Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsunddreißigstes Kapitel

So Bethel, welcher, was er denkt, nur spricht,
Und stets sein Denken richtet nach der Pflicht.

Pope.

Wir wollen den Leser nicht mit der ganzen eigenen Erzählung des Grafen von Osmondale behelligen, sondern die Geschichte an der Stelle aufnehmen, wo wir sie an Bord des Terrific unterbrochen haben, als der thörichte Knabe im Begriffe war, den Sprung in das Salzwasser zu thun.

»Es wäre mir lieb,« fuhr er fort, »wenn ich meines Onkels in achtungsvolleren Ausdrücken erwähnen könnte; aber meine theure Becky, er zeigte sich damals als Tyrann ohne Gleichen, der sich nur wenig von dem verstandlosen Thiere unterschied. Ich flehte ihn in deinem Namen an, mich nicht peitschen zu lassen, aber die Berufung war vergeblich. Ich nehme Gott zum Zeugen, daß ich keinen Selbstmord begehen, sondern mich blos der Beschimpfung entziehen wollte, da ich sogar auf eine günstige Gelegenheit lauerte. Ich konnte nur wenig schwimmen; als ich aber einen Hühnerstall vorbeischwimmen sah, der von einem der übrigen Schiffe bei den Vorbereitungen für's Gefecht über Bord geworfen worden war, so beschloß ich, mich lieber diesem gebrechlichen Werkzeuge, als der noch weit mürberen Gnade des Tyrannen anzuvertrauen.

»Ich sprang durch das Kajütenfenster und erreichte glücklich das dürftige Fahrzeug. Der alte Terrific wurde stark leewärts getrieben, und als die Boote herunterkamen, um dem Kielwasser nachzurudern, befand ich mich bereits eine halbe Meile windwärts.

»O Rebekka, es war furchtbar kalt und ich bereute von ganzem Herzen meinen Schritt. Ich dachte damals an dich und bedauerte, jenen unvorsichtigen Brief an meine Mutter geschrieben zu haben. Ich wurde schrecklich umhergestoßen und fühlte mich äußerst unwohl. Ich sah, wie unsere Flotte die Segel ausbreitete und mich verließ – da ich so tief im Wasser war, kamen mir die Schiffe wie ungeheure Berge vor. Mehrere Fischerboote kamen an mir vorbei; aber die Nacht war nun eingebrochen, und ich fühlte, wie die Kälte meinen ganzen Körper durchdrang, oder vielmehr ich fühlte sie bald gar nicht mehr. Als ich die Boote anzurufen versuchte, versagte mir die Stimme, und nach einigen vergeblichen Bemühungen fügte ich mich in mein Schicksal, meine Rettung dem Zufall anheimgebend.

»Indeß fürchtete ich keinen Augenblick die Nähe des Todes, denn ich hatte großes Vertrauen auf mein Glück. Erst als ich Menschen zu Gegnern hatte, die weit grausamer und schonungsloser waren, als die Wellen, begann ich an meiner Rettung zu verzweifeln. Damals aber, Rebekka, begünstigte mich die Vorsehung und die starke Fluth. Ich hatte zwar zu sehr meine Besinnung verloren, um zu wissen, was mit mir vorging, aber endlich wurde ich unter dem Schnittholze des französischen Admiralschiffs gefunden.«

»Gott behüte mich – Schnittholz – was ist dies? Hat es Euch verwundet?« fragte Miß Belmont.

»O nein, denn es war bloß scharf genug, um das Wasser zu durchschneiden. Die Kante hat ungefähr den Winkel eines Roßrückens.«

Viele ähnliche Unterbrechungen, welche die Erklärung von Seemannsausdrücken betrafen, gingen von Rosa aus, denn Rebekka war dermaßen in jedes seiner Worte vertieft, daß sie, sogar wenn er griechisch gesprochen hätte, keine Frage gestellt haben würde, um sich den Sinn seiner Worte erklären zu lassen.

»Ich muß sagen, daß mich der französische Admiral edel behandelte. Der gute Mann fand ein großes Wohlgefallen an mir, und da er kinderlos war, so erbot er sich, mich zu adoptiren und zu seinem Erben zu machen; nur sollte ich mich für jene wilden demokratischen Grundsätze erklären, welche Frankreich damals mit dem besten Blute seiner Söhne und Töchter mästete. Er verwirrte mein Urtheil oft durch seine Sophistereien, aber mein Herz weilte in England bei meiner Mutter und bei Rebekka, weshalb ihr euch denken könnt, daß seine Beredtsamkeit nicht viel bei mir verfing.«

Ein Blick der tiefsten Dankbarkeit belohnte ihn für diese Aeußerung.

»Ich verblieb mehr als ein Jahr in diesem Zustand einer ehrenhaften Knechtschaft, bis endlich der Admiral, Monsieur Fresnoy, genöthigt war, sich von mir zu trennen, weil ich mir durch den unverhohlenen Tadel, den ich über das schamlose Treiben in Frankreich laut werden ließ, viele Feinde gemacht hatte. So lange ich mich auf seinem Schiffe befand, schrieb ich mehreremale nach England, aber es scheint, daß keiner meiner Briefe seinen Bestimmungsort erreichte.

»Monsieur Fresnoy gab mir Empfehlungsschreiben an die Behörden mit, aber diejenigen, welche mich transportirten, waren zugleich die Ueberbringer von Briefen, denen ich weder eine höfliche oder überhaupt nur eine christliche Behandlung zu danken hatte. Man gestattete mir nicht einmal die Privilegien eines Offiziers oder eines Gentlemans. Ich wurde zu Verdun eingesperrt und mit der Hefe aller Nationen zusammengeworfen, mit denen Frankreich sowohl zur See als zu Land streiten mußte. Es waren auch einige wenige englische Matrosen darunter, die fast ausschließlich an Bord unserer Kauffahrer gefangen worden waren, obschon sie nur selten lange blieben, sondern – mit Erröthen sage ich es – in der Regel an Bord der französischen Kriegsschiffe gingen.

»Es wurde mir sehr unverholen angedeutet, man erwarte von mir, daß ich ein Gleiches thue. Die Versuchung war groß – nicht so fast, weil ich mich nach frischer Luft, nach den Gebirgen, nach einer weiteren Aussicht, nach dem Verkehre mit guten Menschen, nach gesunder Nahrung oder nach dem Entzücken, mich wieder einmal in strömendem Wasser zu baden, sehnte, denn ich verlangte blos danach, zu entkommen, wieder einmal bei meiner theuern Mutter zu sein und mein liebes Weibchen zu umarmen; ich hätte aber dann mein Ehrenwort geben müssen, daß ich keine Flucht versuchen wolle. Dies war eine Schranke, die ich nicht einmal dir zu lieb, meine Theuerste, überspringen wollte; ich blieb daher und aß das bittere Brod der Gefangenschaft, Schmach und Beschimpfung, obgleich mir fast das Herz darüber brach.«

»Mein armer Augustus!«

»Endlich sann ich über Fluchtanschläge, weniger in der Hoffnung, daß sie mir glücken würden, sondern nur, um nicht in völligen Stumpfsinn zu versinken. Anfangs verlachte ich mich darüber, aber im Verlaufe tauchte mir eine matte Hoffnung auf. Ein neues Leben durchdrang meinen Körper – ich arbeitete, minirte, bestach und wurde entdeckt, wodurch ich mir eine noch strengere Haft zuzog; aber ich ließ nicht ab, und endlich gelang es.«

»O sprecht – erzählt uns Alles.«

»Es würde nur wenig Interesse für Euch haben, da die Anfangsversuche sämmtlich in der Geburt erstickten. Ich glaube, meine Hüter belustigten sich an meinen Bemühungen und ließen mich gerade so weit fortfahren, als es ihnen gutdünkte. Dann kamen sie und vernichteten boshaft alle meine Hoffnungen.«

»Das war eine unmenschliche Grausamkeit.«

»Ich kann die Sache nicht in diesem Lichte betrachten, denn meine Versuche retteten mich vor Verzweiflung. Endlich kam ich ganz ruhig und ohne einen vorbedachten Plan hinaus. Einige Minuten zuvor hatte ich mich schon auf fast lebenslängliche Gefangenschaft gefaßt gemacht, und ich konnte anfangs gar nicht glauben, daß ich mich außerhalb der verhaßten Festungswerke befand.«

»Aber wie ging dies zu?« fragte Miß Belmont. »Wart Ihr mit einer Nebelkappe versehen oder hatte Euch Jack der Riesentödter, für Euern Zweck seine Siebenmeilenstiefeln geliehen?«

»Die Kunde von einem Siege Bonapartes, dessen ich mich jetzt nicht mehr erinnere, veranlaßte einen allgemeinen Festtag durch das ganze Fort. Ich will nicht sagen, daß die Schildwachen und Schließer, welche die zahllosen Pförtchen zu bewachen haben, sämmtlich betrunken oder durch etwas Anderes, als durch die wildeste Begeisterung berauscht waren, denn mit der Kunde von dem Siege waren auch drei oder vier große Abtheilungen österreichische Gefangene eingeliefert worden. Das Depot war zum Ersticken voll. Eine von den alten Weibern aus der Stadt, welche die Erlaubniß hatten, unterschiedliche erbärmliche Gegenstände zu ungeheuer theuern Preisen an die Gefangenen zu verkaufen, kam betrunken herein und taumelte in diesem Zustande durch die verschiedenen Höfe und Säle des Gefängnisses. Um sich einen Spaß zu machen, spielten ihr die französischen Soldaten, welche nicht eben Dienst hatten, unterschiedliche Possen, indem sie sie mit Koth beschmierten und sich andere unmännliche Scherze erlaubten. Von Wein und Erschöpfung überwältigt, kugelte sie sich endlich in eine Ecke, um daselbst einzuschlafen. Ihre Verfolger ließen sie nun gehen und dachten, sie werde die Wirkungen ihrer Unmäßigkeit bald ausgeschlafen haben. Da kam mir denn der glückliche Gedanke, mein Gesicht gleichfalls mit Koth zu beschmieren. Sobald dies geschehen war, stipitzte ich Stück für Stück einen Theil ihrer Oberkleider, pflanzte ihren breiten Strohhut auf meinen Kopf, stahl ihren Korb, warf meinen eigenen Rock über sie hin und begann gegen die Thore hinzutaumeln.

»Niemand achtete sonderlich auf mich, indem man mir höchstens einen Fluch oder eine Schimpfrede nachwarf, und da ich dergleichen that, als sei ich zu betrunken, um zu sprechen, so wurde ich weder wegen der Losung, noch wegen der Parole bemüht, sondern fast mit Füßen auf dem bedeckten Wege weiter, über die Zugbrücke und über das Glacis gestoßen, wobei man mir auf's Strengste einschärfte, mein Gesicht nicht wieder in den Festungsmauern zu zeigen – eine Aufforderung, welcher ich Folge zu leisten Sorge trug.«

»Ihr braucht bei diesen Punkten nicht weiter zu verweilen,« sagte Rosa lachend. »Ihr seht, daß Ihr zu einem alten Weibe geboren seid und in dieser Rolle das meiste Glück habt. Habt Ihr doch in diesem schönen Wulstrocke, der Euch, wie ich zuvor sagte, so gut ansteht, fast mein Herz gewonnen. Nun, und wie lange hat Euer Gnaden die alte Höckerin vorgestellt, und sie ihres gesetzlichen Besitzthums – ihres Mantels, ihres Hutes und ihres Korbes beraubt?«

»Ich hatte kaum die Mauern hinter mir, als ich Alles bei Seite warf, um in dem nächsten Wasser Gesicht und Hände zu waschen – ein Akt der Reinlichkeit, der mich beinahe wieder in Haft gebracht hätte, denn ich hatte kaum Haar und Hände abgetrocknet, als ich eine berittene Patrouille, aus zwei Mann bestehend, mir nachsetzen sah. Man hatte mich vermißt und ließ mir nachsetzen. Die Reiter bemerkten die Bruchstücke, die ich auf den Weg umhergestreut hatte, und zögerten ein paar Minuten, um sie aufzunehmen und zu untersuchen. Ich benützte diese Gelegenheit, duckte mich und entkam in einen Schweinstall an der Seite des Weges. Ihr möget daraus schließen, ob meine Vorliebe für Reinlichkeit damals nicht sehr überflüssig war.

»Meine Verfolger befanden sich bald an dem Teiche, den ich eben verlassen hatte, als mir mit einemmale meine guten Sterne zu Hülfe kamen, denn während die Reiter sich nach allen Seiten umsahen, bemerkten sie plötzlich in der Entfernung von einigen Ackerlängen einen Mann, der in aller Hast feldeinwärts lief. Meine Feinde machten augenblicklich auf ihn Jagd, und wurden kurz darauf auch von einigen Chasseurs unterstützt. Wer er war, oder warum sich der Mann flüchtete, wird vermuthlich für immer ein Geheimniß für mich bleiben. Er war jedoch noch nicht weit gekommen, als er auf ein Pferd sprang, das ohne Sattel und Zügel ruhig auf dem Felde weidete. An der Mähne sich festhaltend und die Seiten des Thiers mit seinen Fersen bearbeitend, sprengte er weiter – wohin wissen vielleicht seine Verfolger und er selbst am besten, da ich nie Nachforschungen darüber anstellte.«

»Ei, daß dich, vor allen Dingen möchte ich gerade die Geschichte dieses Mannes am allerliebsten hören. Hättet Ihr doch diesen Theil des Abenteuers ausgelassen, Mr. Gusty, denn jetzt wird mich mein ganzes Leben lang eine unbefriedigte Neugierde quälen. Entschuldigt übrigens, Ihr hattet Euch doch wohl recht passend unter den Schweinen einquartiert?«

»Rosa, Rosa, wie kannst du doch so leichtfertig sein!« sagte Rebekka fast zornig.

»Nicht sehr passend, Miß Belmont, soweit ich wenigstens aus der Art, wie sie ihre Gefühle ausdrückten, schließen konnte. Sie machten einen so höllischen Lärm, daß man wohl hätte glauben mögen, die unschuldigen Thierlein hätten sich mit der Meinung getragen, ich sei gekommen, um sie vor ihrer Zeit zu verspeisen. Die Mutter, um ihres Alters und ihres liebenswürdigen Embonpoints willen ein sehr ehrwürdiger Gegenstand, war im Begriffe, mich nicht sehr höflich wieder herauszuwerfen – vermuthlich nach den französischen Landesgesetzen, welche wahrscheinlich jeden Schweinstall als das Schloß des Bewohners angesehen wissen wollen. Sie wollte mich hinausrüffeln; da traf sich's aber glücklicherweise, daß die alte Dame à l'Indienne einen Ring durch die Nase trug – ich werde mein Lebenlang Achtung vor den Ringen haben – und dieser Umstand ersparte mir ohne Zweifel einige schwere Wunden. Es wurde bereits dunkel, und da ich einen Haufen hübschen Bohnenstrohs in der Nähe liegen sah, so kroch ich hinein. Worüber lacht Ihr, Rosa? – Auf Ehre, es war kein Düngerhaufen.«

»Und wenn auch – der Uebergang wäre von dem Schweinstalle aus so gar natürlich gewesen.«

»Ich sage Euch, es war das köstlichste Bohnenstroh, das man sich nur denken kann. Ich hatte jedoch keine Lust zum Schlafen, und sobald es völlig dunkel war, kroch ich wieder heraus, um ein Asyl zu suchen.«

Vermuthlich last Ihr Euch zu diesem Ende die besten Häuser aus, oder vielmehr diejenigen, welche Ihr für die leersten oder am wenigsten besuchten hieltet?«

»Im Gegentheil, ich wollte nichts von Steinen, Ziegeln oder Mörteln wissen. Sie boten mir nicht die Zufluchtsstätte, die ich suchte. Ich spähete darnach in einem menschlichen Herzen, und den Weg dazu sollte mir ein menschliches Gesicht zeigen. Ich war entschlossen, mich dem Erbarmen des ersten schönen Frauengesichtes, das mir begegnete, anheimzugeben.«

»O Augustus!«

»Und o Rebekka!« versetzte Miß Belmont. »Der junge Mann zeigte unendlich viel Weisheit, namentlich in Betracht seiner kürzlichen Gesellschaft und seiner Toilette; er muß in einem sehr präsentablen Zustand gewesen sein.«

»Ich gestehe, daß Niemand leicht in einer schlimmeren Klemme sein konnte; aber zum Glück konnte ich mich selbst nicht sehen, und so stand meine Bescheidenheit meiner Geistesgegenwart nicht im Weg.«

»Was dies für eine zierliche Phrase ist für – für – «

»Für was, spöttische Zauberin?«

»Oh, ich weiß es nicht, ich habe nicht die Unverschämtheit, es Euch zu sagen.«

»Nun, es ist gut, daß Eure Geistesgegenwart an etwas Anstand nimmt. Ich kehrte nach der Vorstadt zurück und blickte verstohlen durch die Ladenfenster; aber es stund lang an, ehe ich das Gesicht finden konnte, dem ich zu vertrauen wagte. In der That, war es mir damals, als müsse ich zuerst aufgefunden werden.«

»Ich würde mich auf das Land geflüchtet haben,« sagte Rosa.

»Ich konnte nicht. Ich hatte nur meine Beinkleider, ein Hemd und einen Strohhut, den ich an einer Hecke aufgelesen, wo er zum Bleichen ausgesetzt war.«

»Es kommt mir vor, ich sei da in eine recht achtbare Gesellschaft gerathen,« sagte Rosa, ihr Kleid schüttelnd und ihren Stuhl weiter von dem gnädigen Herrn wegrückend.

»Es war in Feindesland, Fräulein.«

»Kehre dich nicht an sie, Gust. Bald wird die Reihe des Lachens an uns kommen.«

»Rebekka, ich denke, der neue Strohhut ist nicht der schlimmste Diebstahl, den dir diese hochachtbare Person, welche nach hübschen Gesichtern umherspürt, zu bekennen haben wird. Wer nach hübschen Gesichtern lüstert, der wird auch keinen Anstand nehmen, ein Herz zu stehlen.«

Augustus erröthete, als ob ihm der Anzug, den er trug, ganz natürlich gewesen wäre. Die Glut seines Gesichtes war sogar höher, als dies bei einer alten Dame möglich wäre, denn er erröthete ganz wie ein Mädchen. Rebekka fühlte für einen Augenblick ganz die Tochter des alten Commodore in sich, und ihre Fingerspitzen prickelten. Es gab einen einzigen Gegenstand, über den sie keinen Scherz vertragen konnte, und Rosa war in ihrer neckischen Heiterkeit darüber gestolpert. Es trat eine beengende Pause ein, während welcher Augustus ein sehr albernes Gesicht machte und sein Atlaskleid glatt strich. Rosa sah, daß sie zu weit gegangen war. Nach zwei oder drei vergeblichen Redeversuchen, bemächtigte sie sich daher Rebekka's Hand und küßte sie, ohne ein Wort zu sprechen, worauf der Sonnenschein des Geistes wieder aus den Augen ihrer Freundin brach, und Augustus in seiner Erzählung folgendermaßen fortfuhr:

»Ohne eine schlimme Absicht, als vorderhand einen Zufluchtsort zu finden, und besorgend, ich könnte rasch wieder in das Gefängniß zurückspazieren müssen, aus dem ich mit so viel Mühe entronnen war, fand ich ein Gesicht, schöner als ich je eines zu sehen hoffen konnte.«

»Wo?« fragten mit Murmeln die beiden Damen.

»Es war auch in der That die höchste Zeit, denn das › qui va là?‹ der Patrouille tönte schneidend in meinen Ohren. Ich sage, es war die höchste Zeit, obschon ich Anstand nehme, Euch das Wo namhaft zu machen. Ich scheue mich vor Eurem Lachen, Rosa, und es würde meinen Gefühlen weh thun, wenn ich je auch nur eine Annäherung von Scherz über das hören müßte, was mit jenem Gesicht in Verbindung steht.«

»Ich bin jetzt ganz ernsthaft. Fahrt fort, Augustus.«

»Es war in einer der bescheidensten Barbierbuden des Ortes. Der Haarkünstler suchte die widerspenstigen Locken einer alten Perücke in Ordnung zu bringen, und seine Tochter las ihm vor. Das Licht ihrer Lampe fiel auf ihr Antlitz – dieses Antlitz Rebekka, Rosa – es erschien mir damals nicht der Erde anzugehören; aber natürlich sah ich es unter eigenthümlichen Umständen und in einem eigenthümlichen Lichte. Ich war im Augenblick entschlossen und trat kühn ein. Sie beide standen höflich auf. Ich hatte beabsichtigt, zuerst die Dame anzureden, ohne Umschweife an ihr Erbarmen zu appelliren und sie um ihren Schutz zu flehen. Beide lächelten, und ehe ich meine Lippen öffnen konnte, begann der Vater:

»Monsieur will sich wahrscheinlich waschen, ehe er sich den Bart abnehmen läßt.«

»Ein Blick nach seinem kleinen Spiegel ließ mich das Vernünftige dieser Andeutung erkennen. Ich verbeugte mich schweigend. Die junge Dame brachte mir ein Handfaß nebst einer Twehle und entfernte sich. Ich wusch mich und nahm, mich in mein Schicksal ergebend, auf dem Rasirstuhle Platz, um mir den Bart abnehmen zu lassen – eine Operation, die damals zum erstenmale in meinem Leben vorgenommen wurde, ohne daß ich mir derselben bewußt war. Lange nachher blieb ich noch regungslos und ohne zu wissen, was ich sagen sollte, in dem Stuhle sitzen, denn ich wünschte, die Tochter möchte wieder eintreten. Dabei war ich, wie ich gestehen will, ein wenig vergnügt, daß sich mein Aeußeres nicht mehr so gar garstig ausnahm, als zu der Zeit, wie ich in den Laden getreten war. Endlich sah ich mich genöthigt, zu bekennen, daß ich kein Geld habe und ein entwichener Gefangener sei. Monsieur Florentin, denn dies war der Name des Haarkräuslers, war sehr verlegen, was er mit mir anfangen sollte. Er wollte mich nicht verrathen, schien aber doch sehr geneigt zu sein, mich aus seinem Hause fortzuweisen. Zum Glück für mich rief er Demoiselle zur Berathung herbei. Die Menschenfreundlichkeit triumphirte, und das Asyl wurde mir gewährt, obgleich meine Beschützer dabei die größte Gefahr liefen. Rosalie war so gütig, als sie schön war.«

»Augustus, du liebtest!« rief Rebekka plötzlich aus tief erregtem Herzen.

»Nein, das nicht – ich achtete, verehrte – ja, ich liebte sie sogar in einem gewissen Sinne des Wortes – wer hätte dies vermeiden können? Aber von Leidenschaft war keine Rede. Es war ein heiliges Gefühl, und ich sagte zu mir selber: wäre es nicht ein zu großer Segen, den der Himmel einem armen Sterblichen bescheeren könnte, wenn er mir Rebekka als Gattin, und Rosalie Florentin als Schwester geschenkt hätte!«

»Wie Schade, daß Leute, welche so gut sind, auch so schön sein müssen!« sagte Rebekka nicht sehr zufrieden. »Wie viele Tage lebtest du mit diesen gemeinen Leuten unter einem Dache?«

»Es waren keine gemeinen Leute – durchaus nicht; sie gehören dem Adel an. Sie sind Royalisten und haben ihre ganze Habe verloren. Der Name Florentin war nur eine Maske, um sich zu schützen. Sie hatten viele Verfolgungen ausgestanden, waren geächtet worden, und mußten von einem Orte zum andern wandern, stets nach Mitteln spähend, um nach England zu entkommen. In zu großer Nähe der Seeküste würden sie Verdacht erregt haben.«

»Ich zweifle nicht, daß sie sehr gute Leute waren. Wie viele Tage bist du bei ihnen geblieben?«

»Tage, Rebekka? Sage Monate, Jahre. Erst vor vier Wochen habe ich ihr bescheidenes, wirthliches Dach verlassen. Sie schützten mich gegen die Verfolgung derjenigen, welche mit falschen Eiden gegen mich gezeugt hatten, als mir jede andere Thüre, jedes andere Herz verschlossen war.«

»Auch das meinige, Augustus – auch das meinige? Diese hinterlistigen Franzosen!«

»Beruhige dich, Rebekka,« entgegnete Rosa. »Ich sehe nichts sonderlich Hinterlistiges darin, wenn diese edelmüthigen Franzosen den gnädigen Herrn gegen eine Bekanntschaft mit Newgate schützten. Sagt an, wie habt Ihr Eure Zeit bei diesen Florentins zugebracht?«

»Der Vater lehrte mich sein Geschäft. Ich wanderte mit ihnen umher, bald als Lehrling, bald als Neffe. Ich diente ihnen treu, denn wie anders hätte ich meine Dankbarkeit beweisen können?«

»Hum – ha! Es ist eine zarte Frage an den Grafen von Osmondale, aber haben Euer Gnaden je – einen Mann an der Nase genommen?«

»Rosa, Ihr seid so naseweis, als Ihr schön seid. Dies ist eine Frage, die ich nicht zu beantworten verpflichtet bin. Wenn es auch der Fall war, so kann ich doch unverholen sagen, daß ich mein Brod ehrlich verdient habe. Wie dem übrigens sein mag, da ich gerade keinen sonderlichen Gefallen daran finde, bei diesem – dem nützlichsten Theile meines Lebens zu verweilen, so wollen wir ihn beliebig schnell übergehen und zu Rosa's Befriedigung nur beifügen, daß ich meine Hände nie mit einer entehrenden Handlung befleckte, wie auch du, theure Rebekka, mir glauben darfst, daß ich Rosalien nie den Hof machte. Seid ihr jetzt zufrieden?«

Da beide bejahend antworteten, so müssen wir ihnen wohl Glauben schenken. Er fuhr folgendermaßen fort:

»Da Ihr kein großes Behagen daran zu finden scheint, so will ich mich nicht über die Zeit verbreiten, welche ich in der Gesellschaft dieser würdigen Leute zubrachte. Wir fanden bald, daß uns Verdun nicht länger Sicherheit bieten konnte, und wanderten deßhalb in den Landstädten umher, wobei wir bisweilen große Gefahr liefen, aufgegriffen zu werden, weil wir nicht die nöthigen Ausweispapiere vorzeigen konnten. So konnten wir's nicht lange mehr treiben. Monsieur Florentins erspartes Geld war bald aufgezehrt, und da wir selten lange an einem Orte blieben, so konnte er sich auch durch das von ihm angenommene Gewerbe keine neuen Hülfsmittel schaffen. Endlich näherten wir uns der Seeküste, und ich trennte mich von ihnen. Allerdings hatte ich jetzt vollkommen Gelegenheit, mit meinen Freunden in England in Verkehr zu treten, aber ich fürchtete, ihre Liebe zu mir könnte sie so weit verleiten, daß sie mir eine Antwort zugehen ließen, die mir auf's Neue Entdeckung und Haft zuzöge, was ich in der That mehr als den Tod fürchtete.

»Nachdem Florentin seine Einleitungen getroffen hatte, reiste er viele Monate vor mir ab und gelangte auf einem Schmugglerfahrzeug wohlbehalten nach England, wohin ich sie zuverlässig begleitet haben würde, wenn es uns nicht an Geld gefehlt hätte, die ungeheure Summe zu bezahlen, welche man für die Fahrt über den Kanal verlangte. Die Florentins würden den Aufwand zwar für mich bestritten haben, aber wie gesagt, es gebrach ihnen an den erforderlichen Mitteln. So blieb ich dann allein. Als das Boot zurückkehrte, meldete mir der Schmuggler, daß die Florentins wohl seien und mit dem kargen Reste ihrer Habe in London einen Laden gemiethet hätten; zugleich überbrachte er mir ihre Adresse. Ich hatte mich inzwischen so französisirt, daß ich allgemein für einen Franzosen galt; auch fuhr ich fort, den Namen Jacques le Meunier, den ich als Monsieur Florentins Neffe angenommen hatte, beizubehalten.«

Auf diese Ankündigung hin wurde Rebekka, welche sich der gefürchteten Proklamation erinnerte, sehr blaß, wagte es aber nicht, auch nur eine Sylbe zu sprechen.

»Ich wurde nachgerade bei dem Landvolk und den Küstenbewohnern bekannt, obschon ich Anstand nahm, mich viel in den Städten zu zeigen. Ich führte ein äußerst dürftiges, ja sogar erbärmliches Leben, und endlich wurde mir die Versuchung zu groß. Die Liebe zu meiner Mutter, zu meiner Rebekka und meinen Verwandten, wie auch die Regungen des Patriotismus, welche mich nach der Heimath riefen, dienten mir als Vorwand, meine Grundsätze zu ersticken, und ich ging unter die Schmuggler, weil ich hoffte, wenn ich England erreicht hätte, desertiren zu können. Du vergibst mir dies, meine Theuerste?«

»Du hast darin durchaus nichts Unrechtes gethan, Gust. Ich würde an deiner Stelle nicht anders gehandelt haben.«

Dies war eine etwas dreiste Versicherung von Seiten der jungen Dame. Es war nicht recht, mit dem Feinde einen Bund zu schließen, um das Vaterland um einen Theil der ihm so nöthigen Einkünfte zu betrügen. Die Versicherung befriedigte übrigens die am meisten betheiligte Person vollständig. Augustus küßte Rebekka herzlich und fuhr dann wieder fort:

»Meine neuen Kameraden jedoch, die mich für den Neffen eines Royalisten und Emigré hielten, bewachten mich sehr genau, so oft wir an die englische Küste kamen. Ich mußte, während sie ihre Tonnen und Spitzen ans Ufer brachten, stets bei denen bleiben, welchen die Obhut über das Fahrzeug anvertraut wurde, und so sah ich mich genöthigt, mehrere Ausflüge mitzumachen, ehe ich nur ein einzigesmal Gelegenheit fand, meinen Fuß auf englischen Grund und Boden zu setzen.«

»Gnädiger Herr, habt Ihr nicht zufälligerweise einige von den erwähnten schönen Spitzen bei Euch? Ich hoffe, Ihr werdet einer Käuferin, wie ich bin, den Vorzug geben.«

»Fordert mich nicht in dieser Weise heraus, Miß Belmont, oder ich werde Euch den Vorzug, den ich Euch bereits gegeben habe, wieder entziehen.«

»Darf ich mir demüthig die Frage erlauben, Sir, wem ich vorgezogen werde?«

»Aller Welt – ausgenommen –«

»Vermutlich alle übrigen Ausnahmen. Nun so laßt uns hören, was Ihr als Schmuggler vor Euch gebracht habt.«

»Ich lernte dabei Einiges – ich weiß, wie man mit einem Boote umzugehen hat, und wurde so bekannt mit den Tiefen und mit der Beschaffenheit des Kanalgrundes, daß ich, wenn mir alle andere gesetzlichen Beschäftigungen fehlen, einen vortrefflichen –«

»Du sollst nie wieder zur See gehen – in keiner Eigenschaft; dies ist fest bei mir beschlossen, Augustus. Ich hasse die See.«

»Die Tochter des alten Commodore sollte nicht so sprechen. Ich komme übrigens jetzt zu dem schlimmsten Theile meiner Geschichte. Unter dem Vorwissen der französischen Regierung wurde eine Abtheilung von Spionen, Brandstiftern und wilden Revolutionären an unsere Küsten gesetzt; sie waren mit Fälschungsmitteln aller Art versehen und sollten zugleich eine verrätherische Korrespondenz mit den Unzufriedenen in England fördern. Ich versuchte mich bei diesen Jakobinern, die entweder Irländer oder Fremde waren, in Gunst zu setzen, und es wurde mir endlich gestattet, mich ihnen anzuschließen, ohne daß ich mich jedoch auf entschiedene Versprechungen einließ. Wir landeten um Mitternacht in der Nähe von Dover und begaben uns von dort, indem wir nur zur Nachtzeit reisten, auf Nebenstraßen nach London.«

»Aber warum hast du sie nicht sogleich verlassen?«

»Leider mußte ich finden, daß ich nur die eine Bande von Tyrannen gegen eine andere vertauscht hatte. Ich gewann wenig Freude aus dem Umstande, daß ich wieder einmal den heimischen Boden betrat. Die Gemeinheit, meine Kameraden den Behörden anzuzeigen, hätte ich nicht über mich gewinnen können, und außerdem wußte ich, daß sie in London meine Flucht nicht verhindern konnten, weßhalb ich mich darein ergab, sie zu begleiten, bis wir daselbst angelangt wären.

»Unter Schurken ist stets einer noch schurkischer als die Uebrigen; welcher nur die Gelegenheit ersieht, um sie zu verrathen. Ich weiß jetzt, daß die Bewegungen dieser aus einem halben Dutzend Köpfen bestehenden, herrlichen Invasionsarmee der Regierung vollkommen bekannt, und auch das Haus, wo wir unser Absteigquartier nehmen wollten, zu unserem Empfange bereit war. Wir hatten kaum Platz genommen und wünschten uns eben zu unserer sicheren Ankunft Glück, als eine Abtheilung Polizeimannschaft hereinbrach und das ganze Häuflein aufzuheben versuchte. Zum Unglücke für mich war sie nicht stark genug. Die Polizeiagenten wurden überwunden, gebunden, geknebelt und in einen tiefen Keller eingesperrt einen einzigen Constabel ausgenommen, der im Blut schwimmend auf dem Boden des ersten Stockes liegen blieb. Der Mann, welcher mit seinem Dolche die verhängnißvolle Wunde geschlagen hatte, war der Führer unsrer Bande, ein gewisser Kapitän Mainspring, obschon ich glaube, daß dies nur ein nom de guerre ist.

»Die Uebrigen rissen mich mit die Treppen hinunter, aber meiner Unschuld bewußt, weigerte ich mich, an ihrer Flucht Theil zu nehmen. Meine bisherigen Begleiter zogen hieraus die Ueberzeugung, daß ich der Spion und Verräther sei, der sie verkauft habe. Ich kann mich nur noch des Blitzens ihrer Augen und ihrer erhobenen Hände erinnern; als ich wieder zum Bewußtsein erwachte, war meine Lage schrecklich.«

»Ich saß auf dem Boden; die Kleider, welche ich anhatte, und nicht mir zugehörten, waren mit Blut befleckt – desgleichen der in meinem Gürtel steckende Dolch. Ich befand mich in der Nähe des verwundeten Constabels, welcher sich eben von einem Ohnmachtsanfalle erholte und mit matter Stimme um Hülfe rief. Das Zimmer füllte sich bald. Man setzte die Polizeidiener in Freiheit, und ich wurde in den Kleidern des Kapitän Mainspring als Mörder ergriffen, während dieser in den meinigen entwischt war.

»Verwirrt von diesem seltsamen Ereignisse, und in Folge des schweren Schlages, den ich auf meinen Kopf erhalten hatte, keiner Besinnung fähig, vermochte ich nicht zu sprechen. Der verwundete Mann wurde augenblicklich nach dem Hospitale, ich selbst aber nach dem Clerkenwellgefängniß gebracht.«

Die beiden Mädchen brachen in einen Schrei des Entsetzens aus und umschlangen sich gegenseitig mit ihren Armen. Nachdem sich ihre Aufregung ein wenig gelegt hatte, fuhr Augustus fort:

»Ich habe nur noch wenig zu berichten, aber dieses Wenige ist sehr schrecklich. Am andern Tage wurde ich vor einer ganzen Bank voll Magistratspersonen ins Verhör genommen, unter denen sich, wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt, auch Euer unangenehmer Nachbar, Mr. Rubasore befand.«

»Gott behüte und bewahre uns! Erzählt weiter Augustus.«

»Ich könnte fast darauf schwören, daß er's war. Er faßte mich sehr aufmerksam ins Auge und stellte mit einemmale eine Frage an mich, die den übrigen Magistratspersonen unerheblich schien, ›ob ich nämlich nie in der Nähe von Trestletree-Hall gewesen sei.‹ Thörichterweise antwortete ich mit Nein, denn ich glaubte, meine Schmach würde sich dann auch auf diejenigen ausdehnen, die mir theurer sind als das eigene Dasein. Welcher Nachtheil würde auch der Welt zugegangen sein, wenn ein unschuldiger, aber doch nutzloser junger Mensch unter dem Namen Jacques le Meunier gehangen wurde? Dagegen malte ich mir den unaussprechlichen Jammer und die unauslöschliche Schmach aus, welche beide Familien hätte treffen müssen, wenn der anerkannte Sohn der Lady Astell und der Neffe des Sir Octavius Bacuissart den Tod eines Verbrechers gestorben wäre!«

»Noch ein Wort wie dieses, und ich höre auf, dich zu lieben,« sagte die leidenschaftliche Rebekka.

»Der treue Bericht, den ich über den Vorgang abgab, wurde mit der größten Verachtung angehört, und die verrätherischen Briefschaften, welche man bei mir fand, erhöheten in nicht geringem Grade das Vorurtheil, welches bereits gegen mich obwaltete. Vergeblich gab ich vor, ich habe den Schlag von dem wahren Kapitän Mainspring erhalten, denn Einer von den Polizeidienern nahm es auf seinen Eid, daß er selbst mich niedergeschlagen habe, als ich im Kampfe am thätigsten gewesen sei. Indeß sollte noch die schwerste Heimsuchung über mich ergehen. Von zwei Magistratspersonen begleitet wurde ich nach dem Middlesexhospital geführt und dem sterbenden Constable vorgestellt. Der arme Mann! Er behauptete, mich augenblicklich zu erkennen, und erklärte ohne Zögern, daß ich sein Mörder sei.«

»Möge ihm Gott vergeben!« rief Rebekka.

»Für diese Handlung, meine Theuerste, bedarf er keiner Vergebung, da er ohne Zweifel nach seinem besten Glauben sprach. Nachdem die Aussage dieses Mannes zu Protokoll genommen war, wurde ich zurückgeführt und zur Aburtheilung nach Newgate überwiesen. In Anbetracht meines Schwächezustandes legten mir die Polizeidiener keine Fesseln an, sondern nahmen mich zwischen sich in eine Miethkutsche. Das Verhör hatte den ganzen Tag gedauert, und es war beinahe dunkel, als wir nach dem Gefängnisse aufbrachen. Jedes Haus war beleuchtet, und Freudenfeuer brannten wegen eines großen Flottensieges in den Straßen.«

»Wie glühend hoffe ich, daß es der Sieg meines Vaters war!«

»Schaaren müßiger Männer und muthwilliger Knaben beschäftigten sich damit, Schwärmer und Frösche unter das Gedränge zu werfen. Wir kamen durch eine enge Straße, die von einer Menschenmasse erfüllt war, und in deren Mitte ein Freudenfeuer loderte. Die Pferde wurden scheu, und einer meiner Wächter wollte wieder umkehren, während der andere dagegen Widerspruch einlegte. Dem Kutscher sausten Schwärmer um den Kopf, und der Pöbel fing an, sich des Spasses zu erfreuen. Der Kutscher wurde vorwärts getrieben, bis die Pferde das Feuer an ihren Hufen spürten; sie bäumten sich und warfen den Wagen beinahe auf das brennende Holz. Der Schlag flog auf, ich sprang hinaus, und lange, ehe die Constabeln sich selbst auf die Beine helfen konnten, um dem belustigten und lachenden Volkshaufen zu erklären, wer sie seien, befand ich mich schon viele Straßen weit, dem Gesichtskreise meiner Hüter völlig entnommen.

»Einer von meinen Wächtern war im Besitze des Dolches, um ihn als Zeugniß gegen mich vorzuzeigen. Mit dem Instinkt der Selbstvertheidigung hatte ich ihn aufgegriffen und gab ihn dir, Rebekka, in dem Gebüsche.«

»Ich werde nie wieder diese entsetzliche Waffe anrühren, Augustus. Sie liegt hier.«

»So laß sie liegen, denn wahrscheinlich hat sie schon mehr als einmal das Blut eines menschlichen Wesens getrunken. Auch ich will sie nur im äußersten Nothfalle wieder brauchen. In meiner damaligen trostlosen Lage erinnerte ich mich des Wohnorts der Florentins, die ich auch nicht ohne einige Mühe entdeckte. Sie beherbergten mich abermals und retteten mich.«

»Schon wieder diese Florentins!« rief die jüngere Dame vorwurfsvoll.

»Aber die Wachsamkeit der Polizei war nicht so leicht zu täuschen, denn mein Zufluchtsort wurde aufgespürt, und ich vermochte mich nur mit Mühe zu retten. Mein Herz sehnte sich, wieder einmal Trestletree-Hall zu sehen, mich zu erkundigen, wer noch daselbst wohne, und mich wo möglich mit Mr. Underdown zu berathen; vor Allem aber war meine Absicht, dem Gefängnisse zu entgehen.«

»Sei versichert, Underdown würde dich dem Gesetze überantworten. Was können wir thun?«

»Ich darf nicht länger hier bleiben. Welch' ein Segen würde es jetzt für mich sein, wenn ich meinen Onkel sehen könnte, denn er trüge sich gewiß nicht mit Mr. Underdowns spitzfindigen Bedenklichkeiten. Er würde einen ehrlichen und einsichtsvollen Rechtsgelehrten für mich aufsuchen, oder mich so lange aus dem Lande entfernen, bis ich meine Unschuld darzuthun vermöchte.«

»Rosa,« sagte Rebekka, »ich bin zu aufgereizt, um die Feder zu führen. Du hast Alles gehört – schreib augenblicklich an Sir Octavius – verschweig ihm nichts – ich will den Brief absenden, sobald er fertig ist, und das schnellste Pferd in den Ställen soll die Botschaft überbringen.«

Rosa begab sich augenblicklich in ihr Zimmer, und zum erstenmal befanden sich die Liebenden allein.


 << zurück weiter >>