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Fünfzehntes Kapitel.

Das, was das Greisenalter sonst begleitet,
Als Ehre, Liebe, Treue, gute Freunde,
Dies muß ich Alles missen!

Shakspeare.

 

Doch wir müssen jetzt an's Land zurückkehren, um den Großvater unseres Helden nicht aus den Augen zu verlieren, der keine Ahnung davon hatte, daß ein so nahe mit ihm verwandtes Wesen existire.

Die Zeit war endlich gekommen, in welcher er Kunde davon erhalten sollte. Ungefähr sechs Wochen vor jenem Gefechte, in welchem Adams der Quartiermeister fiel, ward Admiral de Courcy von einer qualvollen und gefährlichen Krankheit ergriffen. So lange er sich noch auf den Beinen erhalten konnte, machte seine in Folge des Leidens noch vermehrte Reizbarkeit ihn unerträglicher als je; allein er mußte bald das Zimmer hüten und die Krankheit machte so reißende Fortschritte, daß die Aerzte es als Pflicht ansahen, ihn in Kenntniß zu setzen, er möchte alle Hoffnung auf Wiedergenesung schwinden lassen und sich auf's Schlimmste vorbereiten. Der Admiral nahm diese Kunde mit scheinbarer Fassung auf, und nickte mit seinem Kopfe den Aerzten zu, als sie sein Zimmer verließen. Er war allein und seinen Betrachtungen überlassen, die nicht von der beneidenswerthesten Art sein mochten. Er saß, mit Kissen umwickelt, in einem Lehnstuhle gerade dem großen Fenster gegenüber, welches eine Aussicht in den Park gewährte. Die Sonne ging unter und die langen Schatten der hohen prachtvollen Bäume, welche seine ausgedehnten Besitzungen schmückten, bildeten einen herrlichen Gegensatz zu den blendenden Sonnenstrahlen, die in langen Streifen zwischen den Bäumen über das üppige Grün hinglitten. Das Vieh stand ruhig im Teiche und erquickte sich nach der Hitze des Tages, während das Wild gruppenweise im Schatten lag oder theilweise sich hinter dem Unterholz und Farrenkraut in seinen Lagern verbarg. Ueberall herrschte Ruhe und Schönheit, und der Sterbende blickte der Sonne nach, wie sie so eben am Horizonte hinab sank, ein Sinnbild seines Geschlechtes, das so bald untergehen sollte. Auch die Gruppen vor ihm überblickte er – er beneidete selbst die Thiere des Feldes und die gezähmten Bewohner des Waldes; denn sie hatten wenigstens andere ihrer Art, zu denen sie sich gesellen konnten; er aber, ihr Herr und Gebieter, stand allein – allein in der Welt, ohne Ein Wesen, das ihn liebte, das Mitgefühl für seine Leiden hatte, oder Sorge um ihn trug, ausgenommen aus eigennützigen Beweggründen – Niemand, der ihm seine Bangigkeit milderte, in seiner schweren Krankheit ihn tröstete, seine Augen zudrückte oder eine Thräne vergoß, jetzt da er mit dem Tode rang.

Natürlich gedachte er auch seiner Gattin und seiner Kinder; er wußte, daß zwei von den dreien in das kühle Grab gesunken – aber wo war der andere? Die gewisse Annäherung des Todes hatte seinem steinernen Herzen menschliche und weiche Gefühle eingehaucht. Der Schleier, den die Leidenschaft zwischen seinem Gewissen und seiner Furcht gezogen, ward zerrissen; die Vergangenheit lastete mit schrecklicher Gewalt und Wahrheit auf seinem Gedächtnisse; seine Seele durchzuckte die furchtbare Ueberzeugung, daß er sich unwillkürlich als den Mörder seiner Kinder und seines Weibes anklagen müßte. Wie gewöhnlich folgten unmittelbar auf diese Ueberzeugung Gewissensbisse – Gewissensbisse, die in kurzer Zeit seine Seelenangst unerträglich machten.

Nach einem erfolglosen Kampfe seines Stolzes griff er nach der Klingelschnur und verlangte, als ein Bedienter eintrat, daß man augenblicklich den Vikar zu ihm rufen möchte.

Mit dem Zustande des Admirals bekannt, hatte der Vikar ängstlich die Aufforderung erwartet, welche, wie er nur zu gut wußte, nicht ausbleiben konnte; denn er kannte das menschliche Herz und den Hülferuf, welchen der Sünder in seinen Todesnöthen ausstößt. Er erschien bald vor dem Admiral, – das erste Mal wieder, seitdem er das Haus, mit dem Briefe des unglücklichen Peters in der Hand, verlassen hatte. Die Unterredung, welche zwischen dem tief aufgeregten Manne, der nur für diese Welt gelebt hatte, und dem ruhigen Lehrer begann, der diese Welt nur als einen Vorbereitungsort für ein besseres Leben betrachtete, war zu lang, als daß sie hier eingeschaltet werden könnte. Die Bemerkung wird genügen, daß der gedemüthigte und geängstigte Unglückliche, der durch Krankheit und noch mehr durch Gewissensbisse Leidende, nicht die geringste Aehnlichkeit mehr hatte mit dem einst stolzen und hochfahrenden Sterblichen, welcher so lange die Lehren der Religion verspottet, und für die milden Zurechtweisungen ihres Apostels ein taubes Ohr gehabt hatte.

»Aber der Brief,« fuhr der Admiral mit bebender Stimme fort, »wie verhielt es sich damit? Ich habe noch ein Kind am Leben. – O, schicken Sie augenblicklich nach ihm, und lassen Sie mich ihn um Verzeihung meiner Grausamkeit anflehen!«

»Der Brief, Sir, wurde nur eine Stunde vor seinem Tode geschrieben.«

»Seinem Tode!« rief der Admiral, seine Augen nach oben richtend. »Gott sei mir gnädig! Dann habe ich auch ihn gemordet. Und wie starb er? Ist er Hungers gestorben, meinem schrecklichen, schrecklichen Wunsche gemäß?«

»Nein, Sir, er starb als Uebertreter der Gesetze seines Vaterlandes.«

»Guter Gott, Sir!« erwiederte der Admiral hastig, dessen herrschende Leidenschaft, der Stolz, auf einen Augenblick zurückkehrte, »Sie wollen doch nicht sagen, daß er gehangen wurde?«

»Eben das; aber hier ist der Brief, den er geschrieben; lesen Sie ihn.«

Der Admiral nahm den Brief mit zitternder Hand, und durchlas jedes Wort in der größten Aufregung. Dann ließ er ihn auf sein Knie fallen und sagte mit erstickter Stimme: »Mein Gott, mein Gott! und er bat mich um Verzeihung und vergibt mir!«

Hierauf rief er wie wahnsinnig: »Elender, der ich bin, wäre ich doch statt deiner gestorben, mein Sohn, mein Sohn!« und die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, fiel er bewußtlos in seinen Lehnstuhl zurück.

Der Vikar, von dem Auftritte äußerst ergriffen, zog die Glocke und rief nach Hülfe, die auch geleistet wurde; allein es war für den Unglücklichen ein so schrecklicher Schlag gewesen, daß seine Auflösung dadurch beschleunigt wurde. Da er zu erschöpft war, um aufrecht sitzen zu können, so mußte man ihn in das Bett bringen, von dem er nicht mehr aufstand. Sobald er sich ein wenig erholt hatte und wieder sprechen konnte, gab er der Dienerschaft einen Wink, das Zimmer zu verlassen, und nahm mit bebender Stimme die Unterredung wieder auf.

»Aber, Sir, er erwähnt seines Kindes – meines Enkels. Wo ist er? Kann ich ihn sehen?«

»Leider nicht, Sir,« erwiederte der Vikar, welcher hierauf erzählte, was für Anordnungen in dieser Beziehung getroffen wurden, und den Namen des Schiffes nannte, an dessen Bord unserem Helden unter Aufsicht des Quartiermeisters Adams zu bleiben gestattet war. Der Admiral hörte die Erzählung des Vikars ohne Unterbrechung an und drückte, sobald dieselbe zu Ende war, zur großen Freude des würdigen Geistlichen den sehnlichsten Wunsch aus, Alles, so viel in seinen Kräften stünde, wieder gut zu machen. Da er dachte, es könnten Schwierigkeiten aus dem Umstande entstehen, weil seinen Seitenverwandten, die sich schon seit längerer Zeit unfehlbar als Erben seiner großen Stammgüter betrachtet hatten, das Dasein unseres Helden völlig unbekannt war, so verordnete er, es solle sogleich ein Testament aufgesetzt werden, worin er seinen Enkel anerkannte, und ihm sein ganzes persönliches, sehr beträchtliches Vermögen hinterließ. Er bat den Vikar, die Vormundschaft über den Knaben zu übernehmen – eine Bitte, welche ihm dieser mit der größten Bereitwilligkeit zusagte. Den wiederholten Versuchen des Vikars, sich so lange, bis das Dokument in gehöriger Form ausgefertigt wäre, die Ruhe zu gönnen, welche sein aufgeregter und gebrechlicher Zustand erforderte, gab er nur ungerne Gehör. Als Alles zu Stande gebracht war, fiel er in einer Erschöpfung, die jeden Augenblick seinem Leben ein Ende zu machen drohte, auf das Kissen zurück. Es war schon spät, als der Vikar Abschied von ihm nahm, nachdem er dem reuevollen und sterbenden Manne noch Trost eingesprochen und ihm verheißen hatte, ihn am folgenden Morgen recht früh zu besuchen.

Allein der Vikar hatte andere Pflichten zu erfüllen, welche ihn veranlaßten, seinen Besuch bis zum nächsten Mittage aufzuschieben. Einige waren krank, Andere lagen am Sterben und bedurften des geistlichen Zuspruches; und er machte keinen Unterschied zwischen den Reichen und Armen. Die Aerzte hatten verlauten lassen, daß der Admiral noch einige Tage leben könnte; der Vikar hielt es daher für gut, ihn auf eine kurze Zeit seinen Betrachtungen zu überlassen und abzuwarten, bis er von dem Zustande der Erschöpfung, in welche ihn die Mittheilungen am vorigen Abend versetzt, sich ein wenig erholt hätte. Als er im Schlosse ankam, waren die Fenster verschlossen – Admiral de Courcy war nicht mehr.

Leser, du sollst hören, wie er starb.

Ungefähr um zwei Uhr Morgens erwachte er aus einem unruhigen Schlummer und fühlte sein Ende herannahen. Die alte Wärterin, welche alle Nacht bei ihm zu wachen hatte, schlief fest auf ihrem Stuhle. Das Nachtlicht war herunter gebrannt und verbreitete im Zimmer nur einen matten, durch Schatten unterbrochenen Schein. Die Lippen des Sterbenden klebten in Folge seiner innerlichen Hitze zusammen, und erlitt den qualvollsten Durst. Murmelnd rief er nach Labung, aber Niemand antwortete. Abermals und abermals versuchte er, die unachtsame Wärterin mit seinem Bedürfnisse bekannt zu machen, jedoch vergeblich. Er streckte den Arm aus und zog an den Bettvorhängen, damit das Geräusch der Ringe an den eisernen Stangen sie aufwecken sollte, sank aber, als Alles nichts half, erschöpft wieder zurück. Die alte Hexe, welche für Geld die empörendsten Dienstleistungen willig übernahm, und die, durch ihre beständige Vertrautheit mit Krankheit und Tod, so verhärtet war, daß sie für die flehentlichsten Bitten nur ein taubes Ohr hatte, wachte bei dem Geräusche der Ringe auf und zog den Vorhang zurück, um zu erfahren, was der Kranke wünsche. Lange Erfahrung sagte ihr sogleich, daß bald Alles vorüber sein würde, und sie war überzeugt, daß ihr Pflegling nie wieder aufstehen oder reden werde.

So verhielt es sich auch. Doch der Leidende, dessen Arm eben auf der Bettdecke lag, und der sich auf den Ellenbogen zu stützen suchte, zeigte mit einem flehenden Blicke aus seinen eingesunkenen Augen fortwährend nach dem glühenden Munde hin. Der alte Teufel schloß den Vorhang und der Admiral erwartete mit Ungeduld, daß sie ihn wieder öffnen und einen Tropfen Wasser bringen würde, um seine lechzende Zunge zu kühlen; aber vergebens. Sie überließ ihn seinem Schicksale und wackelte im Zimmer umher, um eine goldene Ernte zu halten, bevor Andere erschienen und mit ihr theilten. Seine Börse lag auf dem Tische, sie nahm das Gold, welches dieselbe enthielt, heraus und ließ das Silber darin; von den drei auf dem Toilette-Tische liegenden Ringen nahm sie den, welcher ihr der werthvollste dünkte; von seiner Uhrkette machte sie eine Pettschaft los. Dann ging sie an einen Kleiderkasten und untersuchte seinen Inhalt. Bald war eine ihrer geräumigen Taschen mit den feinsten Taschentüchern gefüllt, welche sie alle vorsichtigerweise öffnete, sie gegen das Licht hielt, und diejenigen, welche nicht vom allerfeinsten Gewebe waren, wurden zurückgelegt. Hierauf ging's an die seidenen Strümpfe, einen gewünschten Artikel; sie zog dieselben über ihren knöchernen Arm, um sich zu versichern, ob sie nirgends schadhaft wären; war dieß der Fall, so wurden sie zurückgelegt.

Der Kleiderschrank stand dem Bette gerade gegenüber und auf dieser Seite war der Vorhang nicht verschlossen. Der Sterbende sah noch gut genug, um das Treiben seiner Wärterin zu bemerken. Welche Gefühle müssen sich seiner bemächtigt haben! Er seufzte tief auf, worüber die alte Hexe erschrak und nach dem Bette hineilte, um den Zustand ihres Pfleglings zu prüfen.

Abermals zeigte er mit dem Finger nach seinem Munde – und abermals kehrte sie, ohne ihm die gewünschte Hülfe zu leisten, zu ihrer Beschäftigung zurück. Er folgte ihr mit den Augen und zeigte mit seinem Finger fortwährend nach dem Munde.

Nachdem sie alle Schubladen geplündert und Alles geraubt hatte, was sie zu nehmen wagte oder ihre Taschen fassen konnten, zog sie die Glocke, um die Dienerschaft herbei zu rufen, nahm ihr Handtuch, hielt es zum Zeichen des Mitleids vor die Augen und setzte sich auf ihren Lehnstuhl nieder, um die Ankommenden zu erwarten.

Mittlerweile drehten sich die Augen des unglücklichen Mannes allmälig empor, das Gesicht verging ihm, aber sein brennender Durst dauerte bis zum letzten Augenblicke; und als die Dienerschaft des Hauses herbeikam, lag er todt da, mit dem Finger immer noch unverwandt nach dem Munde zeigend.

Für gewöhnliche Menschen ist der Tod etwas so Schreckliches, die Auflösung der Elemente unseres Körpers etwas so Unheimliches, der Sprung in den tiefen Abgrund etwas so Schauerliches, daß es aller Gewalt eines kräftigen Geistes, aller Ermuthigung eines guten Gewissens und aller Tröstung der Religion und des Glaubens bedarf, um in der Lage zu sein, dem entsetzlichen Uebergang nur einige Entschlossenheit entgegensetzen zu können. Vermag aber etwas die Falten des Sterbekissens zu glätten, die Zweifel und die Niedergeschlagenheit, von denen das bange Gemüth überwältigt wird, zu verscheuchen, so ist es die Gesellschaft und Pflege derjenigen, die uns treu ergeben und theuer sind. Wenn Liebe, Pflicht, Frömmigkeit und Mitleid das Lager des Scheidenden umstehen, so wird die sinkende Hoffnung durch sie noch aufrecht erhalten und der fliehende Geist blickt von ihnen begleitet hinaus zu den Höhen, aus welchen jene himmelgebornen Huldinnen auf die Erde herabsteigen durften, um uns auf unserer schweren Pilgerfahrt zu erquicken.

Aber was hatte Admiral De Courcy in seinem letzten Augenblicke für eine Stütze – ein gutes Gewissen? – Glauben? – Hoffnung? – Liebe? – Ergebenheit? – oder auch nur Mitleid? Entblöst von diesem Allem hauchte er seinen Geist aus. Doch unterlaßt

»Das Richten: leider sind wir Alle Sünder;
Schließt ihm die Augen, zieht den Vorhang zu,
Und laßt uns selber prüfen.«

Der Vikar legte die nöthigen Siegel an die Schränke, um das zu sichern, was die alte Wärterin und viele Andere, die ihrem Beispiele folgten, übrig gelassen hatten. Dann traf er hinsichtlich des Begräbnisses die nöthigen Anordnungen und kehrte nach Hause zurück.

Am zweiten Tage nach des Admirals Tode fuhr ein vierspänniger Wagen in raschem Galoppe an und hielt am Eingange der Thüre. Die darin Sitzenden stiegen aus und zogen gebieterisch die Glocke; mehrere der Bedienten, welche sehnlich den neuen Eigenthümer des Gutes erwarteten, erschienen bald darauf. Ein schlanker Mann, von sehr vornehmem Aussehen, gefolgt von einem schwarz gekleideten Menschen mit gemeinem Gesichte, trat ein. Der Letztere bezeichnete der Dienerschaft seinen Begleiter als den gesetzlichen Erben und jetzigen Eigenthümer der Güter. Mittlerweile hatte das ganze Hausgesinde sich versammelt, ließ, in einer Linie aufgestellt, die Angekommenen vorübergehen und verbeugte sich unter vielen Komplimenten bis tief auf den Boden. Der Vikar, welcher die Erscheinung dieser Herren erwartet, hatte den Auftrag hinterlassen, man möchte ihn sogleich von ihrer Ankunft in Kenntniß setzen. Als sie ihm gemeldet wurde, begab er sich nach dem Schlosse und wurde in das Bibliothekzimmer geführt, wo die Fremden ihn ungeduldig erwarteten, damit die Siegel an den Schränken weggenommen werden könnten.

»Mit wem habe ich die Ehre sprechen zu dürfen, Sir?« sagte der Vikar zu dem Größern von den beiden, den er seinem Aussehen nach für den Vornehmeren hielt.

»Sir,« erwiederte der kleine Mann mit gravitätischem Tone, »Sie sprechen mit Mr. Rainscourt, dem gesetzlichen Erben dieser Güter.«

»Es thut mir unendlich leid, Sir, daß Sie nicht gut unterrichtet waren und sich daher schwer getäuscht sehen werden. Ich fürchte, Sir, daß der Enkel des Admirals De Courcy zuerst Ansprüche machen dürfte.«

Beide fuhren von ihren Stühlen auf und sahen einander bestürzt an.

»Der Enkel!« erwiederte der kleine Mann – »man hat ja niemals von dem Dasein eines solchen gehört.«

»Sehr wahrscheinlich, Sir, aber ich habe längst davon gewußt, eben so auch Admiral De Courcy, wie Sie aus seinem Testamente ersehen werden, das mir, als dem Vormunde des Kindes, in welcher Eigenschaft ich die Siegel anlegte, übergeben wurde.«

Beide waren bestürzt.

»Wir müssen dem Dinge genauer nachforschen,« erwiederte der Advokat; denn dieß war der andere.

»Ich bin bereit, Ihnen jede Auskunft zu geben, welche Sie nur verlangen,« erwiederte der Vikar. »Ich habe die Abschriften von dem Verehelichungszeugnisse und dem Taufscheine des Kindes. Die Originale dazu werden Sie kaum fünf Meilen von hier in der Pfarrkirche zu – finden. Ueberdieß kann ich auch, wenn es nöthig sein sollte, die Identität der Person auf das Befriedigendste nachweisen.«

»Und wo ist der Enkel?«

»Auf der See an Bord eines Kriegsschiffes nach dem Willen seines sterbenden Vaters, der ihn für den königlichen Dienst bestimmt hatte. Beliebt es Ihnen, das Testament des seligen Admirals einzusehen?«

Der große Herr winkte bejahend, und es ward vorgelesen. Nachdem es, eben sowohl als die andern im Besitze des Vikars befindlichen Dokumente, von dem Rechtsgelehrten sorgfältig geprüft worden war, schien dem Letzten Alles so klar und bündig, daß er seinem Begleiter unwillig zuflüsterte, es sei hier an Umstoßung des Testamentes gar nicht zu denken.

Blaß vor getäuschter Hoffnung, befahl der vorgebliche Erbe, daß die Pferde gebracht würden, und verließ hierauf mit einer leichten Verbeugung gegen den Vikar das Bibliothekzimmer.

Allein draußen hatten sich die Dinge ganz anders gestaltet, nachdem die Dienerschaft die Unterredung mitangehört hatte. Auch nicht Ein Bedienter war aufmerksam genug, dem so ehrfurchtsvoll Empfangenen die Thüre zu öffnen, und als sie eingestiegen waren, mußte einer der Postillone absteigen und den Schlag verschließen. Mit einem solchen Unterschiede werden die wirklichen Erben und die bloßen Prätendenten behandelt.


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