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Achtzehntes Kapitel

»Ihr Götter vernichtet Raum und Zeit
Und macht zwei Liebende glücklich.«

Es liegt nun am Tage, daß es auf eine Liebesgeschichte hinausgeht, weshalb es nöthig ist, daß meine Freunde mit sämmtlichen interessanten Vorfallenheiten bekannt gemacht werden. Rosa Belmont war eine Brünette mit einem so klaren Teint, daß er fast durchsichtig erschien. Keine Blondine konnte sich je einer weißeren Stirne rühmen. Ihre flaumweißen Wangen glühten von gesundem Roth, und man konnte sogar beredt über die klassische Form derselben werden, da sie unaufhörlich von dem himmlischen Feuer leuchteten, welches die tiefschwarzen Augen von sich strahlten. Es war fast unmöglich, die letzteren Liebessterne philosophisch anzublicken, obgleich sie nur selten voll offen waren; denn die langen Wimpern verschleierten ihren Glanz und milderten wohlwollend ihre Gluth. Ihr Haar wer sehr dunkel, glänzend, üppig wallend und vom zartesten Gewebe. Alle ihre Bewegungen zeigten eine gedankenvolle Würde, und wenn sie zu sagen pflegte, daß sie ganz Seele sei, so wußte sie nicht einmal, wie wahr sie sprach.

Sie näherte sich um jene Zeit ihrer Volljährigkeit, und in wenigen Monaten sollte die Vormundschaft unsres Bekannten, des Mr. Rubasore, ihr Ende nehmen. Sie wurde dann Alleinherrin von Jaspar-Hall, eines zwar etwas heruntergekommenen Gutes, das aber immerhin genügende Mittel für eine anständige Unabhängigkeit bot und, wenn es einige Jahre ökonomisch bewirtschaftet wurde, sehr werthvoll zu werden versprach.

Diesen hoffnungsvollen Landsitz sammt seiner bezaubernden jungen Gebieterin gedachte Mr. Rubasore sich selbst zuzueignen. Zur leichteren Erreichung seines Zieles hatte er Rosa auf ein abgeschiedenes Leben hingewiesen und allen seinen Kräften aufgeboten, um ihren romantischen Geist zu nähren. In letzterer Hinsicht war ihm sein Plan wunderbar gelungen; da er außerdem sehr eifrig in seiner Aufwartung war, es an Lehren nicht fehlen ließ und jede Gelegenheit ferne hielt, welche der Dame Vergleichungen an die Hand bieten konnte, so hatte Rosa, um die Leere in ihrer Einbildungskraft auszufüllen, den alten Gentleman zum Liebhaber angenommen. Dieß war übrigens ein tiefes Geheimniß, von welchem nur die beiden betreffenden Personen Kenntniß hatten.

Mr. Rubasore war ein gewandter, einnehmender Mann und, trotz seiner grauen Haare, keineswegs eine üble Person. Er fürchtete die Meinung der Welt, sprach selten von seiner Mündel und hatte ihre Erziehung in Frankreich vervollständigen lassen. Da Rosa dort sah, in welcher Weise in der Regel über junge Damen verfügt wird, und sie sich obendrein durch die vierteljährigen Besuche ihres Verehrers geschmeichelt fühlte, so wähnte sie alles Gute, dessen sich die menschliche Natur rühmen kann, in ihm vereinigt und war mit ihren künftigen Aussichten vollkommen zufrieden.

Was Mr. Rubasore betraf, so pries ihn alle Welt als einen aufmerksamen und wohlwollenden Vormünder, der seine Mündel ohne alle Aufdringlichkeit auf's Rücksichtsvollste behandle. Die Lober wußten natürlich nicht, daß er schmählicherweise auf den eitlen Sinn und die Unerfahrenheit eines siebzehnjährigen Kindes spekulirte und sie zu der Zusage verlockt hatte, ihn, sobald sie volljährig sei, zu heirathen. Sich mit ihr zu verehlichen, so lange sie noch unter seiner Vormundschaft stund, fiel ihm nicht entfernt ein, weil ihm aus einem solchen Schritte, sowohl von Gesetzes wegen als für seinen Ruf Gefahr drohte. Er hatte aller seiner Macht aufgeboten, um den Geist seiner Mündel recht romantisch zu stimmen, und darin seinen Zweck wunderbar erreicht. Konnte ein Wesen, dessen Phantasie mit den Thorheiten einer beständigen Liebe erfüllt war, die angelobte Treue brechen? O nein! dachte Mr. Rubasore. Die Romantik hat jedoch in Betreff der Herzensangelegenheiten ihre eigenen Vorstellungen, die sich bisweilen nicht sehr zu Gunsten des Alters und der Doppelzüngigkeit gestalten.

Mr. Rubasores Güter befanden sich in der Nähe von Trestletree-Hall. Er galt bei allen seinen Nachbarn als ein starrer Hagestolz, und seine Besuche in Frankreich wurden stets der angelegentlichen Aufmerksamkeit zugeschrieben, welche er dem Wohle seiner Mündel weihte. Da sie jetzt das zwanzigste Jahr zurückgelegt hatte, so meinte er, es sei an der Zeit, daß er sie mehr unter die eigene Aufsicht stelle. Demzufolge ließ er Jasper-Hall in Ordnung bringen, versah sich in der Person einer beliebten und abhängigen weiblichen Verwandten mit einer passenden Chaperone für Rosa, holte dann seine Mündel nach England und führte sie in ihrem väterlichen Landhaus an der Küste von Cornwallis ein, wo sie, wie er meinte, abgeschieden genug war, um ihn gegen jede Nebenbuhlerschaft sicher zu stellen.

Nachdem sich Rosa mit Mrs. Dregely gemächlich eingerichtet hatte, machte ihr Mr. Rubasore einen einzigen, kurzen und zärtlichen Besuch. Das arme Mädchen fand, daß ihr diese Visite mehr um ihrer ersteren, als um der letzteren Eigenschaft willen gefiel. Sie begann die Ansicht zu gewinnen, daß ihr Liebhaber erschrecklich alt aussehe, und nachgerade faßte ein eigentliches Entsetzen vor langen gertenartigen Haarzöpfen in ihr Wurzel. Sie besaß jedoch feste Grundsätze, und obgleich sie schon bei dem Gedanken an den Vertrag schauderte, zu dem sie sich hatte verlocken lassen, kam ihr doch noch immer nicht zu Sinne, denselben zu brechen.

Mr. Rubasore war zu klug und achtete zu sehr den Anstand, um lange zu verweilen. Er kehrte nach seinem Landhause in Herts zurück, um daselbst seinen Zopf in Gefahr zu bringen. Aus diesem Abenteuer entsprangen für ihn nicht nur körperlich schlimme Folgen, sondern auch moralische, die ihm sehr zu Herzen gingen. Die Umgegend wurde ihm zu einem Grausen; er sehnte sich, sie für immer zu verlassen und in den Liebkosungen seiner jungen wunderschönen Braut die Erinnerung an die Perückenjagd zu vergessen. Die Leute fanden es daher nicht überraschend, als sie in den Zeitungen lasen, daß sein Haus und seine Güter zu vermiethen seien.

In der klösterlichen Einsamkeit, auf welche Rosa bisher beschränkt gewesen war, hatte sie kaum eine Person gesehen, welche auf den Rang und die Haltung eines Gentlemans Anspruch machen konnte; gleichwohl aber steigerten sich in der üppigen Unthätigkeit ihres abgeschiedenen Wohnorts alle ihre romantischen Gefühle zu einem eigentlichen Enthusiasmus. Sie konnte lesen was sie wollte, und die wilden, ritterlichen Thaten, die übertriebene Moral, bisweilen auch die Unsittlichkeit der französischen Novellisten, boten reichen Nahrungsstoff, sowohl für die Träume ihres Schlummers, als für die Gedanken ihrer wachen Stunden.

Nun hatte Kapitän Oliphant diese romantische Schönheit früher nur zweimal gesehen. Bei dem ersten Anblicke erklärte er sie für das schönste Frauenbild auf dem ganzen Erdrunde; er fühlte es, obgleich er sonst nur wenig Rücksicht auf seine Empfindungen nahm – ein Beweis, daß er verliebt war. Das Zusammentreffen war eigenthümlich. Die Belladonna arbeitete sich ungefähr einen Monat vor der Periode, bei welcher wir jetzt angelangt sind, den Kanal herauf. Es fiel eine todte Windstille ein, und da die Fregatte die Fluth gegen sich hatte, so warf sie so ziemlich an derselben Stelle, wo sie gegenwärtig liegt, ihren Anker aus. Oliver Oliphant war ein Schalk in seiner Weise. Er gab sich nicht für witzig, gelehrt oder sentimental aus, liebte aber einen lustigen Scherz. Es war ein schöner Nachmittag, und das fröhliche England in seinem Maischmucke blickte die armen, vom Seewasser gut gebeizten Midshipmen, welche in dieser Weise, sowohl von innen als außen, eingesalzen waren, so gar zauberisch verlockend an.

Sie begaben sich in Masse nach dem Halbdeck und baten den ersten Lieutenant, an's Land gehen zu dürfen, bloß um ihre Glieder zu strecken und ein Bischen zu grasen. Pflichtgemäß erhob der Erste dagegen seine Bedenken. Sie mußten dringend nöthig den Kanal hinauf; der Wind konnte sich einstellen, und so stand zu befahren, daß viele Zeit verloren ging, wenn man auf ihre Wiedereinschiffung und auf das Hereinhissen des Bootes warten mußte. Nun erlaubte sich aber Daniel Danvers, welcher, obgleich er schon vor mehr als drei Jahren sein Examen erstanden hatte, noch immer als Midshipman bei Kapitän Oliphant war, die bescheidene Bemerkung, er wisse aus eigener Erfahrung, daß kein Wind kommen werde.

Da man auf diese Versicherung keinen besonderen Werth legte so wurden die Bittsteller abgefertigt. Den Kapitän jedoch, welcher daneben stand, hatte die Unverschämtheit des kleinen Danvers ergötzt; er beschied deshalb sehr herablassend sämmtliche Midshipmen vor sich und erklärte ihnen, wenn Mr. Jackson einverstanden sei, so habe er nichts dagegen, wenn sie bis Sonnenuntergang an's Land gingen, um an dem Gestade Ball zu spielen, vorausgesetzt, daß sie das Boot selbst ruderten und ihr Ehrenwort gäben, nicht weiter, als bis zu der Hochwassermarke in's Land zu gehen und guten Lugaus wegen eines allenfallsigen Zurückberufungssignals zu halten.

Dies war mehr, als sie erwartet hatten. Sie gaben ihr Ehrenwort und stiegen mit ihren Bällen und Raketen in das niedergelassene Boot. Der fröhliche Kapitän, welcher mit ansehen wollte, wie sie auf dem unbequemen Kiesufer ihre Bälle handhabten, sprang gleichfalls in den Nachen, und die Midshipmen ruderten lachend dem Ufer zu.

Die Standpunkte wurden mit Pfählen bezeichnet, die Ausluger ernannt und der Kapitän mit der Vorhand beehrt. Ein schweres Geschäft, auf dem Kiese Ball zu spielen. Die Spieler stolperten und kugelten umher, zerrissen sich die Schuhe, stürzten nieder, jubelten und lachten, wie eben so viele wilde Bauernjungen. Es war unmöglich zu kugeln, weßhalb der Kugler genöthigt war, den Ball mit dem Racket heimzuschlagen, wodurch sein Gegenmann oft Gelegenheit erhielt, denselben in unabsehbarer Entfernung durch die Luft zu schicken. Fiel der Ball in die See, so liefen sie ihm nach wie ein Rudel von Wasserhunden – das Ganze also eine höchst mühsame Leibesübung.

Als der Spaß eben am lebhaftesten war und der Kapitän aus vollen Lungen mitjubelte, kam Rosa des Weges, von ihrem Kammermädchen begleitet, das jedoch nicht die Nelly war, welche wir dem Leser bereits vorgestellt haben. Rosa hatte nouvelle Heloïse in ihrer Hand und war in sublime Betrachtungen vertieft. Schon waren Luft, Erde, Wasser und die gebrechliche Barke darauf, gebührendermaßen von ihr angeredet worden, und wie sie eben etwas sehr Rührendes über den Heroismus derer, welche in Schiffen über die Tiefen des Meeres hinfahren, gesagt hatte, traf sie plötzlich auf die Helden selbst. Da standen sie, nur durch ein kleines Stück Feld von ihr getrennt, und jubelten und lachten, als wären sie einem Tollhause entsprungen. Die Scene war sehr heiter, aber nichts weniger als romantisch.

Viele von den Schiffshelden hatten Röcke und Westen ausgezogen; auch ließen sie hin und wieder einen Ausdruck vernehmen, der seltsamer Weise wie ein Fluch klang.

Kapitän Oliphant stand, Rock und Weste abgelegt, an dem aufgesteckten Stabe, hatte das Racket in der Hand und entfaltete die schönste Attitüde, welche der Mensch annehmen kann, um das gefällige Ebenmaaß des Körpers zu zeigen. Der Kopf war ein wenig zurückgeworfen, und sein edles Gesicht, das von der Gluth der Gesundheit strotzte, lächelte in der Ueberfülle des Frohsinns. Rosa gestand sich, daß sie nie zuvor etwas so Schönes gesehen habe, und ihr Entsetzen vor langen, gelben Gesichtern, desgleichen vor gertenartigen Haarzöpfen steigerte sich um ein Beträchtliches. In ihrer stummen Verwunderung hatte sie unwillkürlich die neue Heloïse fallen lassen.

Ohne zu ahnen, wie angelegentlich sie von einem so lieblichen Wesen beobachtet wurden, setzten die Spieler ihre Belustigung fort. Der Ball wurde von dem Stabe zurückgeschlagen, aber noch ehe er denselben erreichte, faßte ihn der Mittelpunkt des Rackets, und er flog hoch, hoch in die Luft, weit, weit in's Meer hinaus. Eine fast simsonische Gewalt mußte ihn getroffen haben. Die jungen Leute sahen bewundernd seinem Fluge nach und stürzten sich dann in's Wasser, wo sie bald wie in ihrem natürlichen Elemente plätscherten.

»Könnte Ruben Rubasore auch etwas der Art thun?« sagte Rosa mit einem Seufzer.

Nun schlug zum erstenmal Oliphants gewaltige, aber doch melodische Stimme wie der Ton einer Pfeife an ihr entzücktes Ohr.

»Jungen, ich befehle Euch, daß keiner sich in's Wasser wage, der nicht schwimmen kann.«

Der wohlgemeinte Befehl wurde jedoch zu spät erlassen. Einer der Knaben, welcher zufällig dem Balle am nächsten war, ließ sich durch seinen Eifer verleiten, daß er zu weit hinauswatete. Die untere Strömung hatte ihn gelüpft, und er verschwand plötzlich.

Der Nachen, welcher in einiger Entfernung an einem Bootshaken lag und einen einzigen Midshipmen als Hüter beherbergte, holte augenblicklich auf; aber ehe er nach der Stelle rudern konnte, hatte sich Kapitän Oliphant bereits in die See gestürzt und war gleichfalls verschwunden.

Es erscholl jetzt ein Schrei von der Wiese her, auf den jedoch nicht geachtet wurde.

Oliphant kam bald wieder zum Vorschein, trug den besinnungslosen Knaben in seinen Armen und brachte ihn unverweilt nach dem Ufer.

»Wir müssen nach dem nächsten Hause eilen,« sagte der Kapitän, noch immer die leblose Bürde festhaltend.

»Nach dem meinigen – nach dem meinigen!« rief Rosa Belmont, welche hastig herbeieilte.

»Springt in das Boot und holt augenblicklich den Wundarzt herbei.«

Auf Kriegsschiffen ist Alles in bewunderungswürdiger Weise eingerichtet, so daß der letztere Befehl eigentlich unnöthig war. Der Signalmann an Bord war auf dem Lugaus gewesen und hatte den Unfall gemeldet, weshalb das Gig mit dem Wundarzt und den nöthigen Belebungsmitteln augenblicklich niedergelassen wurde. Das Fahrzeug schoß durch das Wasser schäumend dem Ufer zu.

Der Kapitän eilte, den leblosen Knaben in seinen Armen, mit aller Hast Miß Belmonts Landhause zu, während die Uebrigen mit Rosa weit zurückblieben. Alles, was sie sah, erfüllte sie mit Bewunderung. Eine solche aufopfernde Nächstenliebe – eine solche Behendigkeit – hier ging wirklich vor ihren Augen mehr als ein Roman vor – ein Roman, der ihr weit besser gefiel, als Alles, was ihr Rousseau je geboten hatte.

Der Wundarzt hatte sich so beeilt, daß er mit Miß Belmont und ihrer Dienerin in dem Hause anlangte. Der junge Gentleman war bald wieder zu sich gebracht. Erfrischungen lagen in bunter Fülle umher, und nach einem großen Aufwand schwunghafter Komplimente beurlaubte sich die Schiffsgesellschaft, um wieder an Bord zu gehen, da die Meisten bis auf die Haut durchnäßt waren.

Mrs. Dregely war voll Leben und Höflichkeit; ja sie beging beinahe die Ungebühr, die ganze Gesellschaft einzuladen, bei ihr und ihrem Schützling zu diniren – ein Verstoß gegen das Decorum, das vielleicht Miß Belmont, Mr. Rubasore aber nimmermehr vergeben haben würde.

Kapitän Oliphant zögerte, bis sich alle Uebrigen entfernt hatten. Wie unnöthig lange hielt er die zarteste und weißeste von allen Händen der Erde in der seinigen!

»O Kapitän Oliphant, soll ich nie erfahren, ob Ihr Euch in Verrichtung dieser größten aller Heldenthaten nicht eine Erkältung zugezogen habt?«

»Ich will kommen und Euch in Person Nachricht bringen.«

Noch am nämlichen Abend fügte es der reinste Zufall, daß Rosa und der tapfere Kapitän im Mondscheine an dem Ufer spazieren gingen. Miß Dregely wußte hievon nichts.

Wenn sich viel Dreistigkeit auf der einen, und viel Romantik auf der andern Seite findet, so ist es wunderbar, wie rasch eine Liebesangelegenheit gedeiht. Mr. Rubasore, dies ist eine Frucht von dem Baume, den du selbst gepflanzt hast.


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