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Zwanzigstes Kapitel

»Ein Mann, der sich mit Wortspielen trägt, ist im Stande, auch eine Tasche zu leeren.«

Smellfungus

»Nur diejenigen hassen Wortspiele, welche zu einfältig sind, selbst welche zu machen, oder denen es an Hirn gebricht, sie zu verstehen.«

Mudungus

Miß Belmonts Vermuthung war vollkommen richtig. Mrs. Dregely hatte Alles, was sie von den Zusammenkünften mit dem jungen Kapitän wußte, und noch ein Ziemliches weiter an Rubasore geschrieben – nicht daß sie eine Verläumdung beabsichtigte, denn sie wollte nur ihren Ruf als gewandte Briefschreiberin aufrecht erhalten, und wie anders hätte sie ihre drei Seiten ausfüllen können?

Als Mr. Rubasore diese unangenehme Kunde erhielt, war er eben mit dem Ende seines Haarzopfes beschäftigt und eifrig bemüht, seine verlornen Zolle wieder zu gewinnen. Aber jetzt bemächtigte sich eine gewichtigere Sorge seines umfassenden Geistes. Er bestellte Postpferde und reiste mit aller möglichen Geschwindigkeit nach dem kleinen Wirthshause des Fischerdorfes in der Nähe von Jaspar-Hall. Seiner künftigen Gattin stellte er sich nicht vor, bis er aller Beihülfe der Kunst aufgeboten hatte, um die Verheerungen zu bedecken, welche ein Alter vor achtundvierzig Jahren an seinem schmächtigen Körper hervorgebracht hatten. Wie er sich eben mit seiner lästigen Toilette abgab, bemerkte er die Barke der Fregatte und die Bootsmannschaft, welche in der Nähe derselben auf dem Kiesgestade stand. Die Aufregung gab Anlaß zu einem Schnitte mit dem Rasiermesser. Sobald er sich vollständig angekleidet und so jung als möglich herausgestutzt hatte, ging er nach dem Gestade hinunter, um zu sehen, wie das Land liege. Unseliger Spaziergang! denn in demselben Augenblicke machten in der Halle droben seine Mündel und der Kapitän der erstaunten Mrs. Dregely ihre Mittheilung.

Es waren zwei Matrosen in der Barke, um sie flott zu erhalten. Der Rest der Mannschaft schlenderte mit dem Beischiffsführer am Ufer hin und her, las Steine auf, ließ sie auf dem Wasser dahintanzen und trieb ähnliche müßige Belustigungen. Du magst wohl glauben, Meister Kritiker, wir seien in einem ähnlichen müßigen Geschäfte begriffen; übrigens läßt sich dir derselbe Vorwurf machen, wenn du deine Zeit darauf verwendest, um die Fehler dieser wahrhaftigen Geschichte auszusuchen. Wollen wir nun in Ermangelung eines Besseren dem Gespräche der Matrosen zuhören.

»He, Bill, glaubst du, daß der Kapitän noch eine Weile ausbleiben wird?«

»Ja wohl, Bob; vor drei Stunden wird er nicht in Sicht kommen.«

Die beiden Sprecher gaben ihren Hosenbunden einen Ruck, schoben ihre Kaupflöcke in die andere Backe und verstummten für eine Weile.

»Wie ist's, herzallerliebster Beischiffsführer,« sagte ein stämmiger Kerl mit einem durstigen Gesichte; »glaubt Ihr, es sei eine Grogkneipe in Rufweite?«

»Nein; wenn man etwas der Art haben will, muß man bis zu jenen eingefallenen Hütten gehen, die sie ein Dorf nennen. Außerdem hat der Kapitän gesagt, wir sollen das Boot nicht verlassen.«

»Nun, gut Glück für ihn!« versetzte der Durstige. »Beischiffsführer, laßt mich nach jenen Häusern hinauf und gebt mir Urlaub für ein Kännlein Grog – nur um seine Gesundheit zu trinken und ihm zu zeigen, wie wir seine Befehle respektiren.«

»Kameraden, ich will euch in aller Ordnung meine Meinung sagen,« entgegnete der Beischiffsführer mit strenger Miene. »Wenn Einer von euch das Boot verläßt, so schlage ich ihn hier zur Stelle auf das Kiesufer nieder. Unser Schiffer schickt nie einen Seesoldaten mit aufgepflanztem Bajonnet in die Barke, um uns vom Desertiren abzuhalten – nicht einmal einen Unteroffizier mit seinem Krautmesser; wir müssen daher auf Ehre halten. Ehre über Alles und keinen Zwang nicht; ich kann das nicht ausstehen. Ich sage daher, sobald Einer von euch Teufelskerlen das Boot verlassen will, so kriegt er ein's auf's Dach.«

»Aber was sollen wir thun?« sagte ein Anderer.

»Beischiffsführer, macht den Angenehmen und singt uns ein Liedchen.«

»Ja, das will ich, ihr Feuerfresser.«

Er steckte dann den Fußstock in der Weise zwischen die Beine, wie es kleine Knaben mit dem spanischen Rohr des Großvaters zu halten Pflegen, wenn sie es als Steckenpferd brauchen, und begann mit kläglicher Stimme folgenden Vers. Wie es möglich war, daß er in dem heiteren Sonnenscheine die Aufgabe so erbärmlich erfüllte, konnte nur Jack erklären.

»Wollt' eines Tags die Wies' entlang
Gut's Muth's spazieren gehen;
Da sah ich an dem Heckengang
Ein feines Dirnlein stehen.«

»Halt da, halt da!« rief ein anderer breitschulteriger Kerl. »Ich sage, halt da, Mann, mit Eurem schnüffelnden Gekrächze, 's ist keine Grütze darin – thut gerade wie ein Dudelsack, der das Bauchweh hat.«

»Gut Kamerad; wenn dir mein Lied nicht gefällt, so steht dir vielleicht meine Pfeife – –.«

Was dieser höchst würdige Beischiffsführer weiter gesagt haben würde, müssen wir den Muthmaßungen unserer Leser überlassen, denn in diesem Augenblicke kam Mr. Rubasore um die Ecke des Steindammes, der das Gestade von der Wiese trennte, und näherte sich – eine wahre Augenweide – der Bootsmannschaft, freilich trotz seiner Sehnsucht nach Neuigkeiten ein wenig zögernd, als er eilf stämmige Kerle an dem Gestade und zwei weitere in der Barke bemerkte, in deren harten Gesichtern er ganze Batterieen boshaften Witzes lesen konnte. Allerdings existirte kein besserer oder grausamerer Spötter als Mr. Rubasore, aber er war nur Meister in seiner Kunst, wenn es gentlemanisch zuging und er dieselbe in kalter Ruhe ausüben konnte. Die Leute vor ihm waren ein Gegenstand seiner Verachtung, obschon er sie zugleich fürchtete.

»Beischiffsführer,« sagte Einer aus dem Haufen, »was ist das für ein spindelbeiniger Landtölpel. O Jemine! er watschelt einher wie eine Ente, die über das große Lukengitter spaziert.«

Aber Mr. Rubasore hatte einen edelmüthigen Advokaten.

»Ei, Bill,« entgegnete ein gewisser Oaklay, der sich wie eine holländische Schuyte auf dem Doggerbank einherwälzte, »sprich nicht so herabwürdigend, Mann. Er kann nicht gehen, wie wir – von wegen – 's ist sein Unglück, Mann. Wie kannst du von ihm erwarten, daß er anständig gehen soll, wenn er nie zur See war. Der arme Tropf, er dauert mich.«

Oaklay sagte dies laut, damit es Mr. Rubasore hören möchte, vermuthlich für seine ritterliche Advokatur wenigstens einen Dank, wo nicht einen Schilling erwartend. Der Gentleman wußte jedoch nichts von Dankbarkeit und kam näher.

»Hast ganz Recht, Oakley,« sagte ein Anderer, »aber sieh, wie er sich den Weg ausliest – ganz wie eine Henne in seidenen Strümpfen, die durch einen Schweinkoben spaziert.«

»Seid ruhig,« entgegnete der Beischiffsführer; »denn seht Junge, der Schiffer hat befohlen, wir sollen stets höflich gegen die Dinger sein, die uns am Ufer aufstoßen.«

»Gut, gut; aber er sieht wahrhaftig ganz aus wie ein armer unwissender Landfisch.«

»Da haben wirs wieder,« sagte der Beischiffsführer patronisirend. »Wenn er auch in seiner Spitzifikation einen Narren aus sich macht, du grinsender Hund, so sieh dich mit deinem Lachen vor, denn wie hätte er auch zu einer Erziehung kommen können?«

»Natürlich – sintemal er nie über die Linie gekommen ist.«

Mr. Rubasore hörte diese Kommentare über seine Persönlichkeit trotz des ehrlichen Bedaurens, das sie enthielten, nicht mit jenem dankbaren Gesicht an, das sie verdienten. Er warf sich in die großartigste Attitüde, ging keck auf die Matrosen zu, trat in ihre Mitte und nahm mit großer Würde eine Prise Schnupftaback. Die Meisten langten an ihre Hüte, aber die Grimassen, welche sie dazu schnitten, standen nicht in sonderlichem Einklänge mit diesem Zeichen der Ehrerbietung. Mr. Rubasore wollte sich sehr gnädig zeigen, beging aber schon im Beginne seiner Anrede einen schrecklichen Mißgriff.

»Gemeiner Matrose,« sagte er zudem stämmigen Beischiffsführer, »wem gehört diese Schaluppe?«

Dies war fast zuviel für den Angeredeten, um so mehr, da der Rest der Bootsmannschaft lauter, als je, zu lachen anfing.

»Grinst nicht, ihr Hunde, sondern langt an eure Hüte. Da Oaklay, nimm diesen Fußstock, oder es wandelt mich wahrhaftig die Lust an, den Gentleman damit niederzuschlagen.«

Nachdem er sich in dieser Weise der Versicherung entledigt hatte, wandte er sich an Mr. Rubasore und fuhr fort:

»Gemeiner Matrose, Sir! habt Ihr gesagt, gemeiner Matrose? Zum Henker, was wollt Ihr damit sagen?« Dann wandte er sich an seine Kameraden. »Doch das arme Ding steckt voll Unwissenheit.« Hierauf fuhr er gegen den erstaunten Gentleman fort, indem er abermals mit erzwungener Achtung an seinen Hut langte: »Mit Erlaubniß, Euer Ehren, Sir, es gibt keine gemeine Matrosen in der britischen Flotte. Wir sind nichts weniger als gemeines Volk. Seht Ihr diese Bootsmannschaft? – es sind unserer dreizehn. Nun, stellt uns sechsundzwanzig entgegen – gleichviel ob Franzosen, Holländer, Dänen oder Spanier – und wenn wir nicht flämische Abrechnung mit ihnen halten, so will ich auf eine ganz ungemeine Weise verdammt sein. Ja wohl da – gemeiner Matrose!«

Durch diesen Ausbruch der Entrüstung ein wenig eingeschüchtert, versuchte Rubasore allem seinem Ernste auszubieten und entgegnete:

»Was wollt Ihr damit, Mann, daß Ihr Euch vor mir so in's Feuer jagt?«

»Gemeiner Matrose! In der ganzen Kanalflotte gibt es nicht einen einzigen Fockmastmann, aus dem man nicht einen Offizier machen könnte, wenn einmal die rechte Stelle aufgeht. Gemeiner Matrose – Ihr verkrüppeltes Stück von einem Landiltis – gemeiner Matrose!«

Oaklay erbaute sich höchlich an dem Zorne des Beischiffsführers, der jetzt den des Mr. Rubasore bei weitem überbot, und schob nun, um uns seines eigenen Ausdrucks zu bedienen, sein Ruder folgendermaßen ein:

»Ereifert Euch nicht so, Beischiffsführer; Ihr wißt, daß es eitel Unwissenheit von seiner Seite ist. Ihr solltet den Gentleman mit Achtung behandeln.«

Mit diesen Worten ging er dreist auf Mr. Rubasore zu, langte an seinen Hut, musterte den Ehrenmann bedächtig vom Wirbel bis zur Zehe und rollte dabei seinen Kautabak aus der einen Wange nach der andern. Nachdem er sich von den Dimensionen des Gegenstandes seiner Neugierde zureichend überzeugt hatte, drehte er sich auf den Fersen und spritzte mit großer Gelassenheit den Inhalt seines Mundes gegen Mr. Rubasores reine, weißseidene Strümpfe, ohne dabei zu vergessen, seinen Hut zu berühren.

»He, Matrose,« rief der nun völlig in die Enge getriebene Späher nach Auskunft. »Ihr habt mir meine Strümpfe beschmutzt. Ich betrachte dies als eine absichtliche Kränkung und bestehe darauf, daß Ihr mein Bein abwischet und mich um Verzeihung bittet.«

»Wohlan Sir, ich bitte Euch um Verzeihung – vonwegen, weil ein verirrter Schuß gegen Euer – ha! ha! ha! – schätz wohl, ich muß es Euer Bein nennen – geflogen ist.« Dann wandte er sich an seinen nächsten Kameraden und fuhr fort: »Herr Jemine – ein Bein, Bob – es sieht eher aus wie ein Merlpfriem, der um und um in weiße Seide eingewickelt ist.«

»Das ist unerträglich,« rief Rubasore. »Ich werde diese Unverschämtheit Eurem Vorgesetzten melden.« Dann deutete er nach der Fregatte. »Ich frage, wer ist der Kapitän dieses Schiffes, und warum ankert die Fregatte – wie ich sagen möchte – fast unter meinen Fenstern? Gebt mir eine kategorische Antwort.«

Mr. Rubasore hätte den Beischiffsführer eben so gut nach dem Namen eines der Berge im Mond fragen können, denn er erhielt nur die verdrießliche Antwort:

»Kanns nicht sagen, Sir.«

Oaklay jedoch, der einen Scherz liebte, bot Allem auf, um einen Streit herbeizuführen, denn er sah, daß der ehrliche Beischiffsführer über den Sinn von Rubasores Frage eben so im Unklaren war, als er selbst.

»Ei Tom,« sagte er, »habt ihr das verstanden? Er gibt Euch Schimpfnamen in seiner ausländischen Sprache.«

Dies weckte abermals den Zorn des Beischiffsführers. Mr. Rubasore hatte ihn bereits einen gemeinen Matrosen genannt – eine schwere Kränkung für einen Mann von einem Kriegsschiffe – und es bedurfte daher nur eines geringen Sporns, um ihn zu einem neuen Ausbruche zu veranlassen, dessen er sich in folgender Philippika entledigte.

»Oh, bei allen Pfeifern, kommt Ihr mir so, Ihr spitznasiger, pergamentgesichtiger, glotzäugiger Schuft? Ha, Ihr wandelndes Bauchgrimmen – Ihr Geist von Sechs auf Vier – Ihr gerstenschleimkochender Salbenschmierer –.«

»Wie könnt Ihr Euch unterstehen, einen Gentleman und Friedensrichter also zu beschimpfen? Wißt Ihr, wer ich bin? Ich bin Mr. Rubasore und als Vormund meiner Pflegetochter der Grundherr dieses Gutes. Ja, Ihr geifersüchtiger Mensch, sogar die Steine, auf denen Ihr steht, sind mein Eigenthum, denn sie befinden sich über der Hochwassermarke. Wohlan denn, Mensch,« er ergriff Einen aus der Bootsmannschaft, »als Friedensrichter verhafte ich Euch auf eigene Verantwortung, weil Ihr es versucht habt, den Frieden zu brechen. Ja, das thue ich – Ihr, Ihr schmähsüchtiger Matrose.«

Unglücklicherweise war er an den stämmigsten Burschen aus dem Haufen, der so theilnahmlos und unbeweglich wie der im Sand eingebettete Felsen dagestanden hatte, gerathen. Aber seine Versuche, ihn zu rütteln oder nur vom Platze zu bringen, waren völlig vergeblich. Dennoch hatte die Ankündigung, daß er eine Magistratsperson sei, einen beträchtlichen Eindruck auf die Matrosen gemacht, die in der Regel einen ebenso großen Respekt als Widerwillen vor den Gerichten haben.

Endlich sagte der gepackte Matrose:

»Beischiffsführer, soll ich ihn zu Boden schlagen?«

»Nein; hüte dich vor dem Gesetz.«

»Oder ihn abschütteln?«

»Auch nicht – 's ist von wegen dem Gesetz.«

»Kommt mit nach der Halle hinauf, Ihr lästernder Matrose. Kommt mit, sage ich, und ich will Euch Euer Mittimus ausfertigen.«

Und Mr. Rubasore zerrte und zerrte, konnte aber nur sich selbst von der Stelle bringen.

»Nein, Mr. Rubbishashore,« sagte der Beischiffsführer an seinen Hut langend; »dieser Mann führt das Steuerbordruder und darf unter keinen Umständen das Boot verlassen – muß der Ordre gehorchen. Doch dies ist kein Grund, Sir, warum Ihr es nicht versuchen könntet, ihn von der Stelle zu rücken, wenn es Euch Spaß macht. Jack sorge dafür, daß dir der Gentleman nicht mit dem Gesetz auf den Leib kommt. Bleib ruhig stehen; das arme Ding kann dir nichts anhaben!«

»Kann er das Gesetz gegen mich brauchen, wenn ich rauche?«

»Schätz wohl nein.«

»Dann thu Handreichung, Frank Funnel, und borge mir deine Pfeife.«

Besagter Frank Funnel händigte dem Gefangenen augenblicklich die gutgefüllte Pfeife ein, worauf dieser ganz wüthend zu rauchen begann und den scharfen Dunst in dicken Wolken voll in die Augen, die Naslöcher und den Mund der Magistratsperson blies. Hiegegen half kein Widerstand und Mr. Rubasore ließ, fast erstickt von einem furchtbaren Husten, seinen Gefangenen los. Sobald er wieder sprechen konnte, machte er seinem Zorne in Worten Luft, ohne des Kapitäns weiter zu gedenken, obschon dieser der Mann war, den er in einer Sache, die ihn am nächsten berührte, sehr zu fürchten hatte.

»Abscheuliche Unverschämtheit!« rief er. »Aber da haben wir den rebellischen Geist der untern Klassen. Euer Kapitän soll mich rächen und Jeden von euch peitschen lassen, bis nur noch ein Zoll Leben in euch ist.«

»Bah! bah! Armseliges Geschwätze! Kapitän Oliphant wird nie einen ächten und gerechten Seemann peitschen lassen wegen einer solchen Zwirnwickelkapsel,« ließ sich der Beischiffsführer Mr. Rubasore zu Ehren vernehmen.

»Dann ist er ein ebenso großer Schuft, als Ihr selbst.«

Dies war eine sehr ungebührliche Rede von Seiten Mr. Rubasore's und stand durchaus nicht im Einklange mit seiner gewöhnlichen Klugheit. Als der Beischiffsführer die unbesonnene Aeußerung hörte, rieb er lustig die Hände und rief:

»Jetzt meine Jungen ist das Recht auf unserer Seite – er hat auf den Kapitän geschimpft – nehmt ihn in Haft. Mr. Rubbishandmore, Ihr seid unser Gefangener.«

Er wurde nun ergriffen und so fest gehalten, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Alle seine Versuche, sich loszureißen, waren vergeblich – er befand sich wie zwischen den Backen eines Schraubstockes.

»Ah, Mr. Rubarore,« redete der frühere Gefangene den unglücklichen Gentleman an; »jetzt wird's Euch schlimm genug ergehen. Offene Meuterei, bei Jove!«

Obschon sich Mr. Rubasore nicht mehr rühren konnte, war ihm doch der Gebrauch seiner Zunge nicht benommen. Er erfüllte das ganze Gestade mit dem Mordiogeschrei, mit welchem er den Constabel John Tring und den Dorfschützen Thomas Prout aufbot.

Wir müssen ihn nun eine kurze Weile in seiner mißliebigen Klemme lassen, um zu Kapitän Oliphant und Miß Belmont zurückzukehren. Sie waren verabredetermaßen nach der Halle hinaufgegangen und hatten Mrs. Dregely ihr gegenseitiges Verhältniß klar auseinandergesetzt. Die kluge Dame war wie aus den Wolken gefallen. Sie mußte – wenigstens um ihres eigenen Interesse willen – an sich halten und bat deshalb die beiden Liebesleute auf's Nachdrücklichste, sich nicht zu übereilen; sie sollten Mr. Rubasore's Ankunft abwarten, der stündlich eintreffen könne. Dabei sprach sie viel von dem Unzarten eines so hastigen Schrittes, von der Ungebühr heimlicher Zusammenkünfte und schloß ihre Vorstellungen, die sie fast in Krämpfe jagten, mit der pathetischen Erklärung, daß sie über die ganze Angelegenheit ihre Hände wasche.

Gegen Alles dies war Rosa sehr majestätisch und vielsylbig, während der Kapitän seine humoristischen Ader springen ließ. Mrs. Dregely ließ endlich voll tugendhafter Entrüstung die Liebenden allein, um mit sich selbst zu Rathe zu gehen, ob es nicht am Besten wäre, sich dem Pärchen anzuschließen und die Person täuschen zu helfen, welche sie in ihre gegenwärtige sehr gemächliche Lage versetzt hatte.

Die nächste Stunde übte eine sonderbare Wirkung auf den jungen Offizier. Wenn er zuvor Rosa Belmont um ihrer Schönheit und Sanftmuth willen geliebt hatte, so betete er sie jetzt fast an, nachdem er die erstaunliche Ausbildung ihres Geistes begriffen. Sogar in wissenschaftlichen Punkten, Mathematik und Astronomie zum Beispiel, fand er, daß sie ihm unendlich überlegen war. Sie sprach Französisch und Italienisch vollkommen gut, konnte deutsche Schriftsteller lesen und war in Folge ihrer Klostererziehung auch im Latein nicht übel bewandert. Desgleichen spielte sie mehrere Instrumente und zeichnete so gut, daß sie manchen Lehrer beschämen konnte. Kurz, ihre Bildung war vortrefflich und der Unterricht, den sie genossen, gediegen; denn es war die einzige Aufgabe ihres Lebens gewesen, unter fähigen Lehrern das zu werden, was sie war. Nirgends zeigte sich Oberflächlichkeit, als in der Moral ihrer Erziehung.

Aber war nicht eben diese Moral gerade die Hauptsache?

Zuverlässig, bei einem Wesen von Rosa's edlem Sinne jedoch, mußte sich (und sie hatte bereits einen schönen Anfang gemacht), der falsche Firniß der Romantik und der Mehlthau einer krankhaften Sentimentalität bald abreiben. Seit Jahren hatte sich ihr Vormund bemüht, ihren Geist von dem wahren Pfade weiblicher Würde abzuleiten und ihr Gehirn mit träumerischen Vorstellungen von Liebe, Treue und unverletzlicher Beständigkeit zu erfüllen. Sie begann jetzt zu begreifen, mit welchen Schattenspielertäuschungen man sie umgeben hatte, und welcher schmutzigen Quelle von Büberei sie ihren Ursprung verdankten.

Der arme Kapitän Oliphant entdeckte bald, wie bäurisch und roh er in Vergleichung mit ihr war. Er lauschte mit Ehrerbietung auf ihre Worte und legte, so oft sie sprach, sich selbst die feierlichsten Gelübde auf, sich alle Mühe zu geben, ihrer mehr und mehr würdig zu werden. Aber trotz diesen Gefühlen der Selbsterniedrigung steigerte sich doch sein Unwille auf's Lebhafteste, wenn er an den tückischen Vormund dachte, welcher sie – man gestatte mir den Ausdruck – geistig entehrt hatte, und mit glühendem Eifer sehnte er sich nach einer Gelegenheit, seinem Unwillen an dem Gegenstande desselben Luft zu machen.

Trotz der Wonne, die er in Rosa's Nähe suhlte, hatte er doch seine Bootsmannschaft nicht vergessen. Er machte daher Miß Belmont den Vorschlag, nach der Stelle zu gehen, wo er zuverlässig seine gehorsamen Matrosen, die ihm sehr zugethan waren, zu finden hoffen durfte. Freilich ließ er sich nicht im Traume einfallen, wie sie in demselben Augenblicke beschäftigt waren.

Wir haben uns schon zu lange nicht mehr nach Peter Drivel umgesehen, der seinerseits Nelly bald aus dem Gesichte verloren hatte. Als Tausendkünstler lebte der ehrliche Jüngling früher bei einem Witzling, der ihn fast verhungern ließ, und es war ein Glück für ihn, daß, ehe es noch so weit kam, die Buchhändler seinen Gebieter im eigentlichsten Sinne hatten verhungern lassen; denn so rettete er wenigstens sein eigenes Leben. Als er sich in jener schlimmen Lage befand, sah er sich genöthigt, an Bord des vor den Towertreppen liegenden Tenders zu gehen – ein Schritt, den er voll Trauer um seinen vorigen Herrn und mit völlig leerem Magen einschlug. Letzteres Mißgeschick heilte der König bald mit guten Rationen, und das Erstere milderte die Zeit, indem sie zugleich die beseeligende Idee mit sich führte, der Mantel der Begeisterung, welche seinen Gebieter bei Lebzeiten dem Hungertode überantwortet hatte, sei auf seine, Peter's Schulter niedergefallen.

Peter Drivel wurde bald an die kecke Belladonna abgegeben; da man jedoch an Bord eines Kriegsschiffes wenig Witz braucht, um weit zu kommen, so befand er sich nicht recht in seinem Elemente. Statt die Nutzanwendung der Blöcke, der Wände und der Scheiben kennen zu lernen, versuchte er, possirliche Dinge darüber zu sagen, was ihm in der Regel eine Anspornung durch das Tauende oder das Rohr des Hochbootsmanns eintrug. Kapitän Oliphant, der einmal Zeuge eines derartigen Vorfalls war, ersparte ihm eine bevorstehende Züchtigung, nahm ihn in's Verhör und entdeckte bald, daß der junge Mann mehr für einen Diener als für einen Besahnmarsmann paßte. Er nahm ihn deshalb in seinen Dienst und gab ihm beständige Beschäftigung als Faullenzer. So wurde Peter Drivel Leibdiener und Knochenpolirer Nummer 2, da der Steward des Kapitäns stets Knochenpolirer Nummer 1 ist und in der Regel Mister genannt wird.

Nun spazierte unser, oder vielmehr Kapitän Oliphants Peter müßig über die Felder und sann über alle Arten von Worten nach, hin und wieder jenen Schrecken taugenichtsiger kleiner Knaben, ein wohlabgegriffenes Buchstabirbuch des berühmten Dilworth aus der Tasche ziehend. Er hatte bereits drei neue Wortspiele zusammengebracht und war eben in tiefem Brüten begriffen, wie er drei passende Gelegenheiten herbeiführen wolle, um sie mit gehörigem Effekte loszulassen, als ihm der kleine Pächter Drag in den Weg kam. An diesen schloß er sich nun an, denn er setzte einen Ehrgeiz darein, ihn in Erstaunen zu setzen.

Er ging mit dem emsigen Bauern umher, in der einen Hand das aufgeschlagene Buchstabirbuch haltend, mit der andern aber den Kragen von Drags Zwilchkittel fassend, damit ihm derselbe nicht entwische. Wie kömmt's doch, daß anerkannte Witzlinge so gewaltige Abstoßungskräfte besitzen? In dieser Weise kamen sie unter eifrigem Gespräche, wenigstens von Peters Seite, unwillkürlich in die Seh- und Hörweite des Herrn Rubasore, welcher sich noch immer in der Haft des Bootvolkes befand und von Zeit zu Zeit neben seinem Mordiogeschrei nach John Tring dem Constable und Thomas Prout dem Dorfschützen rief.

»Mordio! Mordio! Pachter Drag!«

Nun war der Bauer ein Grundholde von Mr. Rubasore oder wenigstens von Rubasores Mündel, Miß Belmont. Er wollte daher voll Eifer hinzueilen, aber Peter hielt ihn am Kragen zurück.

»So hört doch, Farmer – die ganze Kunst des Witzes, wie sie gegenwärtig in den besten Cirkeln geübt wird, und die einzige Species, welche dermalen unter den Schriftstellern in Anwendung kommt, besteht in –«

»Laßt mich gehen – seht Ihr nicht, wie der Squire sich mit den Matrosen balgen muß! Gott behüte, wie er Mordio schreit.«

»So bleibt doch – Ihr habt noch hinreichend Zeit, Farmer. Wenn ein Mensch Mordio schreit, so kann man ihn beim Wort nehmen, daß er nicht ermordet ist. Die ganze Kunst des Witzes liegt in diesem gesegneten Büchlein. Mein Herr, der jetzt im Himmel ist, lehrte mich das unschätzbare Geheimniß.«

»Drag, Ihr Spitzbube – seht Ihr nicht, wie man hier Euern Grundherrn umbringen will? – lauft nach dem Constabel, Mordio, Mordio!«

Docenten lieben keine Unterbrechungen. Peter wandte sich deshalb für einen Augenblick gegen Mr. Rubasore, schüttelte die Faust nach ihm und sagte:

»Daß die Wassersucht in Eure Rippen fahre – könnt Ihr Euch nicht ruhig verhalten? Ihr habt Euch dem Pächter verständlich gemacht und nun laßt mich das Gleiche thun. Merkt auf, Drag. A-a-l, Aal, ist ein Wort, gut zu essen. A-h-l, Ahl, ist ein Ding, das die Schuster brauchen. A-l-l, All, ist eine poetische Bezeichnung der Welt. Ihr habt also hier drei Worte, die so ziemlich gleichlauten und doch einen ganz verschiedenen Sinn haben. Merkt auf! diese Spalten müßt Ihr auswendig lernen – sie enthalten alle Worte in der Sprache, die einen ähnlichen Laut haben – so etwas kann man in zwei Minuten begreifen, Drag. Dies ist der fashionable Witz und Ihr könnt in solcher Weise Eure Trophäen über die Kolonnen des Buchstabirbuchs erheben. Kauft Euch eines und Ihr werdet stets geharnischt sein. Aber Pächter, Ihr macht ja ein paar Glotzaugen, daß ich fürchten muß, Ihr seid im Grunde doch nur ein Dummkopf.«

»Du hast mich ja fast erdrosselt – so laß doch meinen Kittelkragen gehen – willst du?«

»Allerdings, warum sagtest du nicht früher, daß du am Ersticken seist, vollgestopft, wie ein Norfolker Truthahn.« Dann wandte er sich an Mr. Rubasore, dem sich dieses unvergleichliche Paar jetzt genähert hatte und sagte: »Wohlan, Sir, ich habe mich jetzt ausgesprochen – fahrt fort – was können wir für Euch thun?«

Es stand einige Augenblicke an, ehe der Zorn Mr. Rubasore sprechen ließ. Endlich sprudelte er hervor:

»Pachter Drag, Ihr seid Zeuge, wie ich, eine Magistratsperson, hier gewaltsam zurückgehalten werde. Ihr habt den Angriff mitangesehen und könnt attestiren, wie meiner Freiheit Gewalt angethan wurde. Aber habt Ihr mich nicht Mordio rufen hören, Ihr Schlingel? und als Ihr saht, daß mein Leben in Gefahr stand, warum bliebt Ihr träge stehen bei diesem Tölpel mit seinem Buche da?«

»Ei, Squire – meinen gehorsamsten Respekt – ich glaube, als du so zu sagen von einer gewissen Art Mord sprachst, diskutirte dieser Kunde von einem andern, denn er wollte mich lehren, wie man Worte umbringt.«

»Wohlgesprochen, Pachter, du machst schnelle Fortschritte; und Alles dies, Sir, verdankt er dem Tölpel mit dem Buche. Potz Bratenröster, Pächter, es gibt auch Tölpel ohne Bücher!«

Um wie viel Peter bei dieser Gelegenheit noch witziger geworden wäre, ist unmöglich zu sagen, denn Mr. Rubasore war zu jähzornig, um sich zu einer ruhigen Zielscheibe für Buchstabirbuchstudien herzugeben. Alle begannen nun zumal zu sprechen, mit Ausnahme derjenigen, welche fluchten oder lachten. Die Verwirrung war schrecklich, und als die Scene eben recht interessant lärmend werden wollte, kamen Kapitän Oliphant und Miß Belmont um den niedrigen Steinwall herum, so sich mit einemmale in der Mitte des Tumults befindend.

Dieses unerwartete Eintreffen vermehrte für eine Weile das Getümmel. Rosa, die sich sehr verlegen fühlte, bemerkte endlich zwischen Lachen und Zittern gegen ihren neuen Liebhaber:

»Erlaubt mir, Euch Mr. Rubasore vorzustellen, der noch für ein paar kurze Monate die Rechte eines Vormundes über mich behauptet.«

»Der Gentleman ist mir schon von früher her ein wenig bekannt. Ihr Leute, laßt ihn los. Mr. Rubasore also, wie ich sehe?«

»Ihr habt einen Vortheil vor mir, Sir. Wenn Ihr, wie ich aus Eurer Uniform entnehmen muß, der kommandirende Offizier dieser Leute seid, so habe ich mich über eine der größten Verletzungen zu beklagen, die je an der Freiheit eines englischen Staatsbürgers und an der Person eines Friedensrichters verübt wurde, obschon ich diese Verbrecher nicht Eurem Gerechtigkeitssinn anheimgeben will, Sir, da mir dieser wahrscheinlich nicht zu meinen Rechten verhelfen würde. Wäre es übrigens nicht besser, Miß Belmont, Ihr kehrtet nach der Halle zurück? Ihr solltet nicht Zeuge der Unbilden sein, die Euerm Vormunde angethan werden. Euer eigenes Zartgefühl muß Euch zum Rückzuge zwingen, Rosa.«

»Thut so, mein Leben, aber entfernt Euch nicht allzuweit, Peter soll Eures Winks gewärtig sein.«

Miß Belmont entfernte sich in Peters Begleitung ungefähr hundert Schritte von der Stelle, in dieser Weise sich dem Hörbereiche entziehend, obschon sie noch immer mit ansehen konnte, was vorging.

»Mein Leben?« wiederholte Mr. Rubasore in großer Entrüstung. »Ich sehe, daß es hier viel zu verbessern gibt. Ich habe mich in meiner Pflicht, als Vormund dieser jungen Dame, sehr säumig erwiesen.«

»Das habt Ihr, Sir.«

»Diese Unterbrechungen find einem wechselseitigen Einverständnisse nicht günstig, Sir. Bis jetzt kann ich mich Eurer nicht erinnern – wollt Ihr die Güte haben, mir Euern Namen zu nennen?«

»Recht gerne, denn es liegt mir daran, daß Ihr ihn kennen lernet. Ich bin Oliver Oliphant, Kapitän von Seiner Majestät Fregatte, der Belladonna, und Neffe Eures Nachbars von Trestletree-Hall, des Sir Octavius Bacuissart.«

»Oh, Ihr seid also des Gewürzhändlers Sohn?«

Er sprach dieß mit einem nachdrücklichen Hohne, welcher der Bootsmannschaft keinen kleinen Floh in's Ohr setzte.

»Ganz recht, Sir, des Gewürzhändlers Sohn. Wohlan, Sir, was habt Ihr mir zu sagen?«

»Daß ich als Magistratsperson Euch auffordern muß, mir Beistand zu Verhaftung dieser Männer zu leisten, bis der Konstabel und der Dorfschütze aufgeboten sind, um die Verbrecher wegen unterschiedlicher Friedensstörungen, wegen Tumults und Angriffs auf meine Person in den Käfig zu sperren. Ich nehme diesen Schritt auf meine gesetzliche Vollmacht und Verantwortlichkeit. Als Offizier Seiner Majestät seid Ihr gehalten, die bürgerliche Macht zu unterstützen. Ich werde morgen die nöthigen Mittimus ausfertigen und die Gefangenen zur Aburtheilung nach dem Grafschaftsgefängnisse schicken.«

»Und was weiter?«

Der Kapitän durfte wohl so fragen, denn seine Leute standen stumm da und waren so erstaunt, daß sie sogar ihren Kautabak umherzurollen vergaßen. Vor Begier, sich vernehmlich zu machen, wußte Keiner ein Wort hervorzubringen.

»Soviel habe ich Euch als Magistratsperson, als der Repräsentant Seiner Majestät und als Erhalter des königlichen Friedens zu eröffnen. Hört aber auch, Kapitän Oliphant, was ich Euch in der Eigenschaft eines Gentlemans mittheilen muß.«

»Wir wollen sehen, in welcher Weise Ihr die Anmaßung dieser letzteren Eigenschaft rechtfertigt.«

»Sir, es ist keine Anmaßung, denn ich leite sie von meinem Vater ab. Könnt Ihr eben soviel von Euch sagen?«

»O noch mehr, unendlich mehr. Ich verdanke sie meinem Könige und habe sie nie durch mein Benehmen verwirkt. Könnt Ihr eben soviel von Euch sagen?«

»Als Gentleman, Sir, sage ich Euch, daß Ihr schmählicherweise Euren Dienst verabsäumt – einen Dienst, für den Euch die Nation nur zu gut bezahlt, um am Ufer umherzulungern und einen heimlichen Verkehr mit einem jungen, abgeschiedenen und unerfahrenen Mädchen zu unterhalten.«

Man muß gestehen, daß dieß ein scharfer Stoß war. Dieser Rubasore hatte eine Zunge, wie ein Pfeil. Der tapfere Kapitän fühlte sich für einen Augenblick etwas ungemächlich.

»Wenn das untere Takelwerk gesetzt werden muß« – begann er, hielt aber augenblicklich inne, denn er fühlte, wie lächerlich er sich mache, wenn er eine nautische Vertheidigung für sein Erscheinen an diesem Theile der Küste versuche.

»Ich weiß nicht, was Ihr mit der Entschuldigung sagen wollt, die Ihr vorzubringen im Begriff wart, aber augenscheinlich aus Schaam selbst unterdrücktet.«

»Ich habe nicht nöthig, mich wegen einer Sache zu schämen, Sir, und eben so wenig fiel es mir ein, mich gegen Euch zu entschuldigen.«

»Das ist jetzt gleichgültig – aber dort drüben liegt ein Schiff in völliger Unthätigkeit – ich kann nicht sehen, daß auch nur ein einziger Mensch sich auf demselben rührte.

»Es sollte ihm auch theuer zu stehen kommen, wenn es der Fall wäre.«

»Und so wird der Dienst des Vaterlandes vernachlässigt, damit Ihr ein unschuldiges Geschöpf verführen könnt.«

»Seid Ihr fertig?«

Der Kapitän murmelte auch noch etwas Anderes zwischen den Zähnen, was jedoch unverständlich blieb.

»Ich habe Euch als Magistratsperson und Gentleman angeredet, aber nun ist es auch meine Pflicht, den Vormund von Miß Belmont gegen Euch sprechen zu lassen. Ich verbiete Euch diesen Grund und Boden. Wenn Ihr Euch wieder hier blicken laßt, werde ich mir eine Vollmacht von dem Lordkanzler zu verschaffen wissen, vermöge welcher ich Euch, falls Ihr wieder kommt, wegen Verachtung des Gerichtshofs in das Fleetgefängniß setze. Jetzt bin ich fertig. Drag, geht nach dem Dorf, um Tring und Prout zu holen, damit wir diese Uebelthäter in's Gefängniß schaffen können.«

Kapitän Oliphant hatte sich bisher mit leidlicher Fassung benommen und alles Aufwallen seines Zornes unterdrückt; er war eben im Begriffe, der Magistratsperson der Reihe nach zu antworten, als der Beischiffsführer, seinen Hut in der Hand drehend, herantrat und sagte:

»Mit Erlaubniß, Sir, als Ihr abwesend wart, nannte Euch diese Person einen Schuft, und wir haben ihn mit aller Höflichkeit in Verhaft genommen.«

Dieß war ein einziger Tropfen Aufregung zu viel. Die bittere Philippica, die er für seinen Gegner vorbereitet hatte, war vergessen, denn mit geballter Faust trat er jetzt dicht an denselben hinan und sprach mit einer Donnerstimme:

»Habt Ihr Euch wirklich unterstanden, Sir, mich einen Schuft zu nennen?«

»Ich erlaube mir Alles, was sich ein Gentleman erlauben darf, und wessen ich mich unterfange, das bin ich auch einzuräumen bereit. Ich habe Euch übrigens nicht wirklich einen Schuft genannt, sondern sagte bloß, Sir, ich müsse Euch diese Bezeichnung geben, wenn Ihr die Leute da wegen Verachtung meiner obrigkeitlichen Person nicht peitschen ließet. Ich wiederhole diese meine Aussage.«

»Wenn sich 's um Verachtung Eurer Person handelt, werde ich weder diese Leute, noch sonst irgend Jemanden peitschen lassen.«

»Ich habe nicht nöthig, Eure Eisenfressereien anzuhören, Sir, und danke Gott, daß ich nicht zu Eurer Mannschaft gehöre.«

»Bei mir ist's der gleiche Fall. Ich werde die Matrosen nicht Peitschen lassen. Widerruft Eure Worte, wenn Ihr nicht eine andere Wahl treffen wollt.«

»Vermuthlich mich mit Euch zu duelliren,« entgegnete Mr. Rubasore mit höchst beleidigendem Hohne, »und Euch Gelegenheit zu geben, einen Beruf in Ausübung zu bringen, für den Ihr erzogen wurdet? Meint Ihr etwa, Sir, ich werde den Narren spielen, weil Ihr Lust habt, in der Rolle des Raufbolds aufzutreten? Bewahrt Euren Muth für die Feinde Eures Landes. Wenn's zu dem Versuche kommt, werdet Ihr vielleicht finden, daß Ihr nichts davon übrig habt.«

»Unverschämter Wurm, Ihr zwingt mich, Euch mit Fußtritten zu behandeln.«

»Zurück, und untersteht Euch nicht, Kapitän Oliphant. Wie, Ihr wolltet, umgeben von Eurer Mannschaft und unter den Kanonen Eures Schiffes einen unbewaffneten, ältlichen Gentleman angreifen? Thut es, Sir – aber wer ist dann die Memme?«

Das Gemurmel der Matrosen steigerte sich nun zu einem eigentlichen Tumulte, und sie erbaten sich mit Thränen in den Augen die Erlaubniß, ihm die giftige Zunge ausreißen zu dürfen.

Dieser erneuerte Lärm erreichte die Stelle, nach welcher sich Rosa und Peter zurückgezogen hatten, obschon sie zu entfernt standen, um die Worte unterscheiden zu können. Peter Drivel hatte sich bereits zu lange der Qual des Schweigens unterzogen. Er trat daher vor, nahm vor der Dame den Hut ab und erbat sich demüthig die Erlaubniß, eine Bemerkung machen zu dürfen, die denn auch in Gnaden ertheilt wurde.

»Wohlan denn, Fräulein, aus dem Lärmen, den sie dort machen, könnte man ganz natürlich auf die Vermuthung kommen, der Kapitän, die Mannschaft und das Schiff seien eben erst aus der Enge von Babelmandeb angelangt.«

»Aus der Freiheit Eurer Bemerkungen über Euern Gebieter muß ich entnehmen, daß Ihr noch nie in die Enge getrieben wurdet. Was mag wohl jener lange Wortstreit zu bedeuten haben?«

Da dieser Verweis in gutmüthigem Tone gegeben wurde, so nahm ihn Peter nicht als Rüge, sondern erging sich in einer neuen Ungebühr, indem er fortfuhr:

»Da ich nie wegen einer Antwort beengt war, Fräulein – –«

»Halt, Sir; ich muß Euch Euern Wahn benehmen. Ich habe keine Zeit, Euerm Witze zuzuhören, und bin viel zu unruhig über das, was in der Nähe des Bootes stattfindet. Wir wollen näher gehen.«

Dies geschah, und sie fanden, daß der tapfere Kapitän sich so weit beruhigt hatte, daß er im Stande war, einen gesetzten Vortrag zu halten.

»Ich hatte Unrecht,« sagte er, »daß ich mich durch eine Person aufbringen ließ, die zu berücksichtigen so weit unter der Würde eines ehrlichen Mannes liegt. Um jedoch mir selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, will ich Euch in Betreff der drei Eigenschaften antworten, die Ihr Euch angemaßt habt. Ich besitze nicht wie Ihr, die Gabe des Gep – die Macht der Rede, wollte ich sagen. Ich kann kein Garn spinnen – das heißt, die Sache wie ein Advokat verhandeln. Weil Ihr eine Magistratsperson sein wollt, so sage ich Euch, Kraft meiner Bestallung, daß ich selbst im Besitze eines Amtes bin, und daher nicht in Eure willkürlichen Maßregeln eingehen will. Selbst wenn sie an sich gerecht wären, so würden sie doch dem Dienste Seiner Majestät ein zu großes Hinderniß in den Weg legen, als daß Ihr sie durchzusetzen vermöchtet; indeß scheint es, daß Ihr Euch des ersten Angriffs schuldig gemacht habt. Ihr könnt, wenn Ihr wollt, diese da, mich und meine ganze Schiffsmannschaft bei den Vierteljahrssitzungen belangen und Euch so für ewige Zeiten lächerlich machen. Dieser Punkt wäre also bereinigt, und Ihr könnt die Palle niederklappen.« – Wir übergehen hier die Hems des aufmerksamen Peter. – »Was den Gentleman betrifft, so will ich Euch nur sagen, daß man sich als solcher, wenn man Beleidigungen ausstößt, auch auf die Folgen gefaßt machen muß. Aber nun tretet heran, Ihr Vormund – Mensch mit dem falschen Herzen und voll der hinterlistigsten Büberei – tretet heran und lernt Euch selbst kennen! Würde ein ehrenhafter Vormund die Einbildungskraft seiner Mündel schon zu verderben bemüht sein, während sie noch ein Kind ist? Könnte er mit ihr von einer Leidenschaft sprechen, die sie um ihrer Jugend willen nicht zu verstehen vermag? Könnte er sie zu einem Versprechen verlocken, ehe sie noch den Sinn der Worte versteht, die man ihr unterstellte? Würde ein redlicher Vormund seine Pflegbefohlene nach der Abgeschiedenheit fremder Klöster schicken – nach Orten, wo der moralische Unterricht mangelhaft und die Glaubenslehre sowohl ihrer Familie, als ihrem Vaterlande fremd ist? Wäre ein ehrenhafter Vormund im Stande, seine Mündel mit dem giftigen Wuste französischer Romane zu umgeben? Könnte er –«

Schnöderweise hatte übrigens der Gentleman, zu dessen Besten diese Beredtsamkeit aufgeboten wurde, sich viel zu weit zurückgezogen, um aus der Belehrung Nutzen ziehen zu können. Er sah mit einemmale, daß das Spiel, welches er so viele Jahre gespielt hatte, im Laufe weniger Tage für ihn verloren gegangen war. Nach seinem einsamen Wirthshause sich zurückziehend, legte er seinen Reiseanzug wieder an, fuhr von hinnen und begrub sich in irgend einen dunkeln Winkel Londons, um zum Flehen und Komplottiren seine Zuflucht zu nehmen, im Falle aber Beides erfolglos blieb, über Rache zu brüten.

Alles war jetzt Sonnenschein. Die Mannschaft der Barke jubelte, als Mr. Rubasore davon segelte. Peter vertrieb sich die Zeit abwechselnd mit Räuspern und Wortspielen. Der Kapitän aber und Miß Belmont begaben sich nach Jasper-Hall zu einem Diner, welches Mrs. Dregely besorgen und Anstands halber mit ihrem Vorsitze beehren mußte. Die Bootsmannschaft, unter welche der Kapitän Geld austheilte, begab sich nach dem Bierhause, das Mr. Rubasore eben erst verlassen hatte, und nahm ein kräftiges Schinken- und Bohnenmahl ein, wobei natürlich ein Whiskey-Grog in Ehren nicht fehlen durfte. Auch Peter ermangelte nicht, sich der lustigen Partie anzuschließen.


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