Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel

»Geheimnißvolle Worte sind's, womit
Der alte Mann des Freundes Mängel schirmt,
Obschon er sie, dem Schirm zum Trotze, rüget.«

Altes Schauspiel.

Es ist Jammerschade, daß ein Erzähler nicht drei oder vier Operationen gleichzeitig durchführen und so seinem Leser das kleine Privilegium der Allgegenwart verschaffen kann. Ich prahle nicht, denn ich bin ein abgelebter, alter Seemann, der sich nicht auf die Kunst des Schreibens versteht und keine andern Mittel besitzt, um seine Ereignisse vorzutragen, als diejenigen, welche auch die Katze in Anwendung bringt, wenn sie ihre junge Zucht von einem Orte zum andern trägt. Wie sie eines nach dem andern mit dem Munde faßt und jedes niedersetzt, ehe sie zurückgeht, um ein weiteres zu holen, ebenso muß auch ich meine Charaktere behandeln.

Während ich das Liebesabenteuer des Neffen erzählte, haben wir den alten Commodore weit zurückgelassen. Letzterer ist in Anbetracht meines Zahnfleisches (denn Zähne sind bei mir nur noch eine geschichtliche Erinnerung) jedenfalls ein etwas zäher Mundvoll, wenn ich ihn jetzt dem Kapitän Oliphant nachtragen soll; aber da weit thörichtere Leute, als ich bin, schon viel größere Heldenthaten ausgeführt haben, so will ich wenigstens den Versuch machen. Sollte ich scheitern oder unterwegs vorübergehend auf dem Sand aufsitzen, so möge man nicht vergessen, daß ich mich zum Voraus entschuldigt habe.

Sir Octavius Bacuissart begab sich mit aller Eile nach Plymouth, woselbst er dem Admiral seine Aufwartung machte, seine Weisung entgegennahm, sich sodann unmittelbar an Bord des Donnerkeils begab und sein breites Wimpel aufhißte. Schon das Gerücht seiner Ernennung wirkte auf die Mannschaft des Schiffes wie ein Donnerschlag, und die Offiziere suchten die Erlaubniß nach, ihre Posten wechseln zu dürfen, während die Matrosen ohne Erlaubniß eine Veränderung vornahmen. Von den Midshipmen konnte man in Wahrheit – nur nicht gerade im buchstäblichen Sinne – sagen, daß sie im Sack und Asche trauerten; indeß brachten sie ihre Klagelieder eben beim Grogglas vor und begannen den Grad des Schmerzes zu berechnen, welchen die neunschwänzige Katze auf merkwürdig junge und zarte Häute hervorzubringen im Stande ist. Man sprach auch ein wenig von Ueberbordspringen – aber nur sehr wenig.

Der Donnerkeil war der schönste Zweidecker in der ganzen Flotte und hatte die Auszeichnung eines Achtzigkanonenschiffs, obschon er weit mehr als achtzig Ordonnanzstücke führte. Bisher hatte seine gesammte Mannschaft nur mit Stolz auf Alles, was zu dem Schiffe gehörte, geblickt, und in dem Bewußtsein, auf dem Donnerkeile zu dienen, eine Zugabe der persönlichen Würde zu sehen geglaubt. Diese Rücksicht bewog auch Offiziere und Matrosen, mit dem alten Commodore wenigstens einen kurzen Versuch zu machen – ein Entschluß, in welchem sie durch den Umstand bekräftigt wurden, daß sehr Viele von dem Terrific – dieselben Leute, welche der alte Commodore durch die Katze gehindert hatte, sich der Meuterei anzuschließen – freiwillig sich zum Dienste unter ihrem alten Kommandeur meldeten.

Sir Octavius machte seinen ersten Besuch an Bord, stellte sich allen seinen Offizieren vor, grinste gutmüthig der Mannschaft zu, und beaugenscheinigte das edle Schiff in allen seinen Theilen; dann kehrte er nach seinem Hotel an's Land zurück und ließ den Angehörigen des Donnerkeils reichen Stoff zu Muthmaßungen. Sie sahen mit einemmale, daß der alte Commodore ein Mann war, mit welchem sich nicht spielen ließ, fanden aber den Eindruck, welchen er im Ganzen machte, nicht ungünstig.

Im Laufe einiger Tage schloß sich der geduldige Mr. Underdown seinem Freunde Sir Octavius an und meldete, daß Mrs. Oliphant und eine ihrer Töchter, augenscheinlich eine sehr talentvolle junge Dame, sich zu Trestletree-Hall niedergelassen hätten; desgleichen habe Miß Rebekka das feierliche Versprechen abgelegt, ihre Stallbekanntschaften aufzugeben, sich ihre verschiedene Lehrer gefallen zu lassen und zu Umwandlung ihrer Manieren nach Kräften mitzuwirken.

Alles dies war sehr erfreulich für den Vater. Desgleichen wurde Mr. Underdowns Ankunft ruchbar, und die gute Neuigkeit gelangte bald an Bord des Donnerkeils, denn man kannte die muthige Ruhe, die verständige Besonnenheit und die edle Menschenliebe des Mannes, obschon er nie zum eigentlichen Flottendienst gehört hatte. Die Gesundheit des Commodore war nun beinahe wieder hergestellt. Das Bewußtsein, daß er sich nützlich machen könne, Thätigkeit des Geistes und Körpers, die Mäßigkeit, die er an Bord sich selbst auferlegte, vor Allem aber die Hoffnung auf glorreiche Kämpfe, hatten ihm augenscheinlich viel von seiner besten Lebenskraft wieder zurückgegeben, obschon es ohne Zweifel Augenblicke und Stunden des Schmerzes gab, in welchen sich ihm das Bild seines ertrinkenden Neffen und seiner finsteren gespenstischen Schwester unwillkührlich aufdrang. Die Sünde zeigt ihren strafenden Stachel, selbst wenn die Fluth unseres Glückes am höchsten steht.

Nachdem der Commodore ungefähr vierzehn Tage zu Plymouth gewesen war, verfügte er sich an einem schönen Sonntagmorgen mit Underdown an Bord. Sein breites Wimpel war aufgehißt, das Geschwader erhielt das Signal zum Ankerlichten, und gegen eilf Uhr steuerten sie, die Schiffsschnäbel kanalaufwärts gewendet, in vortrefflicher Ordnung aus dem Sunde. An Bord des Donnerkeiles war alles regelrecht, und sobald er unter Segel stand, deßgleichen die Luvbrassen angeholt und die Decken gefegt waren, wurde die Schiffsmannschaft in Divisionen abgetheilt, worauf Sir Octavius alle Decken besuchte und die Matrosen Mann für Mann musterte. Wie lebhaft sie die durchdringenden Blitze seines einzigen Auges verspürten, mag aus dem Umstande erhellen, daß einer von den Backmatrosen erklärte, der Blick sei ihm gerade durch den Schädel gegangen und habe ihm im Hinterkopfe einen Schmerz verursacht, der erst um die Grogzeit wieder gewichen sei.

Die Musterung schien jedoch Sir Octavius zu befriedigen; denn als er nach dem Halbdecke zurückkehrte, drückte er seinen Beifall über das Aeußere und über die Haltung der Matrosen öffentlich gegen den Kapitän aus, welcher über dieses Lob um so mehr erfreut war, da es von den Lippen eines so erfahrenen Seemanns kam, wie der alte Commodore war.

Für diesmal verschmähte es der alte Commodore nicht, einen Kapitän mit sich zu nehmen; letzterer hieß Edward Egerton, war ein gebildeter Mann von ungefähr vierzig Jahren, und galt für einen guten Seeoffizier, der es vielleicht nur mit der Disciplin ein wenig zu strenge nahm. Wir leben in einer Welt der Widersprüche und können daher wohl sagen, daß die Gerechtigkeit bisweilen sehr unrecht vertheilt ist; das heißt, Strafen können streng nach dem Buchstaben der Gesetze angewendet und dennoch schuftig genug gehandhabt werden.

Hievon wußte jedoch Kapitän Egerton nichts, denn er hatte eben die Kriegsartikel, die geschriebenen Instruktionen und den Flottengebrauch im Auge – Richtschnuren, die den Matrosen so gut, als ihm selbst bekannt waren. Wer sich dagegen verfehlte, hatte die Schuld sich selbst zuzuschreiben, nicht aber dem Manne, der die Strafe über ihn verhängte. Er war nur das Werkzeug, der beauftragte Automat, welcher die grausame Maschinerie in Bewegung setzte. In diesem Lichte erschien er sich selbst; er beklagte die Blindheit der britischen Matrosen und nannte sich einen menschenfreundlichen Mann, obschon er die Katze fleißig genug in Anwendung brachte.

So war er denn mit der besten Absicht und mit der liebevollsten Sinnesart ein weit größerer Tyrann, als der alte Commodore in der schlimmsten Zeit seiner Herrschaft gewesen war, denn es wurde von ihm beziehungsweise die doppelte Anzahl von Strafen verhängt; die dann an Bord des Donnerkeils stets furchtbar waren. Gleichwohl wurde dies in einem gewissen Sinne von der Schiffsmannschaft nicht bemerkt, denn Kapitän Egerton gerieth nie in Leidenschaft, und obschon er regelmäßig jeden Tag die Mannschaft zur Bestrafung antreten ließ, wobei die Katze furchtbar geschwungen wurde, so that er es doch mit so großem Widerwillen, drückte gegen den armen Schuldigen sein bitteres Leid über dessen gehässiges Vergehen aus, und wies so klar den übertretenen Kriegsartikel oder Flottenbrauch nach, daß die Matrosen ihre Achseln zuckten und, wenn sie die Sache auch nicht verstehen konnten, die Folgerung zogen, Kapitän Egerton sei wirklich der theilnehmende Mann, für den er sich ausgab. Nun beging aber dieser Kapitän in bester Absicht den schlimmen Mißgriff, Züchtigung für die nothwendige Folge des Verbrechens, nicht aber für das Mittel zu Abwendung desselben zu betrachten. Wie Wenige haben in früherer Zeit diesen Unterschied verstanden. Wenn in einer Mannschaft von fünfhundert Köpfen regelmäßig täglich fünfzig wegen Trunkenheit gepeitscht werden, und sich ungeachtet der regelmäßigen Bestrafung die Sünde eher vermehrt als vermindert, so sollte man von dieser besonderen Art der Bestrafung abstehen, da sie augenscheinlich ihr Ziel nicht erreicht und die Uebertreter nur um so tiefer in des Teufels Schuldbuch gerathen, je mehr unnöthige Qual und schnöde Verletzung der menschlichen Gefühle geübt wird.

Der alte Commodore hatte weit gesundere Ansichten über diesen Punkt, obgleich ihn während des früheren Theils seiner Laufbahn die Leidenschaften nur zu oft hinderten, nach seiner Ueberzeugung zu handeln. Es blieb daher jetzt den Angehörigen des Donnerkeils eine kleine Ueberraschung vorbehalten.

Als es Zeit zum Diner war, sagte Kapitän Egerton:

»Wollen wir, ehe zum Essen gepfiffen wird, die Bestrafung vornehmen, Sir Octavius? Hier ist eine sehr schwere schwarze Liste.«

»Ihr könnt die Leute antreten lassen. Wollt Ihr so gut sein, mir das Papier zu verabfolgen?«

Die Matrosen wurden demgemäß aufgeboten und die Gefangenen unter dem Gewahrsam des Waffenmeisters nach dem Hauptdecke gebracht. Wie gewöhnlich bestanden die Hauptvergehen in Trunkenheit und daraus folgendem Dienstversäumniß oder in Ungebühr.

Der alte Commodore las die Liste laut und hieß jeden Schuldigen bei Nennung seines Namens vortreten.

»Hört ihr Leute,« sagte dann der alte Gentleman, »es ist ein großes Glück für euch, daß ich mich zufällig an einem Sonntage eingeschifft habe. Merkt übrigens auf mich – ich vergebe selten, obschon ich sehr leicht zufrieden gestellt bin. Wir wollen nie an einem Sonntag peitschen lassen, dem gegeißelten und gekreuzigten Gründer unserer Religion zu Ehren. Ich glaube nicht, daß Er es billigen würde.«

Die Matrosen waren höchlich erstaunt, und als er bei Erwähnung des göttlichen Erlösers seinen Hut abnahm, dabei zugleich die dunkle Narbe des feindlichen Säbels enthüllend, überflog sie nach vielen Monaten zum erstenmal wieder ein Gefühl wie religiöse Ehrfurcht.

»Wohlan denn, ihr Leute,« fuhr er fort, »da ich glaube, Aufschub einer Strafe sei fast eben so schlimm als die Katze selbst, so kann ich nicht weiter thun, als daß ich Kapitän Egerton um die Erlaubniß bitte, diese Liste zerreißen zu dürfen« – damit warf er die Fetzen über die Laufplanke in's Meer – »und möge ihr Inhalt sich aus eurem Gedächtniß verwischen, wie der Wind jetzt diese Bruchstücke vor unseren Augen zerstreut.«

»Ihr müßt aber wohl eingedenk sein, daß ich meinem Vaterlande bereits gedient habe, ehe die Meisten von euch geboren worden sind. Ich sage dies nicht, um mich zu rühmen, sondern um euch an's Herz zu legen, daß ich meinen Dienst kenne und auch weiß, wie ich mich zu verhalten habe, um euch zu veranlassen, daß ihr den eurigen erfüllt. Ich werde mit euch zurecht kommen und sage euch, daß mit mir sehr leicht umzugehen ist. Ich begnadige selten, obgleich ich nicht überall Vergehen suche. Achtet euch danach. Zeigt mir, ihr Leute, den ächten Geist britischer Matrosen, und ihr faßt von mir die Nachsicht, die Liebe eines Vaters gegen seine Familie zu erfahren haben. Ich gedenke, eine schwarze Liste zu führen, hoffe aber, daß mein Kommando zu Ende sein wird, ehe ihre erste Seite voll ist. Geht jetzt hinunter zu eurem Essen und zu eurem Grog, vergeßt aber nicht, daß eine strenge Hand über euch schwebt, obschon sie sich nie zur Züchtigung erheben wird, wenn ihr sie nicht durch eigenes Verschulden dazu zwingt. Nehmt euch daher in Acht.«

Die Matrosen waren auf's Aeußerste betroffen. Tiefe Begnadigung über Bausch und Bogen ließ sie fast die Menschenfreundlichkeit, welcher sie dieselbe zu danken hatten, beargwohnen. Mochte übrigens dem sein, wie ihm wollte, sowohl Offiziere als Mannschaft begaben sich nie glücklicher zu ihrem Mahle als an jenem Tage.

Der Commodore schenkte der Mannszucht seines Geschwaders alle Aufmerksamkeit, begab sich von Schiff zu Schiff, beobachtete persönlich die Gewandtheit der Matrosen an ihren Kanonen und untersuchte die verschiedenen Vorbereitungen für die Schlacht; dabei sprach er väterlich mit den Leuten, ließ sich in der Regel die Strafliste vorzeigen, und begnadigte entweder die Schuldigen gänzlich oder ließ sie auf andere Weise, als durch die Katze züchtigen.

Durch dieses unerwartete Benehmen hatte der alte Commodore in dem kurzen Zeitraum von drei Wochen Offiziere und Mannschaft dermaßen mystifizirt, daß sie zu fürchten begannen, diese merkwürdige moralische Veränderung dürfte sich so weit ausgedehnt haben, daß er sich bei der geeigneten Gelegenheit auch nicht mehr als den früheren Kämpfer zeigen werde.

Diese Ansicht bekundete allerdings, daß ein sehr niedriger Grad von sittlicher Erhebung in der Flotte herrschte, was freilich nur ein Ergebniß der Unwissenheit und des Vorurtheils war; denn man glaubte eben, Grausamkeit sei ein nothwendiger Verbündeter des Muths, und man könne unmöglich tapfer vor dem Feinde stehen, wenn man seine Untergebenen rücksichtsvoll behandle.

Dies war übrigens ein neuer Irrthum, den Sir Octavius zu zerstreuen im Begriffe war.

Sein kleines Geschwader stand bereits in der schönsten Fechtordnung, als er, seiner Bestimmung entgegengehend, die Belladonna fast unter den Fenstern von Jasper-Hall träge vor Anker liegen sah. Seiner Aufforderung gemäß hatte sich die Fregatte dem Geschwader angeschlossen. Freilich war es ihm auffallend, sie in der beschriebenen Lage zu finden, da er vermuthete, sein tapferer Neffe hüte den Eingang des Kanals, obschon er wohl nicht so erstaunt gewesen wäre, wenn er gewußt hätte, welcher bedeutenden Ausbesserung das untere Takelwerk bedurfte.

Kapitän Oliphant steuerte in jener Sommermacht mit vollen Segeln, um das Geschwader einzuholen, und am andern Morgen um acht Uhr lag die Belladonna dicht unter dem Lee des Commodoreschiffs. Das Signal beschied ihm, an Bord zu gehen.

Er sprang in sein Gig und befand sich bald neben dem Donnerkeil, dessen Halbdeck er mit wenigen Sprüngen erreichte. Aber der Anblick, der ihm hier begegnete, ließ ihn drei Schritte zurückfahren, und er rief in einer Weise, so daß seine Worte von allen Anwesenden deutlich vernommen werden konnten, obschon er sie eigentlich nur denken wollte:

»Bei Allem, was häßlich ist, mein kostbarer alter Onkel!«

Sir Octavius musterte das betroffene Gesicht seines Neffen mit dem einzigen dunkeln Auge und schwenkte furchtbar seine eiserne Finne, als er in aufrechter Haltung ohne eine Spur von seiner früheren Gicht vor Kapitän Oliphant stand.

Oliver nahm seinen Hut ab und machte vor seinem grämlichen alten Onkel eine so ehrfurchtsvolle Verbeugung, dergleichen man weder vorher, noch je nachher an ihm bemerkt hatte. Jetzt kommt der Sturm, dachten Alle, und Einige, die in Seh- und Hörweite waren, sprachen sich dahin aus, daß der alte Knabe wieder wie früher zu werden scheine.

»Nun?« lautete der finstere, einsylbige Gruß des Oberbefehlshabers.

»Hier,« entgegnete der unverschämte Neffe, sobald er sich von den Wirkungen seiner Ueberraschung erholt hatte, und streckte seine Hand aus, um die seines Verwandten zu schütteln.

»Nein!« erwiederte der Commodore, plötzlich statt der rechten lebenden Hand den eisernen Haken sammt Spieker an dem Ende seines linken Arms entgegenbietend, womit er den jungen Kapitän possirlich genug faßte.

»Ich hoffe, ich habe Euch nicht beleidigt, Sir Octavius,« sagte der Neffe, sich stolz zurückziehend und das kalte Eisen loslassend, als ob er sich daran verbrannt hätte.

»Kommt her,« versetzte der alte Gentleman mit einem Rucke, den Kragen des Kapitäns anhakend; »warum seid Ihr gestern nicht auf Eurem Posten gewesen – und noch obendrein in einem so kritischen Augenblicke?«

»Sir Octavius, der Meister der Belladonna war der Ansicht, die Fregatte könnte in hoher See ihre niederen Masten verlieren, wenn das untere Takelwerk nicht frisch gesetzt würde.«

»Hum!«

Der alte Gentleman hatte ihn inzwischen näher und näher an den Rand der Hütte gedrängt, so daß sie jetzt von den Offizieren nicht mehr gehört werden konnten.

»Das ist eine schlimme, ganz schlimme Entschuldigung. Du hast einem Mädel nachgejagt, du junger Hund, und du weißt, weder Seiner Majestät Dienst, noch ich kann dies gestatten. Nun, da wir jetzt in der Kajüte sind, kannst du die Thüre schließen und dich offen gegen mich aussprechen.«

Kapitän Oliphant hatte jedoch so viel zu sagen, und darunter befand sich so viel, was, wie er fürchtete, seinem Zuhörer nicht sonderlich behagte, daß er nicht wußte, wie er anfangen sollte.

»Ich muß dir bemerken, Neffe, daß du sehr unbesonnen gehandelt hast. Wir haben gute Gläser an Bord, und obgleich du uns wahrscheinlich nicht bemerktest, so waren uns doch jenes weiße Haus, jene Gründe und eine weißgekleidete Dame, die an dem Arm eines Gentleman mit goldbordirtem Hute ging, sehr sichtbar. Kapitän Egerton würde sich freuen, deine Fregatte zu erhalten, und nimm mein Wort darauf, Viele haben sich sehr beißende Bemerkungen auf deine Unkosten erlaubt. Versteh mich wohl, Noll, ich kann nicht umhin, dir einen Verweis zu ertheilen. Du wirst natürlich hier frühstücken, und nachher können wir uns privatim miteinander benehmen. Underdown hat mich an Bord begleitet.«

»Ich werde mich glücklich schätzen, ihn zu sehen, Onkel.«

»Schon gut. Ja wohl da, das untere Takelwerk setzen! Zieh' an der Klingel. Steward, mein Kompliment an Kapitän Egerton und alle Offiziere der Morgenwache – es werde mich freuen, wenn sie mich beim Frühstücke mit ihrer Gesellschaft beehren wollen. Da kommt Underdown; er sieht so gravitätisch aus wie ein Mann, der auf Freiers Füßen geht.«

Das Wiedersehen zwischen Kapitän Oliphant und Horace Underdown war sehr herzlich. Sie hatten sich gegenseitig viel mitzutheilen und gingen daher auf dem Sterngang auf und nieder, während sich die Gäste des Commodore in der Vorderkajüte zum Frühstück versammelten.

Nachdem Alle angelangt waren und an dem Tische Platz genommen hatten, redete Sir Octavius, sehr zu Kapitän Oliphants Erstaunen, Kapitän Egerton folgendermaßen an:

»Kapitän Egerton, ich habe diesen Morgen ein wenig mit Kapitän Oliphant gezürnt, aber er setzte mir den sehr richtigen Beweggrund, der ihn veranlaßte, gestern vor Anker zu bleiben, zur Genüge auseinander – einen Beweggrund von sehr geheimer Natur, der die Interessen der kontrahirenden Partieen blosstellen und zu Negociationen führen könnte, die vielleicht zu sehr folgereichen Resultaten führen.«

»Gott behüte mich, Sir Octavius – wartete er vielleicht auf Ueberbringung einer geheimen Botschaft oder auf einen wichtigen Spion? Nein, davon will ich nichts, denn ich bin nur der Mann für den offenen Kampf, Commodore. Was für ein Kerl ist denn diese heimliche Person, Kapitän Oliphant – habt Ihr sie an Bord?«

»Ich könnte nicht sagen, daß sie jetzt schon an Bord ist, obschon es bald der Fall sein wird. Indeß muß ich sagen, obschon ich es nicht sollte, daß jene heimliche komplottirende Person, auf welche der Commodore anzuspielen beliebt, ein sehr ehrenhafter Charakter ist, und ich höre es nicht gerne, wenn man über sie witzelt.«

»Nun,« versetzte einer der Lieutenants; »ich kann mir wohl denken, daß sie sich für's Beste des Landes zu einem schmutzigen Dienste hergegeben hat, und der Beweggrund muß die Schande decken. Wie sieht denn der Mensch aus?«

»Ist sehr aufmerksam auf sein unteres Takelwerk,« sagte Sir Octavius.

»Das Aeußere eines Gentleman kann er übrigens kaum haben, obschon heutzutage ein guter Hut und ein gutes Gesicht darunter den Mann macht.«

»Der Windfang ist die Hauptsache,« bemerkte ein anderer Offizier.

»Kapitän Oliphant hat in der That etwas mit dem Windfang dieser Person zu schaffen – aber wir wollen nicht mehr davon sprechen,« sagte der Commodore, »ihr wißt, Gouvernements-Geheimnisse – hum –«

Der Neffe wunderte sich sehr über die scherzhaften Reden seines sonst so unumgänglichen Onkels, um so mehr, da er, als er Morgens an Bord kam, des festen Glaubens gelebt hatte, der alte Herr liege gichtkrank zu Testletree-Hall und mache sich seiner ganzen Umgebung zur Qual. Wie wenig hatte er sich geträumt, ihn in voller Gesundheit und im Besitze eines Kommandos zu sehen; er segnete daher die glückliche Veränderung, in ihm einen scherzhaften Wirth zu finden, der seine Unbesonnenheit bemäntelte, obschon er auf die Dauer dieser Stimmung kein sonderliches Vertrauen setzte.

Nach Beendigung des Frühstücks, bei welchem über viel feste Kost verfügt, und unterschiedliche Komplimente ausgetheilt worden waren, trennte sich die Gesellschaft, und der Commodore begab sich mit Mr. Underdown und Kapitän Oliphant nach der Hinterkajüte, wo sie sich ohne Unterbrechung mit einander unterhalten konnten.

Sir Octavius zeigte sich sehr feierlich in seiner Haltung und begann das Gespräch, indem er seinen Neffen wohl aufmerken hieß, worauf er folgendermaßen fortfuhr:

»Du hast bis jetzt wenig Verlangen gezeigt, meine Freundschaft zu kultiviren, Oliver. Die Schuld liegt ohne Zweifel an mir, und ich räume dies gerne ein; aber wenn du in diesem Benehmen fortfährst, wird der Fehler auf deiner Seite liegen.«

Kapitän Oliphant versprach alles Gute.

»Wohlan Oliphant, in meinen Jahren ist es ganz natürlich, daß man für seine Nachkommen Sorge trägt. Ich danke es meinem lieben Freunde Underdown, daß meine Güter, trotz meiner Sorglosigkeit und meines Abscheus vor allen Geschäften, in wunderbarem guten Zustande sind, und mein Einkommen mehr als das Doppelte seines früheren Standes beträgt. Auf wen soll nach meinem Tode Alles dies übergehen, Noll? Auf wen, nachdem der arme Augustus im Himmel ist? Sein schreckliches Ende, das mich anfangs für mehrere Jahre in eine dumpfe Apathie und Trostlosigkeit warf, hat endlich meine Augen geöffnet und mir gezeigt, wie zwecklos ich bisher gelebt habe, weil ich nur für mich lebte. Du wunderst dich, daß du mich so sprechen hörst, da ich früher wegen meines Despotismus und wegen meiner Eigenliebe im Rufe stand. Meine schlimmen Eigenschaften haben aber so viel Elend und Wehe über meine Verwandten gebracht, daß ich mich jetzt bemühen will, das wenige Gute, welches noch in mir steckt, zu ihrem Glücke schaffen zu lassen. Meine Manieren kann ich vielleicht nicht umwandeln, wohl aber mir eine andere Lebensaufgabe stellen.«

»Eure Manieren, Commodore? Wahrhaftig, ich habe Euch früher nie so gentlemanisch sprechen hören.«

»Dein Kompliment, Neffe, ist ein bitterer Vorwurf; doch gleichviel, ich habe ihn verdient. Höre mich nun an, Noll. Nach der nächsten Schlacht – und eine Schlacht müssen wir haben – wünsche ich, daß du den Dienst aufgibst.«

»Ich solle den Dienst aufgeben, Commodore – mein Leben – meine Ehre?«

»Laßt unsern Freund aussprechen,« sagte der Mann der Ruhe. »Er hat gute Gründe für seinen Vorschlag.«

»Ja, ich wünsche, daß du den Dienst aufgibst. Wohne in der Nähe meiner Becky und versuche, ob du sie nicht lieben kannst. Magst du sie nun heirathen oder nicht, Noll – Underdown hat Dokumente in Händen, welche dir im Punkte des Reichthums wohl manchen Neider zuziehen werden.«

»Gott steh' mir bei,« sagte der Offizier ergriffen, »Onkel, gebt mir die Hand, die Ihr mir auf dem Halbdecke verweigertet. Wie sehr habe ich Euern edlen Charakter verkannt! Aber ich bin ganz verwirrt – bin in Eisen – und habe nicht die Macht, rund umzubrassen. Onkel, Onkel, warum habe ich Euch früher nicht besser gekannt?«

»Lerne mich jetzt kennen, und liebe mich so gut du kannst. Ich bin ein großer Sünder gewesen – ja, vielleicht wäre sogar der Ausdruck Schurke besser gewählt. Deine edle Wärme gefällt mir, Noll. Was nun Becky betrifft, so kann ich dir nicht sagen, – ja, weder Menschen- noch Engelzungen vermögen auszusprechen, wie sehr ich diese Hexe liebe – vielleicht am meisten liebe um ihrer schlimmsten Fehler willen – wegen ihres Muthes, ihres Eigensinnes und ihrer Kühnheit. Ist sie nicht schön, Oliver?«

»Sie ist sehr – sehr schön.«

»Und hat ein wohlwollendes, edles Herz – Gott segne sie, Gott segne sie!«

»Sie ist ganz, wie Ihr sagt,« entgegnete Mr. Underdown. »Ihr seid nicht im Stande gewesen, sie völlig zu verderben.«

»Und Ihr ebensowenig, sie ganz vollkommen zu machen, Mr. Horace? Diesmal habe ich Euch zum Schweigen gebracht. Oliver, Oliver, versuche, ob du mit der Zeit mein Kind nicht lieben lernst.«

»Ich liebe sie jetzt schon und habe sie von jeher geliebt.«

»Ich danke dir. Könntest du sie wohl, wenn sie ihre Bildung vollendet hat, heirathen und noch immer lieben? Ueberlege wohl, eh' du antwortest, denn mein ganzes Glück und viel von dem Glücke meiner Rebekka hängt davon ab.«

»Sprecht nicht so, Onkel – sagt nicht Euer ganzes Glück. Hättet Ihr mir dieß vor einem Monat – nur noch vor einem kurzen Monate mitgetheilt, so würde ich Euch auf meinen Knieen für Eure Güte gedankt haben, denn Rebekka ist sehr liebenswürdig und, wie ich fest glaube, voll der besten Eigenschaften. Aber ich liebe bereits!«

Der alte Mann warf sich mit dem Ausdrucke des bitteren Kummers in seinen Stuhl zurück und murmelte:

»Wie oft und wie vollkommen ist Augustus gerächt!«

»So sollte ein Christ nicht reden,« sagte Mr. Underdown. »Lebt und handelt nach Euern gegenwärtigen Grundsätzen, und der Abend Eurer Tage wird durch die Sonne des Glückes erhellt werden. Augustus ist bei Gott, und von dort aus kann keine verächtliche Rache gießen. Sprecht, Oliphant; laßt uns hören, wem Ihr Euer Herz zugewandt habt, und wir wollen dann prüfen, welche frohen Aussichten Euch und uns vorbehalten bleiben.«

»Soweit meine Interessen in Frage kommen, hätte nichts für mich befriedigender sein können, als dieses Wiedersehen. Obgleich meine Liebe kaum einen Monat alt ist, ist es mir doch schon gelungen, mich und das Wesen, das mir theurer ist, als Alles, in Schwierigkeiten und Klemmen zu verwickeln. Wir Seeleute lassen in der Regel die Taue vor den Klüsen klar fahren, wenn wir in dem Hafen der Liebe Anker werfen.« Bei dieser Gelegenheit hatte der tapfere Kapitän weder Peter noch seine Hems zu fürchten.

Er erstattete dann unter Anwendung vieler seemännischer Metaphern Bericht über das Ballspiel am Gestade, über die Gefahr des dem Ertrinken nahen Midshipmans und über die späteren Besuche bei Rosa, wobei er nicht versäumte, ihre außerordentliche Schönheit, die seine Wölbung ihrer Stirne, die Majestät ihres Gesichtes, die Weiße ihrer Hand, die Gluth ihrer dunkeln Augen und die Tiefe ihres Gemüthes zu schildern. Im Lobe ihrer Vorzüge wurde er eigentlich beredt und er meinte, nur ein Wunder habe so viele augenscheinlich widersprechende Vollkommenheiten in Einer Person vereinigen können. Wie ihn der Commodore also sprechen hörte, vergab er ihm völlig die schmerzliche Täuschung, die er ihm in Betracht seiner Tochter verursacht hatte.

Mr. Underdown lauschte mit stummer und angelegentlicher Aufmerksamkeit auf die Erzählung des jungen Oliphant.

Der aufrichtige Kapitän fuhr nun fort, von der vernachlässigten Moral ihrer Erziehung zu sprechen; ihr Geist sei genährt durch die Grundsätze ungläubiger französischer Schriftsteller und Romanschreiber, so daß er überzeugt sei, sie habe noch gar nicht einmal gesucht, über ihren Glauben in's Klare zu kommen, da ihr religiöser Unterricht völlig verwahrlost worden. Als er jedoch mit der Gluth des Unwillens die schnöden Kunstgriffe berichtete, welche der habsüchtige Rubasore angewendet, fuhren seine Zuhörer entsetzt von ihren Stühlen auf, und es fehlte wenig, daß sich sogar der gelassene Underdown durch einen Fluch hätte überraschen lassen.

Der alte Commodore schwor und tobte so furchtbar, daß der Lärm über das ganze Halbdeck vernommen wurde, und ein Spaßvogel von Midshipman nahm daraus Anlaß, zu Kapitän Egerton zu gehen, und ihm zu melden, daß der »fechtende alte Commodore wieder an Bord gekommen sei.« Der Kapitän verlangte Erklärung, worauf der Schalk seinen vorgesetzten Offizier auf die Gefahr hin, nach dem Stengenkopfe geschickt zu werden, in die Hörweite des Gewitters führte.

Wir glauben, daß die Unverschämtheit um des guten Witzes willen Begnadigung erhielt, oder aus demselben Grunde auch die Strafe bereitwillig hingenommen wurde.

Unter den Gentlemen in der Kajüte wurden nun zunächst Rubasores Drohungen und der wahrscheinliche Weg, den er einschlagen konnte, besprochen. Oliphant wünschte von Herzen, am Lande zu sein. Er setzte keinen Zweifel in Miß Belmonts Liebe, fürchtete aber sehr, ihre Unerfahrenheit und Schwärmerei dürfte sich zu irgend einem überspannten Schritte verleiten, welche dem Rufe seiner künftigen Gattin Eintrag thun könnte.

In Fällen, wie der gegenwärtige, hatte Mr. Underdown in der Regel bei allen Telemachen seiner Bekanntschaft die Rolle des Mentor zu übernehmen, und ehe noch Kapitän Oliphant zum Schlusse gekommen, war er bereits über das einzuschlagende Verfahren mit sich einig geworden.

»Commodore,« sagte er mit einiger Schalkhaftigkeit, »was würde die Hinterwache denken, wenn sie einige von Euern letzten Explosionen gehört hätte?«

»Daß ich ein verdammt ehrlicher Kerl sei, vorausgesetzt, sie habe auch vernommen, was für ein Schuft mich also in Harnisch brachte. Möge der Teufel mit allen seinen – –«

»Bst!« sagte Unterboten, seine Hand auf den Fluchkrater legend. »Ihr haltet das Versprechen nicht, Octavius, was Ihr mir erst kürzlich so feierlich gegeben habt.«

»Schon recht, Horace; verzeiht mir. Ich weiß, daß ich ein alter Narr bin. Aber dieser Rubasore ist ein Kerl, der sogar den Engel Gabriel in Mitte seiner Morgenhymne zum Fluchen bringen könnte.«

»'s ist freilich schlimm; aber laßt mich Euch fragen, und ich frage dies allen Ernstes, um die künftigen Schritte damit in Verbindung zu bringen – was ist Eure wahre Ansicht von dem Charakter dieser Rosa Belmont?«

»Einfach diese, Horace – sie ist, wie meine Tochter, ein verderbtes Kind – sie von zu viel, und meine Becky von zu wenig Erziehung.«

»Ihr habt theilweise Recht und wollt vermuthlich sagen, Rosa sei auf Kosten einer gesunden moralischen Erziehung mit Kenntnissen überfüllt worden; sie hat daher Manches zu verlernen, oder muß das, was sie weiß, auf eine neue Grundlage bauen, während der armen Rebekka noch viel zu lernen übrig bleibt. Wie vortheilhaft könnten sie gegenseitig aus sich einwirken!«

»Allerdings!« versetzte der Commodore.

»Es wäre gar hübsch, wenn wir sie zusammenbringen könnten. Sie nähmen sich gegenseitig abwechselnd in's Schlepplau, bis sie zuletzt als die zwei schönsten Fahrzeuge in der Welt ausfahren könnten. Zum Henker – da konnte ich wieder Peter Drivel brauchen.«

Der letzte Satz wurde sotte voce gesprochen und erhielt verdientermaßen weder Aufmerksamkeit noch Antwort.

Endlich sprach Mr. Underdown mit einem Tone der Entschiedenheit, welchen er nur bei jenen seltenen Gelegenheiten anzunehmen pflegte, wenn er entschlossen war, alle Einwürfe zurückzuweisen.

»Hört mich an, Commodore, denn es gilt unser Aller Glücke Ihr müßt mich augenblicklich an's Land setzen. Wir haben mehrere Kauffahrer in Sicht, die kanalauswärts segeln. Der eine dient so gut zum Zwecke, als der andere.«

»Ihr wollt mich oft verlassen!« entgegnete der Commodore verstimmt. »Dann falle ich wieder in eine von meinen verwünschten. Leidenschaften, kehre das Schiff um und werfe alle meine guten Entschlüsse über Bord.«

»Ich glaube das nicht, Commodore, denn in diesem Falle wollte ich lieber mein Leben zum Opfer bringen, als mich von Euch entfernen. Ihr wißt nicht – und Niemand soll es bis zu meinem Tode erfahren – welches tiefe Interesse ich dabei habe, daß Ihr fortan nur den edlen und heroischen Eigenschaften Eures Charakters Folge gebt.«

»Was soll Alles dies?«

»Nichts was zur Sache gehörte, Octavius. Ich wollte fragen, Oliphant, ob Ihr kein Liebeszeichen von der Dame habt, denn ich muß eine Beglaubigung vorweisen können.«

Der Kapitän erröthete und entgegnete in liebenswürdiger Verwirrung:

»Ich kann ihr ja schreiben – oder genügt dies nicht?«

»Natürlich, vorausgesetzt, daß sie Eure Handschrift kennt. Wir dürfen in dieser Angelegenheit keinen Fehler begehen, denn wir haben's in Rubasore mit einem sehr verschmitzten Gegner zu thun.«

»Das ist freilich wahr. Ich bin übrigens nicht überzeugt, ob sie meine Handschrift kennt, da ich ihr noch nie geschrieben habe; auch getraue ich mich kaum, es zu thun, weil sie so gelehrt ist.«

»Gerade, wie ich mir's dachte. Indeß müßt Ihr mir immerhin ein Merkzeichen mitgeben, Kapitän, das mich als Euern Agenten legitimirt. Nun, Ihr braucht Euch nicht zu schämen – nur heraus damit.«

Endlich zog der Kapitän wie ein Schulknabe, der auf dem Aepfelstehlen ertappt worden ist, einen welken Blumenstrauß aus seiner Westentasche.

»Sie gab mir dies gestern Abend,« sagte er.

»Bah, Mann – wozu soll dies nützen? Kann ich die Identität dieses welken Unraths da beweisen? Zudem steht es zwei oder drei Tage an, ehe ich sie sehen kann, und was wird in der Zwischenzeit daraus geworden sein?«

»Ich will Euch bemühen, Mr. Underdown, mir den welken Unrath wieder zu geben. Hättet Ihr die Hand gesehen, welche den Strauß pflückte, oder die Augen, die darüber lächelten, so würdet Ihr diese Blumen keinen Unrath nennen.«

»Das ist aber nun einmal nicht der Fall, Oliphant. Habt Ihr wirklich nichts – gar nichts, was ihr gehörte? Wohlan denn, so nennt mir ein kleines Sprüchlein, dessen sie sich zu erinnern vermag und das nur Euch beiden bekannt ist, so daß ich sie anreden kann: ›Miß, der Gentleman, zu welchem Ihr, oder der zu Euch, so und so sagte;‹ je zärtlicher, desto besser.«

»Underdown, Ihr werdet immer schlimmer und schlimmer – ich habe allerdings etwas von ihr, aber ich stahl es aus ihrem Arbeitskörbchen, als ihr Kopf abgewendet war.«

»Etwa um ihr Mädchen fortzuschicken – was ist es Kapitän?«

»Ah, ich dachte nicht an dies; aber sie hatte es eben mit ihren zarten Fingern gezeichnet und warf es in ihr Körbchen, als ich mich näherte.«

»Ist es ihr Schnupftuch?«

»Nein.«

»Dann im Namen aller Wunder, was mag es wohl sein?« rief der Commodore. »Doch kein Besahnmarssegel, denn dies wäre wohl zu groß für den Korb einer Dame, und auch kein Handschuh, denn einen solchen zeichnen Damen nur dann, wenn sie ihn beschmutzen.«

»Es war ein seidener Strumpf.«

»Hui!« pfiff der Commodore. »Schwefel und blaue Bohnen! Da wird man das Haus durchstören, die Bedienten beargwöhnen – kurz, ich stehe dafür, daß es eine gewaltige Unordnung gibt, blos deshalb, weil du einen Strumpf gestohlen hast, der noch obendrein zu klein ist, als daß du ihn tragen könntest.«

»Tragen, Commodore? Was fällt Euch auch ein. Glaubt Ihr, ich sei eines kleinen Diebstahls um der eigenen Benützung willen fähig?«

»Es sieht wenigstens sehr danach aus,« sagte Underdown. »Oliphant, Ihr habt Unrecht gethan.«

»Es war nur ein einzelner!« entgegnete der arme Bursche völlig verdutzt.

»Wo ist er?«

»Hier!«

Und der Mauser nahm ein sehr hübsches Strümpfchen aus seinem Busen, dazu mit Buchstaben bezeichnet, welche bekundeten, daß die junge Dame in weiblichen Arbeiten sehr gut erfahren war; sie lauteten R. O. S., wozu noch ein nur halb fertiges A. kam.

»Ha, du bist mir ein feiner Bursche, daß du dir solche Dinge erlaubst!« sagte der Commodore, sich an seiner Verwirrung erfreuend. »Hättest du meinetwegen ein Hemd von der Leine geholt, oder irgend einen andern offenen Diebstahl begangen, so ginge es noch hin – aber dies ist Hausdiebstahl – o pfui!«

»Nun, 's ist schon gut,« ließ sich Underdown trocken vernehmen. »Ich muß also zu ihr sagen: ›der Gentleman in Flottenuniform, der Euch kürzlich Euern Strumpf stahl, beauftragt mich –‹«

»Das ist doch zu schlimm – Ihr macht wahrhaftig, daß ich zornig werde, denn Ihr spielt mit meinen besten Gefühlen. Gebt mir den unschätzbaren Gegenstand wieder zurück.«

»Ich glaube selbst auch, daß dies am besten ist, denn ich würde es wahrscheinlich weit schwieriger finden, ihn zurückzugeben, als es Euch wurde, denselben zu Eurem Eigenthume zu machen. Stellt dieser Ausdruck Euer Zartgefühl nicht zufrieden?«

Wie dem nun sein mochte, zuletzt lief die Entscheidung darauf hinaus, daß Mr. Underdown sich unverzüglich nach Jasper-Hall begeben und Oliphants Diener, Peter Drivel mit sich nehmen sollte, da letzterer Miß Belmont hinreichend bekannt war. Der Bote hatte sich vorgenommen, der jungen Dame mitzutheilen, da sie mehr als achtzehn Jahre alt sei, so stehe es in ihrer Macht, den Lordkanzler um einen andern Vormund zu bitten – ein Gesuch, dem natürlich willfahrt werden müsse; er selbst und Sir Octavius Bacuissart wollten dann während der kurzen Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit die Verwaltung ihres Vermögens übernehmen. Zugleich war beschlossen worden, ihr einen Aufenthalt unter der Familie zu Trestletree-Hall anzubieten.

Sowohl der Commodore, als dessen Neffe gingen mit Freuden auf diesen Vorschlag ein und waren voll Dank gegen den Freund, welcher denselben gemacht hatte. Bald nachher wurde ein nach Plymouth bestimmtes Schiff angehalten, in welchem Mr. Underdown und Peter Drivel an Bord gingen. Kapitän Oliphant begab sich nach seiner Fregatte, und das ganze Geschwader segelte seiner Bestimmung entgegen.


 << zurück weiter >>