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Sechsundzwanzigstes Kapitel

»Die Rachsucht nährt des Menschen eigen Herz,
Bis alles Menschliche entschwunden
Und ew'ge Höll' im Busen brennt.«

Altes Schauspiel.

Mr. Rubasore wiederholte unter einem angenommenen Namen seine Besuche, und fand eine große Lust daran, seine Schützlinge zu mästen. Er galt noch immer für einen Arzt und entwickelte in seinem Verkehr mit Vater und Tochter viel Zartgefühl. Seine Besuche und die tägliche Prozession von Kellnern in weißen Jacken, die Eßwaaren in's Haus brachten, erregten in der Umgegend Aufsehen, und die Folge davon war, wie gewöhnlich in solchen Fällen, daß man auch den betreffenden Personen Aufmerksamkeit schenkte. Wenn Monsieur Florentin mehr aß, so hatte er nun auch mehr zu rasiren. Sein ruhiges, mildes Wesen gewann ihm die Achtung der Nachbarn und er hatte bald eine Menge von – Kunden hätte ich beinahe gesagt – aber da ich oben bewiesen habe, der Barbier gehöre unter die Künstler, so muß ich wohl von Klienten sprechen.

Ich will Monsieur und Mademoiselle Florentins Dankbarkeit gegen ihren Wohlthäter nicht weiter berühren, da sie selbst sein Lob zur Genüge ausposaunten; man darf daher nicht glauben, daß Rosalie, sobald sie wieder genesen war, gegen Mr. Rubasore etwas zu verbergen vermochte, wenn derselbe nicht etwa eine ungebührliche Frage stellte. Er hatte einige unbestimmte Vermuthungen, die ihn höchst begierig machten, die ganze Geschichte des vermeintlichen Spions zu erfahren, und da er es etwa vierzehn Tage nach seinem ersten Zusammentreffen mit dieser Familie für hohe Zeit hielt, in Betreff seiner Mündel einen entschiedenen Schritt zu thun, so beschloß er, mit Mademoiselle aus ein langes Gespräch einzugehen, seinen Schützlingen etwas Geld zurückzulassen und ihnen Lebewohl zu sagen. Bei Gelegenheit seiner Besuche hatte er Monsieur Florentin um den Rath angegangen, welcher ihn ursprünglich nach dem Laden führte, und da der Franzose sehnlich wünschte, sich seinem Gönner gefällig zu machen, so waren alle Arten der verschiedenfarbigsten Haarerfindungen versucht worden. Mr. Rubasore's Pergamentgesicht schien jedoch nur zu einer Probe zu taugen, unter welchem Toupet es sich am häßlichsten ausnahm, und so wurde denn das Surrogat in Verzweiflung aufgegeben. Der Gentleman sah sich deßhalb genöthigt, seine Liebesbewerbungen mit der gewöhnlichen Außenseite zu verfolgen, um so mehr, da ihm dieselbe trotz des ausgesprochenen Widerwillens der Dame vollkommen achtbar und männlich vorkam.

Er gedachte nur noch denselben Nachmittag in der Stadt zu bleiben, da für den andern Morgen vier Pferde zum Aufbruch nach Jaspar-Hall bestellt waren. Er verabschiedete sich von dem Perückenmacher, der vor Leid darüber fast ganz aus sich war und die Gefühle seines Schmerzes und seiner Dankbarkeit auf die Wangen eines unglücklichen Elenden zeichnete, welchen er eben in seinem Laden zu rasiren suchte. Mr. Rubasore saß neben Rosalie und bat sie in seiner einschmeichelndsten Weise, sie möchte ihm die ganze Geschichte jener verdächtigen Person mittheilen, denn wenn er von den Thatsachen unterrichtet sei, so zweifle er nicht, die Familie Florentin vor der Regierung rechtfertigen und ihr auf's Neue die Unterstützung zuwenden zu können, welche die übrigen aus dem revolutionären Frankreich vertriebenen Pensionäre genößen.

Bereits hatte das Roth der Gesundheit Rosaliens Wangen leicht zu färben begonnen, und mit den wiederkehrenden Kräften war auch das unwillkürliche Beben ihrer Oberlippe verschwunden. Ihre Unterhaltung zeigte mehr Leben, aber dennoch war sie nicht die Rosalie Florentin früherer Tage.

Mr. Rubasore wußte dies nicht, als sie ihm ihre und ihres Vaters lange Leidensgeschichte mittheilte. Er hielt sie für schön, und sie war es auch. Während sie ihm Alles das mittheilte, was mit den Abenteuern des vermeintlichen Spions in enger Verbindung stand, wollte sie ihre Liebe zu demselben verhehlen und sprach nur kalt von ihm; aber eben die kurzen, fast unglimpflichen Bemerkungen, welche sie über ihn fallen ließ, erschienen nur wie der Aufbau eines kalten, steinernen Monuments über dem Grabe ihres Glücks, und machten nur um so augenfälliger, was sie vor aller Welt verheimlichen wollte. Mr. Rubasore kümmerte sich indeß wenig um ein Herz, das nicht für ihn schlug, und hätte vielleicht ein Gemüth, das ihn mit Liebe empfing, durch Unfreundlichkeit und Grausamkeit auf's Aeußerste gebracht. Um so mehr lag ihm übrigens an der Erzählung des armen Mädchens, und nachdem er das Ganze angehört hatte, konnte ihn kaum seine lange geübte Falschheit hindern, das tiefe Interesse, welches er daran nahm, zu verbergen.

»Nun werdet Ihr mir aber auch den Namen und den gegenwärtigen Aufenthalt dieses jungen Helden nennen, theure Miß Rosalie.«

Die junge Dame schauderte bei diesem Ansinnen. Gewiß war von dem menschenfreundlichen Arzte nichts zu fürchten; aber dennoch zögerte sie und erklärte endlich, sie könne dies nicht thun. Mr. Rubasore wurde dringender und brachte das arme Mädchen durch seine Bitten in die schrecklichste Noth, bis sie endlich erklärte:

»Ich glaube, ich habe einen Eid abgelegt, gerade diese beiden Punkte ohne die ausdrückliche Erlaubniß der betreffenden Person gegen Niemanden namhaft zu machen. Vater, Vater, komm doch auf einen Augenblick herauf!«

Monsieur Florentin erschien voll Puder, Höflichkeit und Verlangen, seinen Gönner zu verbinden.

»Vater,« fuhr Rosalie fort, »haben wir nicht geschworen, seinen Namen und Aufenthalt nie zu nennen? Und eben diese beiden Punkte wünscht unser gütiger Wohlthäter sehnlichst zu erfahren. Haben wir nicht geschworen, Vater?«

»Wohl wahr, aber er kannte Monsieur nicht. Es wäre ihm nicht entfernt eingefallen, auch ihn auszuschließen.«

Und so nahm der nur zu bereitwillige Franzose Mr. Rubasore bei Seite, flüsterte die wichtige Kunde in sein Ohr, und die verhängnißvollen Worte waren gesprochen.

Mr. Rubasore hatte Mühe, seine boshafte Freude zu unterdrücken. Ohne Zusage der Sicherheit für die anrüchige Person versprach er unverweilt Schritte zu thun, daß Vater und Tochter wieder auf die Almosenliste des Gouvernements gesetzt wurden, worauf der Verräther unter einem Schauer von unverdienten Segenswünschen sich entfernte.

Mr. Rubasore hatte einigen Einfluß bei der Regierung – in der That mehr, als zureichend war, um ihn in den Stand zu setzen, den Florentins schnell und wirksam zu dienen. Aber hätten sie – hätte namentlich Rosalie gewußt, daß das tägliche Brod, welches sie jetzt aß, vielleicht bald von dem Lebensblute desjenigen gefärbt werden sollte, für den sie mit Freuden ihr Leben eingesetzt hätte, so würde sie wohl bereitwillig ihren letzten Blutstropfen geopfert haben, um diesen unvorsichtigen Schritt zurückzurufen.

Wir müssen nun mit Rubasore vorderhand dieses würdige Paar verlassen, um einen Ausflug nach Jasper-Hall zu machen. Ehe wir uns jedoch in die gute Gesellschaft einführen lassen, die wir dort finden werden, müssen wir die schlimme von uns abschütteln, indem wir nur noch angeben, daß durch die Thätigkeit des Mr. Sharpus und zweier oder dreier alter Perückenträger Kapitän Oliver Oliphant bereits wegen Verachtung des ehrfurchtgebietenden Kanzleigerichtshofs verurtheilt und eine Vollmacht ausgestellt war, diesen sehr tapfern Offizier nach dem Fleetgefängnisse zu bringen, wo derselbe jedenfalls nicht der Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt gewesen wäre.

Wir wollen nun annehmen, daß Mr. Underdown und Peter Drivel sich wohlbehalten – auch in Anbetracht der Dinge nicht ungemächlich – in dem Pfluge, jenem Wirthshause in der Umgebung von Jasper-Hall, das wir bereits kennen, einquartirt haben. Ersterer ist mit einem Briefe von Kapitän Oliphant versehen, der, wenn er Peters Revision unterworfen worden wäre, ohne Frage viele Hems zur Folge gehabt haben würde. Nach Mr. Underdowns Ansicht entsprach das Schreiben übrigens völlig seinem Zwecke, obschon er den Inhalt nur vermuthete, dabei aber sich recht wohl denken konnte, er werde mit allen jenen nautischen Metaphern gespickt sein, welche sich in der Phraseologie der jungen Seeoffiziere so breit machen.

Den nächsten Vormittag verbrachte Peter Drivel in vergeblichem Spähen nach der hübschen Nell, und da es ihm elendiglich an Beschäftigung für seine Box gebrach, so kehrte er nach dem Wirthshause zurück, bloß mit der Kunde, daß er keine Neuigkeiten zu bringen habe, und halbtoll über seine vergeblichen Versuche, ein Wortspiel auf das Wort Kirchthurm zu machen; er tröstete sich jedoch einigermaßen mit der Bemerkung, daß der Gegenstand zu hoch für ihn sei.

Dann trat Mr. Underdown seine verfängliche Sendung an, mit dem vorerwähnten nautischen Brief ausgestattet und Peter als Beglaubigung mit sich nehmend, welch' letzterer seinerseits das Buchstabirbuch mit sich führte und das Bewußtsein der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit ihres gemeinschaftlichen Zweckes im Busen trug.

Mr. Underdown lief große Gefahr, seinen Plan durch den einfachen Umstand vereitelt zu sehen, daß es ihm unmöglich wurde, Miß Belmont zu sprechen. Mrs. Dregely empfing ihn und erklärte ihm, mit der ganzen Unhöflichkeit einer Person, welche die Dame von Stand spielen will, es sei Rosas Wunsch und der bestimmte Befehl ihres Vormunds, daß keine Fremden vorgelassen werden sollen. Was die Ablieferung vom Kapitän Oliphants Brief an die junge Dame betraf, so erklärte die Dame den Vorschlag für eine entschiedene Beschimpfung und wünschte in schnippischem Tone guten Morgen. Mr. Underdown sah sich daher, noch ehe er ein versöhnendes Wort anbringen konnte, seltsamerweise (wie er meinte), nicht nur zum Hause, sondern auch zum Hofe hinausgeschlossen.

»Peter Drivel,« sagte Mr. Underdown halb lachend, halb voll Aerger, »Peter Drivel, da sind wir aufs Schönste geschlagen.«

»So kömmt das Schlagen jetzt an uns,« entgegnete Peter zu einem Wortspiele ansetzend.

»Wie – wen – was?«

»Wir schlagen Retrait.«

»Da denke ich, es wäre eher an mir, etwas zu schlagen – nämlich deinen Rücken.«

»Dann wäre mein Rücken geschlagen, und ich hätte einen geschlagenen Rücken – rückgeschlagen – rück – brück – dick – lück –«

»Nun, heraus damit, Peter.«

»Ach, Sir, 's ist ein abortus. Ich glaubte, ich hätte ein vortreffliches Wortspiel an der Flügelspitze erwischt; aber es hat Reißaus genommen, Sir, und ich schätze wohl, wir müssen das Gleiche thun.«

»Ich bin nicht so viele hundert Meilen gewandert, um nur dem Versuche zu einem Wortspiel anzuwohnen.«

»Leute sind schon wegen einem schlechteren Gegenstande weiter gereist. Ich gebe zu, es war nur ein Versuch, aber es ist unfreundlich von Euch, Sir, desselben zu erwähnen. Doch es ist wahrhaft wunderbar, wie viel ich in dieser Weise zu vergeben habe. Soll ich gehen und ein Mittagessen bestellen? Vielleicht möchtet Ihr Euch noch durch einen Spaziergang Appetit holen. Ein schönes Gestade, Sir, und die Leibesübung, bis man darüber wegkömmt, ist fast der Mühe zu vergleichen, etwas –«

»Etwas gutes Neues hervorzubringen.«

»Danke. Sir. Es freut mich, die Entdeckung zu machen, daß Ihr endlich meine Verdienste würdigt. Mein eigener Gebieter, Kapitän Oliphant, konnte es nie, Sir.«

»Gut, Peter, ich will deinen Rath befolgen und an's Ufer hinuntergehen, denn ich bemerke, daß ich von dort aus eine sehr gute Aussicht nach dem Landhause habe, während ich von den Bewohnern desselben gleichfalls gesehen werden muß. Aber, Peter, du bist meine Beglaubigung. Als ein guter Gesandter werde ich dich zurücklassen – aber du thust gut, jenes Haus zu umwandeln und dich so viel wie möglich in der Gesichtsweite zu halten. Wenn Miß Belmont dich sieht, wird sie wahrscheinlich nach dir schicken, um Neuigkeiten über deinen Herrn zu erfahren. Sollte dies eintreffen, so sage ihr, ich habe einen Brief von ihm; triffst du aber andernfalls auf jenes rothgesichtige Weibsbild, welches die Herrin im Hause spielt, und hätte dieselbe Lust, dich als einen Vagabunden und Landstreicher in den Stock legen zu lassen, so schicke nach mir – ich werde an dem Ort sein, den du mir empfohlen hast, und will, wenn ich in einer Stunde nach dem Pfluge zurückkehre, an dem Stock vorbeigeben und zugleich aber auch nachsehen, ob du nicht vielleicht in dem Käfig steckst.«

»Danke herzlich, Sir, für soviel Rücksicht. Mich in den Stock setzen? – Gut. Geht nicht, Sir, bis ich ein kleines Geschäft in meiner Weise mit Euch abgemacht habe. Mich in den Stock setzen? Nehmt lieber die Mehrzahl, so ist wenigstens Unterhaltung dabei, und da diese Stocks nur in demselben Grade steigen und fallen könnten, als ich mich selbst auf- und abwärts arbeite, so würde ich für meine eigene Person Bulle und Bär sein. Wie Shakespeare sagt, sind wir keine Stöcke und Steine. Stöcke – nun, das ist doch sehr ungentlemanisch. Der Mann ist bereits aus der Hörweite, und ich bin noch nicht halb fertig. Mr. Underdown mag ein sehr würdiger Gentleman sein, aber er hat keinen Sinn für Witz, ist selbst nicht damit begabt, und kann ihn auch nicht bei Andern wecken, wie der ehrliche alte Jack sagt. Nun, er hat mich als seine Beglaubigung hier gelassen – jedenfalls die achtbarste Partie, die in dieser Sache zu ergreifen ist. So will ich jetzt, wie er gewünscht hat, um das Haus herumgehen, obschon ich nicht einsehe, wozu ich diese Zeit verlieren soll. Nun, ich kann ja mittlerweile mein Gedächtniß auffrischen.«

Der würdige Peter öffnete daher seinen Dilworth und begann im Gehen zu lesen.

»Aal, ein Fisch – Ahle, ein Schuhmacherwerkzeug,« u. s. w. Er war jedoch nicht weiter als bis zu »Buch, ein Hülfsmittel der Gelehrsamkeit – Bug, am Schiffe und die vordere Extremität des Schweins – Buche, ein Baum,« gekommen, als er gegen einen breitschultrigen, derbknochigen, sehnigten Landmann in Livrée anrannte.

»Heda, wollt Ihr mich wie eine Gans über den Hausen rennen, Mann – wer seid Ihr?«

»Ich bin die Beglaubigung, roher Bauer.«

»Wie, laß mich das noch einmal hören, und ich schlage dir dein Narrenhirn ein, Mann.«

»Provinziale, Ihr seid unhöflich. Ich wünsche, mit Eurer Gebieterin zu sprechen.«

»Du hast nichts mit Missis zu schaffen, und Missis sagt, ich solle einen Konstabel holen, daß er dich in den Käfig stecke, wenn du dich nicht trollst.«

»Fahre von hinnen – ich studire.«

Nun benahm sich Ehrenpeter gegen Leute, die er für sehr unwissend hielt, stets am pomphaftesten, weshalb er auch vor dem Bedienten gewaltig dicke that. Letzterer machte große Augen und hörte ihm mit maßlosem Erstaunen zu, welches sich mehr und mehr steigerte, als er sah, daß der Fremde sich ganz ruhig vor den Fenstern des Hauses niederließ und in seinem Buch aufmerksam zu lesen schien.

»Du willst dich also nicht trollen?«

»Nein, du unhöflicher Tellerscheurer.«

»Ich sag' dir, das ist eigner Grund und Boden – Alles – bis an jene mit Steinen bezeichnete Gränzlinie.«

»Bah, die Erde ist gemeinschaftlich, Mann. Ich will hier sitzen, und über erhabene Dinge meditiren.«

»Dann wird der Konstabel mit dir fertig werden, Mann! – Was das nicht für ein verrückter Kerl ist!«

Diese letzte Bemerkung des sich entfernenden Bedienten brachte Peter Drivel in Wuth. Er hob daher einen Stein auf, der durch seine scharfen Kanten besonders für einen dicken Schädel geeignet war, wenn er mit gehöriger Kraft geworfen wurde, und schleuderte ihn dem Beleidiger mit hübsch sicherer Zungenfertigkeit nach. Das Geschoß traf den unbedeckten Kopf des Mannes, der zuerst mit der Hand nach der Wunde griff, um sich zu überzeugen, ob das Bischen Hirn, dessen er sich rühmen konnte, nicht herausgelaufen sei, dann aber sich umwandte und augenblicklich dem nicht unvorbereiteten Peter auf Armslänge nahe stand.

Ohne die Zeit mit unnöthigen Einleitungen zu vergeuden, entschied man sich beiderseitig unverweilt zu jenem Einzelnkampf, den man gewöhnlich eine Boxerei nennt. Ich will die einzelnen Gänge nicht ausführlich beschreiben und sage nur, daß die Arme des Kornwallisers wie die Flügel einer Windmühle arbeiteten und eifrig bemüht waren, recht derb unseren Peter zu umschlingen. Dieser aber lehnte die Ehre bei Umarmung ab und bedankte sich für die Aufdringlichkeit dadurch, daß er seinem Gegner ein paar Dutzend Streiche über alle Theile des Gesichtes versetzte, und so demselbsen eine ganz neue Farbe gab, während der stämmige Kerl ob den zärtlichen Berührungen den Kopf schüttelte und immer größere Augen machte. In kurzer Zeit war der Kopf des armen Bedienten zu dem Doppelten seines natürlichen Umfangs angeschwollen – ein um so größeres Wunder, da es durch einen schmächtigen kleinen Kerl herbeigeführt wurde, von welchem der Kornwalliser geglaubt hatte, er könne ihn auf dem Kraute fressen.

Durch diese Balgerei erwies jedoch Peter Drivel seinem Gebieter den bestmöglichen Dienst. Das Handgemenge führte bald die übrigen Bedienten herbei, und als sie sahen, daß ein so kleiner Mensch den Eisenfresser der Gesindehalle so tüchtig zerdrosch, gaben sie augenblicklich den esprit de corps des Schulterknotens auf und sorgten für ehrliches Spiel. Das Getümmel zog auch die weibliche Domestikenschaft an – ein schlimmes Wort zwar, aber möge es immerhin stehen bleiben, da ich die Sache durch einen Verbesserungsversuch leicht schlechter machen könnte – und nun stürzte Nell in Miß Belmonts Gemach, um ihrer Gebieterin mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen zu berichten, daß »der kleine Peter, Kapitän Oliphants Bedienter, den schweren Heinz ganz jämmerlich zerbläue.«

Wir brauchen uns nicht über die Empfindungen zu verbreiten, welche dieser einfache Bericht im Busen unserer romantischen Dame weckte, denn sie hatte bisher noch nicht die geringste Kunde von den Versuchen erhalten, die Mr. Underdown gemacht hatte, um sie zu sprechen. Wie jede romantische Person thun muß, handelte sie nach den Eingebungen des Augenblicks und folgte Nelly nach dem Schauplatze des Treffens, wohin sich auch Mrs. Dregely begeben hatte, mit einem Gesichte, so roth wie die Sonne, welche sich durch einen Londoner Nebel Bahn zu brechen sucht. Sie war eben im Begriffe, Peter ohne Verhör in's Käfig stecken zu lassen, als sich Miß Belmont in's Mittel legte, oder vielmehr eine veränderte Lesart in dem Urtheilsspruche beantragte, indem sie unter großer Stimmenmehrheit statt des Wortes Käfig »ihr Wohnzimmer« einschaltete.

Da jedoch Peter als »Beglaubigung« von Seite seines Gebieters mit Anstand aufzutreten wünschte, so erbat er sich die Erlaubniß, vorerst »in Betreff der Spuren seines Gegners die Hände zu waschen,« was sie auch in der That recht gut brauchen konnten, denn sie waren über und über mit Blut besudelt.

In anmuthigem Triumphe zwischen Nelly und der Köchin einhergehend, hielt er seinen siegreichen Einzug in der Küche, und Alles that eifrige Handreichung, um ihm bei seinen Abwaschungen Beistand zu leisten. Doch sogar unter der Tätigkeit des Pumpbrunnens lief Peter Gefahr, in der schmerzlichen Anstrengung, ein Wortspiel von sich zu geben, zu ersticken. Da übrigens die Mädchen kalt Wasser auf den Versuch gössen, so wollen wir annehmen, daß er schlecht genug war, um eben so gut das Ersäufen zu verdienen, wie eine häßliche Hündin mit sieben noch häßlicheren Jungen, als sie selbst.

Erfrischt und in seinem Aeußern wieder leiblich herausgeputzt, wurde Mr. Drivel in das Gemach der romantischen Dame geführt. Er hatte Mühe, in dem Gemache vorwärts zu kommen, denn die Hindernisse waren so klassisch als zahlreich, darunter am augenfälligsten zwei Altäre, aus zwölf schön in Goldschnitt gebundenen französischen Romanen gebaut. Guitarren, Harfen, Klavier, Zeichnungsbretter, Staffeleien, ein Apparat zum Papierfärben, Globen und Portfeuilles bildeten einen sehr erbaulichen Wirrwar. Die Dame hatte eben in Wasserfarben ein sehr hübsches Bild der Belladonna ausgeführt, wie sie vor Anker lag – ein Gegenstand, der zuletzt die Aufmerksamkeit des sehr empfänglichen Peters fesselte und dessen Erstaunen weckte, obgleich der Ehrenmann für den Augenblick zu höflich war, um dasselbe auszudrücken.

»Nun, Peter,« begann Miß Rosa Belmont, und die Gluth ihres Antlitzes war etwas heller, als die Hitze des Tages wohl rechtfertigen mochte, »ich hoffe, mein ungezogener Diener hat Euch nicht allzusehr beschädigt, als er Euch mit seinen Fäusten bearbeitete.«

»Mich bearbeitet, Miß? Wenn Ihr glaubt, daß dieser träge Schlingel mir etwas anhaben könne – wenn Ihr dies glaubt, Miß, so bin ich auch in der That sehr zu Schaden gekommen. Es wäre mir lieb, Fräulein, Ihr würdet Euch herablassen, ihn hierher zu berufen und ihn zu fragen, wie ihm meine Bearbeitung zugesagt habe. Ja wohl da, mich bearbeiten – mich, die Beglaubigung!«

»Was sagt Ihr da, guter Peter?« entgegnete die Dame beschwichtigend, denn sie sah, daß er über etwas ärgerlich war, obschon sie sich des Gedankens nicht erwehren konnte, daß ein so kleiner Mensch von dem großen tüchtig zerdroschen sein mußte.

»Die Beglaubigung, Fräulein,« antwortete er, sich steif aufpflanzend. »Kapitän Oliphant hat Euch etwas sehr Wichtiges mitzutheilen, Fräulein, und da er das Schiff nicht verlassen kann, so hat er mich mit einem Gentleman, Namens Underdown, an's Land geschickt. Das rothgesichtige Frauenzimmer hat jedoch diesen Morgen meinem Begleiter ganz höflich die Thüre gewiesen, Fräulein, obgleich er einen Brief an Euch hatte – und ich wurde mitgeschickt, um den Beweis zu liefern, daß die Sache Ernst ist. Ja wohl da, mich bearbeiten –«

»In der That, Peter, es thut mir recht leid, daß der feige Wicht so gemein war, von seiner überlegenen Kraft und Größe Vortheil zu ziehen. Er soll mir morgen aus dem Dienste – da habt Ihr ein paar Guineen, Peter, als Schadloshaltung für die Züchtigung, die der rohe Mensch Euch zu Theil werden ließ.«

Peter nahm das Geld unehrerbietig genug entgegen, und schnellte zuerst das eine Goldstück, dann das andere von seinem Daumennagel in die Höhe. Er wiederholte dieses Manöver siebenmal, während sein Geist ungestüm auf dem stürmischen Meere der Zweifel umhergeworfen wurde, ob er das Geld auch behalten solle, da es ihm unter einer Voraussetzung, welche seiner Mannhaftigkeit so sehr zu nahe trat, gereicht wurde. Endlich waren seine Bedenken sammt dem Gelde ruhig beseitigt, und er machte eine tiefe Verbeugung, indem er zugleich trocken bemerkte, daß er sich's schon gefallen lassen könne, für eine derartige Schadloshaltung sich jeden Tag in derselben Weise dreschen zu lassen.

Die junge Dame hatte eben die Klingel gezogen, um einen Diener nach Mr. Underdown zu schicken, und denselben um die Ehre eines Besuches zu bitten, als Mrs. Dregely, mit ungeheucheltem Schrecken und viel Zorn im Gesichte – einer Physiognomie, die vortrefflich für den Ausdruck derartiger Bewegungen paßte – hereinstürzte.

»Oh, Miß Rosa, in Eurem Hause ist ein Mord begangen worden, und der Verbrecher steht vor Euch. Henry ist bewußtlos geworden, und wir können ihn nicht zu sich bringen; sein Kopf ist so groß wie ein Ciderfaß. Der Doktor wird augenblicklich hier sein. Ich bin überzeugt, der Mann stirbt, wenn er nicht jetzt schon todt ist – wir müssen den elenden Mörder festnehmen lassen. Oh, Miß Rosa, und Ihr sprecht so ruhig mit ihm; Ihr seid unser Gefangener – in des Königs Namen – Ihr wilder Schurke, Ihr.«

»Bitte, nehmt's Euch nicht so zu Herzen, Ma'am, denn mein Gegner ist nur ein halsstarriger Bursche; ein nasser Wisch wird ihn schon zu sich bringen. Ich habe blos Gerechtigkeit an ihm geübt, weil er mich so unbarmherzig zerschlagen hat.«

»Euch zerschlagen? – ha, Ihr habt ja den Mann umgebracht!«

»Er mag meinetwegen sterben oder es bleiben lassen. Ich habe zwei gute goldene Gründe für die Behauptung, daß er mich diesen Morgen ganz unbarmherzig geschlagen hat.«

Inzwischen war Miß Belmont ernstlich unruhig geworden, und Alle begaben sich nun nach dem Eingange der Halle, wo der schwere Heinz in einem Zustande wirklicher oder angenommener Besinnungslosigkeit auf dem Marmorboden lag. Man hatte ihm bereits die Hände aufgebrochen und Federn unter der Nase angebrannt. Die Umstehenden waren sehr verwirrt und erschrocken, als endlich Mr. Underdown erschien. Dieser Gentleman führte stets ein Etuis mit chirurgischen Instrumenten bei sich. Nachdem er das Gedränge ein wenig zerstreut hatte, schlug er dem Hingestreckten eine Ader und brachte ihn bald wieder zu dem Bischen Besinnung, dessen ihn die Natur überhaupt fähig gemacht hatte. Als Heinz seine Augen so weit öffnete, als die Geschwulst gestattete, schüttelte er kläglich seinen Kopf gegen Peter Drivel, betrachtete sich die heitern Gesichter der meisten Umstehenden und schickte sich an, stumm von hinnen zu humpeln.

»Es wird gut sein, Thomas, wenn du ihn nach seinem Bette bringst und ihm den geschwollenen Kopf verbindest.«

»Ist nicht nöthig, Madame Dregely – ist nicht nöthig. Ich gehe heim zu meiner Mutter. Ihr könnt mir meinen Lohn nachschicken. Ich will nicht mehr im Hause dienen, weder unter Euch, noch unter Miß Rosa. Ich gehe heim zu meiner Mutter.«

Und der zerbläuete Eisenfresser begab sich zur großen Befriedigung von männiglich nach Hause zu seiner Mutter.


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