihn ein wenig geschmeidiger gemacht hatte, oder daß er keine Gelegenheit fand, sein teuflisches Temperament an den Tag zu legen – kurz, sein einnehmendes Aeußere und sein wohlbekannter Reichthum machte ihn auf diesen Schönheitsmärkten zu einem großen Günstling. Ein liebenswürdiges Mädchen war unglücklich genug, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein unvermuteter Antrag wurde ohne Ueberlegung von ihren Verwandten angenommen und von ihr selber ohne Argwohn gebilligt. Sie heirathete ihn und war unglücklich, bis der Tod sie von der leichtsinnig eingegangenen Ehe befreite.

Es gibt Leute, welche ein heftiges Temperament bei einem Manne entschuldigen und es als sein Hinderniß für das Glück im Ehestande betrachten. Ach, mögen sie nie durch eigene Erfahrung zur Erkenntniß ihres Irrthums kommen!

Selbst bei Gutherzigen und einander zärtlich Ergebenen, selbst bei solchen, welche, wenn sie zur Erkenntniß ihrer Fehler gelangen, Alles aufbieten, um das wieder gut zu machen, was sie in einem gereizten Augenblicke gefehlt haben, ist der Jähzorn ein Zerstörer des ehelichen Glücks. Bittere und beleidigende Worte sind dem Munde entschlüpft, unbeachtet und vergessen von dem beleidigenden Theile; allein von dem andern werden sie, wenn auch vergeben, doch nie vergessen. Gleich Pfeilen mit Widerhaken sind sie in das Herz derjenigen gedrungen, die er zu lieben vor Gott versprochen hatte, und sie bleiben hasten, ohne je herausgezogen werden zu können. Zärtlichkeit wag Balsam in die Wunde träufeln und den Schmerz für den Augenblick stillen; der Schmerz und das Brennen wird nicht empfunden, während die Liebe mit ihren sanften Fittigen sie fächelt; aber die Leidenschaft tritt über kurz oder lang wieder in ihre Rechte ein, ihr roher Angriff verscheucht jene freundlichen Engel von ihrem Liebesdienste, und das Weib, das zärtliche, das treu ergebene Weib steht im Geheim mit Verzweiflung auf ihr wundes und blutendes Herz.

So früh auch die unglückliche Gattin Kapitän De Courcy's in das Grab gesunken war, hatte sie ihn doch mit zwei schönen Knaben beschenkt, deren kindische Liebkosungen seine Heftigkeit milderten und die, so lange sie keinen Widerspruch an den Tag legten, abwechselnd zärtlich und hart behandelt wurden. Aber Kinder sind nicht blind, und die Auftritte, welche es fortwährend zwischen ihren Eltern gab, die Thränen ihrer Mutter und die Bemerkungen, welche die Dienstboten hie und da fallen ließen, lehrten sie bald zu ihrem Vater mit Furcht aufblicken.

Kapitän De Courcy merkte, daß er von seinen Kindern, die er, soweit es sein Temperament zuließ, an sich zu fesseln gesucht hatte, gemieden werde. Sie wurden sehr früh in die Schule geschickt und erfuhren von ihrem Vater bald dieselbe rauhe Behandlung, rote alle diejenigen, welche das Unglück hatten, unter seinem verderblichen Schutze zu stehen.

Ungern kamen sie in den Ferien nach Hause, und der Wiederanfang ihrer Unterrichtszeit war für sie eine Quelle unendlicher Freude. Die Mutter starb und das ganze Haus stand öde und verlassen. Die Heftigkeit ihres Vaters schien mit jedem Tage zuzunehmen und seine Söhne, welche bereits an der Stufe des männlichen Alters standen, zeigten, daß sich kein geringer Theil seines heftigen Temperamentes auf sie vererbt habe, und offenbarten einen Geist des Widerspruches, der sie endlich in das Verderben führte.

Wilhelm, der älteste der Knaben, war gleichsam durch das Recht der Geburt das erste Opfer des väterlichen Temperamentes. Da er einst eines ganz unbedeutenden Versehens wegen besinnungslos und blutend zu Boden geworfen wurde, und deswegen mehrere Tage nachher das Bett hüten mußte, faßte er den Entschluß, lieber auf eigene Faust sein Glück zu suchen, als sich noch länger beständigen Schmähungen auszusetzen.

Um die Zeit, in welcher dieses vorkam, viele Jahre vor der Periode, in der unsere Geschichte spielt, hatte die ostindische Kompagnie erst seit Kurzem ihren Freibrief erhalten, und ihre Direktoren waren noch nicht die stolzen Herrscher, welche sie seitdem geworden sind. Niemand hätte geglaubt, daß eine ursprünglich nur aus wenigen unternehmenden Kaufleuten bestehende Gesellschaft jemals, selbst durch die mit dem besten Erfolge angewandten verderblichen Künste, die Herrschaft über ein unermeßliches Reich erlangen könnte, unabhängig von England und im Widerspruch mit der englischen Verfassung; oder daß Privilegien, bewilligt, die Unternehmungen Einzelner zu fördern, die Grundlage eines Monopols werden könnten, das auf der Nation gleich einem ungeheuern Alp vom Throne bis zur Hütte herab lastet. Freudig nahmen sie die Anerbietung aller Abenteurer an und zeigten damals ihrerseits eben so viel Begierde, sich der Dienste Einzelner zu versichern, als jetzt die Bewerber sich Mühe geben, um in die Bücher der Kompagnie eigeschrieben zu werden.

Wilhelm trat ohne Wissen seines Vaters in die Dienste dieser Gesellschaft und wurde mit vielen Andern eingeschifft, die weniger glücklich, als er, schändlicherweise für dieselbe Bestimmung verkauft worden waren. Bald nach seiner Ankunft in Ostindien stieg er bis zum Range eines Kapitäns, blieb aber in einem Gefechte, wie sie damals häufig vorkamen. Der Brief, den er an seinen Vater aus dem Tische zurückgelassen hatte und worin er ihn von seinem beabsichtigten Schritte in Kenntniß setzte, ward von diesem in tausend Stücke zerrissen und mit Wuth unter die Füße getreten. Mit furchtbarer Heftigkeit schleuderte der Vater auf den landläuferischen Sohn in Gegenwart des zurückgebliebenen die schrecklichsten Flüche.

Und doch gab es einen Menschen, vor dem dieser hochmüthige und rachsüchtige Geist sich beugte und der die Macht besaß, sein ungestümes Wesen, wo nicht ganz zu bändigen, doch wenigstens zu mildern – einen Mann, der ihm ungescheut die Wahrheit sagte, ihm die Thorheit und Verdammlichkeit seines Benehmens aus einander setzte und mit Ruhe der Zorngluth seiner Augen entgegen trat; einen Mann, den sein Charakter und Amt vor jeder Beleidigung sicherte und der sich weder einschüchtern noch von seinen löblichen Zwecken abbringen ließ. Dies war der Vikar des Kirchsprengels, welcher, ein so großes Mißfallen er auch an dem Admiral hatte (denn Kapitän de Courcy war seit Kurzem durch Anciennität zu dieser Würde gelangt), doch unausgesetzt das Schloß besuchte, um sich der Unglücklichen einigermaßen anzunehmen. Der Admiral hätte ihn gerne abgeschüttelt, allein seine Versuche in dieser Richtung waren vergeblich. Der Vikar stand fest auf seinem Posten und verfocht häufig mit gutem Erfolge die Sache seiner Beichtkinder, die meistens zu den Pachtleuten des Admiralsgehörten. Er wurde bei Erfüllung seiner geistlichen Pflichten von dem Pfarrer nicht unterstützt, da derselbe ein zwar ehrenwerther, aber schwacher, alter Mann und dem Grabe bereits nahe war, und den er aus christlicher Liebe nicht von seinem Amte vertreiben wollte, um ihm seinen Lebensunterhalt nicht zu entziehen.

Eduard, der jüngere Bruder, suchte natürlich das Glück, welches ihm zu Hause versagt war, auswärts, und namentlich gehörte die Wohnung des Pfarrers zu seinen liebsten Zufluchtsörtern. Der alte Mann hatte nämlich eine schöne und einzige Tochter – die arme Helene, deren Schicksal wir vorhin berichtet haben. Es genügt zu sagen, daß die beiden jungen Leute sich liebten und einander Treue schwuren, daß sie zwei Jahre lang einen ungestörten Umgang hatten und mit Betrübniß von einander schieden, als das herannahende Ende des alten Pfarrers ihnen über die gefährliche Lage, in welcher sie sich befanden, die Augen öffnete. Er starb, und Eduard, der seine Geliebte schutzlos und arm in die Welt hinaus gestoßen sah, nahm allen Muth der Verzweiflung zusammen, um seinem Vater die Wünsche seines Herzens vorzutragen.

Ein bestimmter Befehl, entweder das väterliche Haus oder Helene zu verlassen, war der unmittelbare Erfolg. Der empörte junge Mann verließ nun das Haus und überredete das unglückliche und zärtliche Mädchen, sich mit ihm in einem benachbarten Kirchsprengel durch unauflösliche Bande vereinigen zu lassen, ehe der Vikar davon in Kenntniß gesetzt würde oder Gelegenheit fände, ihn von einem so unklugen Schritte abzuhalten. Er ging noch einmal zu seinem Vater mit der schwachen Hoffnung, den Erzürnten zu besänftigen, aber seine Bemühungen waren fruchtlos, und der Admiral sprach unbeugsam den Fluch über sein eigenes Kind aus.

Eduard begab sich jetzt mit seiner Gattin nach einem wenige Meilen entfernten Dorfe, wo sie durch gemeinschaftliche Bemühungen einige Zeit von ihrem Verdienste zu leben vermochten; allein die Geburt ihres ersten Kindes, des Helden dieser Erzählung, nöthigte ihn endlich, nachdem alle Versuche bei seinem Vater fehlgeschlagen hatten, zur Annahme des beträchtlichen Handgeldes, das Leuten, die in den königlichen Dienst treten wollten, geboten wurde; und dieß that er unter dem angenommenen Namen Peters.


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