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Fünfunddreißigstes Kapitel

Ob leichter Kränkung gleich Geschrei erheben,
Verräth viel Stolz, auch wenigen Verstand;
Nachsicht und Geist muß gehen Hand in Hand,
Irrthum ist menschlich – göttlich ist Vergeben.

Unsere jungen Damen, welche den größten Theil des Tages ganz sich selbst überlassen waren, sorgten nun eifrig für die Gemächlichkeit und Sicherheit ihres Schützlings, der, in ein alterthümliches Frauengewand gehüllt, ein sonderbares Gemische des Schönen und Lächerlichen bot. Miß Belmont und Rebekka verbrachten ihre Zeit großentheils in seiner Gesellschaft und namentlich hatte Erstere ihre Meinung über die Unscheinbarkeit seines Aeußeren völlig widerrufen. Sie hielt ihn, trotz seiner Blässe und Abgezehrtheit, für das Ideal jugendlicher Schönheit, hatte aber vollkommen wahr gesprochen, als sie zu Rebekka sagte, ihre Gemüther hätten zu viele Aehnlichkeit mit einander, als daß sich ihre gegenseitige Beziehung anders, denn in Bewunderung und in einem Wetteifer geistiger Ueberlegenheit hätte entwickeln können.

Rebekka war, Augustus gegenüber, ganz Liebe und Aufopferung. Ihr Herz hatte ihn zum Abgott erhoben, der weit über dem ganzen menschlichen Geschlechte stand. Während der drei ersten Tage seiner wonnevollen Gefangenschaft wollte sie ihm trotz Rosas brennender Neugierde nicht gestatten, seine Abenteuer zu erzählen, denn er sollte, wie sie sagte, sich nicht herabwürdigen, indem er hiedurch mittelbar andeutete, daß er einer Rechtfertigung bedürfe. Vielleicht lag auch noch der Wunsch zu Grunde, den Bericht über die Geschichte der vielen Leiden, die er erduldet haben mußte, zu verzögern, da sie sich demselben nicht gewachsen fühlte.

Inzwischen hatten ihm die Damen Alles mitgetheilt, was vorgefallen war. Er beklagte sehr den bedauerlichen Geisteszustand seiner Mutter. Anfangs versuchten die Mädchen, ihn mit seinem Titel anzureden, was jedoch nicht gehen wollte, weshalb sie ihn gewöhnlich mit Abbreviaturen benannten. Rebekka hieß ihn Gust, während ihn Miß Belmont als Gusty bezeichnete.

Trotz dieser unthätigen Behaglichkeit sehnte sich Augustus doch nach freier Luft, nach Thätigkeit und nach den Umarmungen seiner Mutter. Er wußte wohl, daß er nicht viel länger mehr an Ort und Stelle bleiben konnte und daß entschiedene Schritte gethan werden mußten, um die seltsamen Netze zu zerbrechen, mit welchen ihn die Bosheit umstrickt hatte. Dennoch fürchtete er sich, als ein gemeiner Verbrecher in's Gefängniß zu gehen und vor Gericht wegen Anklagen Rede zu stehen, die seinem Charakter fremd waren, namentlich da die Zufälle sich so schrecklich gegen ihn verschworen zu haben schienen.

Endlich wurde das Lästige seiner Haft Allen drückend, die einzige Rebekka ausgenommen, welche keine Veränderung wünschte. Er stand unter ihrem Schutze – sie konnte fast den ganzen Tag auf seine Stimme lauschen – konnte, Hand in Hand mit ihm, ein Leben voll Wonne aus seinen Augen trinken; was wollte sie mehr?

Aber Miß Belmont wurde es herzlich satt, die Kranke zu spielen. Es empörte sie, daß jeden Tag vier Arzneikörbe einliefen, und obgleich sie ihrer üblen Laune dadurch eine kleine Erleichterung verschafft hatte, daß sie die ekeln Tränke in einen Wasserkrug zusammengoß, um sie, stark mit Branntwein versetzt, in Flaschen zu füllen und als fremden Wein dem Apotheker zum Geschenke zu machen, so fühlte sie sich doch geneigt, so oft wieder ein Arzneikorb anlangte, ihn zum Fenster hinauszuwerfen. Sie durfte es nicht wagen, zu singen oder ein Instrument zu spielen, und es war keine angenehme Unterhaltung, mitansehen zu müssen, wie Andere eine Liebesgeschichte aufführten. Wird die Komödie schlecht gespielt, so ist's ärgerlich, noch ärgerlicher aber, wenn die Helden ihre Rollen gut durchführen. Sie vertrieb sich daher die Zeit mit ein wenig Zeichnen, ein Bischen Schmälen und recht viel Gähnen, obschon sie sich bisher sehr heroisch enthalten hatte, in offene Beschwerde auszubrechen.

»Meine guten Leutchen,« sagte sie am vierten Tage; »Ihr habt mich von meiner Romantik völlig kurirt. Der mindeste Liebesausdruck ist mir nachgerade zum Ekel geworden, und wenn mich eben jetzt Einer seine ›Heißgeliebte‹ nennen würde, so möchte ich ihn in's Gesicht schlagen, während der ›Engel‹ ihm zuverlässig eine tüchtige Ohrfeige eintragen würde. Ei, ei, Gusty laßt uns doch nur ein Bischen Menschenverstand haben. Wenn Ihr in dieser liebesiechen Weise fortfahrt, so werdet Ihr Euch nie für etwas Anderes, als für diese lächerliche Altweibertracht qualificiren, die Euch in der That recht gut ansteht.«

»Soll ich ein Bischen schwören?« versetzte der junge gnädige Herr.

»Ja, thut es, aber nur nicht bei Becky's schönen Augen oder etwas der Art. Um der Abwechslung willen schwört einige gute, runde Matrosenflüche, vorausgesetzt, daß nichts Garstiges darin ist.«

»Bei den Steerblöcken, den Jungfern und bei den Swigtingen der Puttingtaue – –«

»O halt, das ist zu schrecklich. Gebt uns lieber eine Geschichte Eurer Abenteuer und sagt uns, warum man Euch hängen will.«

»Pfui, Miß Belmont.«

»Ist dies deine Dankbarkeit, Becky, daß ich mich dir zu Liebe für eine halbe Ewigkeit an dem Thore des Todes aufpflanze? Es ist nichts so Angenehmes, die Kranke spielen zu müssen, und man verdient dafür recht gute Worte. Ich will die Abentheuer hören, gnädiger Herr, oder ich gehe die Treppe hinunter. Euer Schweigen soll mir das Gebot sein. ›nimm dein Bett und gehe.‹«

»Ihr sollt sie hören, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mir mit dem gnädigen Herrn vom Halse bleiben wollt.«

»Nein, Augustus,« entgegnete Rebekka, »nichts von deinen Abenteuern, wenn ich bitten darf. Wer kann je in Zweifel ziehen, daß du deine Ehre nicht stets in höchster Reinheit bewahrtest?«

»Es ist auch von keinem Zweifel die Rede,« sagte die störrische Rosa; »aber wir wollen hören, wie er's that. Es ist Euch wohl schwer geworden?«

»Du Lästerzunge –«

»Rede mir nicht von Lästerzungen, denn nach den Vorgängen wird es schwer werden, uns selbst vor denselben zu bewahren – wie meinst du, Rebekka? Aber jetzt ohne Umstände – die Abenteuer.«

Miß Bacuissart schmiegte sich dichter an Augustus an, der einige von den weiten Falten seines reichen Damastgewands wie eine römische Toga aufnahm und, die Verbrämung des Kleides musternd, seine Erzählung begann.


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