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Neunundzwanzigstes Kapitel

»Im wilden Lärm der wutentbrannten Schlacht
Halt' inn' und nimm die Menschlichkeit in Acht;
Bedenk', daß nur für Menschen gilt der Streit
Und jede Liebesthat dir Fürsprach beut
Dort, wo die Menschen nicht mehr richten.«

Altes Gedicht.

Als der Tag voll angebrochen war, zeigte sich, daß die beiden Geschwader im Laufe der Nacht einander beträchtlich näher gerückt waren. Die Belladonna und die Brigg befanden sich in der Schußweite des Feindes. Beide Flotillen standen auf demselben Gange, die französische ungefähr acht Meilen windwärts von der englischen, meist unter doppelt gerefften Mars-, Bram- und großen Focksegeln. Ihr Wunsch war also augenfällig, das Gefecht anzunehmen. Sir Octavius bedeutete seinen Schiffen durch Signale, die Reffe auszuschütteln und alle Segel zu setzen, während der französische Admiral durchaus keine Notiz von diesen Demonstrationen zu nehmen schien, sondern in ruhiger Würde seinen Kurs verfolgte. Der Wind war mäßig, der Himmel wolkenlos und Alles schien einen langen Tag des Manövrirens zu versprechen, ehe der Kampf zur Entscheidung kam.

In diesem Stande verblieben die Angelegenheiten bis gegen sieben Uhr Morgens. Das englische Geschwader konnte trotz seiner vielen Segel dem französischen nur wenig näher kommen, da das Letztere im Winde lag und das Beste von der Brise hatte, wenn es nicht etwa auch an Segelgeschwindigkeit überlegen war. Um sieben Uhr trat jedoch einige Unterhaltung ein, welche die Beklommenheit dieser langen Spannung ein wenig erleichterte. Die Nähe der Fregatte und der Brigg schien dem Feinde endlich Anstoß zu geben, und das Linienschiff, welches der Belladonna gegenüber lag, feuerte ein halb Dutzend vorsorgliche Kugeln ab, als wolle es der Fregatte höflich zu verstehen geben: »Ich bitte, Madame, Euch in achtungsvollerer Entfernung zu halten.« Obgleich dieser Wink laut genug kund gegeben wurde, so schien doch die kecke Belladonna ihn nicht zu verstehen. Nun schüttelte das französische Admiralsschiff ein wenig Tuch aus, und hielt mit zwei großen Fregatten auf die Belladonna und auf die Brigg ab, denen sie rasch näher kamen. Kapitän Oliphant erwartete sie in aller Ruhe, und als die erste Fregatte auf Musketenschußweite herangekommen war, bediente er sie mit einer vollen Lage, so daß ihre Stengen im Nu über die Seite gingen. Das gegnerische Schiff war jedoch nicht so untüchtig gemacht worden, um nicht seinen Wind holen und seinerseits eine gut ausgeführte Breitseite geben zu können, welche einige Spieren der Belladonna zerschoß und ihr Takelwerk linkisch umherbimmeln ließ. Mittlerweile hatte sich die zweite französische Fregatte rasch genähert. Der alte Commodore, welcher sah, daß sein Neffe einen viel zu schweren Stand hatte und daß keine Aussicht vorhanden war, die französischen Linienschiffe zur Einmengung zu bewegen und so eine allgemeine Schlacht herbeizuführen, ertheilte nun der Belladonna und der Brigg Signal, in's Lee seiner eigenen Linie zu laufen.

Die stengenlose französische Fregatte wurde nun von ihrer Gefährtin in's Schlepptau genommen. Sie vermochten jedoch in diesem Zustande ihre geeignete Stellung nicht wieder zu gewinnen, und Sir Octavius, der in der Zwischenzeit dem Feinde soweit vorgefahren war, um laviren zu können, bemerkte, daß er eine, wo nicht beide Fregatten abzuschneiden vermöge, wenn er fortführe, dem Gefecht auszuweichen. Diese kleine Angelegenheit erschien als eine Art Posse vor dem Frühstück, welche den Engländern außerordentlich gefiel.

Um acht Uhr wurde zum Frühstück gepfiffen, und ich glaube, in dem ganzen englischen Geschwader befanden sich nicht zehn Mann, welchen ihr Mahl nicht sogar besser schmeckte, als gewöhnlich, obschon es voraussichtlich für so Viele das letzte war. Die Schiffe hatten sich schon die ganze Nacht über in Kampfordnung befunden; nach dem Frühstück aber ließ der alte Commodore auf die Posten trommeln und untersuchte, von Kapitän Egerton und dem ersten Lieutenant begleitet, alle Theile des Schiffes, die Pulvermagazine, die Flügel und den Spital im Kockpit nicht ausgenommen. Sämmtliche Vorbereitungen waren auf's Beste getroffen.

Es steht mir nicht zu, einen ausführlichen und offiziellen Bericht über den Kampf zu geben, der am fünfzehnten Juni stattfand, da er in der Flottengeschichte des Landes aufgezeichnet ist. Auch weiß ich, daß der Leser etwas der Art nicht wünscht, zum Theil, weil diejenigen, welche derartige Berichte geschrieben haben, nur wenig von der Sache wußten, zum Theil auch weil ich die Daten verwirrte. Ich werde daher nur so viel von den Einzelnheiten dieses Gefechtes erzählen, als mit dem individuellen Charakter meines Helden in Verbindung steht, und die Resultate im Allgemeinen angeben.

Wer hiemit nicht zufrieden ist, kann sich in James' Flottengeschichte, herausgegeben von dem tapferen und gelehrten Kapitän Chamier, eines Weiteren belehren – eine Lektüre, die ihm ebenso viel Vergnügen, als Nutzen bringen wird. Der Ungenügsame mag dann die tapferste und rührigste Schlacht aus dem ganzen Werke auswählen und sich dabei denken, daß die, welche an jenem Tage von Sir Octavius Bacuissart gefochten wurde, nicht weniger tapfer und rührig war.

Kehren wir übrigens zu dem alten Commodore zurück, der nach seinem Visitationsgange eben wieder auf dem Halbdecke eingetroffen ist.

Ich habe schon früher erwähnt, daß er mit sämmtlichen Kapitänen vorläufige Abrede über das für alle Fälle einzuschlagende Benehmen getroffen hatte; in dieser Weise vermied er die Nothwendigkeit, seine kleine Flotte im Getümmel der Schlacht mit vielen, nur zu oft in Verlegenheit bringenden Signalen zu verwirren. Er hatte daher jetzt vorzugsweise nur auf die Haltung seines eigenen Schiffes zu sehen.

Da ich keinen Widerspruch zu befahren habe, so könnte ich wohl die französische Streitkraft doppelt so groß machen, als die englische, indeß verschmähe ich einen so leicht gewonnenen Ruhm, und weise ihn im Namen des alten Commodore zurück. Freilich, wenn Sir Octavius während seines früheren unglücklichen Kreuzzugs mit den Franzosen vor Cherbourg zum Schlagen gekommen wäre, so hätte der Feind sieben Linienschiffe gegen fünf stellen können; aber auch dieses Mißverhältniß wäre nur scheinbar gewesen, da die Franzosen beinahe zwei Jahre fern von den eigenen Häfen gewesen waren, folglich durch Krankheit in ihrer Mannschaft verkümmert worden sein mußten und nur schlechte Vorräthe besitzen konnten, während noch obendrein ein großer Theil ihrer Leute die Prisen besetzt hielt. Das Geschwader, mit welchem Sir Octavius jetzt zu streiten hatte, war an Zahl dem seinigen vollkommen gleich, denn beide bestanden aus fünf Linienschiffen und zwei kleineren Fahrzeugen. Indeß war doch einiges Mißverhältniß vorhanden, denn das Admiralschiff, la Magnifique genannt, war ein Dreidecker erster Klasse, und außerdem führten die beiden französischen Fregatten, welche an Größe der Belladonna weit überlegen waren, mehr Geschütz und ein stärkeres Kaliber; dazu konnte die englische Achtzehnkanonenbrigg in einem derartigen Kampfe fast als Nichts gerechnet werden.

Gegen neun Uhr Vormittags ließ Sir Octavius nach einigen scherzhaften Bemerkungen gegen Kapitän Egerton die Hängematten auf die Hütte stauen, schickte nach seinem besten Glase in die Kajüte und musterte nun bedächtig die Schiffe des Feindes. Die Untersuchung schien ihn sehr zu befriedigen. Das Admiralschiff in der Mitte zeigte seine drei Reihen Zähne in wahrhaft furchtbarer Weise und schien sich mit Gier nach einer Umarmung zu sehnen. Die dreifarbigen Flaggen flatterten anmuthig von den Gaffeln, und die ganze Haltung der Schiffe verrieth Regelmäßigkeit, Ordnung und Entschiedenheit. In der That waren sie sammt und sonders mit der größten Sorgfalt ausgestattet und mit der Elite der Flotte bemannt, denn das französische Direktorium fühlte die Nothwendigkeit, wo möglich die lange Kette von Siegen zu unterbrechen, welcher sich bisher die britische Seemacht erfreut, und durch die sie ein so großes moralisches Uebergewicht gewonnen hatte. Hiezu hätten sie keinen bessern Mann wählen können, als den Admiral und Bürger Fresnoy, und ihre trefflichen Vorkehrungen konnten nur durch ein einziges Unglück, und zwar ein schreckliches, gestört werden – daß nämlich ihrem Geschwader der fechtende alte Commodore entgegenstand.

Die französische Flotille hielt noch immer ihren Wind unter dem gleichen Segelstriche, und um halb zehn Uhr Vormittags stand ihr vorderstes Schiff nahezu in gleicher Linie mit dem Kiel des Donnerkeils. Sir Octavius verließ die Hütte und sagte zu seinem Kapitän:

»Ich möchte die Schiffsmannschaft anreden. Habt die Güte, die Matrosen auf das Deck zu rufen und die Offiziere hieher zu bescheiden.«

Alsbald ertönten die schrillen Pfeifen und die heiseren Stimmen der Hochbootsmannsmaten durch die verschiedenen Decke, und die Matrosen schwärmten in Schaaren herauf, an Zahl und Rührigkeit einem Ameisenhaufen vergleichbar, wenn der Fuß eines heimkehrenden Bauern ihre sorgfältig gebaute Wohnung verstört hat.

Ich liebe es, bisweilen Vergleichungen anzustellen. Der alte Commodore stand mitten unter seinen Offizieren, während die Matrosen sich unter ihm auf dem großen Decke drängten und achtungsvoll aufblickten.

»Stille!« rief der alte Mann mit lauter Stimme.

Und ungleich unseren Volksversammlungen stand männiglich so stumm da, als werde jetzt eine Stimme erwartet, welche aus den Wolken herunter eine Anrede halten wolle.

»Ich wünsche, daß Jeder die paar Worte vernehme, welche ich zu sagen habe; die Fernsten mögen daher auf die Spieren hinaufsteigen.«

Es folgte nun für eine halbe Minute ein kleines Getümmel, und dann war Alles wieder stille.

»Merkt jetzt auf, meine Jungen. Ihr glaubtet, als ich das Kommando über euch antrat, ihr hättet einen Tartaren zum Befehlshaber erhalten – einen Mann, der euch gut zügeln würde – und eure Vermuthung ist nicht getäuscht worden; denn eine anständigere, geregeltere oder glücklichere Mannschaft habe ich nie erblickt.«

Er wurde hier durch einen matten Hurrahruf unterbrochen, der sich in Kürze zu einem wahren Tumulte gesteigert haben würde, wenn er nicht sanft mit der Hand gewinkt und fortgefahren hätte:

»Ihr wißt, daß ich im Allgemeinen an den Hurrahs keine Freude habe, und ich bin überzeugt, daß es nicht in eurem Wunsche liegt, mein Mißfallen zu erregen. Ich gebe euch das Ehrenwort eines sehr alten Seemanns, daß ich Allem aufgeboten habe, was mir mein Herz an die Hand gab, euren Wünschen zu entsprechen – aber nun kommt die Reihe an euch, mir gefällig zu werden. Ihr werdet mich nicht täuschen – wenn ich etwas der Art glauben müßte, so wäre dies allein schon genug, die wenigen grauen Haare, welche viele Jahre harten Dienstes mir noch gelassen haben, mit Leid in's Grab zu bringen.

»Ihr seid in Vergleichung mit mir, lauter junge, sehr junge Männer – meist noch nicht vierzig, und vielleicht ist kein halbes Dutzend unter euch, das seine fünfzig Lebensjahre aufweisen kann. Ich habe meine sechszig hinter mir und bin durch die natürliche Fügung der Vorsehung sowohl, als durch das gesetzliche Wort Sr. Majestät, die Gott segnen möge, über euch gesetzt.« (Hier nahm Sir Octavius wieder seinen Hut ab, denn seit seiner neuen Ernennung zu einem Kommando hatte er alle seine Loyalität wieder gewonnen.) »Ihr wißt, ich habe meine Gewalt über euch wie ein Vater gebraucht; erweist mir daher die Achtung und Liebe von Söhnen, und zeigt euch in dem bevorstehenden Kampf, als meine Kinder, indem ihr treulich aushaltet bei dem greisen alten Seemann, der euer Befehlshaber und Vater ist. Macht seinen Wunden keine Unehre und laßt ihn mit euch siegen oder ruhmvoll in eurer Mitte sterben.«

Den Lieutenants und namentlich den Midshipmen wollte dies nicht halb anstehen; sie drängten sich inniger um den alten Gentleman, blickten vorwurfsvoll zu seinem Gesichte auf, legten ihre Hände an die Degengriffe und gaben durch ihre Geberdungen so deutlich, wie mit Worten die Frage zu verstehen: »Sind wir nicht auch deine Söhne – dürfen wir nicht auch in deiner Nähe sein, in der Nähe des Mannes, der uns mehr als ein Vater ist?«

Sir Octavius verstand dies, obgleich Niemand auch nur eine Sylbe hatte laut werden lassen. Er nahm wieder seinen dreieckigen Hut ab, wandte sich mit einer anmuthigen Verbeugung an seine Offiziere, und sagte bloß:

»Ich danke euch.«

Dann kehrte er sein Angesicht wieder den Matrosen zu und fuhr fort:

»Natürlich habt ihr alle jenen Dreidecker gesehen. Ich muß ihn haben – und ihr werdet mir dazu verhelfen. Er ist ein alter Freund von mir – oder vielmehr eine alte Pest; denn vor etlichen Jahren habe ich ihn um die ganze Welt gejagt, und am Ende ist er mir dennoch entkommen. Durch ihn hat mich viel häusliches Leiden betroffen, und der Umstand, daß ich ihn verlor, entriß mir zugleich fast alles Glück, das einem alten Manne, wie ich bin, auf Erden noch hätte vorbehalten sein können.

»Ich sage euch, meine Söhne, daß ich ganz besonderes Verlangen nach jenem Schiffe trage. Ihr werdet mir's erstreiten helfen, denn ich sehe euch den guten Willen an den Gesichtern an. Ich habe die Sache in meinem Geiste erwogen und gedenke, ihn durch Entern zu nehmen. Seine Seiten sind hoch – aber ihr seid jung und rührig – ihre Schießscharten sind groß – und ich werde die Enterer anführen! Keine Gegenvorstellung, Kapitän Egerton; ich habe mir die Sache reiflich erwogen und werde mich nicht von meinem Vorsatze abbringen lassen. Für die Sieger und Besiegten gehen in dieser Weise die wenigsten Menschenleben verloren.«

Ungeachtet der Achtung und Ehrfurcht, die Alle gegen den alten Gentleman unterhielten, konnte er jetzt doch nicht den lärmenden Ruf derjenigen unterdrücken, welche freiwillig ihren Dienst unter der Entermannschaft anboten – eine Anmaßung, welche die regelmäßig angestellten Enterer der Schlachtrolle als einen Eingriff in ihre Rechte, als Verletzung ihrer Würde betrachteten.

Nachdem wieder Stillschweigen geboten worden war, fuhr Sir Octavius folgendermaßen fort:

»Merkt wohl, meine Jungen, wir können für diese Angelegenheit nur die regelmäßigen Enterer sammt den Seesoldaten und ihren respektiven Offizieren brauchen. Die Seesoldaten müssen uns decken. Aber die verlorene Hoffnung, an deren Spitze ich mich selbst stellen werde, habe ich bereits ausgelesen.«

Diese Ankündigung verursachte große Ueberraschung, die noch gesteigert wurde, als der Commodore Mr. Baldwin, dem Kapitänschreiber, den Auftrag gab, die schwarze Liste zu bringen.

»Wohlan, meine Leute,« sagte der Commodore, den furchtbaren Bericht in seiner Rechten haltend und die Namen mit dem eisernen Spieker an seinem linken Arme abzählend; »ich finde hier dreiundfünfzig, welche sämmtlich sich größere oder geringere Vergehen haben zu Schulden kommen lassen. Mr. Baldwin, lest die Liste ab, und laßt die Aufgerufenen sich auf der Laufplanke in gleicher Zeile aufstellen.«

Die Namen wurden abgerufen und die Leute versammelt: ein entschlossener aussehender Haufen, für einen Angriff und Sturm wie geschaffen, hatte sich – mit ungefähr vier oder fünf Ausnahmen – vielleicht nie zuvor zusammengefunden.

Nun muß der schreibselige alte Seemann eine Abschweifung machen. Im militärischen Dienste, sei es am Lande oder zur See, ist der moralischste Mann nicht immer der beste Mann. Der Erstere ist ruhig, gehorsam und gewissenhaft, erfüllt seine Pflicht ohne Tadel, obschon er vielleicht nicht gerne die Schiffsseiten hinanklettert, unversehens ein paar Dutzend Gurgeln abschneidet, unter starrende Enterpicken hineinspringt, über Wunden lacht, mit einem Hurrah die Decken räumt oder mit einem Scherze im Munde verscheidet. Die Leute, welche alles dies thun, sind rauhärige Käuze – Kerle, die ihren Grog lieben – oh, und wie lieben! – stets ein Bischen in der Patsche sind – kurz, Leute, welche der ruhige gute Mann immer verständig vermeidet, die aber in der Zeit wirklichen Gefechtes trotz ihrer wilden Taugenichtsigkeit mehr werth sind, als ein paar Dutzend jener einfach braven Männer. Ich für meinen Theil muß gestehen, obschon vielleicht die Thorheit des Alters aus mir spricht, daß ich wünsche, es möge weder unserer Armee, noch unserer Flotte nie an Schaaren derartiger wagehalsiger Teufel fehlen, die ich nicht bessern möchte, selbst wenn ich könnte, und vermuthlich war dies auch der Grund, warum mein Freund, Sir Octavius, sie nicht strafen wollte. Doch da hatte er sie Alle in einer Zeile, und sie sahen dabei so lustig aus, wie Männer, die zu einer Hochzeit gehen, obschon sie selbst nicht gerade die besten Ehestandspartieen abgegeben haben würden.

»Diese sollen den ersten Angriff machen,« sagte der Commodore. »Ich weise ihnen diesen Ehrenposten an, damit sie ihre Kameraden überzeugen mögen, wie ich in ihnen nur den ächten britischen Muth achtete, als ich sie nicht strafen und durch die Geißel entehren mochte. Ich gebe ihnen diese Gelegenheit, die Schmach auszutilgen, die jedes Vergehen stets über einen guten, aber irrenden Menschen bringen muß; sie werden mir dankbar sein für den Anlaß, der ihnen geboten wird, zu zeigen, daß meine Milde nicht am unrechten Orte angebracht war. Ich bin übrigens nicht Willens, Allen auf dem schwarzen Register diese Ehre zu erweisen, und muß zuvor sehen, welcher Art ihre Vergehungen sind, ehe ich sie dem Häuflein des Ruhmes beifüge. Zuerst Daniel O'Sullivan – Betrunkenheit – eins, zwei, drei – vierzehnmal. O Daniel O'Sullivan, das ist zu schlimm!«

»Ja, das ist wahr, Euer Gnaden,« versetzte ein schöner, aber ziemlich wild aussehender junger Irländer; »doch Sir Hoctivy, Ihr habt mir das Herz recht in der Mitte gebrochen durch Eure Freundlichkeit. Wenn's angenehm ist, Euer Gnaden, so erweist mir die große Gunst, mich peitschen zu lassen. Ich verdiene es, Euer Gnaden. Züchtigt mich, und es wird mir dann leichter im Gemüth sein.«

»Gut, O'Sullivan; da wir demnächst schwere Arbeit haben, so will ich thun, was ich kann, um Eurem Gemüth durch eine leibliche Strafe Erleichterung zu verschaffen. Da, Sullivan; und nun thut Eure Pflicht an meiner Seite wie ein Mann.«

Der Commodore schlug ihn sanft und vertraulich auf seine rothe Wange. O'Sullivan ergriff die Hand, küßte sie, ließ sie dann fallen, als schäme er sich seiner plötzlichen Erregung und rief:

»Ich bitt' demüthig um Verzeihung, Sir Hoctivy; aber ob's an mir – ob's an uns wohl fehlen wird?«

Dabei wandte er sich an seine Kameraden von der schwarzen Liste und preßte seine rechte Hand nachdrücklich in die Höhle seiner linken. In demselben Augenblicke stieg mancher stumme Eid gen Himmel, für den alten Commodore in den Tod zu gehen.

Die schwarze Liste wurde regelmäßig durchgegangen. Alle diejenigen, welche sich gemeiner und schnöder Vergehungen schuldig gemacht hatten, wurden ausgeschlossen, und auf sie fiel der herabwürdigendste Mantel der Schmach. Die Uebrigen, welche bei Weitem die Mehrzahl bildeten, erhielten Befehl, sich als Enterer zu bewaffnen – das heißt, mit einem scharfen Stutzsäbel, der mit einem Tau an das Handgelenk befestigt worden, dem Spällen-Tomahawk, dessen Spitze zum Stoße, und dessen schnabelartige Klinge zum Eintreiben in die Schiffswand dient, um das Klettern zu erleichtern, und endlich dem breiten, ledernen Gürtel, in welchem zwei große, gut geladene Schiffspistolen staken.

Als sie sich in dieser Bewaffnung vor dem Commodore aufstellten, trat ein unverschämter, kleiner Midshipman vor, nahm in aller Demuth seinen Hut ab und meldete achtungsvoll, daß er in der letzten Nacht betrunken gewesen sei und deßhalb auf die schwarze Liste gesetzt zu werden verlange. Dem alten Commodore gefiel der Muth des Knaben, und er willfahrte seiner Bitte. Durch diesen Erfolg ermuthigt, näherte sich ein magerer, vierzigjähriger Meistersmate und bekannte, daß er in den letzten zehn Tagen gar nicht nüchtern geworden sei.

»Aber jetzt seid Ihr's?« entgegnete der Commodore.

»Vollkommen, Sir Octavius.«

»Gut, so bleibt so, bis wir das französische Admiralschiff genommen haben. Ich setze Euch in der Hoffnung auf die schwarze Liste, daß ich Euch dann in die Flottenliste bringen kann. Aber jetzt, Gentlemen, sage ich euch –« fügte er bei, als er ein weiteres Halbdutzend herankommen sah, welche die gleiche Ehre in Anspruch nehmen wollten – »mein schwarzes Register ist voll und hat für Niemand mehr Platz, selbst wenn ein Prinz von Geblüt seine Ansprüche geltend machen wollte.«

Nie war eine schwarze Liste vortheilhafter ausgefallen.

Der Commodore wandte sich nun höflich an seinen Kapitän und sprach:

»Egerton, nehmt's nicht übel, daß ich mir in dieser Weise Euren Posten anzumaßen scheine. Meine Jungen, ich stehe selbst an der Spitze des schwarzen Registers und habe recht viel gut zu machen, obschon dies eigentlich nur meine Privatgefühle betrifft. Ich führe euch. Ich hatte einen Vorfahren, der in alten Zeiten auf dem Wahlplatze von Azincourt das Schlachtgeschrei erhob – wollen wir nun ein Gleiches thun. Merkt wohl auf mich! Im Getümmel und in der Nacht des Pulverdampfes sei die Parole des Engländers: › Nestroque‹ und die Losung: ›Augustus!‹. Kein Fuß weiche zurück! Und nun, meine Söhne, habe ich euch noch Eines zu sagen. Ich betrachte mir den französischen Admiral; er ist, wie ich, ein alter Mann. Ich habe seine weißen Haare gesehen – ein schmächtiger, silberhaariger, alter Mann, meine Jungen. Wenn ihr ihm in die Queere kommt und er keinen oder nur schwachen Widerstand leistet, so schont ihn um meinetwillen. Bedenkt, daß wir die zwei ältesten Männer unter euch sind – unter Freunden und Feinden. Und nun kennt ihr meinen Sinn. Wenn wir den Donnerkeil an die Seite des feindlichen Schiffs gebracht haben, so vergeßt nicht die Parole › Nestroque‹ und behaltet die Losung ›Augustus!‹ im Gedächtniß. Nun auf eure Posten!«

Mittlerweile war das englische Geschwader so weit vorausgeschossen, daß das vorderste Schiff der französischen Linie beträchtlich backstags hintenaus von dem Donnerkeile lag. Demgemäß wurde das Signal ausgesteckt, der Reihe nach zu laviren. Nachdem dies geschehen war, lag das vorderste feindliche Schiff nahezu einen Strich auf dem Luvbuge. Die Franzosen hatten jedoch auf demselben Gange fortgemacht und standen daher auf dem entgegengesetzten, welchen das englische Geschwader nahm. Sie näherten sich jetzt schnell, und bald befanden sich die Fahrzeuge in gegenseitiger Schußweite. Hätte das Geschwader noch eine Weile in dieser Weise fortgesegelt, so würde der alte Commodore auf das Admiralschiff getroffen haben; als jedoch Sir Octavius in halber Kanonenschußweite lag, löste die ganze französische Linie ihre Backbordbreitseiten und drehte sich dann. Um die Salven ihrer Steuerbordlagen zu vermeiden, holte der Commodore gleichfalls auf, und beide Flotten liefen nun, Breitseite gegen Breitseite, vor dem Wind.

Und nun begann der Tumult der Scene. Der Donner des Geschützes brachte Wind und Wellen zum Schweigen, so daß die ganze Natur in stummem Entsetzen dem Kampfe zuzuschauen schien. Die mordgierigen Menschen fochten unter dem unbewölkten Himmelszelte in der selbstgeschaffenen dunstigen Atmosphäre, als wollten sie vor den Augen der Engel verbergen, wie teuflisch menschliches Ringen werden kann. Von wo aus können wir den Schauplatz des Gemetzels mitansehen – oder wollen wir es überhaupt thun?

Wollen wir auf dem Halbdeck auf- und abgehen, um Zeuge zu sein, wer fällt und welche entsetzlichen Wunden geschlagen werden? Oder gehen wir hinunter und wandeln unter den Kanonen auf den mit Rauch überladenen Decken umher, um zu sehen, wie die Gliedmaßen der armen Matrosen umherfliegen? Steigen wir noch tiefer hinab in das Kockpit, um die Verstümmelten und Sterbenden zu betrachten, während Geschicklichkeit und Arzneikunst vergeblich bemüht sind, die entfliehende Seele festzuhalten?

Nein, wir wollen nichts dergleichen thun. So schreckliche Dinge können uns keinen Genuß bieten. Halten wir uns dicht an den alten Commodore, den leider die zischenden Kugeln geweckt haben, und der, nachdem er einmal die Schwefeldünste seines todtverbreitenden Geschützes geathmet hat, der ihm innewohnenden Zerstörunglust Raum gibt. Wieder einmal sind seine Kommandoworte von derben Flüchen begleitet; abermals empört sich die Leidenschaftlichkeit gegen sein gesundes Urtheil, und wir finden ihn tobend, weil es der flauen Kühlte noch nicht gelungen ist, ihn mit der Magnifique in Berührung zu bringen.

Die Lagen des französischen Dreideckers waren schrecklich und würden, wenn sie gut gerichtet gewesen wären, die vernichtendste Wirkung gehabt haben. Die Magnifique konnte mit nichts so treu verglichen werden, als mit einem vulkanischen Fels auf dem Wasser, der von allen Seiten Rauch, Feuer und Donner ausspie. Sie rührte sich nicht; die sanften Wellen übten keinen Einfluß auf sie, und die leichten Winde, welche abwechselnd ihre höchsten Segel füllten, brachten keine merkliche Bewegung hervor. Das Commodoreschiff stand ihr beinahe gegenüber, und Sir Octavius lag mit seinen Leuten von der schwarzen Liste und seinen Enterern auf der Hütte und dem Halbdeck, um auf das feindliche Fahrzeug hinüberzustürmen, sobald sich die Schiffe nahe genug wären.

Wie sehnlich wünschte man sich nicht Wind herbei. Diese schreckliche Windstille wirkte verheerend auf viele Menschenleben. Das stehende und laufende Takelwerk des Donnerkeils war bereits vielfach zerrissen; auch hatten seine Stengen und Raaen so schlimme Beschädigungen erlitten, daß es zweifelhaft wurde, ob sie die Segel tragen konnten, wenn die heiß erflehete Brise aufsprang. Der Rauch hing schwer um das Schiff und die Hitze wurde fast unerträglich. Endlich schickte eine wohlwollende Macht im Erbarmen über dieses in die Länge gezogene Gemetzel einen kräftigen Windstoß aus Südwesten voll gegen die Steuerbordseite der englischen Linie, die Schiffe theilweise zurückwerfend und die Segel derjenigen erschütternd, welche ihre Raaen in's Geviert gebraßt hatten, während der dicke Pulverdampf gegen das französische Geschwader hingetrieben wurde. Ohne Rücksicht auf die scharfen Lagen stellte der alte Commodore sein Ruder steuerbord, und in weniger als drei Minuten hakte sich der Donnerkeil unter einem furchtbaren Anprallen an der Magnifique fest. Der Rauch war so dicht, daß der Feind eigentlich durch Ueberraschung genommen wurde, denn auf den obern Decken befanden sich, mit Ausnahme einiger Truppenhaufen, nicht mehr Leute, als zur Bearbeitung des Geschützes nöthig waren.

Als geschehe es durch ein Wunder, schwärmten die englischen Matrosen zu den Geschützpforten hinein, über die Hängemattennetze weg und die Wände hinan, von allen Seiten her sich in Schaaren auf dem Halbdecke, den Laufplanken und der Back des Franzosen sammelnd. Die Hütte war von französischen Soldaten besetzt. Letztere hatten bei dem ersten Angriff die Hüttenleitern abgebrochen und sich dadurch in eine Stellung gebracht, die schwierig zu nehmen war und denen auf den Decken unten viel zu schaffen machte.

Mit der Behendigkeit und – ich muß leider beifügen – mit der ungestümen Sorglosigkeit der Jugend, schwang sich der Commodore in das Haupttakelwerk des französischen Admiralschiffes und stürzte von hier aus unter einen Haufen erstaunter Offiziere, die sich auf dem Halbdecke befanden. Ich will nicht behaupten, daß er der Erste an Bord war, obschon ich mit Zuversicht sagen kann, daß er unter die Ersten gehörte. Abermals erhob seine gewaltige Stimme das Familien-Feldgeschrei: › Nestroque‹, und mancher schwere Hieb fiel unter dem Rufe: »Augustus!« auf die geweihten Häupter der Franzosen. Die hohe, kräftige Gestalt des alten Commodore, seine narbenvolle Stirn – denn sein Hut war heruntergefallen – sein gepflastertes Auge und sein wie geschmolzenes Eisen glühendes Gesicht erfüllte diejenigen, welche ihm entgegentraten, mit plötzlichem Schrecken, der nicht wenig durch die auffallende Art seiner Bewaffnung erhöhet wurde. An das Ende seines linken Armes hatte er eine lange, doppelschneidige Waffe geschraubt und fuchtelte damit umher, etwa nach Weise der Sensen unserer Vorfahren, die sich an den Axen ihrer rohen Schlachtwägen drehten, während er in der Rechten einen langen, erprobten Stutzsäbel trug, welchen er aus Jeden niederfallen ließ, der ihm entgegentrat, in dieser Weise Alles vor sich niederschmetternd.

Der Sturm auf die französischen Decke war so plötzlich vor sich gegangen, daß die Mannschaft, welche die Halbdeckkanonen bediente, keine Zeit hatte, ihre Ladstöcke und Patronen gegen Enterpicken und sonstige, für ein Handgemenge passende Waffen umzutauschen. Ein Matrose hatte eben eine der Kanonen ausgewischt, als Sir Octavius auf ihn zufegte. Zur Vertheidigung stieß Ersterer den schmutzigen Wischer voll in das Gesicht des alten Commodore und versetzte ihm noch einige Schläge auf den Schädel – eine ziemlich unzarte Bearbeitung, nach welcher der alte Mann so schwarz aussah, wie nur irgend ein Londoner Schornsteinfeger. In dieser possierlichen Färbung drang er vorwärts, bis er die Kajüte unter der Kampagne erreichte, wo er Angesicht gegen Angesicht mit dem welken, französischen Admiral zusammentraf. Letzterer war ein schmächtiger, alter Mann und hatte ganz das Aussehen eines Affen, der auf seine Hinterbeine gestellt und in Uniform gekleidet wurde. Er war lauter Rührigkeit und Grimasse.

» Sacré tonnerre!« rief er, in der erprobtesten Fechterstellung auslegend und mit der Geschwindigkeit des Blitzes Terz und Quart nach seinem Gegner stoßend. » Ces chiens anglais sontils commandés par un négre?«

»Gute Worte, Monsieur l'Amiral, gute Worte!« sagte der alte Commodore, den dünnen Stahl des Franzmanns in zwanzig Stücke splitternd.

» Peste!« rief Monsieur, das nutzlose Heft wegwerfend. » Bon!« fuhr er fort, aus seinem Gürtel eine Pistole von ausgesuchter Arbeit ziehend und voll gegen das Gesicht seines Gegners anlegend.

» Nestroque!« brüllte der Commodore und stampfte mit seinem Fuß auf den Boden.

Das Schlachtgeschrei war nicht vergeblich erschollen. Es rettete dem schwarzen Anführer der schwarzen Liste das Leben. Wie der französische Admiral seine Pistole abfeuern wollte, wurde ihm der Arm in die Höhe geschlagen, und er fühlte sich von hinten um den Leib gefaßt, während seine dünnen, kleinen Beine etwa einen Fuß von dem Boden zappelten und um sich stießen.

»He, was soll ich mit ihm anfangen, Euer Gnaden? Soll ich ihn in die See hinauswerfen? Sei ruhig, du kleiner Schnapphahn, kannst du nicht?« rief Daniel O'Sullivan, der schwärzeste Mann auf des Commodore's schwarzer Liste, indem er seinen Gefangenen tüchtig rüttelte und nach den Kajütenfenstern trug.

Das Sprudeln und Kreischen aus dem Munde des kleinen Admirals hätte Achtung gebietend sein können, wenn seine Lage nicht so gar lächerlich gewesen wäre; indeß war es immerhin wunderbar, wie ein so kleines Geschöpf so großen Lärm machen konnte.

»Thut ihm nichts zu Leide, Sullivan,« sagte der Commodore, so gut es vor Lachen gehen wollte.

»Ich will ihm nichts thun, Sir Hoctivius. Hinein da, Monsieur Crappo, und halt's Maul.«

Mit diesen Worten steckte der schmutzige Bursche den Admiral in eine Truhe, die unter den Sternfenstern von einer Kajütenwand zur andern lief, und warf den Deckel zu, so daß sich der Kommandant des französischen Geschwaders zu seinem höchsten Erstaunen mit Einemmale in einem Arreste befand, welcher ihm fast den Athem benahm.

O'Sullivan setzte sich dann auf den Deckel der Truhe und wischte sich kaltblütig den Schweiß von dem breiten, schönen Gesichte; in der Zwischenzeit wurde aber das Deck des französischen Schiffes völlig erobert. Einige von den Feinden sprangen über Bord, Andere liefen in das Takelwerk hinauf, wieder Andere waren auf den Kopf geschlagen worden, und bei Weitem die Mehrzahl hatte sich nach dem großen Deck geflüchtet.

»Sullivan, Ihr erstickt ja Euern Gefangenen; laßt ihm ein wenig Luft. Ich muß sehen, wie es auf dem großen Decke steht.«

Und der Commodore stürzte nach dem Hauptdeck hinunter, welches gleichfalls in Bälde geräumt war. Da man nun den Feind nach dem mittleren und unteren Decke gedrängt hatte, befahl der Commodore die Luken zu schließen, und kehrte, nachdem dies geschehen war, nach dem Halbdecke zurück, von wo aus er Kapitän Egerton am Borde des Donnerkeils zurief, er solle sämmtliches Geschütz nach den mittleren und unteren Decken abfeuern. Dies ließ sich gut ausführen, da die Schiffe dicht neben einander lagen; indeß wurden nur wenige Kugeln abgefeuert, da die Franzosen ihre Luken schloßen und so ihre Absicht, auf den Widerstand zu verzichten, zu erkennen gaben.

Die französischen Truppen behaupteten noch immer die Hütte; aber da sie unter sich uneinig waren, so blieben sie unthätig, ohne sich gerade zu ergeben. Die Truppen- und Flottenoffiziere handelten nicht im Einklange, und obgleich die Soldaten das Schiff nicht wieder zu erobern vermocht hätten, so war es doch, wenn sie ihre Pflicht thun wollten, in ihre Macht gegeben, den Gegnern großen Schaden zuzufügen.

Die unteren Decken der Magnifique befanden sich gleichfalls in einem schrecklichen Zustande. Die Offiziere sahen sich genöthigt, die Pulvermagazine mit starken Wachen zu besetzen, da eine verzweifelte Partie unter der Mannschaft Lunten einwerfen und sich sammt den Siegern in die Luft sprengen wollte. Natürlich konnte es nicht lange so verbleiben.

Die französische Flagge flatterte noch immer an der Gaffel, und obgleich alle Zeichen von Kampf an Bord des Schiffes aufgehört hatten, konnte sie doch nicht heruntergeholt werden, bis die französischen Gentlemen, welche sich auf der Hütte stritten, besiegt waren, oder sich ergeben hatten. In der Zwischenzeit war der alte Commodore wieder in der Kajüte erschienen, wo er Sullivan noch immer ganz ruhig auf der Truhe sitzen sah, den französischen Admiral unter sich. Der Matrose hatte die Vorsicht beobachtet, seinem Gefangenen gerade hinreichend Luft zugehen zu lassen, damit er nicht erstickte, indem er einen Kabelgarnpfropf in kleine Stücke schnitt und sie unter den Deckel schob, damit er nicht ganz schließe. Der Franzose sprudelte ohne Unterlaß fort, ohne daß übrigens der Mann darauf achtete, welcher ihn in so schnöder Haft hielt.

Sir Octavius trat an das Kajütenfenster und rief nach dem Donnerkeil hinüber:

»Egerton, richtet die Halbdeckkanonen und räumt die Hütte mit einigen Kartätschenladungen. Feuert hoch.«

»Sehr wohl, Sir Octavius.«

»Fordert sie aber zuerst höflich zur Uebergabe auf. Sagt ihnen, das Schiff sei unser und ihr Admiral befinde sich wohlbehalten in seiner eigenen Weintruhe eingeschlossen.«

»Sehr wohl, Sir Octavius.«

Die Halbdeckkanonen des Donnerkeils wurden geladen und gerichtet, worauf an die Truppen die Aufforderung erging, sich zu ergeben und die Trikolor herunterzuholen. Die zwistigen Partieen waren unentschlossen und gaben keine bestimmte Antwort, bis eine einzige Kartätschenladung sie zu einem Entschlusse brachte. Die Leute fielen auf ihre Gesichter nieder, die Offiziere riefen, daß sie sich ergäben und die große, majestätische Flagge kam langsam herunter, um nie wieder auf dem schönen Schiffe zu flattern, welches sie so lang und so edel geziert hatte.

»Ihr werdet jetzt gut thun, Egerton,« rief Sir Octavius, nachdem der erste Haufen Gefangener nach dem Donnerkeil geschafft und die englischen Farben über den französischen aufgehißt waren, »wenn Ihr ein wenig umholt und den Feind sehen laßt, daß das Admiralschiff in unserem Besitz ist. Wir können das Schiff schon selbst handhaben.«

Der Befehl wurde pünktlich befolgt und übte die günstigste Wirkung. Zwei Linienschiffe des französischen Geschwaders, welchen man bereits mehr als hinreichend eherne Beweise gegeben hatte, daß es am besten sei, wenn sie sich unterwürfen, strichen augenblicklich ihre Flaggen, während die beiden andern die Gelegenheit für passend hielten, ihre Segelgeschwindigkeit gegen die des britischen Geschwaders zu versuchen. Freilich wurden sie bald überholt, was schlimm, und genommen, was noch schlimmer war. Kapitän Oliphant hatte sich unter dem Beistand der Brigg bereits der im Anfange des Gefechts entmasteten Fregatte bemächtigt, während ihre Begleiterin von der ganzen französischen Flotille das einzige Schiff war, welches sich durch die Flucht rettete und die Neuigkeit nach Rochefort brachte, daß Monsieur Fresnoys schönes Geschwader ganz unerwarteterweise auf dem besten Wege nach Portsmouth sei, um sich daselbst wieder ausbessern zu lassen.

Ich habe jedoch meiner Geschichte ein wenig vorgegriffen. Die beiden unteren Decke, das heißt die mittleren und unteren Batterieen der Magnifique mit drei Viertheilen ihrer Mannschaft hatten sich bis jetzt noch nicht unterworfen. Kapitän Egerton füllte jedoch die meisten Boote des Donnerkeils mit frischer Mannschaft, so daß es ein wahrer Wahnsinn gewesen wäre, wenn die Franzosen, eingesperrt, wie sie waren, Widerstand hätten versuchen wollen. Indeß waren têtes montées darunter, Leute, welche eifersüchtig auf die Ehre der neuen Republik waren und durch einen Verzweiflungsstreich ihren Mangel an Haltung und stätiger Tapferkeit verbergen wollten.

Mehr als all dies hatte jedoch Sir Octavius das Leben und die Gliedmaßen seiner eigenen Leute im Auge, und er wollte auch von den Feinden nicht mehr zum Opfer bringen, als eben durchaus nöthig war. Er wünschte deshalb nichts sehnlicher, als daß sich die Franzosen zwischen den Decken friedlich ergäben.

Während dieser Vorgänge, welche, beiläufig bemerkt, nur eine sehr geringe Frist in Anspruch nahmen, blieb Daniel O'Sullivan fortwährend auf dem Deckel der Truhe sitzen, welche den französischen Admiral barg, und unterhielt mit ihm ein ununterbrochenes Gespräch, in welchem es dem Mann von Rang überlassen blieb, sich die meisten Worte zu denken, und der Topgast nicht eine Sylbe verstand. Alles, was Daniel begreifen konnte, bestand darin, daß der Gentleman in Haft sehr leidenschaftlich war, und dies verblüffte den ehrlichen Kerl dermaßen, daß er beschwichtigend zu ihm sagte, »wenn er nur ein Quintlein Verstand hätte, so könne er sich's ganz so behaglich machen, wie Seiner Hochwürden Schwein in dem reinen Stroh des ketzerischen Pfarrhauses.«

Sir Octavius fühlte nun, daß er diese ausgezeichnete Person allzusehr vernachlässigt habe. Zugleich konnte er aber nicht begreifen, warum er unterschiedliches Gelächter erregte, wo er sich auch zeigen mochte, und als er in der Kajüte erschien, grinste O'Sullivan so entschieden, daß in seinem Gesichte mehr wahrer Humor, als in dem besten Schwänkebuch zu lesen war.

»Was seht Ihr Mann – Ihr und alle Uebrigen – daß Ihr solche Grimassen nach mir schneidet? Ist vielleicht mein Gesicht sehr schmutzig?« denn der Mann mit dem Wischer hatte ihn zu hart getroffen, als daß ihm die rußige Bedienung ganz hätte aus dem Gedächtniß kommen können.

»Schmutzig, Euer Gnaden? Kein Bischen, Sir Octavius, denn darüber ists hinaus. Euer Gnaden sind so rein wie der schönste Mohr, den ich je in meinem Leben gesehen habe. Außer dem Weiß in Euer Gnaden schönem Auge, das Gott segnen und erhalten möge, und außer Euer Gnaden guten Malmern ist kein Fleck an Eurem ganzen Figurenkopf, der nicht so schwarz wäre, wie eine pechfinstere irische Winternacht, wenn der Mond drunten ist.«

»Schon gut; da hilft ein wenig Seife und Wasser. Aber was macht der Admiral?«

»Er ist ganz abscheulich ungeberdig, so daß man ihn kein Wort versteht, Sir Hoctivius Backysquirt.«

»Wie geht's, Monsieur l'Amiral? Comment – und so fort. Wollt Ihr Euch ergeben – Ihr comprenez?«

»Was Ihr mein, Sör, négre, ergeb – me rendre? les Français meurent, mais ils ne se rendent jamais.«

»Sehr wahr; kein Zweifel daran, Monsieur – aber Euer ganzes Geschwader hat gestrichen.«

» La fortune de la guerre! peste! ick will rende. Je me rende, Monsieur le négre, wann Ihr will mick laß aus diese verwünscht – – und mick sprecken Euck formidable.«

»Helft dem Gentleman heraus, O'Sullivan.«

Mit Stroh, Werg und See-Unrath aller Art bedeckt, stand nun der prächtig gekleidete Mann vor seinem Sieger. Nachdem er diese Zugaben soviel möglich von seiner Person abgeschüttelt hatte, stampfte er ungestüm mit dem rechten Fuß auf den Boden und brach dann folgendermaßen los:

» Monsieur le négre ick Euer prisonnier. Gut, ick kann nit kämpf mit Euk im Namen von meine grand nation, aber ick kämpf mit Euk für mick selbst; denn, Sör, warum laß Ihr diese Mann da mick, l'Amiral, wie zwanzig, sieben, vier leere Bouteilles in mein eigen Buffet sperr? Sacre non de Dieu?«

»Was konnten wir mit Euch anfangen, Admiral? Ihr wart so ungestüm. Blut und Messingkanonen! Warum zum Teufel ließt Ihr einen Eurer Leute mich mit einem rusigen Wischer bedienen und mir fast das Steuerbordauge ausstoßen? Heißt dies auch den englischen Oberbefehlshaber wie einen Gentleman behandeln, Monsieur? Gott verdamme Euch! Und das ist ein besserer Fluch als Euer jämmerliches Sacré!«

» Juste çiel! vous n'êtes pas négre véritable? touche-là, mon ami, touche-là,« sagte der schnell beschwichtigte Franzmann, seine Hand ausstreckend.

Die Aufwallung des Commodore legte sich; er nahm die dargebotene Hand, worauf sie sich mit einander nach der Kajüte begaben. Der Franzose sah bald, wie vollständig der Sieg war. Er legte seine Hand auf die Brust und seufzte, während die Thränen in seine alten Augen traten: » la France ist mir verlor für immer.«

Er verfügte sich sodann von dem Commodore begleitet nach der großen Luke des Mitteldecks, beseitigte einen Theil der Latten und rief hinunter:

» Tout est perdu. Rendons nous, mes fils.«

So wurde la Magnifique verloren und gewonnen. Die Boote des Donnerkeils setzten sich nun eifrig in Thätigkeit, um die französischen Gefangenen nach dem englischen Schiffe zu bringen. Kapitän Egerton erhielt das Kommando des französischen Admiralsschiffs, und der erste Lieutenant des Donnerkeils wurde ihm als Kapitän beigegeben; außerdem fanden noch die übrigen bei solchen Gelegenheiten üblichen Vorkehrungen statt.

Nachmittags vier Uhr war auf beiden Flotten Alles in leidlicher Ordnung. Es wurden so viel Segel aufgezogen, als die beschädigten Stengen und Raaen zu tragen vermochten, worauf man den Kurs nach Portsmouth anlegte.

Ich habe in dieser meiner kurzen, gleichgültigen Schilderung jenes denkwürdigen Gefechtes absichtlich das Schreckliche vermieden, und trage nun noch nach, daß in Anbetracht des bedeutenden Erfolges der Verlust an Menschenleben beziehungsweise klein war. Indeß ist es immerhin eine schwere Aufgabe für ein gefühlvolles Herz, eine derartige Scene in den Bildern des Gemetzels zu verfolgen; wir wollen daher die Todten vor den Blicken des Lesers verbergen, indem wir die beiden Banner des Sieges und die prachtvollen Flaggen des Ruhms darüber breiten; – des Ruhmes? – zuverlässig.

Ein wenig nach vier Uhr setzte sich der alte Commodore mit dem französischen Admiral Monsieur Fresnoy und einigen seiner Offiziere zum Diner. Er hatte sich das Gesicht sauber gewaschen, und seinen steifen Zopf mit einem neuen Bande frisch aufgebunden. Gegen seinen Gefangenen war er lauter Höflichkeit und guter Laune, wie er denn auch, um ihn zu trösten, alle jene sehr passenden Dinge sagte, welche den Armen seine Lage nur noch schmerzlicher fühlen ließen. Der alte Gentleman hatte, wie sehr sich sein Inneres auch umgestaltet, noch einige höchst wichtige Blätter in dem großen Buche der Menschheit umzuschlagen, benahm sich aber dabei am besten und »mehr können die Engel nicht thun« – wie irgend Jemand zu sagen pflegte, wenn sich zufälligerweise das vermeintliche Beste als sehr schlecht ausgewiesen hatte.

Da es für Monsieur Fresnoy nicht sehr ermuthigend sein konnte, von den Decken aus sich umzusehen, so bot ihm Sir Octavius Bacuissart eine Partie Whist an – ein Vorschlag, der mit Freuden angenommen wurde. Sir Octavius schraubte seine Kartenzange ein und das Spiel ging gut, namentlich aber sehr glücklich für Sir Octavius von Statten, denn er gewann Rubber um Rubber, und obgleich die Einsätze nicht der Rede werth waren, so schien ihn doch sein Erfolg eben so sehr zu freuen, wie der kürzlich erfochtene glänzende Sieg.

Der französische Admiral hielt in seinem Spiel inne und begann sehr zungengeläufig, obschon nicht sehr verständlich, über die Allmacht des Glückes oder des Zufalls zu sprechen. Er bemerkte, vor drei oder vier Jahren habe er ein Geschwader kommandirt, mit welchem er fast um die ganze Welt gesegelt sei, da er von einem englischen, dessen Streitkräfte jedoch viel geringer gewesen, verfolgt worden; er sei überzeugt, daß er damals das Glück auf seiner Seite gehabt habe – denn trotz des Feindes in seinem Rücken sei ihm doch Alles gelungen, wozu er beauftragt gewesen: er habe mehrere englische Kauffahrerflotten genommen und zerstört, und würde auch (er schlug dabei ungestüm mit der Hand auf den Tisch) zuverlässig den ihm nachsetzenden Feind überwunden haben, wenn er Erlaubniß gehabt hätte, mit demselben anzubinden, weil – weil damals sein Stern im Steigen gewesen – nun er aber mit Kampfbefehlen ausgezogen sei und alle Vorsorge getroffen habe, um sein Geschwader tüchtig auszurüsten, habe er zu seinem größten Entsetzen und Erstaunen finden müssen, wie in weniger als einer Stunde er selbst in seine eigene Weintruhe gesperrt wurde und seine Flotte in feindlichen Besitz gerieth. Zuverlässig liege hierin eine Art Fatum, welches alle früheren Einleitungen verhöhnt habe, indem es die Berechnungen menschlicher Weisheit verachtet und allen Anstrengungen des Muthes einer gereiften Ueberlegung Trotz bot.

Zu alledem schüttelte der alte Commodore ernst den Kopf und antwortete nur wenig. Er wünschte nicht, das luftige Trostgebäude zu zerstören, zu welchem der Gefangene seine Zuflucht nahm, obschon es ihm gleichermaßen nicht gefiel, den Glanz seines Sieges durch Argumentationen geschmälert zu sehen. Er erklärte daher Monsieur Fresnoy in Kürze, daß er (der Franzose) in dem letzten Gefechte seine Pflicht gethan und in Wahrheit Alles geleistet habe, was in Anbetracht der Umstände ein Mensch zu leisten im Stande sei; indeß müsse er doch achtungsvoll bitten, in Betreff des Glaubens, daß er (der Admiral) jenes Geschwader, das ihn so viele Monate durch alle Meere der Welt jagte, geschlagen haben würde – anderer Ansicht zu sein; er selbst habe die Ehre gehabt, ihm während jenes langweiligen und nutzlosen Kreuzzuges zu folgen – des schlechtesten, fügte er bei, den er je in seinem Leben gemacht habe, und von dem allein er wünsche, daß er sich nie zugetragen hätte. Nach dieser Ankündigung fand ein neues Händedrücken statt, und der Fremde fuhr dann fort zu beweisen, daß damals sein Glückstern prädominirt habe. Wir wollen nicht versuchen, während der längeren Reden die gebrochene Sprache des Gentlemans nachzuahmen, da etwas der Art in einer fortlaufenden Thatsachenerzählung auf die Dauer lästig wird, und nur in einem Drama unerläßlich ist.

Er verbreitete sich ausführlich über die Zahl der Schiffe, die er zerstört hatte, über die große Kauffahrerflotte, die er, wie der Leser bereits weiß, gefangen noch Cherbourg führte, und fuhr dann fort:

»Selbst bei jenem kleinen Kugelntausche, Sir Octavius, war der Vortheil entschieden auf meiner Seite. Nicht ein einziger Schuß, den Ihr an jenem Abend abfeuertet, that Wirkung.«

»Nein, Admiral, es war noch Glück genug für mich, daß ich von Eurem verdammten Legerwall abkam. Oh, das war ein Abend des Fluches – ein Abend, Sir, der mir sogar den heutigen glorreichen Tag verbittert.«

»Das wäre, Sir Octavius? Ich habe doch nur eine Spiere oder so etwas an Eurem Borde zerschmettert und blos einen einzigen Gefangenen gemacht.«

»Einen Gefangenen? Ihr setzt mich in Erstaunen. Um Gottes willen spielt nicht mit mir. Wer war dieser Gefangene?«

»Monsieur scheint sich sehr für denselben zu interessiren? Es war ein edler Jüngling, un beau garçon. Wir fanden ihn unter den Bugen desselben Dreideckers, den Ihr mir heute abzunehmen so gnädig wart. Meine Leute hielten ihn anfangs für den Führer eines Katamaran – einer Höllenmaschine, die uns in die Luft blasen sollte; aber als man ihn und die schreckliche Maschine an Bord holte, entdeckten wir in ihm einen halbertrunkenen und halberfrorenen Jüngling, der sich an einen schlecht zusammengesetzten Hühnerstall anklammerte. Die Fluth hatte ihn sammt dem Geräthe in den Hafen gefegt.«

Während dieser Erzählung zitterte der Commodore heftig und war trotz seines kräftigen Körperbaues einer Ohnmacht nahe. Er rief nach Branntwein – was zuverlässig nicht recht war, wenn man bedenkt, welch' ein feierliches Versprechen er Mr. Underdown gegeben hatte; aber selbst dieser strenge Mentor würde in dem gegenwärtigen Falle ihm verziehen haben, und so wollen auch wir es thun. Nachdem er dieses heillose Kräftigungsmittel verschlungen hatte, faßte er Monsieur Fresnoy's Hand so nachdrücklich, daß dessen welke kleine Finger wie Lorbeerblätter im Feuer krachten und seine heisere Stimme rief im Uebermaß der Bewegung, vielleicht aber auch in tiefer unwillkürlicher Anknüpfung an die heiligsten Gefühle, mit den Worten der Bibel, die um ihrer Einfachheit willen so rührend sind: »Lebt er noch?«

»So viel ich weiß.«

»Barmherziger Gott, ich danke dir! Aber jetzt sagt mir, Admiral, und zwar in möglichst wenigen Worten, wie erklärte jener Jüngling seine Lage? Sprach er davon, daß er gezwungen worden sei, über Bord zu springen? Wie kam er in's Wasser? Hat er Niemand eine Schuld zur Last gelegt?«

»Niemand, als sich selbst. Er sagte, er sei zu voreilig gewesen, und seine Unbesonnenheit habe ihn in die klägliche Lage gebracht, in welcher wir ihn fanden. Augenscheinlich wollte er uns zu verstehen geben, daß er blos zufällig über Bord gefallen sei.«

»Ihr hört dies, Gentlemen, ihr hört dies!« rief der alte Commodore, sich triumphirend an seine Offiziere wendend. »Oh welch' ein edler, wackerer Jüngling! Ich brauche wohl kaum zu fragen, daß sein Name Astell war?«

»So hieß er.«

»Sagte er nichts von mir – von meiner Familie?«

»Keine Sylbe. lieber diesen Punkt beobachtete er bei gewissenhafteste Schweigen.«

»Merkt jetzt auf mich, Admiral; Ihr habt mich eben erst zum glücklichsten Menschen gemacht. Ich bin stolz daraus, mich den Onkel jenes heldenmüthigen Knaben nennen zu können. Ihr habt mir eine solche Wonne bereitet, daß ich Euch mit Freuden Euer Schiff und Euer Geschwader wieder zurückgeben könnte, um noch einmal darum zu kämpfen. Ja bei Diesem und Jenem – höher darf ich nicht fluchen – ich würde es thun, aber Ihr wißt, es kann nicht sein – die Kriegsartikel erlauben es nicht, Monsieur.«

»Das sind wunderliche Engländer!« lautete die einzige philosophische Erwiederung.

»Aber ich habe eine geheiligte Pflicht zu erfüllen. Entschuldigt mich für einige Minuten.«

Der alte Gentleman zog sich dann nach seiner Hinterkajüte zurück, um seine aufgeregten Gefühle durch Gebet zu beruhigen und aus dem Innersten des Herzens seinen Dank zu ergießen.

Nach kurzer Frist kehrte er mit heiterer Stirne – ein Bild des reinsten Glückes – zu seiner Gesellschaft zurück. Er konnte nicht länger Karten spielen und sprach ohne Unterlaß von seinem Neffen. Die Offiziere, welche sahen, daß eine derartige Unterhaltung viele geheime Familienangelegenheiten zur Sprache brachte, entfernten sich mit vielem Zartgefühl nach einander, und ließen den alten Gentleman mit seinem Gefangenen allein.

Der Admiral theilte dem Commodore mit, er habe eine Vorliebe zu dem Jünglinge gefaßt und sich alle Mühe gegeben, seine Achtung zu gewinnen. Um Astells Schwermuth zu zerstreuen, hatte er ihn auf einem Kreuzzuge mit in die See genommen, dabei der Hoffnung Raum gebend, er könne ihn vermögen, sich der Sache der allgemeinen Freiheit anzuschließen und unter dem Banner des revolutionären Frankreichs zu fechten. Er sei unerbittlich gegen sein Dringen gewesen, fuhr der Admiral fort, und habe die glänzendsten Erbietungen mit Verachtung zurückgewiesen, indem er sich als einzige Gunst anflehete, auf englischem Boden an's Land gesetzt zu werden. Dieß konnte er als Admiral nicht thun, und zuletzt sah er sich genöthigt, ihn als Gefangenen an die Behörden auszuliefern. Der Jüngling wurde nach Verdun gebracht, von wo aus er bald nachher die Flucht ergriff, da ihm zu diesem Ende eine Familie, welche mit dem gegenwärtigen Gouvernement unzufrieden war, an die Hand ging. Der Admiral meinte, er werde sich gegenwärtig wahrscheinlich an irgend einem verborgenen Orte Frankreichs aufhalten.

So tröstlich auch dieser Bericht im Allgemeinen für den alten Commodore war, blieb doch noch viel Stoff zur Unruhe zurück. Er dankte Monsieur Fresnoy herzlich für die Güte, die er seinem jungen Verwandten erwiesen hatte, worauf sich Beide in Anbetracht der Dauer ihrer Bekanntschaft und des energischen Styls, mit welchem sie begonnen, als die besten Freunde trennten und zu Bette begaben.

In weniger als achtundvierzig Stunden lagen die beiden Flotten bei Spithead vor Anker, und die Nation begrüßte mit einstimmigem Jubel diesen glänzenden Sieg. Wochenlang hörte man kaum von etwas Anderem sprechen, als von dem alten Commodore, dem fechtenden alten Commodore, dem herrlichen alten Commodore – mit einem Worte, er hatte jene Glanzhöhe des menschlichen Ruhmes erreicht, daß er fast in jeder Stadt und in jedem Städtchen des Königreichs als ein Wirthshausschild ausgehangen und noch obendrein zum Helden einer Ballade gemacht wurde, welch' letzterer Umstand für ungefähr einen Monat den wandelnden Bänkelsängern eine reiche Einnahmsquelle verschaffte.

Derartige freiwillige Tribute sind die zuverlässigsten Probirsteine des Ruhms. Wie Viele habe ich kennen gelernt, die Barone, Viscounts, Grafen, Marquis und sogar Herzoge wurden, aber doch nicht Verdienst genug hatten, um in einem Liede zu figuriren. Möglich zwar, daß sie verdienten, aufgehangen zu werden, – obschon ihnen nie auch nur die gemeinste Bierkneipe im Königreich diese Ehre erwies. Vielleicht könnte ich jetzt selber auch ein Wirthsschild sein – wie ärgerlich, daß man mich in der unerklärlichsten Weise vor dreißig Jahren auf den Sims schob.


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