Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel

»Wenn ein Laff' vorbeispaziert,
Die Lorgnett' sein Auge ziert,
Musternd unsern Commodore,
›Schaut den alten Commodore,
Schaut den grimm'gen Commodore –
Schaut den alten Podagristen, he, he, he!
Wie die Gicht und Kugelsaat
Seinen Rumpf zerwettert hat,
Daß er nimmer taugt zur See.‹«

»Donnerwetter!«

Von diesem emphatischen Worte aus, das wir als Ausfahrtspunkt wählten steuerten wir weiter mit vollen Segeln, gutem Wind, günstiger Strömung und oben und unten ausgesetzten Leesegeln. Den Tag, nach welchem es Becky gelungen war, den Papagei sammt seinem Käfig durch die Katze über den gichtkranken Fuß ihres Vaters, der dabei einige Klauenhiebe davontrug, ziehen zu lassen, fühlte sich der alte Commodore sehr elend. Seine Schwester hatte ihn seit einiger Zeit mit ihren Besuchen verschont, und er sah mit jedem Tage ihrer Ankunft entgegen; auch den Doktor Ginningham, der jeden Tag einsprach, erwartete er, und mit ihm eine donnernde Vorlesung wegen unverschluckter Pillen, nicht gebrauchter ekelhafter Tränke und vernachlässigter Diätvorschriften. In der That erhob sich der Commodore mit lauter Aussichten von sehr unangenehmer Natur von seinem Bette. Gegen eilf Uhr hörte man eine dumpfe Salve von Flüchen, wie das ferne Rasseln eines Artilleriefeuers, die große Treppe herunterrollen – ein Getöse, das schnell lauter wurde, bis die Thüre des Hofsalons aufflog und der alte Commodore, zu jeder Seite von einem stämmigen Bedienten unterstützt, eintrat. Der Tag war sehr schön, und die Sonnenstrahlen tanzten in dem Gemache, als zitterten sie vor lauter Freude durch die Blumen und Blätter, welche sich vor den Fenstern befanden.

Miß Matilda führte an dem Frühstücktische den Vorsitz, und Rebekka hüpfte in dem Gemache umher, augenscheinlich in eitler Bemühung, durch Leibesübung und Anstrengung das Ueberströmen ihrer Lebensgeister einigermaßen zu dämmen. Der alte Commodore war in gebührender Form nach seinem bequemen, gepolsterten Armstuhle geführt, das Kissen gut unter dem leidenden Fuße angebracht und seine ungeheure, runde Tabaksdose in den Bereich seiner rechten Hand gelegt worden. Anfangs sank er mit jenem Gesichtsausdrucke in seinen Sitz, den man gewöhnlich zeigt, wenn man versucht, die Merkmale großer körperlicher Leiden zu verbergen. Als sich der Schmerz, welcher durch die Bewegung gesteigert worden, allmählig gelegt hatte und der lustige Sonnenschein um die blanken Frühstück-Apparate tanzte, neckisch in den schattenhaften Laub- und Blumengestalten aus dem Teppich zitternd, während die würzige Luft stoßweiße durch das halboffene Fenster hereindrang, fiel sein Auge auf die zarte, hülfsbedürftige Schönheit seiner Schwester, namentlich aber auf die Personifikation der Gesundheit, der Liebenswürdigkeit und des Frohsinns auf dem Antlitze seines verzogenen Kindes. Er sah und fühlte das Gemüthliche seiner Umgebung – seine Züge wurden milder – Glück und Zärtlichkeit begannen ihr entzückendes Spiel auf seinem Gesichte – und der erste Erguß seiner neugebornen Heiterkeit machte sich in folgender ungeschlachten Weise Luft:

»Welch ein Figurenkopf für die Victoria! Wenn ich der König wäre (seit seiner Entlassung setzte er nie mehr das frühere »Gott segne ihn« bei), so würde ich das schönste Schiff, das je auf dem Wasser schwamm, bauen und es den »Engel der Schönheit« nennen. Dabei müßte mir meine Becky in voller Lebensgröße unter den Bugspriet stehen. Komm her und küsse mich, du kleiner Wildfang – aber nimm meinen Fuß in Acht, du Hexe. Komm sternwärts gegen mich an – kannst mich an meinem Steuer halten (er meinte damit seinen eingebundenen Haarzopf) und deine Arme um meinen Hals schlingen. He, nicht so fest – meinst du denn, ein alter Mann habe kein Gefühl in seinen Haarwurzeln? Doch ich weiß, du möchtest nicht um die Welt deinem Vater wehe thun – ist's nicht so, Becky?

»Nur ein Bischen, wenn er garstig ist; aber du willst heute ein guter Papa sein, nicht wahr – und Alles thun, was ich dir sage? 's geschieht Alles zu deinem Besten – wir könnten so glücklich sein.«

»Schon gut, Becky; der alte Holk soll also durch eine schmucke kleine Jacht in's Schlepptau genommen werden – ganz gut.«

»Das ist schön von dir und du bist ein guter Papa. Oh, wir hätten einen wahren Himmel im Hause, wenn Jedermann thäte, wie ich's haben will. Ich darf also den ganzen Tag Commodore sein, Vater?«

»Von Herzen gern,« versetzte der alte Gentleman wohlwollend. »Was sagst du dazu, Matilda?«

»Octavius, sie ist, weiß nicht wie viel Jahre schon, immer der Haustyrann gewesen. Wenn sie nur Mrs. Carpue, die berühmte Londoner Kleidermacherin aussuchte, sich zu einem Corset bequemte und mein Bibernellwasser gebrauchte, denn sie hat eine ungeheure Sommersprosse aus ihrer Stirne, und eine andere ist im Anzug. Wäre sie nur hierin nicht so starrsinnig, so wollte ich nichts weiter von ihr verlangen.«

»Und ich,« sagte Mr. Underdown, der mit den Konzepten einiger Pachturkunden erschien, »wünschte nichts,« als daß sie täglich zwei Stunden läse, zwei weitere studirte, und im Französischen, in der Musik, im Tanzen und im Zeichnen Unterricht nähme. Dazu noch zwei oder drei Abendstunden, damit wir ein wenig von den Klassikern Einsicht nehmen könnten.«

»Oh dieses Ungeheuer! dieser Tyrann! Aber ich bin jetzt der alte Commodore, und Jedermann muß thun, was ich haben will, in allen Stücken und überall – wenigstens überall, wo ich bin. Und dann können wir Alle so glücklich sein – wir Alle, weil ich's befehlen werde. Und zuerst soll der Vater keinen Sauschwenzel mehr kauen – fort damit!«

Und die Tabacksdose flog zum Fenster hinaus.

»Ist dies die Weise, mich glücklich zu machen – Du– Du –? Bring' mir die Dose zurück.«

»Ich mag nicht – und ich will den sehen, der sich's untersteht. Ich bin völlig satt, Miß Backysquirt zu heißen, nur weil – –«

»Meine Tabacksbüchse, du Dirne!« rief der alte Gentleman mit einer Stimme, die zwischen Brummen und Brüllen mitten inne stand. »Underdown, habt Mitleid mit einem armen, lecken, mastlosen, alten Fahrzeug; steuert in den Hof hinaus und lavirt mit meinem Taback herein.«

»Ob er sich 's untersteht!« sagte die junge Dame.

»Ihr seht meine Lage, Commodore. Ihr habt für heute das Commando aufgegeben, und man muß stets den gesetzkräftigen Befehlen des kommandirenden Offiziers gehorchen. Zudem muß ich gestehen, daß ich es recht gern sehen würde, wenn Ihr den Versuch machtet, das Tabackkauen aufzugeben und Euch blos auf das Rauchen beschränktet.«

»Er soll auch nicht rauchen,« sagte die rücksichtslose Tochter.

»Matty, mein zarter Liebling,« sprach der alte Commodore, seine Zuflucht zur Schmeichelei nehmend, »geh' in den Hof hinaus und bringe mir meine Dose. Es thut meinem Herzen so wohl, dein hübsches Füßchen in diesen Rosa-Atlasschuhen auf dem Boden trippeln zu sehen. Du hast einen Fuß – wie Jack sagte, als der weiße Elephant auf Ceylon den Missethäter zu Tod trat.«

»Meine Atlaspantoffeln gefallen dir also, Bruder? Aber du weißt, die Bacuissart standen stets wegen ihrer Hände und Füße im Ruf.«

»Zum Beispiel die des Familienhaupts,« sagte der alte Commodore, mit einem Jammerblick zuerst den eisernen Haken am Ende seines linken Arms und dann die ungeheuren Flanellbausche um sein rechtes Bein betrachtend. »Nun Matty, benütze jetzt deine kleinen Hände und Füße, um meine Dose zu holen.«

»Oh Himmel, mein Bruder, nur dies nicht. Du weißt, ich könnte sie nicht anrühren – der Geruch ist so unangenehm. Außerdem würde mich Rebekka nicht gehen lassen.«

»Ach, ich vergaß dies,« entgegnete der Baronet, ergebungsvoll in seinen Stuhl zurücksinkend.

In gleich gebieterischer Weise wehrte Miß Rebekka ihrem Vater nach dem Frühstück seinen Fingerhut voll Rum einzunehmen; aber obgleich sie so allmächtig im Versagen war, blieb sie doch sehr unglücklich im Geben, da weder ihre Schmeicheleien, noch ihre Wuth den alten Commodore bewegen konnten, seine Arznei einzunehmen. Indeß spielte sie einmal die Gebieterin des Tages, und von der Pfeife war keine Rede.

»Wie um's Himmelswillen soll ich aber jetzt diesen langen gesegneten Sonnenscheinmorgen zubringen?« rief der alte Gentleman in trauriger Vorahnung, nachdem die Frühstückgeräthe abgeräumt waren; »keinen Kautaback, keine Pfeife – keinen Grog – es ist schrecklich!«

»Ihr werdet vielleicht gut thun, diese Prachturkunde und Dokumente sorgfältig zu durchlesen, ehe Ihr sie unterzeichnet,« sagte Mr. Underdown, ihm einen ungeheuren Stoß von Papieren und Dokumenten zuschiebend.

»Lieber wollt' ich mich kielholen lassen, Downy. Seid Ihr auch mit dieser Hexe im Komplott, um mich heute zu ermorden?«

»Wir versuchen Alles, um dich wenigstens einen Taglang glücklich zu machen, Vater. Füge dich nur darein, und du wirst's so gemächlich haben.«

»Bruder, ich mache mir ein Vergnügen daraus, dir die Predigt gegen Trunkenheit vorzulesen, die Doktor Jobdowderdem am letzten Sonntag gehalten hat. Er schickte mir gestern das Manuscript und ließ dabei dir sein bestes Kompliment vermelden,« lispelte Matilda.

»Eher wollte ich mit meinem gichtischen Fuße die Blasbälge treten, während der Teufel den Schelmenmarsch aus der Orgel spielt. Wie kommt dieser Löffel dazu, gegen Trunkenheit zu predigen, da ihn schon die vierte Flasche wirft? So oft er hier speiste, hatte ich nur Schande von ihm.«

»Aergere dich nicht über Mangel an Unterhaltung, Vater, denn wir erhalten diesen Morgen Gesellschaft. Zuverlässig kommt der Doktor Ginningham mit dem Apotheker, und wie ich höre, sind drei fashionable junge Gentlemen aus London bei Mr. Rubasore, dem schmächtigen alten Gentleman, den du nicht leiden kannst, auf Besuch. Sie kommen alle, und du wirsts dann recht gemächlich haben.«

»Ich will mich peitschen lassen. –«

»Bst, Bruder! Und da wir so artige Gesellschaft erhalten, muß ich mich selbst auch präsentirbar machen. Als Mr. Rubasore das letztemal hier war, erlaubte er sich die Bemerkung, daß ich anfange, ein Bischen alt auszusehen. Wenigstens kam mir's so vor, als der rohe Mensch von matronenhafter Anmuth sprach. Aber, lieber Bruder, du bist da wirklich in einem etwas starken Lichte, und Niemand, der bei Sinnen ist und die Zehner im Rücken hat (wäre es auch nur so wenig, wie bei mir) sollte es wagen, quer in demselben zu sitzen.

»Nun, so läßt man sich's in's Gesicht scheinen, Schwester – stets das Licht in's Gesicht!«

»Bisweilen ist's besser aber setze dich mit dem Rücken dagegen – so ist's recht für Leute, bei denen der Bruch begonnen hat. Nun, Bruder und Mr. Underdown, ihr Beide mögt glauben, daß ich eine sehr thörichte Frage stelle, aber dennoch ist sie, wenn Ihr Alles wißt, nicht thöricht, sondern sehr, sehr wichtig. Erinnert Ihr Euch noch, wie ich vor zehn Tagen ausgesehen habe.«

»Ich glaube, so ziemlich; ein altmodisches Schifflein für glatt Wasser und schön Wetter – ein Bischen schlechter durch den Gebrauch, oder so – Takelwerk stets in schönster Ordnung – Massen fliegenden Tuchs – ein Bischen gebrechlich oder so im Rumpf, freilich ohne sonderliche Bedeutung – braucht frische Tünche und ein paar neue Schichten Farbe. Doch das geht bei uns armen Teufeln nicht, wenn die Haut abschießt und die Fugen in Runzeln aufspringen.«

»Von was im Namen aller Wunder sprichst du? Was haben eine verschossene Haut und Runzeln mit mir oder mit meiner Frage zu schaffen? Ihr seid ein gelehrter Mann, Mr. Underdown, und ein viel besserer Beobachter, als mein Bruder. Erinnert Ihr Euch noch, wie ich vor zehn Tagen ausgesehen habe?«

»So weit mir ein Urtheil zusteht, glaube ich, ganz so wie jetzt – zart, gut, hübsch und liebenswürdig.«

»Schönen Dank, aber sprecht Euch offen aus. Glaubt Ihr nicht, daß ich viel, sehr viel jünger aussehe, als damals?«

»Backstagen und Pumpenwasser! wie sollte das zugehen? Macht Einen das Alter jünger, und willst du, während du alt wirst, die Jugend wieder einholen? Schwester, wo hast du diesen Unsinn aufgelesen?«

»Unsinn? – Bruder, ich habe nicht mit dir gesprochen. Mr. Underdown, gebt mir Antwort aus meine Frage.«

»In der That, mein theures Fräulein, ich sehe keinen Unterschied; aber philosophisch gesprochen, muß selbst in zehn Tagen ein Wechsel stattgefunden haben, obschon er Eurer beständigen Umgebung entgangen sein mag. Indeß brauche ich einer Dame von Eurem Geiste nicht zu sagen, daß Ihr in diesem Falle just um zehn Tage älter aussehen müßt, nicht aber um zehn Tage jünger, als dies vor zehn Tagen der Fall war.«

»O Himmel!« entgegnete die Dame mit einem leichten Kreischen, dann fürchte ich, daß ich selber schlimm bin und mir der Segen Gottes fehlt.«

»Da möchte man sich in einem Kohlensiebe raiten lassen!« rief der Commodore. »Welche Mücken hat sich das Weibsbild in den Kopf gesetzt!«

»Es thut mir leid, wenn Ihr dies glaubt,« sagte Mr. Underdown sehr ernst.

»Sicher muß der Grund darin liegen, daß ich nicht auffinden kann, wo Mary Balnum lebt.«

»Geheimniß über Geheimniß! Was soll dieses Gefasel? – Im Namen des gesunden Menschenverstandes, Schwester, sag an, was hat Mary Balnum mit deinem Jüngerwerden und dem Verluste der göttlichen Gnade zu schaffen?«

»Ich weiß es nicht,« versetzte die Dame schmollend.

»Sprich, wer ist Mary Balnum?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ei das ist ebenso irreführend wie ein falsches Signal. Kannst du dich in der Sache nicht deutlicher erklären?«

»Nein, aber Schwester Oliphant weiß es.«

»Nun, und was weiß Schwester Oliphant?«

»Oh, es ist ein großes Geheimniß – ein Geheimniß, wie man machen kann, daß man jünger aussteht.«

»Das wäre ein Geheimniß für mich, Matty. Wird es auch ein Auge wieder einsetzen, diese häßlichen Narben von meinem Kadaver nehmen, oder meiner Finne beweglichere Finger geben?«

»Was du doch den Dingen für sonderbare Namen gibst, Bruder. Nein, in meinem Geheimniß ist von alle dem nicht die Rede.«

»Nun, so laß hören, worin es besteht; wir wollen dann beurtheilen, was es zu leisten im Stande ist?«

»Wie du doch auch reden magst, Bruder! Habe ich dir nicht gesagt, es sei ein Geheimniß? Ich habe viel Geld dafür ausgegeben.«

»Dacht' ich's doch.«

Und 's ist auch seinen Preis werth. Ein deutscher Prinz erhielt es von einer Person, welche in gerader Linie von der berühmten Schönheit, Ninon de l'Enclos, abstammte. Er hat es Niemand anders mitgetheilt, als mir. Nicht, daß ich es besonders brauchte, aber du weißt, etwas der Art kann man ja wohl probiren. Irgendwo muß übrigens der Fehler sitzen, und ich möchte nur wissen, wo er eigentlich zu suchen ist.«

»Wie können wir dies sagen, wenn wir nicht wissen, um was sich's handelt? Nicht einmal Underdown da kann mit all seiner Algebra und Mathematik eine Antwort geben, wenn du ihm nicht einige Data lieferst, die er zu Grunde legen kann.«

»Das ist freilich wahr – nun, ich sage Euch das Geheimniß nicht als ein Geheimniß, sondern will's Euch nur vorlesen, damit ihr mir's erklären könnt.«

Damit holte sie aus dem hintersten Winkel ihres Schreibpults ein kleines starkparfümirtes Papier hervor und las, wie folgt:

»Geheimniß der Madame Ninon de l'Enclos, die Kunst enthaltend, dem Gesichte ein jüngeres Aussehen zu geben. Nimm Schwefel –.«

»Gut für die schottische Fidel,« unterbrach sie der alte Commodore.

»Gummi Libanon und Myrrhen, je zwei Unzen; Bernstein –«

»Gut zu Tabakspfeifenmundspitzen.«

»Bernstein, sechs Drachmen.«

»Drachmen von Bernstein? Gefärbten Branntwein willst du sagen.«

»Und anderthalb Pinten Rosenwasser. Das Ganze durch Mary Balnum destillirt. Man wäscht sich dann Abends vor Schlafengehen und Morgens früh mit Kleienwasser, welches mit dieser Tinktur gemischt ist, und mit dem Segen Gottes wird man zuverlässig ein jüngeres Aussehen erhalten.«

»Und wie kannst du nur denken, du einfältige Matty, du könnest je den Segen Gottes erhalten, wenn du dein Gesicht mit so theuren garstigen Stoffen beschmierst?« Ich brauche kaum zu sagen, daß diese Anrede ein brüderlicher Erguß von Seiten des alten Seemannes war. »Du hast dich durch einen schuftigen Betrüger bejaunern lassen. Wahrscheinlich hast du den Spitzbuben bei deiner Schwester Oliphant getroffen? Oh, ich dachte es ja – und wie viele Guineen hast du dafür ausgegeben? Oh, Matty, Matty, um dich so betrügen zu lassen, solltest du um recht viel jünger aussehen, als bei dir wirklich der Fall ist.«

»Ich werde dir nicht sagen, was ich dafür gegeben habe,« sagte die zarte Dame, fast in Thränen ausbrechend; »denn 's ist vielleicht doch ein gutes Recept. Ich hätte meine Schwester nur fragen sollen, wo diese Mary Balnum zu finden ist; ich glaubte, daß ich die Sache ebenso gut destilliren könne, wie sie.«

»Erlaubt mir, das Recept zu lesen,« entgegnete Mr. Underdown; »Ihr dürft versichert sein, daß ich von dem unschätzbaren Geheimniß keinen Gebrauch machen werde.«

»Da habt Ihr's.«

»Ich danke Ihnen von Herzen. Finde ich's für gut, so wollen wir's an dem Commodore versuchen.«

»Das laßt Ihr wohl bleiben.«

Mr. Underdown las nun das Papier sehr bedächtig und mit großem Nachdruck, seine Gravität in bewunderungswürdiger Weise bewahrend, bis er zu den Worten kam: »Das Ganze durch das Mariae balneum destillirt.« Er behielt jedoch seinen Scherz für sich, schrieb eine Erklärung der Worte auf einen Bogen Papier, schloß das Rezept in denselben und übergab das Ganze achtungsvoll der Dame.

Voll Aufregung und mit einem schöneren Erröthen, als es je ein Kosmetikum hervorbringen konnte, erhob sich Miß Matilda und verließ hastig das Zimmer, denn sie dachte sich, ihr alter Freund habe endlich seine frühere Gelübde an ihre Schwester Agnes vergessen und ihr selbst eine Liebeserklärung gemacht.

»Hallo, da lenßet sie hin; wahrhaftig, das ist eine Schönheitswasche für Euch. Oh, Underdown, Ihr alter Schelm, Euch gelingt das Jungmachen besser – begreiflicherweise stets mit dem Segen Gottes – als irgend einer Mary Balnum, wo sie auch sein mag. Wenn Ihr sie gewinnt und heimführt, so sage ich mit Herz und Seele Ja dazu – sie könnte ihre Tausende nicht besser anwenden. Und ich selbst will noch ein Paar dazu thun, ohne daß dieser kleine Balg da deshalb schlimmer fährt.«

Mit diesen Worten hakte er seine Tochter zu sich und schmatzte sie tüchtig ab.

»Du siehst jetzt, Vater, wie glücklich du bist, wenn du thust, was ich dir befehle. Du mußt mich jetzt dieses garstige Eisen abnehmen und deine Gesellschaftshand mit dem weißen Handschuh anschrauben lassen. Thue es, sei ein guter Papa.«

»Alles, was du willst, Becky, nur gib mir meine Tabacksdose.«

Alle weitere Erörterung dieses zarten Punktes, wie auch der beabsichtigte Wechsel in Betreff der Extremität des linken Armes, wurde nun durch Mr. Rubasore unterbrochen, der mit drei jungen, sehr geckenhaft gekleideten Gentlemen eintrat.

»Ah! Sir Octavius,« begann der Gast in gedehntem Tone, »ich fühle mich ganz unglücklich, bemerken zu müssen, daß das Gerücht, welches man allenthalben vernimmt, wahr ist. Ihr brecht schnell – sichtlich schnell zusammen.«

»Wer immer Euch dieß gesagt haben mag, ist ein ehrloser, unverschämter Lügner. Mein Befinden ist noch ganz vortrefflich, diese verdammte Gicht ausgenommen, die, wie Jedermann weiß, eine sehr gesunde Krankheit ist.«

»Wie, in dem Magen?« sagte Einer von den jungen Gentlemen, den alten Matrosen fest durch sein Glas musternd.

»Wer spricht vom Magen, junger Mensch?«

»Junger Mensch, Sir Octavius? Ich habe einen Namen, der, wenn auch vielleicht hier nicht, doch in guter Gesellschaft keinen üblen Klang hat. Mr. Tiffany, wenn ich bitten darf, Sir Octavius.«

»Nichts für ungut, nichts für ungut, Mr. Tripenny. Jeder Freund von Mr. Rubasore ist hier so willkommen, wie Mr. Rubasore selbst. Gott's Blut! Spricht man mir da von Zusammenbrechen, und ich bin doch noch ein ganz kräftiger Mann.«

»Nein, nein, Commodore – phthysisch, phthysisch – glaubt einem aufrichtigen Freunde. Das Pfeifen in Eurer Brust bei jeder Expiration geht allen Euren Bekannten zu Herzen. Wir werden Euch nie wieder flott sehen, Commodore.«

»Merkt auf Euch, Rubasore – Alles dieß mag sehr rücksichtsvoll von Euch sein – ganz besonders rücksichtsvoll; aber ich will verdammt sein, Sir, wenn ich einen Gefallen daran habe.«

»Ich möchte Euch nicht um die Welt beleidigen, Sir Octavius, aber spürt Ihr nicht bisweilen ein wenig – ein klein wenig Schwindel im Kopf? Ein schrecklicher Hieb, dieser da auf Euer occiput und Euer os frontis. Das Gehirn kommt dadurch der Augengegend furchtbar nahe. Das Schwert, welches diese Narbe hinterließ, hat tief geschnitten.«

»Ich will Euch bemühen, ein Bischen über dem Anker zu bleiben, oder merkt wohl – –«

»Nicht um die Welt, Commodore. Die Franzosen haben Euch bereits hinreichende Merkzeichen gegeben.«

Während dieses Wortgefecht unter den beiden Hauptpersonen vorging, hatten sich die drei jungen Gentlemen auf die blinde Seite des Commodore gemacht, und ergingen sich in so vielen Kapriolen, wie etwa der Lieblingsaffe einer gnädigen Frau, indem sie hauptsächlich die Geberden unsers achtbaren Helden mehr mit Nachdruck, als mit Anmuth nachahmten. Mr. Underdown schien das Gespräch keiner Aufmerksamkeit zu würdigen, und versenkte sich tief in eines jener großen Pergamente, durch welche die Advokaten zu Vermögen kommen – obschon man hin und wieder bemerken konnte, daß er ein wachsames Auge über seine Buchstaben wegschießen ließ.

Aber wo war Miß Rebekka? Außerordentlich beschäftigt. Vergebens hatten die drei jungen Zierbengel alle ihre kleinen Künste aufgeboten, um den schönen Wildfang in ihre Nähe zu locken oder sie in ein fortlaufendes Gespräch zu verstricken. Alle ihre Antworten waren abgebrochen und – trotz unserer Vorliebe zu ihr müssen wir es gestehen – um einen halben Grad schlimmer als unverschämt; wäre nun der andere halbe Grad ihres beleidigenden Wesens begriffen worden, so würden sie eben so witzig und pikant gewesen sein, wie ein kleiner Autor, der sich eben durch Vermittlung eines Werkes von sehr geringem Verdienste, das von einer kleinen Gesellschaft gefeiert wird, ein wenig Ruf erworben hat.

Rebekka war beschäftigt. Sie haßte Mr. Rubasore mit all' dem freimüthigen Grolle eines offenen, edlen und ungestümen Charakters – jener Eigenschaft, welche Doktor Johnson zu dem Ausspruche veranlaßte, er liebe einen guten Hasser. Sie konnte ihn nicht leiden, weil er ihren Vater quälte, und zwar obendrein noch mehr quälte, als sie selbst es that; desgleichen haßte sie ihn, weil sie aus seinem Munde nie eine gutmüthige Rede, überhaupt an der ganzen Person nie den Wunsch bemerkt hatte, es seiner Umgebung angenehmer und behaglicher zu machen. Hierzu kam noch, daß sie die Gewalt seiner Zunge fürchtete. Denn er besaß die Kunst, ihre rohen und kecken Antworten mit sarkastischer Geschmeidigkeit hinzunehmen, sie mit dem Gifte seiner Spottsucht zu bestreichen, und dann wie eben so viele, mit Widerhaken versehene Pfeile zurückzuschicken. Trotz ihrer Jugend sah sie wohl ein, daß die Zunge nicht die Waffe war, von welcher sie Gebrauch machen durfte, wenn sie erfolgreich gegen ihn ankämpfen wollte.

Nun war Mr. Rubasore ein jung-alter Gentleman von ungefähr achtundvierzig – ein Junggeselle, sehr selbstsüchtig und für einen bloßen Landgentleman nicht übel unterrichtet. Dem Commodore gegenüber bildete er einen möglichst großen Kontrast. Die Persönlichkeit des Erstern habe ich bereits geschildert, weshalb ich mir jetzt erlaube, meinem Leser Mr. Rubasore vorzustellen, der ein sehr schmächtiger Mann war und nie an irgend einem Theile seines Körpers eine tiefere Wunde hatte, als sie etwa durch das Ritzen einer Stecknadel herbeigeführt werden konnte. Man wußte von ihm, daß er nie in Zorn gerieth, aber auch nie völlig zufrieden war. In jener Periode trugen elegante Gentlemen über dreißig den Haarzopf – ein Anhängsel, in welchem sich zwischen Mr. Rubasore und dem alten Commodore der allergrößte Unterschied herausstellte. Der des fechtenden alten Seemanns war so dick, wie ein Mannsarm, kurz, unmanierlich geflochten und mit einem breiten, in der Regel schmutzigen, schwarzen Bande umschlungen. Er stach steif hinaus und sah so ziemlich aus, wie der geschwärzte Handgriff einer Sauce-Pfanne – eines Gegenstandes, der wohl in jeder europäischen Küche gefunden wird – an der Extremität am dicksten; aber dennoch hatte der Commodore eine große Vorliebe für seinen Zopf.

Mr. Rubasore's Kopfanhängsel war lang und gertenartig, nicht sehr dick an der Wurzel, und wurde, ungleich dem des Commodore beim Hinuntersteigen über den Rücken immer schmaler und zierlicher. Er war mit studirter Genauigkeit von einem glänzend schwarzen, schmalen Bande umwickelt, welches ein Zoll über dem Ende in einer hübsch geformten Doppelmasche schloß. Aber eben dieser unterste Zoll war Mr. Rubasore's Ruhm, denn von allen Füßen und Zollen seines sehr langen Körpers that er sich auf diesen am meisten zu gut. Die weißen Haare sahen übermüthig aus dem Zwange des Bandes heraus und theilten sich dahin und dorthin, so daß jedes einzelne Haar seine eigene Kurve bildete. Das Ganze war so geschickt gehalten, daß man jenes Ende kaum eine Quaste sich kräuselnden Haares nennen konnte, denn man dachte dabei eher an einen aufquellenden Heiligenschein, der durch eine Ebenholzröhre geführt wurde und sich in spiralförmigen Lichtstrahlen vertheilte. Das war ein Zopf! Und Mr. Rubasore bildete sich auch ein Großes darauf ein. Aber daß eine solche Zierde ein Opfer werden sollte – und noch obendrein durch einen kleinen, ungezogenen Wildfang, wie Becky Backy!«

Sobald Miß Becky die schmächtigen Beine des von seinem Pferde steigenden Mr. Rubasore auf der einen, und dessen Zopf auf der andern Seite pendeln sah, so eilte sie zu einem ihrer Verbündeten (denn sie hatte bereits zuvor wegen des Zopfes im Stallhofe Rath geschlagen), zog ein Paar alter, verschmierter Handschuhe an und versah sich mit einer sehr haftbaren Substanz, einem schnöden Gemisch von Vogelleim und Schusterpech. Der Quälgeist, welcher einer weiblichen Brust so natürlich ist, sagte ihr alsbald, welchen Gebrauch sie davon machen mußte.

Als eben Mr. Rubasore unsern alten Freund auf's Empfindlichste quälte, trat sie in jenen denkwürdigen Hofsalon. In dem Scharmützel maskirt feindseliger Worte achtete man anfangs nicht auf sie, weshalb sie sich hinter die Lehne von Mr. Rubasore's Stuhl stellte und ihr Gesicht fast in Berührung mit dem des häutigen Plaggeistes brachte, den sie durch ihr Lächeln zu ermuthigen schien. Der alte Gentleman, welcher sich in der Nähe so vielen jugendlichen Liebreizes recht behaglich fühlte, ließ sein bleiches Gesicht von Zeit zu Zeit, als geschehe es aus Zufall, die flaumenweiche Wange berühren, welche in so verführerischer Nachbarschaft lag. Die kleine Verrätherin schien sich über diese erschlichenen Liebkosungen zu freuen, knetete aber zu gleicher Zeit die zähe Masse, welche sie sich im Stallhofe verschafft hatte, in den Heiligenschein desselben Zopfes, welcher der Ruhm des heimlich verliebten alten Junggesellen war. Nachdem Alles gehörig ausgeführt war, flüsterte sie ihm in's Ohr: »Gebt es nur dem Papa recht,« verließ dann ruhig das Zimmer, zog ihre Handschuhe aus und erschien wieder, noch ehe sie vermißt wurde – noch obendrein mit Händen, welche bei einem Unbande, wie sie war, als außerordentlich rein erscheinen konnten.

Man glaubt vielleicht, dem Mr. Rubasore sei doch recht hart mitgespielt worden, aber es war in der That weiter nichts, als die lex talionis; denn er hatte die drei Stadtgentlemen nur in der liebenswürdigen Absicht mitgebracht, den alten Commodore zu necken. Daß sie ihn aufgebracht, und zwar recht bald aufgebracht hatten, wissen wir bereits; wie ihnen übrigens ihr Zweck überhaupt gelang, werden wir bald sehen.

Horch! eine Equipage mit ein paar Pferden hält unter nachdrücklichem Krachen an der Hallenthüre. Das Gewühl, welches sich vernehmen läßt, bekundet die Ankunft einer bedeutenden Person. In der That ist aber auch etwas recht Wichtiges angelangt – nämlich der Doktor Ginningham. Doch nein, mein lieber Doktor – bei jeder Locke Deiner auf's schönste gekräuselten Perücke, wir wollen nicht so achtungswidrig gegen dich verfahren, um dich mit deiner Kunst und Weisheit am Ende eines Kapitels zu schildern.


 << zurück weiter >>