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Sechstes Kapitel

» Ira furor brevis est.
Wie wahr dies, müssen oft wir üben
Selbst da, wo wir am meisten lieben;
Drum seid verträglich, duldet mild,
Und suchet nicht durch Groll zu heilen
Den Zorn, der sonst mit Sturmeseilen
Zu Tobsucht und Verheerung schwillt.«

Der verständige Sam.

Ich nähere mich nun der ersten Katastrophe. Der Unwille ist ein Gefühl, das jetzt nur noch selten meine Nerven durchzuckt. Ich kann mitleidig sein, bedauern und verachten, aber es sind nur noch Empfindungen, keine Leidenschaften mehr. Wenn ich mir aber den traurigen Fall meines geachteten und furchtlosen Helden in's Gedächtniß zurückrufe, so lodern die Feuer der Jugend krampfhaft in meinem Innern auf, und ich schaudere während meines Berichtes.

Zehn Tage nachdem der Commodore seinen vortrefflichen Rath in den Kaplan hineingestopft hatte, am sieben und zwanzigsten März – ja, es war am sieben und zwanzigsten – ließ sich nach vier und zwanzigstündigem dicken Nebel, nicht weit von Alderney Race das lang verfolgte französische Geschwader dicht an der Küste der Normandie, mit Cherbourg unter ihren Lee, blicken – aber es lag in Sicherheit.

Als der Nebel langsam seine flockigten Vorhänge lüftete und Schiff und Schiff mit der verhaßten, im Winde strömenden Trikolor auftauchte, mußte der Wundarzt nach der Hütte berufen werden, denn man glaubte, Sir Octavius habe einen Schlaganfall erlitten: seine Züge waren starr, seine Stellung regungslos, sein einziges Auge mit Blut unterronnen und die Adern seiner Schläfe und Stirne hoch aufgelaufen. Als der Arzt herankam und sein Handgelenk fassen wollte, um ihm den Puls zu fühlen, schleuderte ihn Sir Octavius mit Ungestüm von sich und rief: »Ich bin nicht krank, sondern toll.« Und so war's auch in Wirklichkeit. Der Meister, der Lootse, die Signaloffiziere und die Mannschaft, Alles litt unter seiner Wuth. Freilich war auch der Anblick, der vor ihm lag, hinreichend, die Philosophie eines ruhigern und geregelteren Geistes, als der des alten Commodore war, auf eine schwere Probe zu stellen. Die feindlichen Streitkräfte, welche jetzt durch ein weiteres Linienschiff vergrößert waren, standen unter Gemachsegeln zwischen dem englischen Geschwader und der Küste, eine eigentliche Flotte gekaperter Westindienfahrer mit sich führend. Während die französischen Kriegsschiffe am Ufer hinliefen, holten sie mehr und mehr gegen den Wind um und näherten sich in eitler Großthuerei dem englischen Geschwader auf Schußweite, denn sie wußten wohl, daß es Wahnsinn gewesen wäre, wenn der Commodore mit ihnen hätte anbinden wollen, da eine halbe Bö todt gegen die mit schrecklichen Batterieen bekleideten Küste blies.

Sobald die französischen Kriegsschiffe vor der Mündung des Hafens angelangt waren, legten sie bei, und die Engländer mußten mit bitterem Aerger zusehen, wie ein Kauffahrer um den anderen, die französischen Farben über den englischen aufgehißt, in den Hafen von Cherbourg einlief und allmälig hinter dem ungeheuern Fort Pélee verschwand. Diese Operationen schienen absichtlich verzögert zu werden, um die Qual des alten Commodore zu verlängern. Es war gefährlich, sich ihm zu nähern; er wüthete – fluchte – und wie schreckliche Flüche! Zuverlässig wäre es in jener Stunde zweckmäßig gewesen, ihn seines Kommandos zu entheben, denn er befand sich in dem Zustande, in welchem die Historiker Heinrich VIII. während seiner letzten Krankheit schildern, ehe noch Jemand sich getraute, ihm zu sagen, daß es seine letzte sei.

Der Abend kam und die beiden Flotten liefen nach der Hafenmündung. Da die Fluth stark eintrat, so wurde es für das englische Geschwader unbedingt nöthig, die Segel auszusetzen und vor Dunkelheit die hohe See zu gewinnen. Es war bereits dunkel, und zahlreiche Schifferboote liefen unbeachtet zwischen den beiden drohenden Geschwadern umher, als Befehl erlassen wurde, die Segel aufzuziehen; zugleich erhielt der Zimmermann den Auftrag, die Gatter zu richten. Der Commodore, der seiner Wuth kein Ende wußte, wollte das Schiff selbst handhaben. Nie wurde der Dienst schneller und pünktlicher besorgt, aber Sir Octavius sah in allem Ungehorsam, Meuterei und Rebellion. Sobald die Luvbrassen angeholt und die Taue hinuntergerollt waren, setzte er drei seiner Lieutenants und den Meister unter Arrest, tobte gegen ein halb Dutzend seiner Unteroffiziere, schickte dann nach dem Hochbootsmann, ging nach seiner Kajüte und ließ zwei von den Midshipmen peitschen.

Dann begab er sich nach der Laufplanke und ließ Jedem, der auf der schwarzen Liste stand, wie auch Jedem, dem er ein Vergehen zur Last zu legen beliebte, die Katze geben. Ist dies wohl eine übertriebene Dichtung – und zeichne ich ein zu grelles Bild? Zur Schmach für die arme Menschheit sei es gesagt, leider nein! Geht hin und lest die Berichte jener Zeiten. Was mein Held unter dem Einflüsse der bittersten Ausreizung that, übten andere tapfere Offiziere zum Scherz und Spaße; denn wer, wenn er überhaupt mit Seeangelegenheiten bekannt ist, kennt nicht jene ekle Prahlerei eines mannhaften Kapitäns, der, wenn er an's Ufer kam, zu sagen pflegte, er habe sein Schiffsvolk als die glücklichste Bande verlassen, denn eben habe er die Hälfte davon (Hunderte von Leuten) peitschen lassen; sie fühlten sich glücklich, daß es vorbei sei, und die andere Hälfte preise sich eben so glücklich, daß die Reihe sie erst den andern Tag treffe! Wenn es, allen Gesetzen der Moral, der Religion und der Bildung zum Trotze, einen Prozeß gibt, durch welchen die Menschen in Caligulas umgewandelt werden, so war er zuverlässig hier zu finden. O der schrecklichen Menschennatur! Danken wir übrigens Gott, daß diese unselige Maschinerie, in welcher die willkürliche Gewalt die bewegende Kraft abgab, nicht länger in der Flotte besteht.

Aber unser alter Held sollte nicht ungestraft so leidenschaftlich und grausam handeln dürfen. Einzelne schreckliche Gewissensbisse wandelten ihn an und dazu kamen noch andere zügelnde Momente, die noch ärgerlicher waren. Sein Neffe, der einfältige Knabe, warf ihm von Zeit zu Zeit Blicke aller Art zu – vom Mitleid an bis zum offenen Unwillen, die allerschlimmste Methode, die der junge hochsinnige Sittenlehrer einschlagen konnte. In dem Augenblicke, während der Commodore die Geißel über seine Leute schwingen ließ, flüsterte Jemand mit Bestimmtheit in sein Ohr: »Feiger Tyrann!« und als er umher schaute, schien männiglich mit dem unangenehmen Werke, das eben vorging, beschäftigt zu sein, und die einzige verdächtige Person war der junge Astell, der an der Seite seines wüthenden Onkels stand.

Der letzte Mann war gepeitscht und die Mannschaft hinuntergepfiffen; aber den Zorn des Sir Octavius vermochte weder Trommel noch Pfeife zu beschwichtigen, und sein einziges Auge rollte grimmig umher, andere Gegenstände aufsuchend, um sie so unglücklich zu machen, als er selbst war. Jetzt entbrannte sein Busen zum erstenmal zu offenem Streit mit seinem Neffen, denn er hatte in seinen Blicken gelesen und traute ihm zu, daß das anklagende Flüstern von Niemand anders, als von ihm ausgegangen sei. Das Opfer stand dicht neben ihm, aber bisher war ihm noch nicht das Holz geboten worden, um damit das Opferfeuer anzufachen. Für ein paar verhängnißvolle Augenblicke vergaß er, daß er eine Schwester hatte. Ich bin überzeugt, daß uns Gott in der Regel am meisten straft, wenn er unsere verworfenen Wünsche erfüllt, und daß der Teufel stets ein großes Waarenlager von Lieblingssünden zur Hand hat, alle mit hübschen neuen Namen signirt, die er uns augenblicklich in die Hand gibt, sobald wir darnach verlangen. Wollen wir Rache haben? Nein, das ist nichts für uns – wir verlangen nur Gerechtigkeit. Der Haß heißt Verachtung des Lasters u. s. w.

»Oh! daß ich jetzt eine hübsche Gelegenheit hätte, meinen Groll an diesem stolzen, jungen Verächter meiner Schwäche auslassen zu können,« dachte Sir Octavius.

»Mein theurer, leidenschaftsloser, wohlwollender Sir,« sagte Beelzebub, »nenne die Sachen nicht mit falschem Namen. Warum nicht gar, Groll! Du brauchst nur dein amtliches Ansehen geltend zu machen, und überlaß es mir, dir eine Gelegenheit dazu an die Hand zu geben. Erinnerst du dich nicht, daß dir vorgestern Nacht der würdige Kaplan angedeutet hat, Mr. Astells Hängemattenmann sei betrunken gewesen, und dieser junge Gentleman, der doch darum gewußt haben muß, hat ihn nicht gemeldet.«

Nun wußte der Commodore nicht, daß der Teufel alles dieses sprach, sondern meinte, nach der Andeutung seines eigenen Verstandes zu handeln; er machte daher Halt und rief mit eigentlich schrecklicher Stimme: »Ha! kommt hieher, Mr. Astell – kommt hieher, Sir. Wißt Ihr, daß ich Euch ebensogut peitschen lassen werde, wenn Ihr es verdient, als ich Mr. Thomson und Mr. Johnson die Katze kosten ließ – Eurer gnädigen Frau Mama und Eurem stolzen Blicke zum Trotze?«

»Ich hoffe nicht, Sir. Ich bin überzeugt, Ihr glaubt nicht, daß ich es verdient habe, und selbst wenn Ihr's glaubtet, würdet Ihr es nicht thun.«

»Ha, bei Gott, ich würde es! Und nun, Sir, merkt auf mich! Sprecht die Wahrheit!«

»In unserer Familie ist lügen nicht Sitte, Sir Octavius.«

»Ist es wahr oder ist es nicht wahr, daß John Sunninghill, Euer Hängemattenmann, vorgestern Abend betrunken war?«

»Er war betrunken, Sir Octavius.«

»Und Ihr habt ihm Euren Schutz angedeihen lassen, Sir?«

»Ich bitte um Entschuldigung, Sir, von Schutz war keine Rede; ich habe bloß unterlassen, ihn zu melden.«

»Und warum, Sir – antwortet mir, warum?«

»Darf ich offen und unverhohlen sprechen, Sir Octavius?«

»Ja, Sir, offen und unverhohlen. Glaubt Ihr, ich fürchte Wahrheit und Freimüthigkeit?«

»Weil er der Sohn eines Pächters meiner Mutter ist und mir aus Liebe auf die See folgte – weil ich seiner und meiner Mutter versprochen, feierlich versprochen habe, freundlich gegen ihn zu sein – und weil ich wußte, daß die Züchtigung, welche ihm bevorstand, viel zu schwer sein werde für sein Vergehen.«

»Ah, also wirklich? Und Ihr wißt nicht, daß Ihr Euch selbst ein Vergehen habt zu Schulden kommen lassen – ein sehr großes Vergehen – weil Ihr die Betrunkenheit nicht meldetet?«

»Wenn Ihr dieser Ansicht seid, Sir, so bin ich bereit, mich dafür einer passenden Strafe zu unterziehen – das heißt einer solchen, wie sie ein Gentleman dem andern auflegen kann. Ich dachte – –«

»Ihr dachtet also – was zum Teufel wollt Ihr damit sagen? Bitte, Sir, wer gab Euch die Erlaubniß, zu denken?«

Dies war früher ein Lieblingsausdruck der vorgesetzten Offiziere gegen ihre Untergeordneten.

»Der große Gott, der Euch die Erlaubniß gab, zu athmen.«

»Wie mögt Ihr Euch unterstehen, dies mir in's Gesicht zu sagen? Unverschämter Laffe!«

»Onkel, dieses Ungestüm – –«

»Weg da mit dem Onkel – es gibt kein solches Wort in den Kriegsartikeln. Unter diesem breiten Wimpel, Sir, findet keine andere Bezeichnung zwischen uns statt, als diejenige, welche von Euch die strengste Subordination heischt. Es würde Euch nur Euer Recht widerfahren, wenn ich Euch peitschen ließe wie Eure Kameraden da.«

Ich bin nun nicht überzeugt, ob nicht etwa jetzt der Teufel dem Neffen einen gleichen Possen spielte, wie dem Onkel; denn der junge Astell hatte kaum zu sich gesagt: »Wenn es nicht thöricht wäre, den Grimm eines erzürnten Mannes zu stacheln und die Achtung zu vergessen, welche man immer der Gewalt schuldig ist – –« ließ sich der satanische Lockvogel vernehmen:

»Was meinst du damit, daß du die Dinge mit falschen Namen belegst? Es ist nichts als gebührender Stolz und edler Sinn – fordere ihn nur heraus, dich peitschen zu lassen.«

»Ihr könnt mich nie peitschen lassen,« sagte der Jüngling, den Kopf stolz aufweisend, »weil der Versuch Euch und mich schänden würde, Sir, und deshalb dürft Ihr ihn nicht wagen.«

»Ich darf nicht? – Bei dem lebendigen Gott! Ha, bei diesem geheiligten Namen schwöre ich, wenn Ihr oder ich noch eine Stunde das Leben haben, werde ich Euch peitschen lassen, und wenn Ihr zwanzigmal mein Neffe seid – ja, oder hundertmal mein Sohn wäret. Hinunter nach Eurer Kajüte, Sir; der Himmel hat meinen Eid gehört! Ihr seid Gefangener, bis die Züchtigung an Euch vorgenommen wird. Noch ein Wort, und ich lasse Euch die Handschellen anlegen.«

Der arme Augustus ging fast betäubt hinunter. Er hatte sein Todesurtheil gehört! – Er trug jetzt keinen Heldenmuth zur Schau, den er nicht fühlte, sondern war in Verzweiflung und bekannte es. Es war ihm sogar unmöglich, als Christ zu handeln und seinem Onkel zu vergeben. Aber in seiner Verzweiflung lag eine schreckliche Ruhe. Seine Kameraden boten ihm etwas Grog an; er wollte jedoch nichts nehmen. Nachdem er um ein Blatt Papier gebeten hatte, schrieb er folgende wenige Worte:

» Mutter,
»Wenn Du dies siehst, so gehe hin und fordere von Deinem Bruder Deinen ermordeten Sohn. Ich flehe zu Gott, daß er Dich segne.

Augustus Astell.«

Er weinte dann so leidenschaftlich, daß die Schrift auf dem Papier völlig verlöscht worden wäre, wenn er dasselbe nicht beseitigt hätte. Dann verbreitete sich das Gerücht in der Kajüte, daß der Waffenmeister komme, um ihn zu holen. Er trocknete hastig seine Thränen und versiegelte den Brief. Dann wandte er sich an einen seiner Kameraden und sagte:

»Danvers, der Tyrann soll mich nimmermehr peitschen lassen. Ich will ihm trotzen bis auf den letzten Augenblick. Wenn mir etwas begegnen sollte, so überliefere diesen Brief eigenhändig an Lady Astell. Du kannst ihr sagen, daß ich ihr nie Schande gemacht habe; und nun – der Ausgang liegt im Willen Gottes.«

Er drückte dann seinen Kameraden die Hände, nahm warmen Abschied von ihnen und folgte dem Waffenmeister in die Kajüte seines Befehlshabers.

Das Gesicht des Commodore war noch finsterer als zuvor; er hatte zwei oder drei Offiziere und den Kaplan bei sich. Der Hochbootsmann stand mit der Katze und der Waffenmeister mit den Banden bereit. Die Offiziere hatten sich, obschon nur sehr unklug, in's Mittel gelegt, und als der Neffe vor seinem Onkel Angesicht in Angesicht stand, sagte der Letztere nur mit heiserer Stimme:

»Entkleidet Euch!«

Ich kann kaum schreiben, denn Thränen treten mir in's Auge, die dem armen Knaben bei seinem Onkel das Wort reden. All' sein Stolz war dahin; er erbot sich zu jeder Sühne, zu jeder Demüthigung, wollte sogar aus den Knieen um Verzeihung bitten; aber der Commodore knirschte nur zwischen den Zähnen: »Mein Schwur, mein Schwur.«

Jedermann in der Kajüte weinte, nur die beiden Verwandten nicht. Sogar der grämliche alte Hochbootsmann, der seit dem Tode des letzten seiner Kinder keine Thränen mehr vergossen hatte, fuhr mit der rechten Hand über seine Augen und machte sich in seinem Geiste Gedanken, die fast wie Meuterei aussahen.

Wo war damals Mr. Underdown, der redliche Mann, der schützende Genius über dieser dem Geschicke verfallenen Familie, der milde Mentor, welcher den nur zu oft viehischen Commodore zu lenken wußte – wo war er? Seltsame, aber ohne Zweifel weise Fügung – er saß eben blaß, aber mit schnell wiederkehrender Gesundheit in stiller, entzückter Betrachtung der schönen Mutter des Kindes gegenüber, welches jetzt vor ihrem Bruder flehete und aller seiner Thatkraft zu Begehung eines schrecklichen Verbrechens aufbot – eines Verbrechens, das um so furchtbarer ist, da es sich gegen den Quell der Natur kehrt und das Einzige in dem langen und grausen Register der Todsünden ist, welches keine Zeit zur Reue und keinen Aufruf an die Gnade gestattet. Ja, in jenem Augenblicke befand sich Lady Astell in ihrem prunkvollen Besuchszimmer und unterhielt sich mit ihrem früheren demüthigen Verehrer, jetzt aber ihrem treuen Freunde, über den Gegenstand, der ihr Alles war – über ihren Sohn. Die Heftigkeit des Schmerzes über den Verlust ihrer Verwandten hatte sich gelegt, und in ihrem mütterlichen Stolze war sie entzückt darüber, daß die Grafenwürde von Osmondale einen so edlen Repräsentanten gefunden hatte. Und eben dieser Graf – o bitterer Hohn – sollte jetzt wie ein Verbrecher an der Kanone gepeitscht werden. Hätte seine Mutter dies sehen können, sie wäre auf dem Platze gestorben.

Wir müssen nun in der empörenden Scene fortfahren, welche auf der Vorderkajüte des Terrific stattfand. Als der arme Augustus fand, daß gewaltsame Hand an seine Person gelegt wurde, ermannte er sich plötzlich, und sein ganzes Gesicht wurde so blaß, wie seine Stirne, die an Weiß mit dem reinsten Marmor wetteiferte. Der Jüngling hatte sich in die Arme der Verzweiflung geworfen und war aus einem Bittsteller zum Märtyrer geworden.

»Onkel!« sagte er mit dumpfer, aber doch vollkommen deutlicher Stimme, »Ihr sprecht von Eurem Schwure, aber auch ich habe meinen Entschluß gefaßt, ehe ich dulde, daß Ihr dem Repräsentanten zweier edlen Häuser eine unwiederbringliche Schmach zufügt.«

»Keine Schmach, junger Meuterer.«

»Onkel, Ihr schändet Euch doppelt durch diese Worte. Hört mich an, denn es ist vielleicht das letztemal – die letzte Bitte, deren ich Euch je würdige. Ehe Ihr mich greifen laßt, beschwöre ich Euch bei dem feierlichen Versprechen, das Ihr meiner Mutter gegeben habt, mir zu erlauben, Euch in der Hinterkajüte ein paar Worte unter vier Augen zu sagen. Zuverlässig ist dies nicht zu viel verlangt von einem Spielgefährten Eurer Tochter.«

»Es nützt nichts, Gust – Mr. Astell, wollte ich sagen. Ich will Euch anhören – aber bei Gott, ich muß Euch peitschen lassen.«

Und hier muß ich dem alten Sünder die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er am ganzen Leibe zitterte und den in der Kajüte Versammelten der Reihe nach klägliche Blicke zuwarf. Es waren wackere, gefühlvolle, tapfere, aber nicht thatkräftige Männer. Hätte Einer davon den Fängen des Verderbers sein Opfer gewaltsam entrissen, so würde der alte Commodore die menschenfreundliche Meuterei gesegnet und hintendrein den Verbrecher stets geliebt haben.

Nach der kurzen Rede des Commodore beeilte sich der Kaplan diensteifrig, die Thüre der Hinterkajüte aufzureißen. Wie durch irgend einen heroischen Vorsatz geadelt, nahm der bleiche Jüngling den Vortritt vor seinem Kommandeur und begab sich voll Würde in die Kajüte. Der Commodore folgte ihm in düsterem Schweigen. Als sie mit einander allein waren, schloß Augustus gelassen die Thüre, faßte dann seinen Onkel scharf in's Auge und sprach ruhig:

»Onkel, glaubt Ihr an das Walten einer göttlichen Vorsehung?«

»Warum mir dies, Knabe? Was hast du vorzubringen. Da kommen jene schuftigen Franzosen um das Vorgebirge; bei allen meinen Ahnen, sie sind in halber Schußweite. Was hast du mir zu sagen? Schwatze mir nicht von Vorsehung.«

Wir müssen nun kurz die Stellung der beiden Geschwader entwickeln. Das französische schlich an der Küste hin, gegen welche der Wind in einer Richtung zublies, daß es seinen Kurs um wenigstens ein paar Striche frei anlegen konnte. Das englische hatte in paralleler Linie gesegelt, bis beide Flotillen sich dem Fort Pelée näherten; nun aber sah sich der Commodore genöthigt, wenigstens die übrigen Schiffe ein wenig vom Ufer abholen zu lassen, während der Terrific im Lee stehen blieb. Als daher die französischen Schiffe im Begriffe waren, das Vorgebirge zu umsegeln und in der Rhede von Cherbourg einzulaufen, mußten sie ihren Wind ein wenig holen und sich dem Schiffe des alten Commodore nähern. Und nun, während jeder Franzose das seichte Wasser umluvt hatte und wieder rundete, um in den Hafen einzulaufen, gaben sie der Reihe nach dem Terrific ihr Feuer, nicht in vollen Lagen, sondern mit der größten Bedächtigkeit Kanone um Kanone. Sobald die erste Kugel abgefeuert war, die dicht an den Kajütenfenstern vorbeirasselte, öffnete der alte Gentleman die Thüre der Hinterkajüte und sagte ruhig zu dem ersten Lieutenant, der in der Vorderkajüte auf Befehle harrte:

»Mr. Alsop, setzt alle Segel, die das Schiff tragen kann, und unterhaltet ein unausgesetztes Feuer auf den Feind. Laßt die Schüsse so rasch als möglich folgen, damit wir in Rauch gehüllt werden. Schickt die besten Leute an das Rad, um das Schiff voll und beizuhalten.«

Nachdem er diese Befehle ertheilt hatte, kehrte er mit vollkommener Ruhe nach der Hinterkajüte zurück, und begab sich von da in die Sterngallerie, wo er, da der Schnabel des Terrific vom Ufer abgeholt war, zu seinem Aerger das entkommende Geschwader voll im Auge hatte.

Diese kleine Neckerei machte Lärm genug, obschon sie nur zehn Minuten dauerte, während welcher Zeit der zornige alte Mann auf seinem Sterngang hin- und herschritt und sich stets in schlimmere Aufregung hetzte, bald die dreifarbigen Flaggen verfluchend, die hinter dem Fort Pelée entschwanden, bald Verwünschungen gegen seinen sogenannten meuterischen, rebellischen Neffen ausstoßend, welcher allein in der nicht mit Kanonen besetzten Hinterkajüte saß. Der Mann des Zornes musterte zuerst mit höchst boshaftem Geistesausdruck den Feind, dann seinen Verwandten.

Der arme Augustus saß in schwermüthigen Gedanken an dem Tische und hatte den Kopf auf seine Hand gestützt. Er hörte oder achtete wenigstens nicht auf das Krachen des Geschützes, und als eine feindliche Kugel durch die Kajüte flog und die Wände zerschmetterte, bekundete er durch keinen Laut oder Wechsel der Bewegungen, daß er sich dessen bewußt wurde. Beide Partieen stellten bald dieses nutzlose Feuern ein. Der erste Lieutenant kam und meldete dies dem Commodore, der es übrigens schon zuvor wußte. Sir Octavius erließ Befehl, die Kanonen fest zu machen und zum Rückzug zu trommeln. Dann näherte er sich wieder seinem Neffen, welcher sich erhob, um ihn zu empfangen, als der Commodore von dem Sterngange hereinkam. Sein Gesicht war düsterer und teuflischer, als je. Er donnerte eben gegen Augustus mit einem schrecklichen Fluche los, als er durch das abermalige Erscheinen des ersten Lieutenants unterbrochen wurde, welcher die Meldung brachte, daß das Geschütz befestigt sei und das Schiff vom Lande abfahre.

»Und welche Beschädigungen haben wir diesen feigen, schleichenden französischen Wichten zu danken?«

»Drei Schüsse in den Rumpf, Sir Octavius; auch ist das große Stengenstag abgeschossen und das laufende Takelwerk ein wenig beschädigt.«

»Haben die Spieren nothgelitten?«

»Nein, Sir Octavius.«

»Gott sei Dank! Die Vorsehung wacht über den Interessen der Religion und der Unterthanentreue. Diese königsmörderischen Franzosen können nichts ausrichten gegen Seine britische Majestät, die Gott segnen möge.«

»Ich bedaure übrigens, berichten zu müssen, Sir Octavius, daß ein Mann geblieben ist und fünf schwer verwundet wurden.«

»Bloß Zufälligkeiten des Kriegs – die Spieren sind doch unbeschädigt.«

»Sollen wir zum Grog pfeifen, Sir Octavius?«

»Nein, Sir, nicht, ehe ich meine kleine Angelegenheit mit diesem jungen störrischen Schufte bereinigt habe.«

Diese höflichen Beiwörter galten dem Neffen, welcher die dritte Person in der Hinterkajüte war. Der erste Lieutenant stand einige Augenblicke regungslos, harrend der Dinge die da kommen sollten, während der Commodore auf- und abging, bald eine Leichenblässe in seinem verwitterten Gesichte, bald glühend roth von wahnsinniger Wuth. Endlich sprudelte er folgendermaßen heraus:

»Merkt auf mich, Mr. Alsop, merkt auf mich. Wir haben unsere Pflicht gethan, Sir. Wir haben diese schuftigen französischen Atheisten um die halbe Welt gejagt, und doch liegen sie jetzt wohlbehalten in ihrem stinkenden Pfuhl von einem Hafen vor Anker. Mögen sie sammt ihren Schiffen darin verfaulen! Aber da sind sie jetzt – und mit wenigstens zwanzigen unserer Kauffahrer in Sicherheit.«

»Fünfundvierzig, Sir Octavius. Ich habe selbst fünfundvierzig gezählt, Sir.«

»Gut; kann sein, Sir. Aber zum Henker, Sir, nennt Ihr dies Subordination, daß Ihr Eurem Befehlshaber widersprecht? Wenn wir auch sagen, Sir, es seien dreißig, so haben wir doch unsere Schuldigkeit gethan. Freilich, Sir, diese zwanzig oder dreißig – vermuthlich hat der Meister die kleinere und wahrscheinlichere Zahl in das Log eingetragen – ich wiederhole, Sir, diese zwanzig Kauffahrer werden zwar jetzt ein großer Verlust für das Land sein, aber dennoch haben wir unsere Schuldigkeit gethan.«

»Darüber kann kein Zweifel obwalten, Sir Octavius.«

»Ja, Seine Majestät, Gott segne sie! und die Admiralität – möge sie verdammt sein – und das Land, bah, dieses Lumpengesindel! – nein, keines davon soll sich erdreisten, zu sagen, ich hätte meine Pflicht nicht gethan.«

»Zuverlässig, Sir Octavius.«

»Ist es so, Mr. Alsop? Und wohlgemerkt, ich will sie auch jetzt noch erfüllen, Sir. Ich werde diesen jungen Gentleman peitschen lassen.«

»Sir – r – r!« rief der erstaunte erste Lieutenant, um ein paar Schritte zurückweichend.

»Ihr hört es, Sir, ich werde ihn peitschen lassen. Der Hochbootsmann, der Quartiermeister und die Bande sollen in der Vorderkajüte bereit sein. Ist das nicht ein verständlicher, klarer Befehl?«

»Sir Octavius, wenn ich ganz demüthig, ganz unterwürfig und durchaus unumgänglich« – der erschütterte erste Lieutenant haschte nach Beredsamkeit und wählte deshalb die längsten Worte, ohne deren Sinn zu begreifen – »durchaus unumgänglich bemerken darf, daß Kugeln im Ernste abgefeuert wurden – mehrere Breitseiten, Sir Octavius – es ist Leben verloren gegangen und Blut geflossen – in Wahrheit. Sir Octavius, wir sind im Gefecht gewesen, und seit ich in Seiner Majestät Flotte diene, was, die Dienstzeit des Knaben und Mannes zusammengerechnet – ungefähr – laßt mich sehen –«

»Stille. Sir!«

»Ich wollte nur bemerken, Sir, daß nach im Ernste abgefeuerten Schüssen Bestrafung –«

»Gehorcht!« brüllte der Commodore, mit dem eisernen Haken seines Armes ungestüm auf den Tisch schlagend.

Mr. Alsop zog sich hastig zurück und hatte kaum die Thüre hinter sich gedrückt, als er in einen so schrecklichen Fluch, in welchem sich das Wort Tyrann deutlich vernehmen ließ, ausbrach, daß der Kaplan sagte, sogar seine Haare seien ihm zu Berge gestanden. Es mußte daher ein sehr schlimmer Fluch gewesen sein. Leute von zornmüthigem Temperamente wissen nur zu gut, welch' ein wildes Entzücken, welche diabolische Lust in dem wilden Laufe ihres Grimmes liegt; Letztere gleicht dem Triumphe, ein wildes Pferd durch einen noch wilderen Sturm zu reiten, und bildet einen zwar verbrecherischen und verächtlichen, aber dennoch hohen Genuß, obschon hintendrein, wenn Einer nicht gerade völlig wahnsinnig ist, Reue und die bittersten Gewissensqualen kommen. Der Herrschaft dieser häßlichen Leidenschaft hatte sich nun der Commodore ganz und gar hingegeben. Ja, man kann mit Wahrheit den Zorn einen Hunger nennen, den Heißhunger einer verderbten Seele, die ihre Beute haben will.

»Mr. Astell, seid Ihr vorbereitet, die Strafe zu erstehen, die Ihr durch Euer meuterisches Benehmen über Euch verhängt habt?«

»Jede Strafe, selbst die des Todes – so ferne sie mich nicht mit Schmach überhäuft.«

»Bah, junger Herr, zehn Dutzend werden Euch nicht schaden.«

»Ein einzelner Streich vernichtet mein Leben.«

»Wir wollen sehen – wollen sehen.«

»Ihr werdet es nie sehen.«

»Ruhig da mit solchen Großsprechereien, Sir. Die Stunde ist fast um, und mein Schwur noch nicht erfüllt. Ihr habt mich hieher gerufen, um mir unter vier Augen Euer Gesuch vorzubringen – sprecht.«

Was nun zwischen dem Onkel und dem Neffen vorfiel, weiß Niemand; denn das Gespräch, das bisher in lautem Tone geführt wurde und deutlich durch die dünne Scheidewand gehört werden konnte, schien plötzlich aufzuhören.

In der Zwischenzeit hatten sich der erste Lieutenant, der Hochbootsmann mit seiner Katze, die Quartiermeister mit ihren Banden, und drei oder vier Offiziere in der Vorderkajüte versammelt, dem Ausgang des Streites zwischen den beiden Verwandten entgegensehend.

»Schwefel und blaue Bohnen!« sagte Mr. Alsop, der erste Lieutenant, zu dem Kaplan. »Pfarrer, warum leidet Ihr dies? Ihr könnt Eure salbadernden Lippen nahe genug an das Ohr des alten Backysquirt legen, wenn es eine garstige Geschichte zu hinterbringen gibt, aber nun habt Ihr keine Sylbe, um die alte Eisenfaust zu hindern, damit sie nicht ihr eigenes Fleisch und Blut peitschen lasse.«

»Hum! ah! ich darf mich nicht darein legen. Der Baronet liebt den Jüngling, und deshalb züchtigt er ihn.«

»Flüssige Lava auf eine solche Lüge! Ihr wollt ein Mann des Friedens sein – nein, zum Teufel mit Euch. Pfui, pfui über Euch, Pfarrer!«

Dieses Gespräch fiel bei Seite und nur im Kreise der Offiziere vor.

»Ich kalkulire eben,« sagte der Hochbootsmann, seine Seitenlocke achtungsvoll gegen den ersten Lieutenant drehend, »wenn ihn die Peitsche nur ein einzigesmal berührt, Sir – oh, Himmel! es wird sein Herz brechen, und er überlebt's um keine Stunde.«

»Da ist auch sein Hängemattenmann, Sir, den er mit aufs Schiff gebracht hat: dieser brüllt wie ein Ochse auf dem Halbdeck und verlangt, der Commodore solle ihn peitschen lassen. Er will über Bord springen, wenn man Hand an Mr. Astell legt.«

Diese Mittheilung geschah von Seiten eines der Quartiermeister.

Nun trat ein »alter Marinesoldat,« der älteste Quartiermeister des Schiffes, welcher die Bindseile im Arm trug, vor.

»Mr. Alsop,« sagte er in der achtungsvollsten Weise, »ich bin etlichundsechzig Jahre alt, und der Rücken eines alten Mannes, dessen Gesicht so oft dem Feinde getrotzt hat, sollte nicht vor der Katze entblößt werden. Aber doch, wenn sich's thun läßt, so wünschte ich, Ihr ließet es den alten Sir Hoctivius wissen, daß ich für jeden Hieb, den er seinem Neffen zu geben gedenkt, ein volles Dutzend auf mich nehmen und es ihm noch obendrein Dank wissen will. Ja, das will ich, beim heiligen Joseph!«

Und damit warf er die Bindseile durch die Stückpforte hinaus.

»Nun, da gehen sie hin,« sagte der Bootsmann. »Möchte wissen, ob sie mit diesem Wind und der Fluth den Hafen erreichen. Schade, daß sie keinen Kameraden haben. Nun, so geh auch hin, Midshipmanskatze – rothes Tuch summt Franzen und Allem – und leiste Gesellschaft.«

Und er warf die neunschwänzige Katze den Bindseilen nach.

»Was treibt Ihr, Mr. Sorsbey?« rief der erste Lieutenant. »Das kann ich nicht dulden.«

»Nun, man kann mir ja dafür zu Leibe gehen, wenn's sein muß.«

Was noch weiter gesprochen worden wäre, muß für immer Unbekannt bleiben, denn in diesem Augenblicke ließ sich ein Getöse in der Hinterkajüte vernehmen. Dann klirrte es wie von niederfallenden Glasscheiben, und aus dem Munde des Commodore ließ sich der laute Ruf: »Hilfe!« vernehmen.

»Der Junker reibt die Nummer seines Tisches aus,« sagte der Hochbootsmann.

»Geschieht dem Alten recht,« murmelte mehr als einer von den Matrosen.

Die Offiziere stürzten augenblicklich in die Hinterkajüte, wo sie den Tisch umgeworfen und die Fenster zerbrochen, die Kajüte selbst aber leer fanden. Gleichwohl hörten sie ein heftiges Kämpfen und Plätschern an dem Rudertuche, und als sie über den Stern des Schiffes blickten, sahen sie den alten Commodore, dessen eiserne Hakenhand sich in die Ruderkette verfangen hatte, während sein Kopf fast in gleicher Höhe mit dem Wasser stand und jeden Augenblick von Wellen, die ihm den Athem benahmen, übergossen wurde; wenn er aber sprechen konnte, so rief er so laut, als das Salzwasser, welches er aus seinem Munde sprudelte, gestatten mochte:

»Legt bei – laßt die Boote nieder – hakt mich von dieser verfluchten Kette los. Ich kann ihn noch retten. Armer Gust! Lieber Gust! – hole aus – um deiner Mutter – um deines elenden, armen Onkels willen!«

Mr. Alsop begriff augenblicklich, was da vorgegangen war; er eilte auf das Verdeck, legte bei und ließ beide Schanzboote nieder. Eines derselben nahm augenblicklich den Commodore auf, und dann schickten sich beide gemeinschaftlich an, den Grafen von Osmondale aufzusuchen, ohne jedoch ein günstiges Resultat zu erzielen. Die Nacht war jetzt hereingebrochen, der Terrific befand sich an der Leeküste eines feindlichen Landes, und die Fluth war stark eingetreten. Man wäre deshalb muthwillig dem Tode in den Rachen gelaufen, wenn man in der gleichen Lage verharrt hätte, und es blieb nur geringe Zeit übrig, nach dem unglücklichen Jünglinge zu spähen, da sogar schon die kurze Frist fast ein Verrath gegen die Sicherheit des Schiffes und seiner Mannschaft war. Die Ansicht, daß er versunken sei, wurde durch ein Häuflein französischer Fischer-Smacken, welche von den britischen Kreuzern keinerlei Belästigung erlitten hatten, bestätigt; denn wie viele man anrufen mochte, die Antwort lautete stets in der gleichen Weise – daß sie nämlich nichts, was Aehnlichkeit mit einem lebenden oder todten Menschenkörper gehabt, auf dem Wasser gesehen hätten.

Selbst der verzweifelte, alte Onkel begann zu bemerken, daß es Zeit zur Rückkehr war, um so mehr, da man Lichter in die Batterien herunterkommen sah. Mit einem tiefen Seufzer von Seiten der Mannschaft und einem schweren Stöhnen des alten Commodore drehten die Boote ihre Schnäbel wieder dem Schiffe zu und ließen den jungen Grafen von Osmondale vollends zu Grunde gehen, wenn er nicht bereits ertrunken war.

Bis auf die Haut mit Seewasser durchnäßt, entkräftet und fast leblos mußte der alte Commodore, als das Boot neben dem Schiffe anlangte, an Bord gehoben werden. Er bot einen gräßlichen Anblick. Mit blassem Gesicht und zitternden Gliedern, während zugleich die schwarze Binde von der augenlosen Höhle weggewaschen war, wankte er als der trostloseste Elende über dasselbe Halbdeck, von dem aus er mit größerer Gewalt als nur irgend ein morgenländischer Despot, zu herrschen gewöhnt war. Von dem Kaplan und dem Wundarzt begleitet, begab er sich unverweilt in seine Kajüte, wo er sich auf das Sopha niederwarf. Trotz der körperlichen und geistigen Erschöpfung fühlte er übrigens doch noch Kraft genug, nach dem ersten Lieutenant zu schicken, den er mit milder Stimme und in fast gebrochenen Lauten anredete:

»Seid so gut, Mr. Alsop alles Nöthige einzuleiten, damit wir gut in die offene See kommen. Morgen früh mit Tagesanbruch gebt das Signal, den Kurs nach Spithead anzulegen, indem Ihr zugleich den übrigen Schiffen bedeutet, sie sollen sich nach Kräften beeilen. Wenn ich morgen todt oder ein tobender Wahnsinniger sein sollte, Mr. Alsop, so werdet Ihr gut thun, provisorisch die Stellung eines Kapitäns einzunehmen. Das Geschwader zerstreut sich, und Ihr habt dann keinen vorgesetzten Offizier über Euch; auch kann Euch diese kurze Beförderung bei der Admiralität zu Statten kommen. Gute Nacht! Vergeßt nicht, Gentlemen (er sah dabei den Wundarzt und den Kaplan an), wenn dies meine letzten Worte sein sollten, so enthalten sie die Versicherung, daß Mr. Alsop ein tapferer Offizier, ein Gentleman und in jeder Hinsicht ein Biedermann ist. Ich würde es Euch schriftlich geben, Sir, aber ich kann keine Feder halten. Noch einmal, gute Nacht!«

Mr. Alsop verließ die Kajüte, um die nöthigen Verrichtungen vorzunehmen, und war nicht wenig erstaunt über das Wunder von Milde, dessen Zeuge er eben gewesen war.

»Das ist zu gut, um lang zu währen,« murmelte er. »Wäre mir übrigens gleichwohl lieb, er hätte seine Faust wegen des Certifikats bemüht. Provisorischer Kapitän des Terrific – gut!«

Und dann begann er mit erneuertem Eifer die erhaltenen Befehle auszuführen.

In der Kajüte ließ sich der Commodore durch nichts bewegen, Vorsichtsmaßregeln in Betreff seiner Gesundheit zu treffen. Als ihm der Wundarzt vorstellte, wie schlimme Folgen herbeigeführt werden könnten, wenn er seine nassen Kleider nicht wechsle, schauderte er blos und sagte finster:

»Glaubt Ihr, Sir, daß mein Neffe trocken liegt? Armer Augustus!«

Endlich verlangte er, allein gelassen zu werden, und da er sowohl körperlichen, als geistigen Beistand zurückwies, so entfernten sich die Pfleger des Leibes und der Seele, um ihn der Einsamkeit und der bittersten Gewissensqual, die je das Herz eines menschlichen Wesens durchwühlte, zu überlassen. Vielleicht war auch das Beste, was der alte Gentleman unter solchen Umständen thun konnte, daß er die Nacht in seinen nassen Kleidern verbrachte, denn der nächste Morgen brachte einen schweren Anfall von Podagra mit heftigem Lendenweh und reißenden Schmerzen in allen Gliedern, den rechten Fuß und die eiserne Hand ausgenommen, denn in ersterem wühlte die Gicht, während letztere nur durch etwas Rost Noth gelitten hatte. In dieser Weise eine einzige Masse körperlicher Pein, hatte er weniger Zeit, über die Qualen seines Geistes nachzudenken. Am nächsten Morgen bot er verdientermaßen den allerkläglichsten Anblick dar, denn er war weder ganz todt noch ganz wahnsinnig, und der erste Lieutenant sah sich genöthigt, noch ein wenig länger auf die provisorische Kommandeurstelle zu warten. Am nächsten Morgen hörte man durch das ganze Schiff nur das allgemeine Gefühl der Entrüstung laut werden. Die nachtheiligsten Gerüchte kamen über den Commodore in Umlauf, denn man sagte sich, er habe seinen Neffen mit dem eisernen Handspieker niedergeschlagen und ihn dann über Bord geworfen. Der Hängemattenmann des Vermißten mochte seinen Kopf nicht mehr aufrecht tragen, sondern nahm seine Zuflucht zu der eigenen Matte. Aber alle diese Gährung unter der Mannschaft war nichts gegen das Kochen, das ohne Unterlaß in der Midshipmanskajüte vorging. Dieser Anlaß erzeugte für die Beredsamkeit des Tadels mehr Metaphern, als je Demosthenes oder Cicero erfunden, wenn sie ihren Unwillen gegen Tyrannen und öffentliche Kassendiebe losdonnern ließen. Sie verdammten den alten Commodore auf's Kräftigste und mit der ganzen Salbung eines polemischen Doktors der Theologie, indem sie ihn senkrecht verfluchten von dem Scheitel seines kahlen Kopfes an, bis zu der Spitze seiner gichtkranken Zehe, und dann quer von dem Ende des Mittelfingers der rechten Hand, gerade durch die Brust und das Herz, Lungen und Leber eingeschlossen, bis zu der äußersten Spitze der eisernen Finne am Ende seines linken Armes. Kurz, er wurde durch und durch verflucht.

Die beiden Midshipmen, welche gepeitscht worden waren, sagten herrliche – sehr herrliche Dinge über den Selbstmord und erklärten, während sie sich die leidenden Theile rieben, kein Gentleman sollte ein öffentliches Gepeitschtwerden überleben; dann betheuerten Beide mit allem Nachdruck, sie wollten dem ruhmvollen Beispiele des jungen Astell folgen und über Bord springen, setzten sich aber so still und ruhig nieder, als dies die schmerzliche Natur der kürzlich erstandenen Operation nur gestatten mochte.

Wir müssen nun zu dem Commodore zurückkehren, der am folgenden Morgen mit eben so großer Hast nach ärztlichem Beistand verlangte, als er denselben am Abende zuvor finster zurückgewiesen hatte. Wir wollen uns nicht über die Leidensnacht verbreiten, die er durchzumachen gehabt hatte. Es war, als sei seine Seele in einem stürmischen Feuermeere hin- und hergeworfen worden, und jede Fiber seines Körpers zuckte vor Schmerz. Er war nicht länger der milde Commodore. In Flanell eingehüllt, eine rothe, wollene Nachtmütze auf seinem Kopfe und auf dem Sopha liegend, ließ er ein wenig nach Mittag seine ersten Offiziere antreten und empfing sie mit einem wilden, wüthenden Gesichtsausdrucke, welcher oft possierlich mit den Verzerrungen des Schmerzes und der gelegentlichen Miene der Scham wechselte, die ein stolzer Geist stets empfinden muß, wenn er eine Lüge zusammenbraut. Seine Rede lautete etwa folgendermaßen:

»Gentlemen – o diese höllische Gicht! – wahrhaftig Gentlemen, Niemand von Euch hatte soviel Wohlwollen, soviel Verstand oder soviel Muth, um ein Fürwort für den Knaben einzulegen; nicht, daß ich ihn wirklich hätte peitschen lassen wollen – Mord und Feuer! – Pfarrer, meint Ihr, ich sei wie Ihr, eine bloße Thranmasse ohne Nerven? – Führt Euern gedunsenen Leichnam ab – Ihr hattet gestern keine Sylbe für Gust, und so seid denn verdammt dafür. Ich bin ein elender, alter Mann, aber das macht im Grunde nichts; merkt daher auf mich, Gentlemen, ein Zufall ist Gust, dem armen, edlen Augustus zugestoßen – der seltsamste und verhängnißvollste Zufall von der Welt. Gentlemen, ich war zornig auf ihn – mit welchem Rechte, ist euch Allen bekannt, denn Ihr hörtet, wie er mich herausforderte, ihn peitschen zulassen. Ja, der arme Junge! er wußte wohl, daß er es thun konnte. Wie hätte ich auch mein eigen Fleisch und Blut können peitschen lassen, Gentlemen? Er war mir wie ein Sohn, Gentlemen, denn ihr wißt, er sollte Becky heirathen – Miß Bacuissart wollte ich sagen –

»Oh – h – h! Dieser unerträgliche Kreuzschmerz! Will mich denn Niemand mit einemmale vor den Kopf schlagen? – Arme Becky, arme Becky! – oh – oh – oh! Ihr wißt nicht, Gentlemen, was ich leide. Es ist Euch bekannt, daß Lady Astell, Augustus' Mutter, noch am Leben ist; wir dürfen nicht roh sein, Gentlemen, und ihr mit einemmale das Herz brechen. Wenn irgend ein Schuft hingeht, um ihr die Lüge zu hinterbringen, daß ihr theurer, ihr edler, ihr einziger Sohn über Bord gesprungen sei – Doktor, Doktor, ich ersticke! Gott verdamme Euch, Sir, ist dies eine Lage für einen Patienten, wie ich bin? – helft mir auf – tretet bei Seite, Gentlemen – laßt mir Luft – Luft! Nein, es geht nicht – Branntwein! ein Glas Branntwein!«

»Was den Branntwein betrifft, Sir Octavius, so möchte ich in aller Unterwürfigkeit die Vorstellung machen –«

»Mein lieber Doktor, nur dieses einzige Glas, und dann will ich Euch wie ein Schooßhündchen Folge leisten.«

Der Branntwein wurde getrunken und der Commodore fuhr fort:

»Das ist eine sehr traurige Geschichte, Gentlemen, und Lady Astell ist eine fürchterliche Frau. Gott helfe uns Allen! Merkt jetzt auf mich, denn ich will Euch genau mittheilen, wie dieser schreckliche Unfall sich zugetragen hat. Während unseres Privatgesprächs in der Kajüte ermahnte ich meinen Neffen, und ich glaube, ich brachte ihn so weit, daß er sein achtungswidriges Benehmen einsah, denn wir kamen zuletzt in ein ganz freundschaftliches Gespräch. Oh diese Krämpfe, diese Krämpfe. Was wollt Ihr mir mit Euren meuterischen Blicken zu verstehen geben, Mr. Bronston? Glaubt Ihr, ich lüge, Sir? – Gut, während wir mitten drin waren, begannen diese höllischen, königsmörderischen, gotteslästerlichen Franzosen auf uns zu schießen. Ich gestehe, dies machte mich ein wenig ärgerlich, und Gust sagte etwas, was mich aufs Neue reizte. Nach abgemachter Sache fühlte ich mich noch immer etwas verstimmt und ich sprach abermals vom Peitschenlassen – es war halb im Scherz und halb im Ernst, und Ihr kamt dazu, Mr. Alsop, als Ihr mir Euern Rapport erstattet – ist's nicht so?«

»Wie es Euch gefällig ist, Sir Octavius,« versetzte der gewissenhafte erste Lieutenant.

»Nicht wie es mir gefällig ist, Sir, 's ist Thatsache. Nun, Augustus und ich waren wieder allein, und nachdem ich ihm noch ein Bischen den Text gelesen hatte, kam Alles in's Reine. Ich glaube, wir drückten uns sogar die Hände – erinnere mich freilich nicht ganz genau, aber es wird wohl so sein.« Der alte Mann begann nun zu zittern und sprach so rasch, daß man ihn kaum verstehen konnte. »›Augustus‹, sagte ich, während ich mich nach dem Sterngange begab und der erbärmlichen Kugelpraxis dieser bettelhaften Franzosen zusah, ›ich denke, Gust, sie haben uns einen Schuß unter das Leeheck versetzt, und wenn dies der Fall ist, müssen wir das Kugelloch augenblicklich auspflöcken. Spring in die Schanzgallerie hinunter, Augustus, und sieh nach, ob ich Recht habe; aber übereile dich nicht.‹ Und dennoch that ers – that er's – that er's – und ich bin ein elender Mann – ich wurde nur noch für einen Moment seines schönen Haars im Kielwasser des Schiffes ansichtig – der Herr habe Erbarmen mit seiner und meiner Seele!«

Der unglückliche Onkel hielt inne, und es trat eine Todtenstille ein, Niemand glaubte ihm und er bemerkte es wohl. In diesem Augenblicke war Augustus Astell vollkommen gerächt. Nach einem kurzen Kampfe mit sich selbst fuhr der Commodore fort:

»Aus Achtung vor dem Andenken des Hingeschiedenen werdet Ihr Alles dies bekannt machen, Gentlemen, und Ihr« – er wandte sich an den Meister, welchem er mit den übrigen Offizieren Kajütenarrest gegeben und Abends zuvor wieder freigelassen hatte – »Ihr tragt in das Logbuch ein, daß während des Gefechts mit dem französischen Geschwader Mr. Astell, als er eben einen gefährlichen Dienst verrichtete, zufällig über Bord fiel und unglücklicher Weise ertrank. Ja, so ging es zu, Gentlemen.«

Nach Beendigung dieser Rede sank der Commodore erschöpft auf den Sopha zurück und wandte sein Gesicht ab, es theilweise in den Kissen verbergend. Aber sein entsetztes Auditorium zerstreute sich nicht; sie flüsterten unter einander und endlich sagte Mr. Alsop:

»Sir Octavius, es steht uns nicht zu, auch nur eine Sylbe von dem zu bezweifeln, was Ihr uns über diese Angelegenheit mittheilen zu wollen die Güte hattet, aber dennoch wird es uns einige Mühe kosten, der Angabe allgemeinen Glauben zu verschaffen – insofern – insofern – –«

Der Commodore winkte, ohne den Kopf zu erheben, mit der Hand ungeduldig gegen die Thüre.

»Insofern – das heißt, oder wie ich lieber sagen sollte, von wegen – weil Mr. Astell – just bevor über Bord sprang – fiel, wollte ich sagen – einen kurzen Brief an seine Mutter schrieb und seinen Tischgenossen Mr. Danvers beschwor, denselben eigenhändig zu überliefern.«

»Und er wird seinen Eid halten,« grunzte der alte Quartiermeister.

Als ob ein Prometheusfunken zehnfältigen Lebens die Gestalt des Commodore durchdrungen hätte, sprang er auf seine Beine und stand, trotz des Podagras, des Rückenwehs und seiner Rheumatismen, so fest aufrecht da, wie nur je in seinem Leben.

»Einen Brief – was für einen Brief?« brüllte er mit einer Donnerstimme.

»Mr. Danvers hat ihn.«

»So schickt augenblicklich nach ihm – eilt! warum ist er nicht hier?«

Mr. Danvers schlich so verstohlen und argwöhnisch in die Kajüte, wie der Fuchs, der sich genöthigt sah, in die Höhle des sich krank stellenden Löwen zu gehen.

»Den Brief her – den Brief her! Und wenn Ihr das Siegel erbrochen habt –« schrie der Commodore mit ausgereckten Händen.

»Was für einen Brief, Sir Octavius?« versetzte Mr. Unschuld, bescheiden die Augen niederschlagend und die Hände gesetzt vor sich faltend.

»Den Brief, Bursche, den Mr. Astell gestern geschrieben hat.«

»O Sir Octavius, er hat mir nie einen Brief geschrieben; wir sind uns ja immer nahe genug gewesen, um uns mündlich benehmen zu können.«

»Untersteht Ihr Euch, mit mir zu spielen? – Mr. Sorsbey, die Katze. – Ich meine den Brief, den Mr. Astell an seine Mutter schrieb.«

»Ich weiß nicht, auf was Ihr anspielt, Sir Octavius.«

»Wie könnt Ihr Euch unterstehn, Sir, bei einer so feierlichen Gelegenheit, wie diese ist, eine Lüge zu sagen – zu lügen fast über der Leiche Eures Tischgenossen? Augenblicklich den Brief her, Sir.«

»Oh, Sir, die Gelegenheit ist, wie Ihr sagt, zu hehr, als daß man sich dabei einer Lüge schuldig machen sollte. Ich erinnere mich jetzt eines Billets – ist dies der Brief, den Ihr meint, Sir?«

»Ihr erinnert Euch also, he? – Ich meine den Brief, Sir, den Euch Astell zur Beförderung an seine Mutter übergab, just bevor er zufälligerweise über Bord fiel.«

»Dieser Brief – oh, dieser Brief, Sir Octavius? Ich hoffe mit aller Unterwürfigkeit, Sir, daß Ihr nicht glaubt, ich sei im Stande, bei einer so feierlichen Gelegenheit eher eine Lüge zu sagen, als Ihr selbst, Sir Octavius. Jener Brief fiel gleichfalls zufällig über Bord, Sir

»Tod und Hölle! Wagt es ein solcher Bub, mich zu verhöhnen? Wo ist der Hochbootsmann? Mr. Sorbey, bringt augenblicklich die Katze.«

»Ihr mögt mich peitschen lassen, Sir Octavius, wenn es Euch gut dünkt, aber verlaßt Euch darauf, ich werde nicht über Bord springen,« versetzte der kleine Meuterer ganz gelassen.

»Mit Erlaubniß, Sir Hoctivihus,« sagte der Hochbootsmann mit einem Kratzfuße und einer Verbeugung des Kopfes; »mit Erlaubniß, Sir, in der gestrigen Verwirrung ist zufälligerweise die Michimiteskatze über Bord gefallen.«

»So holt die Diebskatze! – Nein – Gentlemen, entfernt Euch Alle bis auf Mr. Alsop und Mr. Danvers.«

Dann sank der Commodore fast leblos wieder auf sein Sopha. Er konnte sich wohl denken, von welcher verhängnißvollen Wichtigkeit der Brief für ihn werden mußte, weßhalb er trotz seines leidenden Zustandes Allem ausbot, sich denselben zu verschaffen. Er schickte zuerst den Exerciermeister und den schlauesten Schiffskorporal ab, um die Koffer und Verschlüsse des Mr. Danvers, dann aber jede Ritze und jeden Spalt in der Midshipmanskajüte zu durchsuchen, während der junge Herr selbst bei dem Commodore bleiben mußte. Da sich diese Nachforschung erfolglos bewies, so wurde der Midshipman am Leibe visitirt, ohne daß sich jedoch ein besseres Resultat erzielen ließ. Dann boten der Commodore und der erste Lieutenant alle nur erdenklichen Schmeichelworte auf, ohne jedoch ihren Zweck zu erreichen, denn Mr. Danvers behauptete hartnäckig, er besitze das Schreiben nicht, indem er auf weiteres Drängen angab, er habe das Blatt durch eine der Unterdeckpforten geworfen, als man ihn nach der Kajüte beschied, weil er wohl vermuthet habe, warum diese Berufung an ihn ergehe. Hiemit mußte sich der trostlose Baronet zufrieden geben. Am andern Tage ankerte er mit seinem von Wind und Wetter hart mitgenommenen Geschwader vor Spithead – der unglücklichste Mann auf dem ganzen Erdball – obgleich er ein Sohn des Meeres war, können wir doch diesen Ausdruck nicht ändern; denn zu Spithead wenigstens ist Erde unter den Wassern, was immer für Wasser anderswo unter der Erde sein mögen.

Ist nicht dieses ganze Kapitel eine große moralische Lehre für Alle, welche mit Gewalt betraut sind?


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