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Dreiunddreißigstes Kapitel

In ihrem Sonnenaug' ist Lieb' ein wärmend Spiel,
Und schalkhaft lauert sie in ihres Haares Flechten;
Ihr Rosenmund zeigt dir das schönste Ziel,
Um das in Küssen du mit ihr magst rechten.
Ihr Herz ist Amors züchtiger Altar – –

Alter Dichter.

Es war nahezu Mitternacht, und die ausgedehnten Gebäude von Trestletree-Hall lagen in abwechselndem Licht und Schatten, da der Mond in all' seiner Pracht von seinem höchsten Standort am Himmel auf sie niederschien. Wo seine Strahlen ununterbrochen auffielen, ließen sich die Gegenstände auch in beträchtlicher Entfernung deutlich unterscheiden. Rebekka hatte sich weder zu Bette begeben, noch überhaupt Vorbereitungen dazu getroffen. Sie saß in vollem Anzug da, nicht wie noch kürzlich in dem Flügelkleide des jungen Wildfangs, sondern wie eine junge Dame von Stand und Vermögen, die sich schnell dem Alter der jungfräulichen Blüthe nähert. Obgleich sie stets lieblich war, schien jetzt doch die feinere Bildung den letzten Hauch der Anmuth über sie ausgegossen zu haben. Sie hatte sich so veredelt, daß ihr eigener Vater sie nicht gekannt haben würde, wenn er nicht gerade ihr Antlitz gesehen hätte. Der Gedanke, welcher sie wie ein böser Dämon umspukte und alles Uebrige vergessen ließ, betraf den wilden, verzweifelt aussehenden, großen Jüngling, der so übernatürlich ihrem Willen gehorcht und ihr das Werkzeug des Todes in die Hand gegeben hatte. Sie konnte sich der Ahnung nicht entschlagen, daß er noch immer in der Nähe des Landhauses weile, und ihr Stolz hatte Mühe, die aufsteigende Idee zu unterdrücken, daß vermöge irgend einer geheimnißvollen Kette sein Geschick mit dem ihrigen zusammengeschmiedet sei.

Ich habe bereits gesagt, daß sie sich zu einer frühen Stunde nach ihrem Gemach zurückgezogen hatte. Dieses befand sich in dem sogenannten ersten Stock, lag an der Hinterseite des Hauses und hatte den Rasen unter sich. Vor jedem Fenster dieses Stockes befand sich ein leichter, aber ziemlich geräumiger eiserner Balkon. Rebekka's Fenster befand sich fast im Mittelpunkte und beherrschte vollkommen die Aussicht über den mondhellen Rasen und die Baumwipfel, welcher den jenseitigen Park begränzten. Rechts lag das dicke Gebüsch, von dem schon früher gesprochen wurde.

Es war fast Mitternacht und Rebekka saß an einem kleinen Ormolu-Tische, den bloßen Dolch vor sich – bald ihre Augen aufmerksam auf die Landschaft werfend, bald die Klinge untersuchend, die im Mondenstrahle vor ihr blinkte – das ganze Nachtstückchen ein so hübsches Radcliff'sches Gemälde, wie es eine Romanenleserin nur wünschen kann. Während sie so beschäftigt war, hörte sie drei oder vier leichte Schläge an die Thüre ihres Gemachs. Rebekka war überrascht, aber nicht im mindesten erschrocken. Sie sprang auf, ergriff die Waffe und sagte kaum hörbar:

»Zuverlässig wagt es doch dieser Eindringling nicht, sich in's Haus einzuschleichen; wie dem übrigens sein mag, er hat mich gegen sich selbst bewaffnet.«

Vor dem Spiegel ihres Toilettentisches brannten zwei Wachslichter, und da der Mond seine Strahlen durch das Fenster goß, so war das Zimmer gut beleuchtet.

Sie fragte, wer poche, und erkannte in der Antwort augenblicklich Rosa's Stimme. Die Thüre wurde geöffnet – aber der Dolch blitzte in Miß Belmonts Augen, und im nächsten Augenblicke lag sie besinnungslos in den Armen ihrer Freundin.

Als sie sich endlich ein wenig erholte, rief sie:

»Ach Gott, Rebekka, das ist zu schrecklich!«

»Was ist zu schrecklich, meine arme zitternde Freundin? Ich glaube, in meinem Zimmer sieht es hell und gemächlich genug, ja sogar elegant aus.«

»Aber dich so dastehen zu sehen, Rebekka – um Mitternacht – und mit einem schrecklichen Dolch in deiner Hand!«

»Oh, denke dir, er sei ein Tranchirmesser! Sieh' ihn an – nimm ihn in die Hand. Er ist nicht einmal so groß und, die Spitze ausgenommen, lange nicht so scharf, als jenes für eine Mahlzeit so nöthige Instrument. Geh', geh', das ist thöricht.«

»Aber alles dies kommt mir so ganz vor, wie der Anfang einer jener wunderbaren Schauergeschichten, die ich sonst so gerne las, und in denen ich thörichterweise oft eine Rollen zu spielen wünschte. Nun kommt es wirklich dazu, und ich habe fast den Tod vor Schrecken. Oh, ich schwaches Geschöpf, wie konnte ich mich auch je für eine Heldin halten!«

»Ich habe nie ein derartiges Buch gelesen, Rosa, und es geht hier nichts Wunderbares vor, obschon ich fürchte, daß sich's um ein Unglück handelt. Ich habe nichts von einer Heldin in mir und hasse alle Schaustellung, indem ich nur recht zu handeln wünsche und allen Leidenden nach Kräften Gutes thun möchte. Der Umstand, daß ich mich viel draußen umgetrieben habe, eine kräftige Konstitution und vielleicht etwas von der Unerschrockenheit, die Erbtheil meines Vaters ist, setzen mich in die Lage, die Ereignisse von dem Gesichtspunkte des gesunden Menschenverstandes aufzufassen. Oh, meine Rosa, lerne doch auch ein Gleiches thun! Könnte ich dich dazu bringen, so würde ich dir keinen geringen Ersatz für den Unterricht, den du mir ertheiltest, bieten – und welch' eine theure und nützliche Freundin könntest du mir dann sein!«

Miß Belmont, die sich bald wieder ermuthigt hatte, versprach Alles, und nun erzählte ihr Rebekka, was sich in dem Gebüsch zugetragen, denn bisher hatte sie den Vorgang daselbst ganz für sich behalten. Diese kurze Berichterstattung wirkte übrigens als eine so herbe Prüfung auf Miß Belmonts neugeborne Standhaftigkeit, daß sie sich, um ihren Muth nicht zu verlieren, nur noch inniger an unsere Amazone anschmiegte.

»Du bemerkst, Rosa, wie rasch die Ereignisse sich drängen. Der Mann, welcher mich gegen die feige Gewaltthat jenes elenden Rubasore schützte, – ha, der Schlag soll in Blut abgewaschen werden! – Doch was habe ich gesagt! Gott, verzeih mir! Ich will ihm die Beschimpfung vergeben – will Nachsicht mit ihm tragen. Freilich, wenn ich daran zurückdenke, so bin ich kein Weib mehr – aber ich will ihm vergeben, wie sehr mir auch das Herz darob blutet – denn für wie wild man mich auch halten mag, Rosa, so suche ich meinen Ruhm doch nicht in den Gesetzen der Ritterlichkeit, sondern darin, daß ich nach denen des Christenthums lebe.«

»Es war ein feiger Schlag, der aber schnell und gut gerächt wurde.«

»Siehst du nach dem dunkelblauen Fleck hier auf meiner Stirne? Ich darf mich doch freuen, daß der Mann dafür so rasch zu Boden geschlagen wurde?«

»Gewiß; aber wer mag er wohl sein?«

»Ach, theure Rosa, das ist die große Frage, die mich quält. Augustus konnte es nicht gewesen sein, weil das Meer ebenso wenig seine Todten zurückgibt, als der Marmor eines Monuments oder das tiefe Grab eines Kirchhofs.«

»Oh, meine Rebekka, sprich nicht so!«

»Warum nicht? Gewöhne dich daran, die Tiefe und Breite solcher Dinge zu erfassen, und du wirst finden, daß sie nur gering sind, wenn du den Maßstab deiner eigenen Unsterblichkeit daran legst. Der liebe, gute Underdown hat mich dies gelehrt. Lerne auch du dich mit derartigen Gedanken vertraut zu machen, und dein Geist wird durch sie erstarken. Augustus konnte es nicht gewesen sein, denn dieser war schön anzusehen und sein Gesicht stets oval – die Züge dieses Mannes aber waren lang und hager – sein Gesicht mit wirren Haaren entstellt. Nein, Augustus konnte es nicht gewesen sein, denn dieser Mann rieth mir zum Morde. Oh, nein, nein, nein, nicht Augustus, denn Rubasore sagt, die Person, weiche er verfolge, habe ein schreckliches Verbrechen begangen – und der Mann, der mich rettete, war augenscheinlich jener Flüchtling vor den Händen der Gerechtigkeit.«

»Glaubst du wirklich, daß dies der Fall ist?«

»Es kann keinem Zweifel unterliegen. Rosa, jedes gute Gefühl meines Herzens ruft mir zu, diesen Ausgestoßenen liebevoll zu beurtheilen, und eben die Verfolgung Rubasores gibt mir die freudige Hoffnung, er könne nicht sehr schlimm sein, sonst würde er nicht diesen Menschen zum Feinde haben.«

»Wie verabscheue ich diesen Ruben Rubasore!«

»Rosa, höre mir zu, aber thue es mit deiner tiefsten Liebe. Gestern Nacht rief mir dieser Flüchtling vor dem Gesetz ein einziges Wort zu – der Ton – oh, in dem Tone lag mit einemmale so viel Entzücken und Elend für mich – er glich so ganz der Stimme dessen, der im Himmel ist.«

»Der Stimme deines Augustus?«

»Der Stimme meines Heiligen!«

»Walten denn Zweifel ob über seinen wirklichen Tod?«

»Keine andere, als diejenigen, welche die wahnsinnigste Liebe einflößte. Wer er übrigens auch sein mag, es ist augenscheinlich, daß er sich zu mir des Schutzes versieht, und daß er alle Eigenthümlichkeiten dieser Gründe kennt. Anfangs dachte ich, es sei jener tolle kleine Daniel Danvers, der sich in eine Klemme gebracht habe, von seinem Schiffe geflohen sei und meinen Schutz nachsuche – derselbe Danvers, welcher, wie ich dir schon früher sagte, zum Deserteur wurde, um seiner Mutter den letzten traurigen Brief des armen Augustus zu bringen.«

»Ja, ja; er war es – kein Anderer kann es gewesen sein. Ich liebe diesen kleinen Menschen aus dem Grunde meines Herzens – wir wollen ihn aufsuchen und verbergen. Wir können deinen Vater bewegen, daß er sich für ihn in's Mittel lege und Alles in's Gleiche bringe – meinst du nicht?«

»Du bist ein gutes Mädchen, aber ich muß dich enttäuschen. Wäre er's gewesen, wer würde es gewagt haben, auch nur ein Haar seines Haupts zu krümmen? Leider, leider war er es nicht – denn ich habe den Flüchtling in dieser Nacht wieder gesehen – er hat mit mir gesprochen

»Barmherziger Himmel! Möge Gott uns Kraft geben, das Rechte zu wählen.«

»Amen, Amen! Die Sache trug sich so zu, meine Rosa. Der Schlag auf meine Stirne machte mir unerträgliches Kopfweh – ich mochte mich nicht darüber beklagen – aber mein Geist war gleichfalls sehr verstört, und die Wahrheit zu gestehen, ich erwartete etwas der Art. Ich setzte mich daher an's Fenster und beobachtete das dunkle Blätterwerk jenes Gebüsches – ich harrte nicht vergeblich. Vermittelst eines Pförtchens, das sogar nur Wenigen von unserem Hausgesinde bekannt ist, kam derselbe große Mann auf den Rasen und machte unmittelbar unter dem Balkon dieses Fensters Halt. Ja, ich zitterte! Jeder Tritt seines Fußes, obschon ich den Schall nicht hörte, schien deutlich an mein Herz zu pochen – ich rührte mich nicht, sprach nicht – meine Augen schienen bersten zu wollen in der Begier ihn zu schauen. Es war nicht die Person meines Augustus.«

»Fahre fort, oder ich sterbe, denn ich vermag kaum zu athmen.«

»Es war nicht die Person meines Augustus – aber es war – es war – seine Stimme, Rosa. Ich zögerte nicht mehr. Wäre mir dieser Mensch als ein mit Ketten beladener Uebelthäter erschienen, so hätte mich doch der Zauber in dem Tone seiner Stimme gedrungen, ihn zu begrüßen – ja, sogar auf dem Schaffote.«

»Oh, und was sprach er?«

»Er rief leise meinen Namen – bloß das einzige Wort: ›Rebekka‹. Ich stürzte auf den Balkon hinaus – stand offen vor ihm da – und schaute erstaunt auf ihn nieder. Ich war ganz verwirrt darüber, daß der schwarzbraune Mann unter mir so ganz Augustus Stimme sich zu eigen gemacht hatte, und konnte nicht sprechen. Er betrachtete mich für einen Augenblick und rief dann im bittersten Schmerz: ›Oh, ich Elender, sie ist's nicht. Dame, verrathet mich nicht.‹ In diesen Worten erkannte ich Augustus' Stimme nicht mehr. Dennoch würde ich ihn angeredet haben, um ihn zu überzeugen, er habe sich in mir nicht getäuscht, und ihm für seine tapfere Hülfe zu danken; aber das Bellen des Haushundes und das Rasseln seiner Kette scheuchte ihn fort – er flüchtete sich nach der Mitte des Rasens und sank auf das Gras nieder. Komm an das Fenster, Rosa, er ist dort – dort in dem Grummet. Du siehst den schwarzen Fleck, wo sich das Mondlicht bricht – er zerraufte sich das Haar, als er von mir wegstürzte – ich konnte sehen, daß er krank ist. Die Erde ist kalt, und bemerkst du nicht, wie reichlich der Thau fällt? Vielleicht hat ihn der Hunger aufgezehrt! Oh, mein Gott, uns so nahe und wir können ihm nicht helfen – dem Manne nicht helfen, der den beschimpfenden Schlag rächte – ihm, der sprechen kann, wie der theure Augustus!«

»Aber wir wollen, Rebekka – ich fühle mich jetzt kräftig. Laß uns Mr. Underdown rufen – wir wollen uns mit ihm berathen.«

»Oh, nein, nein, nein, er ist ein Mann der starren Gerechtigkeit und würde seinen eigenen Vater aufgeben, wenn derselbe unter den Bann des Gesetzes käme.«

»Können wir keinem Diener trauen?«

»Keinem. Es ist eine Belohnung von hundert Pfunden auf seine Habhaftwerdung gesetzt. Wir sind keine Diebeshäscher. Was sollen wir thun? Können wir zusehen, daß dieser Mann vor unsern Augen zu Grunde geht?«

»Es wäre zu schrecklich – und wenn er noch obendrein durch irgend ein Wunder wirklich Augustus wäre? Bedenke, Rebekka, auch du hast dich so sehr verändert, daß diese Person, welche doch augenscheinlich beabsichtigte, sich unter deinen Schutz zu begeben, dich nicht wieder erkannte. Welchen Wechsel können nicht Zeit und Leiden an deinem Augustus hervorgebracht haben?«

»Zum erstenmal fühle ich mich schwach, Rosa. Und wäre er so tief in Blut getaucht, wie Kain, so will ich mit ihm sprechen – ich will Alles erfahren – das Schlimmste. Rosa, hilf mir durch diese Prüfung. Geh auf den Balkon hinaus und winke mit deinem Schnupftuch. Schlafen kann er nicht – und gewiß, er wird noch nicht todt sein.«

In der Qual der Spannung setzte sich Rebekka im Zimmer an das Fenster, während ihre Freundin, halb mit Schrecken, halb mit Freuden über die Aufregung des Abenteuers erfüllt, auf den Balkon hinaustrat, sich in eine vielleicht etwas studirte Attitüde warf und ihr weißes Tuch zu schwenken begann. Es war ein Glück, daß alle übrigen Hausgenossen in der tiefsten Ruhe begraben lagen. Eine derartige anmuthige Uebung muß übrigens, trotz der interessanten Attitüde, welche sie möglich macht, mit der Zeit langweilig werden, wenn sie keine Wirkung hervorbringt. Miß Belmont hatte endlich ihr Schwenken beinahe satt und war auf dem Punkte, es wenigstens für eine Zeitlang aufzugeben, als sich der Mann theilweise erhob, mit seiner Hand mehreremal rückwärts und vorwärts winkte, und dann wieder sich fast ganz im Grase verbarg.

»Er traut uns nicht, Rosa,« sagte Rebekka, welche mit bangem Herzen Zeuge des Vorgangs gewesen war; »aber du mußt fortfahren.«

Rosa entsprach der Aufforderung, und endlich kam der in dieser Weise nachdrücklich eingeladene Gentleman mit zögernden Schritten und scheuem Gange näher. Rosa's Furcht steigerte sich, je mehr sich die Entfernung zwischen ihm und dem Balkon minderte, und als er unmittelbar unter demselben angelangt war, hatte sie sich in das Zimmer zurückgezogen.

Bis jetzt hatte sich übrigens Rebekka stets in jeder bedenklichen Lage zu helfen gewußt. Sie zitterte zwar, nahm aber doch ihre Freundin bei der Hand und trat mit ihr auf den Balkon hinaus. Eine leise, stotternde Stimme ließ sich von unten vernehmen:

»Meine Damen, ihr werdet mich nicht verrathen.«

»Gewiß nicht, Fremder,« versetzte Rebekka in gedämpftem Tone.

»Ich segne Eure Stimme. Ist es nicht Rebekka Bacuissart, die mit mir spricht?«

»Sie ist es. Aber mit wem rede ich? Eure Stimme tönt seltsam in meinen Ohren, und doch kenne ich Eure Person nicht.«

»Ich bringe Euch Kunde von Augustus Astell.«

»Du bist Augustus!«

Dies war mit der unnatürlichsten Stimme gesprochen, die ein Ohr erreichen konnte: sie tönte wie ein fernes Echo.

»Mein Fräulein, ich bin als Verräther ausgeschrieben, und Personen haben eidlich erhärtet, daß ich ein Mörder sei. Könnte Augustus dies sein?«

»Nie; aber warum bleibst du zitternd hier stehen? Welch' ein Glück würde es jetzt für mich sein, wenn ich laut hinausweinen könnte – komm zu mir, komm in meine Arme! Augustus, du mußt frieren.«

»Ich bin schwach und kann nicht. Blicke zu mir nieder, Rebekka, und laß mich Leben und Kraft aus deinem Antlitze trinken. So sehe ich doch wieder meine lang verlorene Schwester! Glaube mir, ich bin sehr glücklich – mögen sie mich jetzt immerhin ergreifen. Thor, der ich war, dich nicht zu erkennen; aber dein Anzug hat mich getäuscht.«

»Das sind nur eitle Worte, Augustus. Höhne mich nicht – ich kann vor Thränen nicht sprechen – und will nichts von dir hören, als was du mir an meinem Busen zuflüsterst. Glaubst du, Augustus, daß ich etwas sehen, hören oder thun könne, bis du mich umarmt hast? Komm, komm!«

Und mit ausgestreckten Armen lehnte sie sich so weit über das Geländer vor, daß sie, wenn sie nicht von Rosa gehalten worden wäre, hätte über den Balkon stürzen müssen.

»Was wird aus mir werden?« sagte der verzweifelnde Jüngling. »Ich bin von allen Seiten eingeschlossen. Die Bosheit ist gegen mich zu Felde gezogen, und ich bin von Verräthern umringt. Wo, Rebekka – wo soll ich ein Asyl finden?«

»Bst, Augustus! Ich bin stark – bin allmächtig in meiner Liebe zu dir und will dich beschützen. Um Gotteswillen sprich leiser. Ha! da bellt jener unglückliche Hund.«

»Ich will hingehen und ihn in einem Nu zum Schweigen bringen.«

»Du sollst mich nicht verlassen, Augustus; nein, nein, laß ihn fortbellen. Erhebe deine Hand, mein Theuerster, und laß mich nur deine Fingerspitzen berühren. Oh, ich Unglückliche, ich kann sie nicht erreichen! Rosa, kannst du mir mit deiner großen Gelehrsamkeit nicht beistehen, damit wir diesen treuen Ritter in das Gemach seiner Dame bringen? Es liegt nichts Unrechtes darin – Rebekka gibt dir diese Zusage, denn waren wir nicht schon verlobt, mein Augustus, als wir noch klein waren? Wer von unseren Bekannten nannte mich nicht dein Weibchen?«

»Und wenn ich tausend Jahre leben sollte, möchte ich keine Andere mit diesem Namen begrüßen.«

»Du hörst, wie treu er ist, Rosa; und doch stehst du ihm nicht bei! Er wird ergriffen werden – mein Gott, er wird ergriffen werden!«

Das Bellen des Hundes wurde nun so anhaltend und laut, daß man jeden Augenblick erwarten mußte, es dürfte Jemand von dem Haushalte erwachen. In der That war dies auch bei Vielen der Fall, aber Niemand mochte aufstehen, um sich nach der Ursache zu erkundigen. Augustus Astell eilte jetzt raschen Schrittes nach jenem Theile des Hauses, wo der Hund angebunden war, und beschwichtigte ihn mit wenigen Worten. Die Damen verbrachten die Zeit seiner Abwesenheit in großem Schrecken; er kehrte jedoch fast augenblicklich wieder zurück.

»Meine theure Becky, der Hund kennt mich und ist mir, wie du, treu geblieben.«

»Das Thier ist würdiger, als ich. Ach! ich bin dir nur treu geblieben, aber ich kannte dich nicht.«

»Laß das; du mußt den armen Wanderer nicht mit Selbstvorwürfen bewillkommnen. Wie geht es meiner theuren Mutter?«

»Sie ist wohl; doch laß uns jetzt nur von uns sprechen. Rosa, du bist mir eine liebe Freundin; aber Augustus steht noch immer da unten in dem kalten, ungesunden Mondlichte.«

»Ich habe in der Geschichte der schönen Roswaldina und des Ritters mit der silbernen Rüstung gelesen,« sagte Rosa, »daß diese Dame, nachdem sie sich heimlich mit ihrem Geliebten vermählt, ihre Betttücher zusammenknüpfte und sie von dem Thurmfenster niederließ – –«

»Thörichtes Mädchen – wozu alle diese Zeit verlieren!«

Nach einigen Minuten befand sich Augustus unter Beihülfe ähnlicher Mittel in dem Gemache und in den Armen der vor Freude fast wahnsinnigen Rebekka. Ich weiß zwar, daß all dies eine schrecklich ungebührliche Aufführung ist, und daß die betreffenden Personen die bitterste Rüge treffen sollte, welche je in das Zungengift einer tugendhaften alten Jungfer getaucht war. Auffallenderweise schienen jedoch die betheiligten Personen diese schreiende Unschicklichkeit, vor welcher die übrige Welt natürlich mit Recht zurückschrickt, durchaus nicht zu fühlen. Die Damen wollten nur eine Person, an der sie tiefes Interesse nahmen, vor der Schmach eines öffentlichen Gefängnisses, vor der Anklage des Verraths und Mordes, und vielleicht vor einem ungerechten Todesurtheil schützen. Möglich, daß alle diese Gefahren nicht in Wirklichkeit stattfanden; sie glaubten es aber einmal, und wenn sie ungebührlich handelten, so konnten sie eben nicht anders. Ich bin in der That nicht mit mir im Reinen, ob ihr Benehmen Nachahmung verdient, oder nicht, denn da ich ein so alter Mann bin, so befinde ich mich längst nicht mehr in der Lage, derartige spitzfindige Unterschiede zu beurtheilen.

Der Mensch kann nicht ganz von Liebkosungen leben, und wenn man es versuchen wollte, so würde man es fast so unangenehm finden, als wenn man derselben ganz und gar entbehren müßte. Nach vielen Dankesergüssen gegen Gott und die Damen, namentlich aber gegen Rebekka, denen Augustus feierliche Gelübde einer unwandelbaren Liebe für sein Weibchen beifügte, nahm er keinen Anstand zu bekennen, daß er sehr müde und ausgehungert sei. Rosa wurde zu dem unromantischen Geschäfte abgeschickt, die Speisekammer zu plündern und von den Weinflaschen auf dem Seitentische zu stipitzen – ein Auftrag, dessen sie sich so natürlich und gewandt entledigte, als sei sie dafür geboren worden.

Das Fehlen dieser Gegenstände erregte am andern Morgen nur geringes Aufsehen, da in der vernachlässigten Oekonomie zu Trestletree-Hall ähnliche Vorfälle nicht selten waren.

Mit welcher Lust waren nicht die beiden unvorsichtigen Damen Zeugen, wie der hungrige junge Adelige seinen sehr plebejischen Appetit befriedigte. Nachdem er übrigens mit seinem Mahle fertig war, gab er so unzweideutige Symptome von Schläfrigkeit zu erkennen, daß die Damen nach einem glühenden Austausche von Segenswünschen Bett und Gemach an den ermatteten Gentleman abtraten. Rebekka entfernte sich und schlief in der höchsten Wonne des Glückes bei ihrer Rosa, die fast eben so selig war, aber sich über die ärmliche Außenseite des so viel gepriesenen Augustus nicht genug wundern konnte.


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