Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreißigstes Kapitel

Welch' eine Höll' voll Zauberei
Liegt in dem kleinen Balle einer Thräne.

Shakespeare.

Der Schluß meiner Geschichte rückt heran. Ich habe große Dinge angestrebt und bin ein menschliches Espenlaub. Die Flamme meines Ehrgeizes hat sich zu einer ungeheuren Höhe gehoben, und je höher die Flamme aufflackert, desto mehr zittert sie. Aber es kann – oder sollte mir doch wenigstens nicht fehlschlagen. Das Publikum wird mein Buch nicht vernachlässigt auf den Sims stellen, wie die Lords der Admiralität unter so vielen vortrefflichen Verwaltungen mit dem jetzt sehr alten Autor gethan haben. Nein, es kann mir nicht gänzlich mißglückt sein; denn als Berichterstatter dieser Ereignisse war das Wohl meiner Nebenmenschen das unverrückte Ziel, indem ich ihnen zu zeigen bemüht war, wie sie durch Nachsicht und Duldung die Wohlthäter ihrer Brüder werden können.

Die Mummerei des Behördenbeifalls und die höflichen Glückwünsche wurden nun dem alten Commodore sehr lästig. Das Ehrenbürgerrecht der Hauptstadt, welches ihm in einer goldenen Kapsel zum Geschenk gemacht wurde, hatte für ihn lange nicht den Werth, welchen die Freiheit gehabt haben würde, augenblicklich nach Trestletree-Hall zu gehen, seine geliebte Tochter zu umarmen und ihr zuerst die Kunde zu hinterbringen, daß sein und ihr Augustus noch lebe. Die schönsten Triumphe feiert der Held stets an dem Busen seiner Familie. Dort suchte auch der Commodore seinen Ruhm, denn nur im Kreise seiner Lieben konnte er sich desselben voll erfreuen, da er auf die innigste Theilnahme blos von dieser Seite aus rechnen konnte.

Wir müssen ihn jedoch noch eine Weile in London lassen, wo er sich vorbereitet, in voller Uniform nach Hofe zu gehen, und über den nachdrücklichsten Maßregeln brütet, Augustus wieder aufzufinden.

Folge mir nun, lieber Leser, nach Trestletree-Hall, um Zeuge von der Ankunft Miß Rosa Belmonts und ihres Kammermädchens zu sein, welche in Mr. Underdown's und Peter Drivels' Geleite eintreffen. Ihr Erscheinen veranlagte in dem ganzen Herrenhause allgemeine Freude. Mrs. Oliphant, welche die zarten Bande noch nicht kannte, durch die ihr Sohn an die Dame gefesselt war, nahm Rosa mit der ganzen Liebe einer Mutter und mit der Anmuth einer Dame von Stand auf, obgleich sie nur die Wittwe eines Kaufmanns war. Miß Matilda hielt sie für die am hübschesten gekleidete Person, die sie je gesehen hatte, kam aber mit einemmale zu dem Schlüsse, der überraschende Glanz ihres Teints müsse künstlich sein, weshalb sie sich eine schöne Bereicherung ihres eigenen Schatzes von kosmetischen Geheimnissen versprach.

Am auffallendsten war jedoch der Eindruck, den Miß Belmont übte, als sie in das Besuchzimmer trat, wo die arme Rebekka ihr Wesen trieb. Letztere wollte mit ihrem gewöhnlichen lärmenden Ungestüm auf Rosa zustürzen und ihre Hände fassen; aber die natürliche Zurückhaltung und die angeborne Würde des Gastes wirkte auf sie, daß sie plötzlich inne hielt und ausrief:

»Ach Himmel, wie schön! Gewiß, sie kann nie ein so schlumpigtes Ding lieben, wie ich bin. Ich möchte mir du Haare ausreißen.«

Sie sprach dies leidenschaftlich unter halbem Weinen und wandte der Gesellschaft den Rücken zu; denn ungeachtet ihrer Besserungsgelübde hatte sie sich während der Abwesenheit ihres Vaters hinsichtlich des äußeren Anstandes nicht viel geändert.

»Warum?« entgegnete Mr. Underdown in Erwiederung auf diesen sehr mädchenhaften oder vielmehr etwas unmädchenhaften Erguß. »Warum? das Haar ist sehr schön – oder nicht, Miß Belmont? Diese junge Dame ist Miß Bacuissart, die einzige Tochter des Sir Octavius, mit welcher ich Euch jetzt bekannt mache.«

»Das Haar ist in der That recht schön und umgibt das Antlitz eines Engels. Euch nicht lieben, meine Theure? Wie könnt Ihr auch nur so denken? Bin ich doch weiß nicht wieviele hundert Meilen weit gereist, um Euch und Alle zu lieben, die ich hier zu finden so glücklich bin. Kommt, wir wollen recht innige Freundinnen werden, und ich will Euch zeigen, wie dieses schöne Haar in der zierlichsten Weise geschlungen werden muß.«

»Wie freundlich und wohlwollend,« sagte Miß Matilda, gegen Rosa einen tiefen Knix der Dankbarkeit machend.

»Bah, bah! was liegt an meinem Haare? Wollt Ihr mich liebevoll ansehen mit diesen schönen schwarzen Augen? Wollt Ihr Eure Wange an die meinige legen? Wollt Ihr mich umarmen – mich küssen – so und so? Werdet Ihr mich nicht ganz – ganz verachten?«

Sie begleitete ihre Worte mit den entsprechenden Geberdungen; indem sie sich in Rosa's Arme warf, sie wieder und wieder küßte und dann in Thränen ausbrach. Von diesem Augenblicke an war die Freundschaft zwischen diesen beiden so ganz verschiedenen Wesen unverbrüchlich geschlossen.

Von nun an ging es rasch mit Rebekka's Besserung. Die vier Jahre, um welche Rosa ihrer Freundin im Alter voraus war, verliehen ihr gewissermaßen die Autorität einer Mutter; diese wurde jedoch nur gefühlt, denn sie verhüllte sich stets liebenswürdig in die Zärtlichkeit der Schwester und die Hingebung der Freundin, so daß sie eigentlich zum festesten Bande der Einigkeit wurde. Rebekka machte Miß Belmont in Allem zu ihrem Vorbilde, und versuchte sogar, ihre etwas auf Stelzen gehende Redeweise nachzuahmen, was der Ungebundenheit ihrer eigenen sehr zu Statten kam. Diese Freundschaft wirkte jedoch gleichfalls sehr wohlthätig aus Rosa. Mit jedem Tage sprach sie weniger und weniger von den zarten Empfänglichkeiten des immateriellen Geistes und von den rosigen Farben einer schüchternen Liebe, die durch den Schleier der Verschämtheit erglüht. Der natürliche Ausbruch der Gefühle, der sich bei Rebekka so ungebunden Lust machte, weckte in Rosa's Busen die gesundere und reinere Quelle eines sinnigen Gemüths. Sie begann die hohe Würde einer reinen Moral zu begreifen, und die Gespräche Underdowns mit seinen beiden Zöglingen – denn das waren sie wirklich, wenn auch nicht dem Namen nach – ließen bald die eine Dame die Schönheiten der Religion erkennen und ihre Verpflichtungen lieben, während sie dazu dienten, bei der anderen zu befestigen, was ihr von früher Jugend auf so sorgfältig eingepflanzt worden war.

Nach einem kurzen Monate war Rosa nur noch halb so romantisch, als früher und fast ganz verständig; in derselben Frist aber hatte auch Rebekka gleich große Fortschritte in Wahrung des äußeren Anstandes und in für ein Mädchen passenden Kenntnissen gemacht, als ihr Vorbild in einem andern Betrachte, was von zwei Damen viel und mehr heißen will, als ich in meinem Alter von den meisten behaupten möchte. Während dieser Zeit hatte der alte Commodore gekreuzt, gefochten und den Höfling gespielt, Kapitän Oliphant aber in Betracht der beiden ersteren Punkte das Gleiche gethan, weshalb er jetzt angelegentlichst verlangte, auch bei seiner schönen Rosa zu Hofe zu gehen.

Doch wo war während dieser ganzen Zeit Mr. Rubasore?

Nicht sehr fern – darauf kann man sich verlassen; denn es ist eben jetzt eine Zeit, wo recht viel Unheil gekocht werden kann.

Ja, ich glaube, es war im Anfange des Augusts – nicht vor dem zweiten und nicht nach dem siebenten – als eines Abends Rosa und Rebekka Arm in Arm in den dichtesten Gebüschen des Parks von Trestletree-Hall umherwandelten. Sie fürchteten keine Gefahr, obgleich es schon spät war, denn sie befanden sich in der Nähe des Hauses und der Park war mit einem Zaun umgeben. Der Tag war sehr schwül gewesen und der Thau noch nicht gefallen, weshalb die Damen noch immer ihren Spaziergang fortsetzten, da und dort in den offenen Grasplätzen auftauchend.

Miß Belmont hatte ihre Vorliebe für das Mondlicht noch nicht verloren, und Miß Bacuissart begann rasch gleichfalls Gefallen daran zu finden. Die schönen Arme gegenseitig um einander geschlungen, waren die dunkle Schönheit und die blonde in ihrem Gedankenverkehr fast so glücklich, als zwei Personen desselben Geschlechts möglicherweise nur sein können. Ja, ich zweifle sogar, ob sie sich wohler gefühlt hätten, wäre Rosa in der Gesellschaft des Kapitän Oliphant und Rebekka in der ihres Vetters Augustus gewesen – natürlich von dem Entzücken spreche ich nicht.

Denselben Abend hatte Miß Belmont ihre Beichte abgelegt und ihr ganzes vergangenes Leben vor der Freundin enthüllt, sich selbst mit strenger Rüge über ihre Irrthümer nicht verschonend.

Nun haßte aber Miß Bacuissart den Mr. Rubasore, wie sie nur irgend etwas hassen konnte; sie belustigte daher ihre Gefährtin und sich selbst mit dem Berichte jenes Zopfrennens. Dann fuhr sie fort, ihrer Freundin die Geschichte ihres eigenen Lebens zu geben, wobei sie erzählte, wie arg verderbt sie gewesen, zugleich ihre Freude über die vorgegangene Veränderung und ihre tiefe Schaam ausdrückend, daß sie je so störrisch und eigensinnig gewesen. Zunächst kam die Rede auf Augustus, und ihre blauen Augen leuchteten nun in einem Feuer, mit dem sich der Glanz von Rosa's Liebessternen nicht messen konnte. Damals war es, als ihr Busen sich in der Ueberfülle einer hoffnungslosen Liebe fast zum Bersten hob. Ihre schöne Stirne glühte, ihre flaumweichen Wangen leuchteten purpurn, und sie stand nun vor ihrer Begleiterin in aller jener Majestät eines tiefen Gemüths, welche die Dame der zarten Empfänglichkeiten kaum erst zu begreifen begonnen hatte.

»Rosa!« rief sie, nicht länger sich an ihren Arm hängend und nicht länger um Weisung nach ihr aufblickend, sondern in der vollen Unabhängigkeit – vielleicht Ueberlegenheit einer von Natur größeren Seele vor ihr stehend, »Rosa ich liebte ihn schon als Kind. In seiner Nähe war es mir, als sitze ich in einem friedlichen Sonnenschein. Alles in mir und um mich schien von einem himmlischen Lichte zu strahlen – ich war so gar glücklich! Ich liebe meinen Vater, Rosa – liebe ihn zärtlich – den theuren, gütigen, leidenschaftlichen alten Mann. Ich beherrschte ihn und liebte ihn auch deshalb; aber obgleich ich Augustus nie beherrschte, so liebte ich ihn doch tausendmal mehr als meinen Vater. Es ist freilich erschütternd, daß ich dies sagen muß – aber o meine Rosa, es ist wahr. Lebte er noch, so dürftest du mir ihn nicht sehen, denn du würdest ihn lieben. Ich sage dir, du könntest nicht anders.«

»O, Rebekka, verdiene ich dies?«

»Nein, meine süße Ermahnerin, du verdienst nichts Schlimmes, sondern Alles, was lieb und gut ist, Augustus ausgenommen. Niemand kann ihn verdienen – nicht einmal du. Aber Kummer liegt auf meiner Seele – und die Schwere meines Herzens wird mir zu einer wahren Krankheit. Ich spreche von ihm, als lebte er noch – als weilte er nicht in der ewigen Seligkeit bei seinem Gott, aus der er vielleicht mitleidig, ja, und wohl auch liebend auf mich niederblickt, wenn überhaupt ein Engel des Lichts einen so verächtlichen Wurm, wie ich bin, lieben kann. Mein Herz ist nicht gut, Rosa – ich kann meinen Kummer nicht tragen und muß eine Gegenaufregung haben. Ich will wieder der eigensinnige Tyrann des Hauses werden, es liegt Lust darin – und Vergessen!«

»Beruhige dich – beruhige dich, meine theure Rebekka!«

»Wer will mich hindern? Wer wagt es, mich zur Ruhe zu verweisen? Ist nicht Alles hier herum mein Eigenthum? Was nützen alle die Kenntnisse, die du mich lehrst? Kann ich nicht das Andenken meines Augustus ehren, ohne vor gaffenden Thoren meine Gestalt an der Harfe zur Schau zu stellen? Wozu bedarf ich der Geographie, wenn es nicht etwa deßhalb ist, um die Stelle aufzufinden, wo er ertrank? Ist Französisch oder Deutsch, Lateinisch oder Italienisch nöthig, um seinen geliebten Namen zu rufen? Augustus! Augustus! Augustus! In diesen Sylben liegt Melodie für mein wildes Herz. Sie beschwichtigen mich mehr, als das Wiegenlied der Mutter ihr halbschlafendes Kind. Wäre es nicht ein herrlicher Gedanke, Rosa, wenn mein alter Vater todt ist – du siehst wie wenig kindlich ich bin, aber wenn ich an Augustus denke, so kann ich meinen Vater nicht sehr lieben – wäre es nicht ein herrlicher Gedanke, wenn jener stets zürnende alte Mann todt ist, diesen alten Steinhaufen niederzureißen und ein Grab zu bauen – ein Monument – etwas mit einem schweren Namen – wie nennt man's doch, Rosa, sprich?«

»Ein Mausoleum,« sagte die nun eingeschüchterte Rosa, denn sie war wirklich eingeschüchtert durch die unbeugsame Willenskraft ihrer Freundin.

»Mausoleum. Das Wort ist nicht so gut, wie Grabtempel oder auch nur Grabstein. Trestletree-Hall würde einen herrlichen Grabtempel geben, oder nicht, meine Freundin? Ja, wenn mein Vater dahin ist, so werde ich – ich, Rebekka Bacuissart – dies ausführen. Aber du sprichst nicht, Rosa; habe ich dich erschreckt? Ach, ich erschrecke oft Jedermann. Wie dem übrigens sein mag, ich bin nur das, wozu man mich gemacht hat – und würde vielleicht etwas geworden sein, wenn sie den armen Augustus nicht ertränkt hätten.«

»Was soll ich zu dir sagen, meine theure Rebekka? Ich kenne dich gar nicht mehr in diesem deinem neuen Charakter. Du bist nicht das halb verschämte, halb vorschnelle Kind, das sich zu einer Dame heranzubilden bemüht war. Wahrhaftig, ich weiß nichts, als daß ich dich sehr liebe und – soll ich es beifügen? – ein wenig fürchte.«

»Ich will dir etwas mittheilen, Rosa – ein Geheimniß, obschon ich nicht erröthe, es zuzugestehen. In meinem vierzehnten Jahre war ich ein liebendes, ein leidenschaftlich liebendes Mädchen. Sie haben mir ihn entrissen, und seitdem bin ich aus freier Wahl ein eigensinniges Kind gewesen. Für Augustus würde ich mich im Studiren aufgezehrt haben. Im Ueberflusse hätte ich ihn angebetet, in der Armuth Sklavendienste für ihn verrichtet. Ich würde seinen leichtesten Wunsch so schlau entdeckt haben, daß ich hätte dreimal glücklich sein können in der Erfüllung desselben. Hätte er mir gesagt, ich solle mich zu einer Dame bilden, so würde ich das Ganze unseres Einkommens, wie groß es auch ist, an Lehrer ausgegeben haben. Ich hätte gewacht, bis der Körper erlegen wäre. Rosa, lebte Augustus noch und bäte mich darum, so würde ich in wenigen Monaten mit dir wetteifern können, ja sogar dich übertreffen, obgleich du vier Jahre älter bist als ich. Glaubst du vielleicht, dies sei eine eitle Prahlerei? Ich kenne nichts, was an Gewalt meinen Willen überböte, als meine unglückliche Liebe.«

»Ich glaube dir von ganzem Herzen. Du weißt, daß ich dir in dem gegenwärtigen aufgeregten Zustande deiner Gefühle nicht schmeicheln würde. Du hast bereits in einem Monat gelernt, was mich ein ganzes Jahr kostete. Aber sage mir – Mr. Underdown, so liebenswürdig er auch sonst ist, verlacht mich wegen meiner Romantik – kennt er den Zustand deiner Gefühle?«

»Er weiß, wie innig ich Augustus liebte, obschon ihm vielleicht die Natur dieser Liebe nicht bekannt ist. Das Geständniß würde nicht für männliche Ohren passen. Er hält mich noch immer für ein Kind, welches das ungestüme Temperament seines Vaters hat. Meine Gefühle für Augustus sind vielleicht romantisch, aber die Welt kann mir keine edleren und besseren geben. Sie sind im Leben meine Grundsätze, im Tode meine Stütze. Doch jetzt wollen wir von seiner Mutter sprechen – von seiner schrecklichen Mutter. Die Welt sagt, sie sei wahnsinnig; aber so ist das schmähsüchtige Urtheil der Welt stets bei Dingen, die sie nicht begreifen können. Gleich mir hat sie ein einziges Lebensprinzip aufgegriffen – die nie sterbende Liebe für ihren Sohn. Ich will dir jetzt die ganze Geschichte erzählen, und wenn du sie gehört hast, so hasse uns nicht allzu sehr.«

Rebekka berichtete nun die ganze traurige Geschichte, ohne ihren Vater sonderlich zu schonen, obschon sie Augustus – wie wir nicht verliebte Leute aufrichtig gestehen müssen – Augustus allzu sehr pries. Dieser schreckliche Vorgang, der sich bloß im stillen Familienleben zugetragen hatte, machte Rosa schamroth, wenn sie an den Werth dachte, welchen sie bisher auf die fein ausgesponnenen Liebesnöthen ihrer Romane gesetzt hatte, und die einfache Sprache ergriff ihr Herz dermaßen, daß der Eindruck unauslöschlich zurückblieb.

»Da du nun Alles von meinem Augustus weißt, Rosa, so siehst du wohl, daß ich dir, wenn er noch am Leben wäre, nimmer gestattet haben würde, diese Schwelle zu überschreiten. Ich könnte deine Verdienste wohl nicht nachdrücklicher anerkennen. Um den Todten kann ich trauern und fortleben, aber es wäre mir nimmermehr möglich gewesen, es mit anzusehen, wenn er sich mit einer Andern verbunden hätte.«

»Sei unbesorgt, meine theure Rebekka; er würde nie weder mich, noch irgend ein anderes Mädchen dir vorgezogen haben.«

»Wie kannst du dies sagen – ich möchte fast fragen, wie wagst du es, dies zu sagen? Er war ganz wie du, fein in seinen Manieren und das edelste, das bravste unter allen Geschöpfen Gottes. Selbstsucht war ihm völlig unbekannt. Wo immer er war, schien er nur das Mittel zu sein, um Andere glücklich zu machen. Wie ähnlich war er in alledem dir! Oh, daß er etwas von dem wilden Eigensinn besessen hätte, der ein Theil meines Ichs ist; dann würde er seinem schlimmen Onkel – meinem Vater – nicht gestattet haben ihn mit Gewalt aus den Armen seiner Mutter oder von seinem liebevollen, unterwürfigen Bäschen fortzureißen; denn ich war damals in dem gleichen Grade gehorsam, als ich zärtlich gegen ihn war. Ich besaß einen Willen, der über Alles herrschte, und er mit seiner liebevollen Güte gegen Alle, die ihm keinen eigenen Willen ließ, war mein ausschließlicher Beherrscher. Daher kam diese lange Kette von Unglücksfällen – daher dieses Elend – dieses nie vergeßliche Weh. Auch war er, gleich dir, fleißig und unterrichtet – er hatte so hohe Vorstellungen von der Möglichkeit einer höchsten Vervollkommnung des menschlichen Geschlechtes – Rosa, Rosa, er hätte dich lieben müssen.«

»Gut, mein theures Mädchen – ich will dir glauben, und auch ich würde ihn geliebt haben, obschon nicht mit der gegenseitigen Glut brennender Leidenschaft. Wir hätten uns vielleicht gegenseitig bewundert und uns Komplimente gemacht, dann aber im Geheimen über unsere verschiedenen Vollkommenheiten Vergleichungen angestellt, und es wäre wohl bald so weit gekommen, daß wir uns als Nebenbuhler in der Bewunderung der Welt entgegen gestanden hätten. Ich hätte nicht tief aus dem Brunnen seiner Liebe trinken können, und er nicht aus dem meinigen, denn wir würden die Zugänge mit zu viel äußerem Schmuck, mit zu großer Anspruchsfülle umgeben haben.«

Die noch nicht gezähmte Rebekka kreischte jetzt fast laut hinaus: »Sprich von dir, aber nicht von ihm!« Dann begnügte sie sich übrigens, ihr Köpfchen zurückzuwerfen und ihre schönen Locken zu schütteln.

»Ich sehe, es gefällt dir so nicht, aber es ist Wahrheit. Da ist zum Beispiel mein theurer Noll – möge ihn der Himmel täglich und stündlich segnen, wie ich es thue, obgleich es mir lieber wäre, er hieße entweder Alfred oder Edward – doch auch Oliphant ist gut genug. Ich trage sein edles Herz mit all seiner Einfachheit in dem meinigen. Er liebt mich aufrichtig – ich weiß es – und bewundert mich sehr, was mir namentlich wohlgefällt. Ich liebe ihn mit aller Innigkeit, aber doch liegt eine kleine Tyrannei in meiner Liebe; er steht nämlich meinem Herzen um so näher, weil ich weiß, daß ich in ihm nie einen Nebenbuhler, Kritiker oder Richter finden werde. Er ist mein Abgott um seines großen moralischen Werthes willen, und ich der seinige wegen des kleinen, den ich vielleicht besitze, der ihm aber über der Folie meiner Erziehung in einem glänzenden Lichte erscheint. Rebekka, ich möchte den derben, schönen, tapfern Oliver nicht für zwanzig Augustuse geben.«

»Ich kann deinen Geschmack nicht billigen.«

»Wohl – aber ich bin wenigstens vier Jahre älter als du. Ich sehe, daß ich in deiner Achtung gesunken bin, indem ich versuchte, deine träumerische Eifersucht zu verscheuchen.«

»Offen gesprochen, ich konnte Noll nie leiden. Er behandelte mich immer wie ein Kind, rieb neckisch seinen rauhen Bart an meiner Wange und lachte über die Schläge, die ich ihm in's Gesicht versetzte. Er that Alles dies, während ich mich doch als Jungfrau fühlte.«

»Stille, liebe Rebekka; es kommt Jemand in unsere Nähe.«

»Unmöglich! Zu diesem Parke hat Niemand Zutritt. Ich habe Befehl erlassen, daß nicht einmal das Gesinde des Hauses sich unterstehen solle, ohne Erlaubniß einen Fuß in denselben zu setzen. Auch kennt man mich hier zu gut, als daß sich Jemand erdreisten würde, meinem Geheiße ungehorsam zu sein.«

»Und dennoch nehme ich mir die Freiheit,« sagte eine Person, die plötzlich aus dem Gebüsche trat.

Miß Belmont kreischte und wollte sich flüchten, während Rebekka kühn dem Eindringling entgegentrat und ihn mit stolzer Stimme fragte, wie er sich unterstehen könne, dies zu thun.

»Ich bin hier, Miß Bacuissart, um nach einem Uebelthäter zu spähen, und fordere Euch als Magistratsperson im Namen des Königs auf, mich nicht zu hindern. Ich habe die gesetzliche Vollmacht bei mir.«

»Es ist jener elende Rubasore,« rief die rückhaltlose Rebekka.

»Ach, mein garstiger Vormund!« fiel Rosa in ziemlich trostlosem Tone ein.

»Miß Belmont – bei Allem, was unmöglich ist, sie ist's! Mit Erlaubniß, Miß, darf ich fragen, wie Ihr hieher kommt, und wie Ihr Euch unterfangen konntet, ohne meine Erlaubniß Jaspar-Hall zu verlassen? Wo ist Mrs. Dregely?«

Da die letztere Frage am leichtesten zu beantworten war, so ließ sich die junge Dame zuerst auf diese ein.

»Zu dienen, Mr. Rubasore, Mrs. Dregely befindet sich zu Jaspar-Hall, wo sie Eure weiteren Weisungen erwartet.«

»Und Ihr?«

»Miß Belmont ist fertig mit Euch, Mr. Rubasore,« sagte Rebekka, das Kabel der Unterhaltung aufnehmend (denn das Wort Faden wäre nicht kräftig genug). »Sie hat den Lordkanzler um ehrliche Vormünder angegangen, die ihr nicht den Hof machten und sie durch Hinterlist bewegen werden, Heirathsverträge mit garstigen und schlechten alten Männern zu unterzeichnen. Es hat Seiner Gnaden gefallen, ihrem Gesuche zu entsprechen, und sie befindet sich jetzt fast unter dem Dache, jedenfalls aber auf dem Grund und Boden ihrer gesetzlichen Vormünder.«

»Ich glaube kein Wort davon und werde mein Ansehen ausüben, bis ich auf dem gebührenden Wege Rechtens aufgefordert werde, es niederzulegen. Rosa, kehrt zu Eurer Pflicht zurück. Ich will vorderhand nicht mehr sagen. Bei einer passenderen Gelegenheit will ich Euch andere und ernstere Dinge an's Herz legen, was geschehen soll, sobald ich im Stande bin, Euch zu beweisen, daß ich Euer bester und Euer einziger Freund bin. Es mag zwar hart erscheinen, aber Ihr müßt jetzt mit mir kommen.«

»Oh, oh, oh!« kreischte die zarte Heldin.

»Sie soll nicht,« lautete Rebekka's einfache Erwiederung.

»Und ich sage, sie soll, Jungfer Hexe. Man hätte Euch schon vor zwei Stunden zu Bette bringen und – wenn man Euch nach Verdienst behandeln wollte – zuerst die Ruthe geben sollen.«

»Kehre dich nicht daran, was dieser schmähsüchtige alte Wicht sagt. Eile nach dem Hause hinauf, Rosa, während ich den Tropf hier festhalte; und wenn er es wagt, dir zu folgen, so will ich ihm die Seele aus dem Leibe rütteln. Hurtig, Rosa, beeile dich und bring Jemand herunter.«

Mit diesen Worten ergriff sie ihn furchtlos. Rosa entfloh.

»Laß mich gehen, du Hexe – laß mich gehen, sage ich. Beim Himmel, ich schlage dich zu Boden, obschon du nur ein Weibsstück bist, wenn du mich nicht loslässest. Willst du – he?«

»Nein, Sir, Ihr rührt Euch nicht von der Stelle, bis Leute gekommen sind, um Euch für diese beleidigende Verletzung meines Grund und Bodens aufzugreifen.«

»Dann magst du dich bei dir selbst bedanken!«

Und seine feige Faust fiel auf die schöne Stirne der furchtlosen Rebekka nieder.

Sie ließ nicht los und wankte nicht unter dem schweren Schlage, sondern rief nur:

»Oh, daß ich eine Waffe hätte! Daß irgend ein wackerer Arm in der Nähe wäre, um diese Unbild, welche die Letzte der Bacuissarts erlitten, zu rächen? Warum mußt du auch todt sein, Augustus?«

Als sie die letzten Worte aussprach, wollte ihr Rubasore eben einen zweiten Schlag versetzen, um sich durch eine verzweifelte Anstrengung loszureißen; – da stürzte er mit einemmal zu Boden, und ein großer, schlechtgekleideter, wild aussehender Mensch gab Rebekka einen scharfen französischen Dolch in die Hand. Ihre Augen begegneten sich für einen Moment, worauf der Retter mit dem Worte verschwand:

»Zugestoßen!«

»Ha, da sieht man, welcher Fluch auf meinen schlimmen Wünschen ruht. Aber der Elende ist besinnungslos, und ich will kein Blut vergießen, obschon ich glaube, daß er nichts Besseres verdient.«

Man sah nun viele Lichter herankommen, obgleich man deren in der mondhellen Nacht kaum benöthigt war. Aber man denke sich das Erstaunen, mit welchem Mr. Underdown, Mrs. Oliphant und ihre Tochter (denn Miß Matilda Bacuissart war wie gewöhnlich ohnmächtig geworden) Rebekka, einen bloßen Dolch in der Hand, über dem hingestreckten und besinnungslosen Mr. Rubasore stehen sahen.

Mr. Rubasore wurde in das Haus gebracht, wo sich bald auch der gebieterische Doktor Ginningham mit seinem Rohr und dem schweigsamen Apotheker einfanden, unter deren gleich wohlthätiger Pflege der Patient bald wieder zur Besinnung kam. Der Schlag war so kräftig, als gut gemeint gewesen.

Als er wieder zum Leben zurückkehrte, lauteten seine ersten Worte:

»Die Wölfin schlägt hart, aber ich will mich noch an der ganzen Brut rächen.«

»Stille! mein Patient spricht. Knebelt ihn. Nehmt ihm noch zwölf Unzen Blut, mein guter Calumbo, wenn er sich unterfängt, noch eine Sylbe laut werden zu lassen. Mr. Rubasore, Mr. Rubasore, ich sagte Euch, Ihr würdet noch eines Tages mein Patient werden. Geduldet Euch – kein Wort – keine Sylbe. Der Zopf muß endlich doch weg. Wir müssen seinen Kopf abrasiren – vielleicht ist eine bedeutende innere Verletzung vorhanden. Der Schlag war furchtbar – da will er schon wieder sprechen – stopft ihm den Mund. Mr. Calumbo, Mr. Calumbo, sein Kopf muß augenblicklich rasirt und mit Blasenpflaster belegt werden.«

»Ich will Euch lieber vorher verdammt sehen.«

»Wilde Worte! Phrenitis superveniens – habt Ihr nicht so eine Art Zwangsweste im Hause, guter Mr. Underdown?«

»Ich glaube kaum, daß wir so gut vorgesehen sind,« sagte unser ruhiger Freund, innerlich sehr belustigt über den Gang, welchen die Dinge nahmen.

»Ein großer Fehler in einem derartigen Hause. Nicht daß ich die Bemerkung auf Euch anwenden wollte, Mr. Underdown; Ihr sprecht wenig und nur Zweckmäßiges – ein großes Verdienst, Sir. Ihr bildet Euch darin ganz nach meinem Muster; ja, Ihr und ich, wir Beide abwechselnd. Wohlan denn, in Ermangelung der Zwangsweste laßt vier Eurer stärksten Diener heraufkommen – kräftiges Volk, welches im Stande ist, den armen Tropf zu halten. Ich glaube gar, der Mensch will an mir, seinem Arzte, Gewalt versuchen. Haltet ihn, John Butler, ich sehe, ich sehe – ein Gehirnfieber. Nun, Mr. Rubasore, Ihr seid vielleicht noch nicht ganz toll, werdet's aber bald sein, wenn Ihr nicht diese Vorsichtmaßregeln gebraucht.«

»Man treibt mich zum Wahnsinn –«

»Sprecht nicht. Patienten dürfen sich nicht durch Reden in Gefahr bringen und haben bloß die Fragen des Arztes zu beantworten – das kann keinem Zweifel unterliegen. Oh! diese vier werden zureichen. Ergreift diesen Gentleman und haltet ihn nieder. Er wird Jeden von Euch mit einer Krone belohnen, wenn ich ihn kurirt habe. Haltet ihn kräftig, aber doch sanft – so ist's recht. Ist Jemand hier, der rasiren kann?«

Peter Drivel trat vor und erklärte mit viel Unverschämtheit, wenn Mr. Rubasore die Schädeltaxe bezahle, so wolle er ihn so glatt scheeren, wie es nur ein Steuereinnehmer verstehe; es soll ihm kein einziges Härlein auf dem Kopfe stehen bleiben, um sich zum Widerspruch zu erheben.

»Ah, ein Witzling – da werden wir genug Schaum haben – an's Werk, an's Werk, ihr Jungen. Mr. Calumbo eilt nach Hause und holt eine gehörige Menge Blasenpflaster.«

Mr. Rubasore sah, daß es in dieser Weise bald zum Aeußersten kommen mußte, und daß er durch Ungestüm seine Gefahr nur vergrößerte; er verzog daher sein Gesicht zum gewinnendsten Lächeln und ersuchte Doktor Ginningham mit seiner, fast damenartiger Stimme, ihm wieder den Puls zu fühlen; dann ergoß er sich in einem schlauen Kompliment über die große Geschicklichkeit seines ärztlichen Rathgebers und erklärte, daß er sich glücklich fühle, wenn er daran denke, daß er in seiner Nachbarschaft wohne.

»Was Ihr nur nicht für eine erstaunliche Kur an der wassersüchtigen Wittwe Duck gemacht habt.«

»Ihr könnt sein rechtes Bein loslassen,« sagte der Arzt.

»Und obgleich das thörichte alte Weib starb, so ist ihr doch nur Recht geschehen, weil sie sich dem anmaßenden Kurirer Doktor Philpots anvertraut hat.«

»Man braucht dem Patienten die Beine durchaus nicht mehr zu halten.«

»Nicht doch, Doktor, wenn Ihr meint, daß es nöthig ist, so füge ich mich bereitwillig. Ich weiß wohl, daß ich mich in guten Händen befinde. Jenem Philpots möchte ich mich freilich nicht überlassen, denn es ist mir im Vertrauen mitgetheilt worden, er habe keine andere Berichtigung, das M. D. hinter seinen Namen zu klappen, als ein Aberdeen-Diplom.«

»Ich habe mir dies stets gedacht. Ihr braucht dem Gentleman die Arme nicht mehr zu halten. Das Fieber legt sich schnell. Entschieden ist keine Gehirnerschütterung vorhanden. In meinem Leben nie habe ich einen Mann verständiger sprechen hören. Ich glaube nicht, daß es nöthig ist, den Kopf zu rasiren und mit Blasenpflaster zu belegen.«

»Je nun, wenn Ihr meint –«

Der Patient hatte die Methode aufgefunden, die Gedanken des Doktors mit den seinigen in Einklang zu bringen, so daß sie sich bald nachher als die besten Freunde von der Welt trennten und Mr. Rubasore's Zopf gerettet blieb, des aufgegebenen Rasirens und Pflasterns gar nicht zu gedenken.


 << zurück weiter >>