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Zweiunddreißigstes Kapitel

Vielleicht kennt in des Himmels Herrlichkeiten
Der Heil'ge nicht des Erdenbruders Streiten,
Doch soll dein Geist mir immer nahe sein,
Des Ird'schen baar in höherem Grade rein.

Alter Dichter.

Am Abende des Tages, an welchem Mr. Rubasore zur Bürgschaftstellung aufgefordert wurde, brütete ein ungewöhnliches Düster über der Gesellschaft zu Trestletree-Hall, und obgleich sie aus fünf sonst sehr lebhaften Damen bestand, herrschte doch eine Schweigsamkeit, die sogar einer Quäckerversammlung angestanden hätte.

Ein Geheimniß von unangenehmer Beschaffenheit ist in der Regel ebenso geeignet, die Menschen verstummen zu machen, als Verwunderung Redseligkeit weckt. Man hatte Rubasore auf dem Irrthume belassen, daß der Schlag, welcher ihn betäubt zu Boden streckte, von Rebekkas Hand geführt worden sei, und wir haben gesehen, daß er die Kraft, welche sie entfaltete, ihrem unweiblichen Treiben zuschrieb. Sämmtliche Diener befanden sich in dem nämlichen Wahne, wie Mr. Rubasore, obschon sie glaubten, sie habe ihn mit dem Hefte des Dolches auf den Kopf geschlagen, den sie bei ihrem Erscheinen in ihrer Hand gesehen hatten.

Mr. Underdown hatte sich bisher enthalten, die störrische junge Dame in's Verhör zu nehmen, weil er aus langer Erfahrung wohl wußte, daß die mindeste Anmaßung von Autorität das geringe Uebergewicht, das er wirklich über sie besaß, vernichten würde. Dieser erste, in der That romantische Vorfall im wirklichen Leben – wenigstens trug er einen ziemlich schrecklichen Charakter – hatte Miß Belmont vollständig bewiesen, wie wenig sie selbst eine Heldin war. Sie zitterte den ganzen Tag in einem fort, und wenn sie hin und wieder versuchte, heiter zu erscheinen, so nahmen sich ihre Bemühungen kläglich genug aus und gingen hin und wieder sogar in hysterische Krämpfe über.

Rebekka dagegen war ungewöhnlich ruhig und gefaßt; sie saß aufrechter da und entfaltete in ihrem Gange eine fast königliche Haltung. Aber auch sie verhielt sich den ganzen Tag über sehr schweigsam, und die wenigen Bemerkungen, die sie machte, waren auffallend verständig, kurz und sachgemäß. Bei ihr brütete augenscheinlich der Verstand über dem Vorgefallenen, während bei den übrigen Damen die Ereignisse des Tages die Ordalien der Phantasie bestehen mußten.

Tante Matilda war kindisch neugierig, zu erfahren, wo Rebekka den Dolch habe und ob Blut daran sei. Rebekka bat sie jedoch, sich in Betreff beider Punkte zufrieden zu geben, denn erstlich sei derselbe gut aufbewahrt, und zweitens könne sie ihr die Versicherung geben, daß sich die Waffe ihres Wissens nicht mit menschlichem oder anderem Blute befleckt habe.

Aber woher hatte sie ihn? Wie war sie dazu gekommen?

Dies waren Punkte, die sie zu entdecken suchte.

»Wir wollen uns ein wenig mit Musik unterhalten,« sagte Mr. Underdown.

Man machte den Versuch und fand, daß Miß Belmont – »nur für diesen Abend,« wie es auf den Theaterzetteln heißt – nicht bei Stimme war; für denselben Abend jedoch spielte sie auch ganz abscheulich auf der Guitarre, und der Versuch auf der Harfe fiel noch schlimmer aus. Rebekka sah auf alle diese Experimente mit einer Miene nieder, die fast wie würdevolle Verachtung aussah. Rosa stellte mit Thränen in den Augen ihre Harfe bei Seite und setzte sich neben Rebekka nieder.

»Ich habe noch nie so schlecht gespielt,« sagte sie.

»Es ist wahr, meine liebe Rosa; es war ganz jämmerlich.«

»Das Instrument ist abscheulich verstimmt.«

»Nein, nein; ich lasse meine Harfe nicht in dieser Weise verläumden. Du bist verstimmt, und ich will dich davon überzeugen. Du sollst hören, wie ich das Musikstück spiele, das du mich letzthin gelehrt hast. ›Merk' auf mich,‹ wie mein guter Papa sagt, und dann schmähe wieder den Ton meiner Harfe, wenn du kannst.«

Sie stand auf und spielte die einfache Weise. Es war allerdings nur eine Anfängeraufgabe, aber sie führte dieselbe sicher und mit Gefühl durch. Die Anwesenden waren erstaunt.

»Ich mußte meine arme Harfe rechtfertigen,« sprach sie mit ruhiger Stimme, als sie sich wieder neben Miß Belmont niederließ.

»Und dich obendrein als eine vollkommene Heldin zeigen,« entgegnete die Letztere, indem sie dicht neben ihre Freundin rückte. »Gestern Nacht hast du mit einem Elenden um dein Leben gekämpft.«

»Das nicht gerade, meine Rosa. Aber getraust du dich,« fuhr sie flüsternd fort, indem sie sich zärtlich auf Miß Belmonts Schultern lehnte, »getraust du dich, Rosa, wenn sich die Familie zu Bette begeben hat, mich zu begleiten und jenen Elenden in dem Parke aufzusuchen?«

Der unerschrockene Vorschlag war fast zu viel für Miß Belmont. Sie schlang ihren Arm um Rebekka's Nacken und küßte sie leidenschaftlich.

»O ja; ich will mit dir gehen,« sagte sie; »aber ich werde den Tod davon haben, Rebekka.«

Sie sprach diese Worte so laut, daß sie zum Theil von Mr. Underdown gehört wurden.

»Wohin wollt Ihr gehen und wovon sollet Ihr den Tod haben?« fragte er etwas hastig.

»Oh, 's ist nichts,« versetzte Rebekka. »Ich habe Rosa nur eingeladen mit mir zu gehen und nach einem Geiste zu sehen. Aber da sie meint, es könnte ihr gefährlich werden, so nehme ich das gestellte Ansinnen zurück. Gibt es Geister, Mr. Underdown?« fuhr sie mit ihrem süßesten Lächeln fort – denn wenn Rebekka wollte, so konnte sie recht süß lächeln.

»Wenn wir den Kapitän Dribble hier hätten« (er meinte damit mein bescheidenes Ich, schöne Leserin), »so würde er Euch mit aller Bestimmtheit sagen, daß er einen gesehen habe. Ich für meine Person muß übrigens aufrichtig gestehen, daß ich nicht an Gespenster glauben werde, selbst wenn sie vor meinen Augen stünden und ich sie so deutlich sehen könnte, wie Ihr jetzt vor mir steht. Ich würde eher annehmen, mein Nervensystem sei erkrankt, als daß ich glauben wollte, die natürliche und regelrechte Kette der Ursachen und Wirkungen habe sich verkehrt, um ein Wunder hervorzurufen. Es streitet gegen die Gesetze der Natur, daß sich die Gestalten oder vielmehr die Abbilder der Todten erheben, und daß die Empfindungen, welche der Anblick lebender Wesen verursacht, auch durch das Lebenlose hervorgerufen werden sollten. Zudem haben diese angeblichen Geister selten eine entsprechende Ursache, häufig sogar nicht die mindeste für ihre Erscheinung. Und bewirkt ihr nicht, meine lieben Damen, daß ein Wunder ein Flecken, eine Unregelmäßigkeit in den herrlichen Plänen des Allwissenden wäre – ein Nachgedanke, ein Etwas, was verbessert werden mußte und nicht voraus gesehen war.

»Was könnte wohl eine so außerordentliche Maßregel, die wir in einem Wunder immer annehmen müßten, rechtfertigen? Das Auffinden eines Topfs mit Geld – die Gewißheit von dem Tode eines Freundes oder die Ankündigung des eigenen nahen Todes – wenn derartige Dinge zu wissen nöthig wären, so würde die Hand der Vorsehung die betreffende Kunde durch natürliche Ursachen herbeigeführt haben. Nein, nein, meine süßen Damen, glaubt mir, es gibt keine Geister, wir müßten uns denn selbst dazu machen, wie wir zum Beispiel heute Abend gethan haben, indem wir alle Heiterkeit und allen Frohsinn von uns verbannten. Wir wollen uns lieber mit lustigen Spielen abgeben und nicht wie Gespenster umhersitzen.«

Dieser scherzhafte Versuch fand jedoch keinen Anklang, denn Niemand rührte sich von seinem Platze, Mr. Underdown ausgenommen, obschon auch er sich wieder niederließ, sobald er bemerkte, daß Niemand seinem Beispiele folgte.

»Ich wünschte von Herzen, daß es Geister gäbe,« sagte Rebekka mit großer Bedächtigkeit.

Ein entsetzter Ausruf begleitete diese Erklärung von mehr als einer Seite.

»Warum, mein liebes Kind? Das ist ein sehr sonderbarer Wunsch,« versetzte Mr. Underdown.

»Weil ich glaube, ein Geist würde nicht unrecht handeln, wenn er zu einem Verbrechen anreizte.«

»Diese Bemerkung ist zu spitzfindig, als daß ich darauf antworten könnte. Ich müßte vorerst die Natur eines Geistes kennen, müßte wissen, durch welche Gesetze er beherrscht wird, und wem er verantwortlich ist. Da wohl Niemand im Stande sein wird, meine Frage zu beantworten, so wird es mir auch nie möglich sein, auf die Eurige Rede zu stehen. Ich habe indeß Sorge getragen, Euch gegen jede Zudringlichkeit zu sichern, wenn anders Riegel, Barren und Schlösser böse Geister fern halten können; denn ich ließ alle Thüren und Fenster doppelt verriegeln.«

Die Damen dankten ihm, nur Rebekka nicht, obgleich sie keine Unzufriedenheit ausdrückte. Bald nachher stand sie auf und sagte:

»Wohlan, Mr. Underdown, selbst Ihr müßt zugeben, daß der unbeugsamste Scepticismus Geister aller Art nicht hindern kann, sich in die Regionen der Träume einzuschleichen. Dahin will ich mich nun begeben und ihre Gesellschaft aufsuchen. Gute Nacht Euch Allen.«

»Wie doch Rebekka so gar verändert ist!« rief Matilda mit einem Schauder.

Rebekka verabschiedete sich von den Anwesenden mit einem Kusse – eine Gewohnheit, die sie nicht aufzugeben geneigt schien, und als die Reihe an Mr. Underdown kam, flüsterte er ihr in's Ohr:

»Wird mir meine theure Becky morgen nicht die Geschichte des Dolches mittheilen?«

»Ich werde nichts vor Euch geheim halten, denn Ihr seid mir mehr als Vater gewesen. Seid übrigens unbekümmert, denn ich habe fast nichts zu enthüllen. Gott behüte Euch!«

»Und auch Euch, mein geliebtes Kind.«

Bald nachher brachen auch die Uebrigen auf und begaben sich nach ihren Schlafgemächern.


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