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Erstes Kapitel

»Denn die Gicht und Kugelsaat
Seinen Rumpf zerwettert hat,
Daß er nie mehr taugt zur See.«

Altes Lied.

»Donnerwetter!«

»Du hast deine Geschichte mit einem Fluch angefangen,« ruft der Christ.

»Du beginnst mit einem vulgären Ausdruck,« lispelt der junge Gentleman, der nur mit Entsetzen daran denken kann, man möchte ihn für gemein halten.

Und leider muß ich selbst bekennen, daß ich meine Erzählung mit einem Plagiat eröffnete. Es thut mir leid, sehr leid, daß ich durch dieses Geständniß der Entdeckung von dreiundzwanzig Kritikern Vorgriff, die mit offenem Munde danach schnappen, um mir dieses Verbrechen zur Last legen zu können. 's ist freilich schnöde Abschreiberei, denn ich darf mich von der Schuld nicht freisprechen, daß ich sieben Novellen von größerer oder geringerer Bändezahl, drei Mährchen, zwei Balladen, dreizehn Theaterstücke und eine Predigt kenne, die genau in derselben Weise anfangen – des hinterlistigen Raubes gar nicht zu gedenken, den ich an den gewöhnlichen Redensarten des Tages begehe. Denn gebietet nicht der Gatte, der spät mit weinwarmem Kopfe nach Hause kommt und der zürnenden Stirne seiner zarteren Hälfte begegnet, während ihr der Vorwurf bereits auf der Lippe zittert, wie eine Biene im Blüthenkelche – gebietet er, sage ich, nicht mit dem baßtönigen Donnerwetter Halt – und hat er nach dieser glücklichen Einleitung seines Kapitels für alle Worte und Redensarten freien Spielraum, wie ich den meinigen mir zu behaupten gedenke?

Und doch habe ich in Vertheidigung dieses lärmenden Donnerwetters Einiges zu sagen; denn obschon es gar donnernd tönt, so ist es doch kein Fluch, und in dem Sinne, in welchem man es gebraucht finden wird, ist es nichts weiter, als eine Erleichterung seines Inneren, in welchem nicht mehr Gottlosigkeit steckt, als in seinen bescheideneren, streitsüchtigen Brüdern: »Ach!« »Daß dich!« und »Oh Himmel!«

Dem jungen Gentleman mit den vergoldeten Sporen und der goldenen Mosaikkette kann ich gleichfalls die Versicherung geben, daß der Ausdruck, trotz seiner Aufgeblasenheit, keineswegs gemein ist, denn er wurde mit erstaunlichem Nachdruck von dem ersten Gentleman seiner Zeit und dem ersten Souverain Europa's, von Seiner verstorbenen Majestät, gegen einen schmutzigen kleinen Jungen gebraucht, der, als er im Spähen nach dem Stadtpostbriefträger auf die Windsor-Uniform der ohne Bekleidung sich ergehenden Königlichen Majestät traf, ihr einen zerknüllten Brief mit einem Penny in die Königliche Hand drückte.

»Donnerwetter!« sagte der Herr über das Leben und Vermögen so vieler loyalen Briten. »Donnerwetter, Junge, für wen hältst du mich?«

Es gibt keinen loyaleren Mann in Seiner Majestät Besitzungen, als mich, und man darf daher nicht erwarten, daß ich mich des Verbrechens der Majestätsbeleidigung schuldig mache, indem ich die unschuldige und sehr unwissende Antwort berichte. Die Anekdote steht bloß hier, weil sie zu meinem Zwecke paßt und den Beweis liefert, daß das Wort an sich nicht gemein ist.

Freilich muß ich nochmals bekennen, daß der Umstand, ein Buch oder Kapitel damit zu eröffnen, als Plagiat betrachtet werden kann; aber zuverlässig werden mir die Novellenleser dies zu Gute halten – denn gewiß, wenn sie sich an dem Worte stoßen, werden sie genau in der Lage von Rabelais' Riesen sein, der Windmühlen verschlucken, verdauen und dabei gedeihen konnte, aber ersticken mußte, als er in der Nähe einer heißen Ofenmündung ein Pfund Butter auf einmal zu verschlingen suchte. Zuverlässig sollten diejenigen, welche gewöhnt sind, aufgetischte Plagiate in der Form von Sätzen, Paragraphen, Ideen und Kapiteln gierig in sich zu schlucken, über ein einzelnes geraubtes Wort keinen schiefen Mund machen.

»Donnerwetter!«

Dieses donnernde Wort wurde fast im lautesten Schlüssel der menschlichen Stimme ausgestoßen – und zwar in einem großen, hohen Zimmer eines prächtigen Landhauses unfern Trestletree, Grafschaft Herts. Dieses Gemach unterschied sich im Allgemeinen in nichts von denen eines begüterten englischen Gentlemans am Schlusse des letzten Jahrhunderts, mit der einzigen Ausnahme, daß es viele Gemälde enthielt, welche sich sammt und sonders auf nautische Angelegenheiten bezogen, darunter die Portraits von Howe, Duncan, Benbow und der meisten jener Würdenträger, welche das stolze Monument des englischen Seeruhms ausbauen halfen. Unter dem übrigen Möbelwerk befand sich auch noch an einem Ehrenplatze das stolze Modell eines Achtundneunzigers, an dessen Bramstenge ein breites Commodorewimpel flatterte, während in den verschiedenen Ecken des Zimmers allerlei indianische Waffen hingen.

Dieses Gemach stand durch eine Glasthüre mit einem sorgfältig gepflegten und mit großen Rosenbeeten in Ovalform versehenen Hofe in Verbindung. Der Duft vieler Blumen von mit Vasen überladenen Gestellen machten die Luft in der Nähe der Thüre so balsamisch, daß dadurch das Arom des Tabackes, welcher im Innern deutlich zu verspüren war, fast überwältigt wurde.

In dem Augenblicke, in welchem der schreckliche Ausruf, mit dem ich diese wahrhaftige Geschichte begonnen habe, vom Stapel gelassen wurde, befanden sich in diesem Zimmer, welches der Hofsalon genannt wurde, vier Personen, mit denen ich meine Leser bekannt zu machen wünsche. Wir müssen für einen Augenblick zurückschauen, denn nach der Explosion des furchtbaren Wortes war Alles Verwirrung und Unordnung.

Schenken wir zuerst unsere Aufmerksamkeit jenem stämmigen, breitgebauten, alten Gentleman, der seinen Rücken dem Licht zugekehrt hat. Seine breite, edle Stirne ist hoch und kahl, aber ihr reiner Marmorglanz durch eine tiefrothe Narbe entstellt, welche sich von dem Scheitel bis zur linken Schläfe verfolgen läßt und sich dann an ein schwarzes Pflaster anschließt, welches die Höhle eines vormaligen Auges bedeckt. Um die Schläfe und an der Hinterseite des Kopfes befindet sich ein dichtes Gewirre von eisengrauen, lockigten Haaren, die in einen nicht sehr langen, aber ungemein dicken und etwas plump durch ein schwarzes Band zusammengehaltenen Zopf endigen. Die Züge sind vordem ohne Frage ausgezeichnet schön gewesen, jetzt aber gerunzelt und durch viele Tinten entstellt, von denen einige – mit Bedauern gestehe ich es – auf wenigstens gelegentliche Unmäßigkeit hindeuten. Das noch vorhandene Auge ist schwarz, groß und feurig, während die S gleichen Augenbraunen, die durch das beharrliche Zürnen vieler Jahre und das unablässige Blicken durch das Spähglas gekrümmt wurden, jener Gegend seines Gesichtes einen Ausdruck verliehen, den man fast schrecklich nennen konnte. Der Mund ist groß und mit schönen Zähnen versehen, aber der untere Theil seines Gesichtes deutet entschieden auf Sinnlichkeit. Im gegenwärtigen Augenblicke ist der Ausdruck seines Antlitzes nicht würdevoll, sondern grämlich, fast wie der eines alten Weibes, und zeigt unverkennbare Merkmale schlechter Gesundheit.

Fahren wir übrigens fort in unserer Schilderung dieser für uns hochwichtigen Person. Ihr bemerkt bei einer etwas unruhigen Bewegung in dem Stuhle, daß er seine linke Hand verloren, diesen Mangel aber sehr scharfsinnig durch Anheftung eines kurzen und starken eisernen Spiekers ersetzt hat. Dieser ist an dem einen Ende mit einem eisernen Haken, am anderen mit einem Tabackstopfer versehen, welcher jedoch so viel gebraucht und so schmutzig ist, daß man unmöglich sagen kann, ob er aus gewöhnlichem Bein oder Elfenbein besteht. Wenn der Gentleman aufsteht, so werdet ihr finden, daß er zwar ein großer Mann ist, aber dennoch in Beziehung auf seine Breite klein erscheint. Seine Kleidung ist sorglos angelegt und scheint von der Bürste nichts zu wissen; außerdem bietet sie nichts Merkwürdiges, wenn man nicht in der schmalen, schwarzen, seidenen Halsbinde etwas Besonderes findet, die er zu einer Zeit um den Hals geschlungen hatte, in welcher die Gentlemen gewöhnlich hohe Cravatten von gesteiftem weißen Mousselin zu tragen pflegten.

Es ist ein Invalide, denn ihr seht, daß er trotz der Hitze des Tags (es ist nämlich Mittag vorbei) einen seiner Füße in Flanell und Kissen eingebunden hat, während eine gepolsterte Krücke im Bereiche seines Armes an dem Tische lehnt. Er ist augenscheinlich übler Laune, obgleich eine unberührte Flasche Madeira in seiner Nähe und ein fast geleertes Glas kalten Grogs unter seiner Nase steht. Er hat eine gewöhnliche Thonpfeife im Munde und raucht wüthend darauf los, wobei er hin und wieder mit dem Stopfer seines gespiekerten Arms die Asche hinunterrammt. Diese Person ist der Commodore, und da er schon nahe an den Sechzigen steht, so pflegt man ihn gewöhnlich den »alten Commodore« zu nennen. Zugleich ist er der älteste männliche Zweig, der Repräsentant seiner Familie und einer der reichsten Männer im Lande, welcher sich großen Einfluß gesichert haben würde, wenn er sich fortwährend dieselbe Thatkraft bewahrt hätte, die er stets zur See entwickelte.

Er war der achte Sohn gewesen und hatte während seiner langen Lebensdauer alle seine Brüder kinderlos vor sich hinsterben sehen. Daß er Baronet war, habe ich früher nicht berührt, weil er wenig Werth auf einen Titel setzte, der ihm durch Erbschaft und den Verlust so vieler theuren Verwandten zu Theil wurde, nicht aber durch die Gnade seines Souverains für die treugeleisteten Dienste auf jenem wandelbaren Schlachtfelde, dem Ocean. Wie sehr er sich auch ausgezeichnet, hatte sich die Hofgunst doch nicht herabgelassen, ihn gleichfalls auszuzeichnen, wozu allerdings ein sehr dringender Grund vorhanden war, den der Leser seiner Zeit kennen lernen wird. Uebrigens war er stets ärgerlich, wenn man ihn als Sir Octavius Bacuissart anredete, denn der Titel » Commodore«, ungemein kurz ausgesprochen, war die Bezeichnung, in der er sich am meisten gefiel.

So fern von dem Commodore, als es die Natur des Gemaches nur gestatten mochte, saß seine jungfräuliche Schwester Miß Mathilda Bacuissart, eine etwas mehr als gereifte – ja sogar eine hinwelkende Schönheit. Sie war schmächtig, zart, etwa fünf und vierzig – und bot nun alle Kräfte ihres etwas beschränkten Geistes zu einem unaufhörlichen Kampfe mit jenem finsteren, alten Eroberer der Zeit auf – ein Kampf, in welchem der alte Sensenträger, dem Beistande des Friseurs und der Modehändlerin zum Trotze, wenigstens jeden Monat, wo nicht jeden Tag, mehr Breite gewann. Ungeachtet der zwei oder drei leichten Horizontallinien, welche ihre Stirne kreuzten, aber nur in sehr günstiger Beleuchtung von irgend einer scheelsüchtigen Person bemerkt werden konnten, und der etwas verlängerten Gestalt, welche das Grübchen in jeder Wange allmählig annahm, war sie doch ein sehr liebliches Wesen von zarter, aber gesunder Farbe, und ihr Lächeln konnte buchstäblich bezaubernd genannt werden.

Sie saß hinter ihrem Arbeitstischchen verschanzt, das gut mit verschiedenen Essenzen versehen war, um die Atmosphäre ihrer unmittelbaren Nähe gegen die gemeinen Düfte zu schützen, die in so großen Wolken aus der gemein aussehenden Pfeife ihres Bruders hervorqualmten. Ich brauche kaum zu sagen, daß sie sich mit einigen jener kleinen Künste beschäftigte, die zur Erhöhung der weiblichen Schönheit dienten. Vielleicht fragt man, warum sie sich an einem heißen Sommermittag der Widerlichkeit einer Tabackspfeife aussetzte, während doch Trestletree-Hall sonst noch so viele schöne Gemächer hatte. Die Antwort ist eben kein Panegyrikus auf meinen Helden. Es war ihr befohlen worden, zu bleiben, wo sie war, und Mathilda gehörte unter jene sanften Wesen, welche geboren zu sein scheinen, die Tyrannei des Mannes zu entwaffnen und die Unterdrücker durch die Sanftmuth ihrer Manieren und die Güte ihrer Herzen in Liebe umzuwandeln.

Gerade dem Commodore gegenüber befand sich, an dem vorerwähnten langen Tische, eine schmächtig gebaute, große und entschieden gentlemanische Person von mittlerem Alter und sehr angenehmer Gesichtsbildung, die man sogar sehr schön hätte nennen können, wenn das Antlitz nicht etwas zu lang gewesen wäre und jenes Ausdruckes der Festigkeit entbehrt hätte, den man an einem männlichen Gesichte nicht gerne missen mag. Von unterschiedlichen Papieren umgeben, schrieb er eben so wüthend daraus los, als der Baronet rauchte; aber statt der stöckischen, mißlaunigen Miene seines Gegenübers zeigte er augenscheinlich nur Merkmale der Aengstlichkeit, die sich in den hastigen, verstohlenen Blicken, welche er längs des Tisches hingleiten ließ, zur Genüge aussprachen.

Dieser Gentleman war einer der ältesten Freunde des sauertöpfigen Commodore sowohl, als seiner Familie im Allgemeinen, und hatte sich noch obendrein in der Stunde der Roth als einen recht treuen Freund erwiesen, obgleich er nie einen anderen Offiziersrang, als den eines Kapitänschreibers behauptete. Allerdings hätte er durch den Einfluß seines Freundes vor Jahren den Posten eines Zahlmeisters erhalten können, der jedoch seinen Absichten nicht zu entsprechen schien, um so weniger, da zu der Periode, von welcher wir schreiben, Zahlmeister im Allgemeinen keineswegs die gebildeten Männer waren, welche man jetzt in dieser Stellung findet.

Seit der Commodore den Posten eines Fregattenkapitäns erhalten hatte, war Mr. Underdown (denn so hieß der Gentleman) stets als Freund und Sekretär mit ihm gesegelt, obschon er in der letzten Zeit nie gestattete, daß sein Name in die Schiffsbücher eingetragen wurde, weil er nur in seiner Eigenschaft als Civilist die Mittel sah, seinem Gönner Widerstand zu leisten wenn derselbe allzu ungestüm wurde. Die Worte: »Sir, ich werde Euch verlassen,« brachten den Commodore stets augenblicklich zur Ruhe und mit einem zitternden Händedruck pflegte er dann zu murmeln: »Harry Underdown, Ihr könnt nicht so ungroßmüthig sein.«

Die wichtigste Person in dieser seltsam zusammengesetzten Gesellschaft ist jedoch noch nicht beschrieben. Sie war der Tyrann der ausgedehnten Domäne, wußte die ganze Umgebung unter einander zu bringen und trat als die Verkörperung eines allmächtigen Willens aus. Die scharfsinnige Taktik und die milde philosophische Gemüthsart des Mr. Underdown konnten ihrem Sturmdrange keine Schranke entgegensetzen; durfte man sich daher wundern, wenn die sanfte duldende Miß Mathilda nur ein Werkzeug ihrer Wünsche wurde? Aber der rauhe, alte, wunderliche Commodore mit seinem schroffen Temperamente, seiner Reizbarkeit und den Explosionen seines Schießpulver-Zorns, hatte nicht er mit all der gewaltigen Kette Ehrfurcht einflößender Attribute das Privilegium, zu befehlen, oder die Macht, seinen Befehlen Folge zu geben? – Leider, nein!

Der Leser erwartet vielleicht in Schilderung dieser Person die einer stolzen Medea, welcher Würde auf der Stirne, Entschlossenheit auf den Lippen und das wandellose Licht des Schicksals im Auge thront? Möglich übrigens, daß sich dieses antike, klassische Bild nicht zuerst seinem Geiste vergegenwärtigt und er an ein hexenartiges altes Weib denkt, das mit dem Familiengeheimniß in der einen und einem Besen in der andern Hand Alles nach ihrem Gutdünken kommandirt – an eine zweite Meg Merrilies, nur ohne ihren Anspruch auf natürliche Würde oder übernatürliche Begeisterung. Aber der Tyrann von Trestletree-Hall hatte durchaus keine Aehnlichkeit mit derartigen Gestalten und war ebenso wenig ein altes Mannweib, welche das wohl von Tausenden erwartete Privilegium hat, sich recht unangenehm zu machen. Liebe Leser, die vierte Person war nur ein kleines Mädchen zwischen fünfzehn und sechszehn Jahren, »die einzige Hoffnung und Erbin seines Stammes und Hauses« – worunter natürlich nur der Stamm und das Haus des Sir Octavius Bacuissart zu verstehen ist.

Mit einer Gestalt, welche die Dichter als sylphenartig zu bezeichnen pflegen, mit einem halben Engelsgesichte und mit Augen, die jetzt wie die Blitze des Nordlichtes zuckten und dann in all der thauigen Reinheit aufkeimender Sinnigkeit schwammen, trug sie keinen wohlklingenderen Namen, als den der Altmutter Rebekka, welcher gewöhnlich zu »Becky« verkürzt und nicht selten zu »Becky Backy« verketzert wurde.

Was Miß Rebekka Bacuissart von sich selbst dachte, ist schwer zu sagen; aber Jedermann, wer sie kannte, fand bald in ihr eine schöne Pest – einen blanken Stein des Aergernisses – ein Ding, das man zumal fürchtete, bewunderte und liebte. Wegen ihres hohen Geistes hatte man sie aus drei Kostschulen entlassen, und mit nochmal so vielen Privat-Gouvernantinnen war sie unter Beihülfe des Kratzens und Beißens fertig geworden, so daß sie sich zu der Zeit, von welcher wir sprechen, eines vollen und krönenden Sieges erfreuen durfte. Sie bot ihren ganzen unüberwindlichen Eigenwillen gegen den vermeintlich unüberwindlichen Eigenwillen ihres Vaters auf und behauptete das Feld.

Wir müssen zugeben, daß der Kampf nicht gleich war, denn obschon der gegenseitige Eigensinn ungefähr dieselbe Höhe behauptete, so stand doch im Uebrigen der Commodore sehr im Nachtheil, einmal weil die Gegnerin sehr schön war, und dann, weil er sie ungemein liebte. Er hatte mannhaft um die Oberherrlichkeit gefochten, als er jedoch finden mußte, daß er besiegt war, sich vollständig ergeben, da er nichts zur Hälfte that.

Obgleich ihre gerundeten Glieder und ihr schwellender Busen dem Flügelkleidchen neckischen Hohn sprachen, so wollte sie es doch nicht ablegen, wie sehr ihr auch Tante Mathilda zusprechen und sie darauf aufmerksam machen mochte, daß sie sich bereits dem sechzehnten Jahre nähere. Zwar hatte sie den gierigen Appetit auf Butterbrod längst verloren und die Röthe ihrer Händchen, die Winters in der Regel mit Frostbeulen bedeckt waren, gegen ein sammtweiches Weiß vertauscht; ihre Hartnäckigkeit läßt sich daher durch nichts Anderes erklären, als durch die Thatsache, daß sie einen wahren Abscheu vor Allem hatte, was wie Kunst oder Täuschung aussah. Sie rebellirte gegen alles künstliche Ordnen ihres Haares und wehrte sich standhaft gegen das Corset.

In dem Augenblicke, während der Commodore raucht und sein abscheuliches Gemische von Rum und Wasser trinkt, knieet Miß Rebekka hinter ihm, das weiße Mousselinkleidchen fast ganz durch ein braunes Latzschürzchen bedeckt, während ihre glänzenden, tiefkastanienbraunen Haare in reichen Locken über den Rücken niederfallen. Der rauchende Commodore, der schreibende Mr. Underdown und die ruhig fortarbeitende Mathilda achten nicht auf sie. Sie hat ihren schmalen, obgleich zwanglosen Leib der langen, breiten, rothen Schärpe entkleidet und ist eifrig bemüht, dieselbe in ein prunkhaftes Geschirr für die große, aber eben jetzt nicht sehr einschmeichelnd aussehende, scheckigte Katze umzuwandeln. Was kömmt wohl zunächst? Rauche fort, alter Commodore – das Schicksal verbirgt dir wohlwollend den nahen Schmerz, der fast dein ganzes Wesen erschüttern soll.

Da ich ein wahrhaftiger Geschichtschreiber bin, so muß ich bemerken, daß unsere gottlose Rebekka den verdrießlichen und stets schmälenden Papagei ihrer Tante in sein schweres, vergoldetes Käfig gesteckt und, ungeachtet aller Protestationen dieses gefiederten Zweifüßlers, der ohne Unterlaß »böse Becky, böse Becky!« ruft, das kuppelförmige Wohnhaus desselben wie einen Juggernaut-Wagen an dem rebellischen Kater befestigt hat. Die Operation ist vollendet. Sie gibt nun der Katze mit einer der Krücken ihres Vaters einen boshaften Schlag und ruft: »Mach' eine Morgenfahrt, hübscher Polly,« – und dahin geht Katze, Papagai und Käfig unmittelbar über das gichtkranke Glied des gequälten Commodore, wobei die Klauen des zornigen Grimalkin durch alle Bandagen dringen.

Die Katze kreist in wahnsinniger Angst dreimal durch das Zimmer, und der Papagai. der mit seinem Käfig hinter ihrem Schwanze überkugelt, kreischt in mißtönigem Entsetzen. Am Ende der dritten Circus-Fahrt stürzt die Katze durch das in den Hof gehende Fenster; da übrigens der Käfig zu groß ist, um durch den Rahmen zu gehen, so werden die Scheiben zerschmettert und der kreischende Papagai bleibt in dem Salon zurück, während die Katze, welche von einem gefiederten Ungeheuer gehetzt zu werden meint, mit hintennachströmendem Bande Sicherheit in den tiefen Schatten des Gesträuches sucht.

Während die neu erfundene Equipage durch das Gemach flog, wollte die unfugvolle Erfinderin fast vor Lachen ersticken. Mr. Underdown's Haare standen entsetzt zu Berge, Miß Mathilda sank ganz ruhig und anständig in Ohnmacht, und der Commodore, der seine Pfeife mit ihrem brennenden Inhalte auf dem Tische in hundert Stücke zerschmetterte, richtete sich in sprachlosem Schmerze für eine Weile bolzgerade auf. Endlich, nachdem die Katze das Freie gewonnen und der Mann des Leidens den Gebrauch seiner Zunge wieder gewonnen hatte, explodirte er mit jenem furchtbaren Worte, mit welchem ich dieses Kapitel begonnen habe und nun schließen will:

»Donnerwetter!«


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