Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel

»Wenn List mit List zusammentrifft.
So lodert bald des Krieges Flamme.«

Es bestand jetzt eine Art bewaffneter Neutralität zwischen Mrs. Dregely, und der ihrer Obhut anvertrauten jungen Dame. Beide waren gegenseitig auf der Hut, denn die Aeltere fürchtete, durch Widerstand Miß Belmont zum Aeußersten zu bringen, während letztere ihrerseits die Hausgenossin nicht zu offener Feindseligkeit zu reizen wünschte. Ueberhaupt wußte sich Mrs. Dregely nicht zu helfen und befand sich in der peinlichsten Verlegenheit, ob sie es in Anbetracht der kurzen Dauer ihres Reiches und ihrer künftigen Aussichten mit dem Vormund, oder mit dessen Mündel halten solle.

Mr. Underdowns Wiedererscheinen brachte die Sache zu einer Krisis. Nachdem ihm Miß Belmont in ihren süßesten Tönen für den Beistand, den er ihrem ausgetretenen Diener geleistet, gedankt hatte, bat sie ihn, er möchte ihr die Ehre erweisen, auf ihr Zimmer zu kommen und einige Erfrischungen einzunehmen. Mrs. Dregely lächelte dabei, zog die Stirne in Falten und wurde unruhig, machte aber keine Einwendung.

Mr. Underdown, der das Ganze in der am wenigsten anstößigen Weise einzuleiten wünschte und so am besten zu seinem Ziele zu kommen hoffte, verbeugte sich sehr achtungsvoll zuerst gegen Rosa und dann gegen ihre Hüterin.

»Ich danke Euch aufrichtig für Eure gastfreundliche Güte,« sagte er zu der Ersteren und fügte dann an die Letztere gewendet bei: »Habe ich Eure Erlaubniß, Madame?«

»Ach, Sir,« versetzte Mrs. Dregely, »ich befinde mich wahrhaftig in einer eigenthümlichen Lage. Ich bin eine arme, verlassene Wittwe, obschon ich der besten Familie im Lande angehöre – auch habe ich gesunde religiöse Grundsätze, Sir, kann ich Euch versichern – aber was kann ich thun? Wenn ich's mit Mr. Rubasore verderbe, so stößt er mich, trotz meiner Verwandtschaft, in die Welt hinaus und läßt mich mit meinen armseligen hundertundfünfzig Pfunden jährlich verhungern, und dennoch möchte ich nicht um Millionen und Millionen von Welten den theuren, entzückenden Engel kränken, den ich mehr als mein Leben liebe. Was kann – was soll ich thun?«

Und dabei brach sie so gut wie möglich in ein Schluchzen aus, wobei ihr das wunderschöne weiße Nesseltuch trefflichen Beistand leistete.

»Wir verlangen gar nichts von Euch, meine gute theure Dame,« entgegnete Underdown mit seiner gewinnendsten Stimme, »gar nichts, als was sich am Besten mit Eurem eigenen Interesse verträgt. Mr. Rubasore hat Euch in der That nicht gut behandelt, und ich will Euch dies völlig klar machen, obschon ich mich für die Zwischenzeit gerne Eurer Einladung zum Lunch bedienen möchte, da ich gewaltigen Appetit verspüre.«

Bei diesem Mahle bot Mr. Underdown Allem auf, um Mrs. Dregely zu beruhigen, welche ihrerseits bekannte, daß ihr eine große Belohnung versprochen worden sei, wenn sie, ohne Miß Belmont zum Widerspruch zu reizen, bis zu Mr. Rubasores Ankunft alle Besuche fern halte. Diese Einräumung hatte ihr Mr. Underdown mit großer Schlauheit allmählig entdeckt, und die romantische Rosa brach darüber in einen ganz vortrefflichen Sturm von Entrüstung aus. Jedes Beiwort, das die gleiche Bedeutung mit »schändlich« hatte, kam energisch in's Spiel, und die Scene schloß, wie der Anstifter beabsichtigt hatte, damit, daß sich Mrs. Dregely vor ihrer Pflegbefohlenen fast auf die Kniee warf und um Verzeihung bat, worauf Nachgiebigkeit, Umarmungen, Küsse, und zum Schlusse Gelübde ewiger Freundschaft folgten.

Nachdem in dieser Weise die Gouvernante völlig gewonnen war, fuhr Mr. Underdown fort, den Damen auseinander zu setzen, wie Miß Belmont berechtigt sei, andere Vormünder zu wählen. Er überlieferte sodann Kapitän Oliphants Brief, welcher der entzückten Rosa die glücklichste Zukunft in Aussicht stellte. Underdown bemerkte jetzt zum erstenmal die romantische Gluth ihres Charakters, und ihre lebhafte Beredsamkeit setzte sogar den Mann in Erstaunen, welcher einem derartigen Gefühl sonst ziemlich unzugänglich war.

Mrs. Dregely theilte Jedoch diese Wonneergüsse nicht ganz, denn als sie von dem Plane hörte, daß Rosa nach Trestletree-Hall gebracht werden sollte, welches als ein wahrer Himmel herausgestrichen wurde, und zugleich finden mußte, daß bei den Annehmlichkeiten, welche dieser Ort bot, ihr eigener Name gar nicht in Erwähnung kam, so führte sie wieder ihr Nesseltuch nach den Augen und stöhnte abermals kläglich hervor:

»Oh, was wird aus mir werden?«

Rosa war in ihre süßen Träumereien zu sehr vertieft, um derartigen Lamentationen große Aufmerksamkeit zu schenken; da jedoch Mr. Underdown bei Weitem nicht so viel auf dem Herzen hatte, als Miß Belmont, welche ihrer eigenen Aeußerung zufolge »ganz Herz« war, so zeigte er doch einiges Gefühl für Mrs. Dregelys Kummer, und übernahm die Rolle des Trösters.

»Trübet Euch nicht selbst Eure Aussichten für die Zukunft, meine theure Madame,« begann er, »denn wenn Ihr auch nur auf die Dankbarkeit der Familie Bacuissart zu zählen hättet, so dürftet Ihr Euch in der That schon glücklich genug schätzen; und daß Miß Belmont Kapitän Oliphant heirathen wird, darf als fast sicher betrachtet werden. Bedenkt übrigens, wenn durch irgend ein Wunder Mr. Rubasore die Hand seiner Mündel gewinnen sollte, wie gering wäre Eure eigene Hoffnung, seine Gattin zu werden?«

»Ich Mr. Rubasores Gattin?«

»Allerdings. Der einzige Grund, warum er Eure großen Verdienste übersteht, liegt in dem Dazwischentreten einer Person, die ein wenig – ein klein wenig jünger ist, als Ihr, obschon sie bedeutend reicher sein mag.«

»Ja, sie ist freilich viel, viel reicher.«

»Ihr habt da ganz den Punkt getroffen, um den sich die Frage dreht. Was das persönliche Aussehen betrifft, so kann ich Euch versichern, Madame, daß es Viele gibt, die Euch Miß Belmont vorziehen würden, obschon es grobe Schmeichelei wäre, wenn ich dies von allen Männern behaupten wollte. Indeß muß Mr. Rubasore in seinem eigenen Herzen vollkommen überzeugt sein, daß Ihr weit besser zu seiner Lebensgefährtin, zu seiner Busensfreundin, zu seiner Gattin paßt, als eine wankelmüthige, junge Dame, die zwar sehr sorgfältig, aber doch höchst verkehrt erzogen wurde.«

»Mr. Rubasore wird nie so denken,« sagte die Dame mit einem aufrichtigen Seufzer.

»Er wird, Madame, wenn Ihr ihm Muße und Gelegenheit gebt.«

»Bst, mein theurer Sir! Miß Belmont wird Euch hören.«

»Fürchtet dies nicht. Betrachtet sie nur – sie hat jetzt nur Augen und Ohren für das, was sie unbezweifelt ihre Begeisterung nennt. Ich kenne die unzweideutigen Zeichen dieser Krankheit. Sie macht Verse. Ich frage Euch nun, Madame, eignet sich dieses sapphoartige Gesicht, halb Größe, halb Wahnsinn, für die Gattin eines so ernsten und sarkastischen Mannes, wie Mr. Rubasore ist?«

»Gewiß nicht, obgleich ich ehrlich bekenne, ich wünschte, daß dieses Gesicht mit allen seinen Fehlern mein eigenes wäre.«

»Ich bewundere die Ehrlichkeit dieses Wunsches; indeß werden wir uns bald gegenseitig verstehen. Wir müssen Alles in Bereitschaft halten, um morgen früh nach London aufzubrechen.«

»Halt, Sir, wenn ich bitten darf. Wie kann der Umstand, daß ich mir den Anschein gebe, als schließe ich mich einer Verschwörung gegen Mr. Rubasore an, dazu führen, daß er mich heirathet – das heißt, wenn es mir gefallen sollte, seine Werbung anzunehmen – denn ich bin noch lange nicht mit mir einig, ob ich ihn überhaupt haben möchte.«

Aus dieser Bemerkung entnahm Mr. Underdown, daß sie vorbereitet war, auf alle seine Wünsche einzugehen.

»Miß Belmont, darf ich Euch für einen Augenblick stören?«

»Ich bin ganz Ohr.«

Und dann fuhr sie in gedämpfter Stimme fort, augenscheinlich der Anwesenheit weiterer Personen unbewußt –

»Des Lenzes Chöre singen durch das Land
Den süßen Namen – –«

»Oliphant,« half ihr Mr. Underdown freundlich mit dem Reime aus. »Ihr seid also entschlossen, Miß Belmont, morgen mit mir nach London zu geben, um wegen Ernennung neuer Vormünder die gesetzlichen Schritte einzuschlagen?«

»Völlig entschlossen.«

»Und Ihr wollt jeder Gewalt kräftigen Widerstand entgegensetzen, die damit beauftragt ist, Euch zu hindern?«

»Ja, bis zum letzten Athem meines Lebens.«

»Ihr hört dies, Mrs. Dregely. Und ist es nicht Eure Pflicht, als Miß Belmonts Freundin und Hüterin sie zu begleiten, um allen Verläumdungen vorzubeugen?«

»Freilich, freilich.«

»Muß Euch nicht ferner in Anbetracht dessen, daß Ihr diesen äußersten Schritt nicht hindern konntet, als einer Freundin von Mr. Rubasore, die eifrig für dessen Interessen bedacht ist, daran liegen, uns zu begleiten und alle weiteren Schritte zu überwachen?«

»Ich glaube das selbst auch,« entgegnete die Dame völlig zufrieden gestellt.

»Wohlan, so schreibt augenblicklich an Mr. Rubasore, meinetwegen so entrüstet, als Ihr nur wollt. Wir thun nichts heimlich. Miß Belmonts Vormund kann uns vor dem Lordkanzler entgegentreten, wenn er es wagt.«

»Ich darf keine schmähenden Aeußerungen gegen Mr. Rubasore anhören,« entgegnete Mrs. Dregely ungemein vergnügt – »nichts, Sir, was Ihr außerdem noch beizufügen haben könntet.«

»Gut, Madame; Ihr werdet also seinem Interesse am besten dienen, wenn Ihr seine Mündel nach London begleitet.«

»Ich werde dies thun, Sir, und will nicht säumen, dem ehrenwerthen Gentleman den ganzen Verlauf dieser ungeheuerlichen Angelegenheit nebst meiner Entrüstung mitzutheilen. Wohl gemerkt, Sir, ich thue dies nicht im Hinblick auf Eure thörichten Reden, eine eheliche Verbindung mit Mr. Rubasore betreffend, die ich – ich darf es wohl sagen – zurückweisen würde, selbst wenn er mir seine Hand anbieten wollte. Ich glaube, Sir, wir können Euren Machinationen Trotz bieten.«

»Je bälder dies geschieht, Ma'am, desto eher werden wir den Ausgang sehen.«

»Mein Mißvergnügen über Euer Benehmen ist hinreichend groß, ohne daß es noch durch ärgerliche Betrachtungen erhöht wird.«

»Madame, mein Mißvergnügen gleicht ganz dem Eurigen.«

Dennoch waren in jenem Augenblicke nie zwei Personen über ihr wechselseitiges Benehmen vergnügter, als Mr. Underdown und Mrs. Dregely.

Ungeachtet der scheinbaren Feindseligkeiten von Seiten der beiden Partieen, verbrachte Mr. Underdown den Rest des Tages in der glücklichsten Weise zu Jaspar-Hall. Peter war der Held der Küche, und erregte daselbst ein so ungekünsteltes Erstaunen, daß sogar seine Eitelkeit zufrieden gestellt wurde.

Nachdem am andern Morgen früh Mrs. Dregely vor dem ganzen Dienstpersonale mit dem mildesten Gesichte von der Welt, das sie seit vielen Wochen zur Schau getragen, gegen die Reise protestirt hatte, gab sie die Schlüssel an die Haushälterin ab und stieg mit Miß Belmont und Nelly in den Postwagen. Vier Pferde trugen sie in sausendem Galoppe London zu, und die Insassen des Wagens befanden sich trotz ihrer offenen Fehde in dem allerfreundlichsten Oppositions-Zustande, zum erstenmale in ihrem Leben sich sogar gegenseitig ein wenig Liebe zuwendend. Mr. Underdown folgte in einer andern Chaise und schützte sich in Betreff des ihn begleitenden Peter Drivel gegen alles Gespräch, indem er unerträgliches Kopfweh vorwandte.

Peter, der sich also zu einem unwillkürlichen Schweigen genöthigt sah, war die einzige unglückliche Person unter der ganzen Partie.

Zu London angelangt, verlor Mr. Underdown keine Zeit, sich an den Lordkanzler zu wenden, welcher den Fall in seinem Privatzimmer vornahm. Miß Belmont besprach sich persönlich mit dem gelehrten Herrn und zeigte Mr. Rubasore's Briefe vor, so daß Seine Gnaden bald zu dem Schlusse kamen, Mr. Rubasore habe das ihm geschenkte Vertrauen schamlos zu den selbstsüchtigsten Zwecken mißbraucht. Die Vormundschaft wurde ihm abgenommen und den von Miß Belmont genannten Personen übertragen, zugleich aber auch eine schöne Summe zu ihrer Benützung für die paar Monate ihrer Minderjährigkeit ausgeworfen und Mr. Rubasore – der schlimmste Schlag von allen – zu sämmtlichen Gerichtskosten verurtheilt.

Dem Verfahren gegen Kapitän Oliphant wurde natürlich gleichfalls Einhalt gethan und sämmtliche Kosten, wie billig, an den ungerechten Vormund überwiesen.

Mr. Sharpus, Rubasore's Attorney, der nur mit knapper Noth dem Unglück entging, aus der Anwaltenliste gestrichen zu werden, that sein Bestes, um die ganze Sache zu vertuschen, und handelte völlig ohne Vorwissen seines Klienten, da dieser zur Zeit nirgends aufzufinden war.

Mr. Rubasore war weit weg und suchte tückischerweise Nahrung für die Rache, die er gegen die Familie Bacuissart brütete, dazu den Schlüssel benützend, den er von Monsieur Florentin erhalten hatte. Dabei kam ihm nicht entfernt zu Sinne, welche nachdrücklichen Maaßregeln gegen ihn selbst so erfolgreich eingeschlagen worden waren.

Mrs. Dregely spielte ihre Rolle gut. Sie hatte sowohl an Mr. Sharpus, als an Mr. Rubasore geschrieben und eilte unmittelbar nach ihrer Ankunft in London auf das Bureau des Letztern, ihre Mühewaltungen bei der bedauerlichen Angelegenheit nach Kräften herausstreichend. Sharpus ließ sich täuschen, zollte ihr großes Lob und bezahlte sie gut, da das Geld nicht aus seinem eigenen Beutel floß. Sie kehrte dann nach Jaspar-Hall zurück, um daselbst für kurze Zeit als einzige Gebieterin zu herrschen und ihre Plane auf die Hand ihres reichen Verwandten zu zeitigen.


 << zurück weiter >>