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Zwölftes Kapitel

»Laut und geheim wird's allenthalben kund
Und Ungeduld bricht wild aus jedem Mund,
Der flugs die Mähr', kaum erst vernommen,
Mit hast'ger Gier läßt weiter kommen;
Und wer's erzählt, läßt's nicht beim Alten,
's muß einen Zusatz stets erhalten,
So daß die Zwerg' im Nu zu Riesen sich gestalten.«

Zum Glück für Lady Astell und zum großen Unglücke für unsern gichtbrüchigen Freund an Bord des Terrific, machte am nämlichen Abend, nachdem der König sich an einer gerösteten Hammelskeule gelabt hatte, Sir Rigglesby Wippersnap, ein sehr alter Hofmann und Plauderer, seine Aufwartung. Da Sir Rigglesby nie um ein Amt bat und die Ansichten, die er laut werden ließ, stets nur das Echo der königlichen waren, so hatte er die Erlaubniß, zu jeder thunlichen Stunde vermittelst einer Hintertreppe bei Ihren Majestäten einzutreten. Der königliche Geist bedarf, wie der gemeine, der Erholung. Die Kerzen waren angezündet, das Tagesgeplauder beseitigt und Sir Rigglesby entsprach dem königlichen Wunsche, indem er in einem Sechspencerubber den Strohmann gegen Ihre Majestäten nahm. Nachdem er das erste Spiel verloren und bezahlt, zugleich aber auch betheuert hatte, daß es unmöglich sei, gegen so viel vereinigte Geschicklichkeit aufzukommen, mischte er langsam, sehr langsam die Karten, als gehe er nur ungern daran, ein weiteres Sechspencestück zu wagen, die lange Weile seiner Operation durch folgende Worte kürzend:

»Haben Euer Majestät gehört – hi – hi – von den thörichten Anmaßungen dieses Sir Octavius Bacuissart – wie frech und dergleichen –«

»Gebt aus, gebt aus Riggelsby – ich sehe, abgehoben, abgehoben, abgehoben.«

»Doch nicht den Commodore? Euer Majestät halten zu Gnaden – hi – hi – 's ist boshaft von mir, in der Anwesenheit der geheiligten Majestät zu scherzen – ho, ho!«

»Den alten – alten Commodore – ab – gehoben? Wie auffallend! – So habt Ihr doch – wie wißt Ihr es – wie, wie, wie wißt Ihr es?«

»Euer Majestät halten zu Gnaden, ich wußte es nicht – wie könnte auch Euer Majestät etwas der Art glauben?« Dann wandte er sich an die Königin. »Hi – hi, der alte, gemeine« – als er sah, daß ein Bischen Schimpfen nicht übel gedeutet werden würde, so fuhr er vorsichtig fort – »ungezogene, unloyale Flegel hat wieder gedroht – ho, ho, ho – nach Hof zu kommen vor allen den Ladies – hum – schlimm – mit – ho – ohne – ganz unanständig –«

Die vier königlichen Augen öffneten sich ungemein weit, und es sprudelte nun in Schauern:

»Was, wo, wie, wann?«

»Je nun, Eure Majestät halten zu Gnaden, er rühmt sich – hi, hi! ein erbliches Privilegium zu besitzen, von Heinrich V. Eurem königlichen Vorfahren unterzeichnet, welches ihn berechtige, an Hof zu kommen, wo immer Eure Majestäten selben halten oder wann Eure Majestät speisen mögen, um einen Laib des besten Brodes und ein Stübchen Wein – ein fünfreisiges Stübchen – zu fordern.«

»Wie, wie, wie – von meinem Brod essen – und Stübchen, Stübchen, Stübchen – und meinen Wein trinken? Unsinn, Rigglesby, Unsinn.«

»Ah, gnädigste Majestät,« versetzte Sir Rigglesby, die Hand pathetisch auf seine linke Brust legend und so schwer aufseufzend, als müßte er einen Eimer aus einem hundert Fuß tiefen Brunnen ziehen, »Euer Majestät geruhen, die Sache in dem Licht zu betrachten, daß er jeden Tag zwischen dem Feste St. Cuthberts von Lindisfarne und dem Feste des heiligen Egmont in Eure Gegenwart kommen darf, um ohne Erlaubniß von Eurer königlichen Tafel das Brod wegzuessen und den Wein zu trinken – ho, ho, oh!«

»Nein, nein, nein, Rigglesby – darf nicht sein – darf nicht sein das. Die de Coucys kommen herein, die Hüte auf dem Kopf – schlimm genug, zu schlimm; essen meinen Wein, trinken mein Brod! Nein, nein, nein. Habe Garden, Bow-Street-Läufer.«

»Ach, Sire, wollte Gott, daß dies das Schlimmste wäre! Derselbige Baronet – hi, hi – sagt – sagt, er sei berechtigt, an jedem beliebigen Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwischen vorbesagtem Feste von St. Cuthberts von Lindisfarne und dem Feste des heiligen Egmont an Hof zu kommen – und denke man nur – in einer Weise, daß alle Damen des Hofes darüber erröthen müßten. O pfui!«

»Müßten sie – müßten sie? – das wäre zu arg – zu arg – wie, alle erröthen? Schlimm, schlimm! ganz revolutionär.«

»Geruhen allergnädigste Majestät zu rathen, wie – hi, hi!«

»Ohne Schuhe oder Strümpfe vielleicht,« sagte der arglose Monarch.

Die Königin rief nach ihrer Vinaigrette, der junge Page der Königin zwickte die Ehrendame in den Arm, und die Ehrendame stieß den lieblichsten kleinen Schrei aus, der sich nur denken läßt. Die Krisis gestaltete sich nun eigentlich beklemmend, und Sir Rigglesby wurde mit jedem Augenblicke feierlicher und wichtiger. Endlich sprach er mit sehr anmuthigem Entsetzen:

»Halten Eure Majestät zu Gnaden, er erdreistet sich rebellischerweise, seine Unloyalität sogar noch höher zu treiben.«

Dieselben souveränen Lippen, welche die Welt mit Ehrfurcht erfüllten, geruhten sich zu einem Ringe aufzuwerfen und den königlichen Athem in einem leisen, etwas lustig tönenden Pfeifen durchziehen zu lassen. Wir können nicht gerade behaupten, daß der königliche Geist gekitzelt war, müssen dies aber wohl von höchst Dero Nase vermuthen, denn die Majestät rieb das gedachte Organ mit dem Zeigefinger ihrer königlichen Rechten.

Nun sollte aber auch noch die Königin erleuchtet werden. Sie fragte Sir Rigglesby in ihrem hübschen Deutsch-Englisch, welches wir nicht respektswidrig nachahmen wollen, in welcher Weise dieser barbarische Commodore an ihren Hof – den anständigsten, geordnetsten und züchtigsten Hof der Christenheit – kommen wolle? Nach vielen Umschweifen erfuhr endlich Ihre Majestät, daß von den Zeiten Heinrichs V. an das Haupt der Familie Bacuissart das Privilegium in Anspruch nehme, in der beunruhigenden Tracht eines Offiziers der Hochland-Regimenter an Hof zu kommen – ein Recht, daß der Baronet von Jahr zu Jahr sich abkaufen lassen, zu jeder beliebigen Zeit aber, wenn ihm das Lösegeld nicht anstünde, in Ausführung bringen könne.

Wer nun auch nur den mindesten Anflug von Philosophie hat, kann sich denken, daß eine derartige Kunde auf den Hof wirkte wie ein Erdbeben auf ein Gebirg. Es war etwas Unheimliches, Dunkles, Unbegreifliches. Namentlich fühlten die ältlichen Ladies ihre grauen Haare steif werden, und ihre entrüsteten Brustlätze hoben sich hoch über hageren Kehlen. Die Nachricht flog wie die Leitlinie einer Mine durch den ganzen Palast. Köche, Küchenjungen und Küchenjungengehülfen – Alles erörterte die erstaunliche Kunde, welche mit ihren Zusätzen und Veränderungen endlich auch die Schildwachen an den verschiedenen Eingängen des Palastes erreichte und sich zu einem so entsetzlichen Umfang vergrößerte, daß man sich bald mit dem Gerüchte trug, die Meuterei am Nore sei wieder neu aufgelebt, und der fechtende alte Commodore wolle mit einer fünfzehn Ellen langen Beschwerden-Petition nach St. James kommen, von seiner ganzen, in adamitisches Kostüm gekleideten Mannschaft begleitet. Nachdem dieses Gerücht durch die Wachstube gewandert war, kehrte es mit seinen vielen Verbesserungen durch dieselben Kanäle wieder in das Innere des Palastes zurück. Die ganze Schiffsmannschaft des Terrific war aus dem Wege nach Hofe und hatte sich mit Kohlblättern umgürtet – warum und weshalb – dies zu erklären, müssen wir den Naturforschern überlassen. Bei Temple-Bar sollte sich ihr der Stadtpöbel anschließen, der an einem dreißig Fuß langen Pfahl einen in Blut getauchten Laib vor ihnen hertragen wollte.

Es waren in der That Zeiten großer Aufregung.

Ueber alles dies war unser verständiger Monarch sehr ergötzt. Er erinnerte sich, Sir Octavius Bacuissart habe eines Tages zu Portsmouth Sir Rigglesby wegen irgend einer Ungebührlichkeit mit der einen Hand in die Gosse geschlagen, und ihn dann, nachdem er halb erstickt war, mit der andern wieder herausgehakt – »wenn man überhaupt eine Hand nennen konnte, was keine Hand war.« Ehe daher Seine Majestät wieder auf den seltsamen Anspruch zu reden kam, welchen, der Aussage des Höflings zufolge, der alte Commodore in Vollzug zu setzen gedachte, bat er ihn, das Ganze der letzterwähnten Anekdote zu berichten. Sir Rigglesby machte über die Geschichte ebenso wenig Wesens, als der alte Commodore mit ihm gemacht hatte, während er ihn in den Schmutz wälzte, und wenn auch der Berichterstatter keineswegs darüber zufrieden war, so zeigte sich wenigstens die Majestät sehr erbaut. Die Whistpartie wurde bald nachher abgebrochen, ohne daß der Hinterbringer des Skandals viele Honneurs hätte aufkerben können.


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