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Vierunddreißigstes Kapitel

»Befiehl der Nadel, ihren Pol zu lassen,
Den in der Liebe Zitterhaft sie sucht;
Heiß' Steine das Gesetz der Schwere hassen,
Erdrück' dem Ehrgeiz seine Flammenwucht;
Wenn diese alle absteh'n ihren Trieben,
Dann hör' ich auf, dich – dich allein zu lieben.«

Cowley.

Mit dem frühesten Morgen war Rebekka auf und angekleidet; sie bescheerte ihrer Freundin viele Liebkosungen, ehe sie dieselbe so weit wecken konnte, als nöthig war, um sich mit ihr über das benehmen zu können, was nun zunächst für den in ihrem Schlafgemache gefangenen Wanderer geschehen konnte.

Die junge Erbin war voll Rührigkeit und Energie, während Miß Belmont sich in ihren Morgenbetrachtungen sagte, sie hätten einen sehr übereilten Schritt gethan, welcher ihren beiderseitigen Ruf ungemein gefährden könne. Um Rebekkas willen bereute sie das Geschehene nicht, aber dennoch fühlte sie eine solche lähmende Unruhe, daß sie sich außer Stande fühlte, zu rathen oder zu handeln. Ihr einziger Wunsch lief nun darauf hinaus, die Verantwortlichkeit mit Mr. Underdown oder wenigstens mit einer der älteren Damen des Hauses zu theilen, mochte diese nun Mrs. Oliphant oder ihre nicht übermäßig weise Schwester Miß Matilda Bacuissart sein. Aber Rebekka wollte auf alle diese Vorschläge keinen Augenblick hören.

Der Vogel im Käficht mußte jedoch nicht nur wirksam verborgen, sondern auch genährt werden. Dies war eine beunruhigende Klemme; aber wenn junge Damen sich dazu bereit finden lassen, junge Gentlemen in ihre Schlafgemächer einzuschließen, so dürfen sie nicht glauben, daß sie sich selbst auf Rosen gebettet haben.

Es schlug acht Uhr; die ganze Familie war auf den Beinen, und doch hatten sich die Mädchen noch immer zu keinem Entschlusse vereinigen können.

»Meine liebe Rosenknospe, du mußt gehen und nachsehen, ob der liebe Augustus wach ist. Du weißt, es wäre bedenklich, wenn man mich an meiner eigenen Schlafzimmerthüre klopfen sähe, während man glaubt, ich befinde mich gemächlich drinnen.«

»Freilich geht das nicht an,« sagte Rosa, den Schlüssel ergreifend, denn sie hatten die Thüre von außen abgeschlossen. »Und wenn nun der gnädige Herr wacht, was soll ich zu ihm sagen?«

»Schließe die Thüre ruhig auf, bring' ihm nebst meinem Gruße den Schlüssel und sage ihm, wir wollen unverweilt für sein Frühstück besorgt sein.«

»Da bin ich doch neugierig, wie wir dies angreifen können, meine theure Becky.«

»Oh, wir müssen's überlegen. Ohne Zweifel werden wir schon Mittel auffinden.«

Miß Belmont entfernte sich und kehrte alsbald mit Blicken des Entsetzens wieder zurück.

»Gott im Himmel! Was ist vorgefallen, Rosa?«

»Was vorgefallen ist? Der junge Mann schnarcht, daß es tönt wie ein halbes Dutzend schlecht gespielter Kesselpauken, und nichts als ein Schmiedehammer wird im Stande sein, ihn zu wecken. Ich habe mir bereits die Haut von meinen Knöcheln abgeklopft. Machen alle Männer einen so schrecklichen Lärm, wenn sie schlafen? Gib Acht, meine Liebe, er wird noch das Ganze Haus in Alarm setzen.«

»Rosa, du bist diesen Morgen sehr unangenehm. Süßer, theurer Augustus! Wie sehr muß er sich nicht erkältet haben!«

»Jedenfalls muß ihn das Gewissen nicht sehr schwer drücken. Er könnte Kapitän der sieben Schnarcher – ich bitte um Verzeihung – der sieben Schläfer sein.«

»Oh, Rosa, du magst meinetwegen Alles sagen, was du willst, wenn du uns nur Beistand leistest.«

»Nun, meine kleine blauäugige Weisheit, was willst du von mir haben?«

»Rosa, du mußt dich krank stellen und dein Zimmer hüten – ja, sogar wieder zu Bette gehen; zugleich entwickelst du einen Gähhunger, einen schrecklichen Appetit – ein Verlangen nach Beefsteacks und ganzen Kannen voll Kaffee's. Es ist dann meine Pflicht, bei dir zu frühstücken – ich bin selbst auch ungemein hungrig. Geh' wieder zu Bette – nicht wahr, meine Liebe? Ich will mich dann hinunter begeben und melden, wie unwohl du bist!«

»Ich will es thun – ja – zuverlässig; aber vergiß nicht, was ich für eine schlimme Schauspielerin bin. Wir wollen doch lieber Mr. Underdown in's Geheimniß einweihen, da ich sonst wohl eine ganze Woche das Bett hüten muß und mir der Makel einer unerträglichen Esserin das ganze Leben über anhaften dürfte. Kann dieser dein Augustus wohl eben so gut schlucken, als schnarchen?«

»Beeile dich, theuerste Rosa – zu Bette mit dir.«

»Und die Sonne scheint so herrlich!«

Rebekka begab sich hinunter und schloß sich der übrigen Familie in dem Frühstückzimmer an; aber statt wie sonst hereinzustürzen und mit frohem Gesichte alle Anwesenden zu begrüßen, versuchte sie ihre Aufregung durch eine stattliche Haltung und eine gezwungene Höflichkeit, die ihr nicht sonderlich gut ließ, zu bemänteln. Sie blickte prüfend in jedes Gesicht, ohne jedoch in dieser Musterung eine neue Quelle der Unruhe zu finden, da namentlich die Züge der Person, welche sie am meisten fürchtete, ungewöhnliche Heiterkeit verriethen. Nach Austausch der üblichen Begrüßung sagte Mr. Underdown freundlich zu Rebekka:

»Mein schönes Kind, es ist heute das erste Mal, daß Ihr zuletzt kommt.«

Peter Drivel, der eben in der Eigenschaft eines Aufwärters anwesend war, spitzte seine Ohren wie ein altes Schlachtroß beim Tone der Trompete; er war jedoch klug genug, die Hand vor den Mund zu halten und so den Erguß seiner Abgeschmacktheiten zu hemmen. Oh, daß doch alle Witzlinge sich diese Weisheit Peters zum Muster nähmen!

»Habt Ihr nicht gestern Nacht Carlos' tiefes Gebell vernommen? Euer Fenster geht nach dem Rasen hinaus.«

»Ich habe tief geschlafen,« lautete die kaum artikulirte Antwort des Mädchens, und ein Roth überflog ihr Gesicht, welches mit dem Feuer der Damascener-Rose wetteiferte.

»Das glaube ich gerne, Rebekka, denn als ich vor einer Viertelstunde an Eurer Thüre vorbeikam, hörte ich das ungekünsteltste Schnarchen, welches nur je ein Schlaf hervorrief. Doch, wo ist Rosa, meine Theure? Schläft sie auch so tief?«

Diese letztere Frage gewährte Rebekka einige Erleichterung, denn sie hatte sich so verwirrt gefühlt, daß sie nicht gut sagen konnte, ob sie selbst oder ob das Zimmer im Ringe herumging. Sie meinte, die Eine oder das Andere drehe sich wie ein Kreisel.

»Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß Rosa sich sehr unwohl fühlt; und als ich diesen Morgen aufstund, mußte ich sie zwingen, wieder zu Bette zu gehen. Ich habe ihr versprochen, bei ihr zu frühstücken und den Rest des Tages auf ihrem Zimmer zu verbringen.«

Nach dieser Ankündigung wollten die übrigen Damen unverweilt die Treppe hinaufeilen, um der Patientin mit Trost beizuspringen. Rebekka legte jedoch Widerspruch ein und erklärte, sie sei überzeugt, daß es Miß Belmont jetzt lieber sei, wenn man sie allein lasse.

Mr. Underdown entgegnete sehr trocken und – wie es Rebekka vorkam – etwas argwöhnisch, »daß er dies gern glaube;« durch seine Autorität veranlaßt, nahmen daher die übrigen Damen ihre Sitze wieder ein. Er fragte dann ruhig, ob sie die Neuigkeiten schon gehört hätten, was ihre Aufmerksamkeit auf's Angelegentlichste spornte. Er las nun einen Brief des alten Commodore, von London aus datirt, vor, in welchem derselbe ankündigte, daß es ihm leid thue, wegen eines wichtigen Privatgeschäfts vielleicht noch eine Woche aufgehalten zu werden. Rebekka ließ er grüßen und sandte ihr seinen Segen – in der That, es war ein ganz bezaubernder und Friede athmender Brief, wenn man in's Auge faßte, wer der Schreiber war. Mr. Underdown las jedoch nicht den ganzen Inhalt. Die Reihe kam nun an den amtlichen Bericht über den kürzlich erfochtenen glänzenden Sieg, der mit unterschiedlichen Bemerkungen erläutert wurde, so daß eine volle halbe Stunde dahinging, während die arme Miß Belmont (wie Peter sich ausgedrückt haben würde) in Angst und Spannung eingebettet lag.

Die arme Rebekka war die Einzige, welche nicht voll in die triumphirenden Gefühle der Uebrigen einzugehen schien, und als Mrs. Oliphant ausrief: »Wie glücklich muß jetzt mein Bruder Octavius sein!« seufzte sie: »Wollte Gott, er wäre hier! Ich könnte ihn glücklicher machen, als es tausend Siege zu thun im Stande wären.«

»Der Tausend!« rief Mr. Underdown. »Unsere Heldin spricht in Parabeln. Becky, Becky, das ist eine gefährliche Redeweise. O Rebekka, seht nach Eurem Hänfling; wir dürfen nie unsere Gefangenen vernachlässigen oder in Gefahr setzen – namentlich, wenn sie freiwillige sind.«

Das arme Mädchen zitterte vom Kopfe bis zu den Füßen, als sie sich entfernte, um nach ihrem Vogel zu sehen; auch meinte sie, ohne sich jedoch darüber auszudrücken, daß der Mann der Rüge selbst furchtbar geheimnißvoll sprechen könne. »Hatte er vielleicht Argwohn?« fragte sie sich selbst – und sie hätte vergehen mögen bei dieser Frage.

Während die übrige Gesellschaft über die eben vernommenen Neuigkeiten fast außer sich vor Freude war und sich der süßen Hoffnung hingab, Sir Octavius und Kapitän Oliphant bald wieder zu sehen, saß Rebekka stumm, verwirrt und theilnahmlos da. Sie schien dessen, was um sie her vorging, nicht bewußt zu werden, und sah nicht einmal die gemischten Blicke des Mitleids und Beifalls, welche ihr Mr. Underdown von Zeit zu Zeit zuwarf. Endlich ertheilte er Befehl, ein sehr substanzielles Frühstück zuzubereiten und es nach dem Zimmer der kranken Dame zu bringen, indem er zum Erstaunen aller Anwesenden beifügte, er wolle die Gelegenheit benützen, Miß Belmont selbst einen Besuch zu machen, falls dieselbe nichts dagegen habe. Dies brachte Rebekka allerdings zu sich, aber ihre Unruhe erlaubte ihr nicht, zu sprechen.

»Geht, meine theure Rebekka, und vermeldet Miß Belmont mein Kompliment mit dem Bemerken, wenn sie nichts dagegen habe, daß ein alter Mann, der einige Kenntnisse in medizinischen Dingen besitzt, sie als Arzt besuche, so wolle ich mir selbst die Ehre geben, ihr etwas zu verordnen, bis anderer und besserer Rath beigeschafft werden kann. Geht und bringt mir gefälligst baldige Nachricht. Merkt wohl, Rebekka – der Fall könnte gefährlich sein.«

Durch die letzten paar Worte aufgeschreckt, eilte Miß Bacuissart nach dem Zimmer ihrer Freundin, welche, da sie Jemand die Treppe heraufkommen hörte, sich rasch mit den Kleidern zu Bette legte. Sobald die fast athemlose Rebekka Mr. Underdowns Auftrag ausgerichtet hatte, wollte sich Miß Belmont fast in Krämpfe lachen.

»Ich will Alles für dich thun, was nur in meinen Kräften liegt, aber wie im Namen aller Wunder kann ich blaß und häßlich aussehen? Dazu kommt noch der Liebhaber, der im nächsten Zimmer eingeschlossen ist. Wahrhaftig, ich meine, so dick auch die Mauern sind, höre ich ihn noch immer schnarchen. Das ist doch zu lächerlich.«

»Treibe nicht deinen Spott mit meinem Elende. Verrathe uns Beide – aber höhne uns nicht.«

»Mein süßes Kind, ich bin ja der Gehorsam selbst. Schicke nach meinem Vormund Doktor. Ich will mein Gesicht gegen die Wand kehren und meinetwegen so bleich und leblos aussehen, wie gesottener Pastinak – das heißt, wenn ich kann. So geh' jetzt und bring' den guten Mann herauf.«

Rebekka kehrte zurück und erschien bald wieder mit Mr. Underdown und einem ungemein substantiell ausgestatteten Frühstückbrette. Die Dienerin, welche es trug, erhielt Auftrag, zu bleiben. Während dieser ganzen Zeit blickte Rebekka mit thränenfeuchten Augen fragend und flehentlich nach dem Gesichte des ruhigen Gentlemans auf, und in jedem Momente zitterten die Worte auf ihren Lippen: »Ihr wißt Alles?«

Wenn nun Mr. Underdown auch etwas wußte oder argwöhnte, so bewahrte er doch sein Geheimniß sowohl, als seinen Ernst, auf eine bewunderungswürdige Weise. Er näherte sich dem Bette der angeblichen Kranken mit gebührendem Anstand, räusperte sich wie jeder Arzt, der von zu vieler Weisheit überströmt, nahm ihre Hand und zählte mittelst seiner Sekundenuhr die Pulsschläge mit dem Ernste der tiefsten Aufmerksamkeit. Dann seufzte er und schüttelte bedenklich den Kopf.

»Ach,« sagte er, »der Puls geht eigentlich im Galopp. Ich kenne die Symptome – Ihr braucht nicht zu sprechen. Meine theure Miß Belmont, ich muß Euch zuvörderst die vollkommenste Ruhe anbefehlen. Die Krankheit ist mir gut bekannt, da sie in Westindien sehr gewöhnlich ist. Sie ist ein Mondstich – ein weit gefährlicheres Uebel, als der Sonnenstich. Unter Umständen kann das Mondlicht sehr bedenkliche Wirkungen veranlassen.«

Jetzt konnte sich die höchlich belustigte Rosa nicht enthalten hörbar unter den Betttüchern zu kichern. Mr. Underdown machte eine betroffene Miene und fuhr fort:

»Ah, da haben wir's – ein schlimmes Symptom – diese Krämpfe sind das Allergefährlichste bei dem Mondstich. Ihr müßt die vollkommenste Ruhe bewahren. Dieses Fieber ist eine Folge Eurer Unvorsichtigkeit, da Ihr Euch den Strahlen des Mondes und dem Thau der Mitternacht ausgesetzt habt. Wahrscheinlich verdankt die arme Rosa dieses Leiden dem Umstande, daß sie auf Euren Balkon hinausgetreten ist.«

»Theurer Horace, habt Mitleid mit uns und rettet uns; Ihr wißt Alles,« rief Rebekka in höchster Aufregung.

»Miß Bacuissart, was meint Ihr damit?« versetzte Mr. Underdown mit unwilliger, strenger Miene. »Ich habe Mitleid mit Miß Belmont und fühle mich überzeugt, daß ich sie retten kann, wenn sie in vollkommenster Ruhe auf ihrem Zimmer bleibt. Aber ich weiß nichts, als was ich sehe. Dies ist ein Fall, dessen größte Gefahr in den Vermuthungen liegt. Jenny, Ihr könnt jetzt hinuntergehen, aber wohlgemerkt, es ist mein gemessener Befehl, daß dieser Theil des Hauses völlig ungestört bleibe und daß sich Niemand unterfange, die Treppe heraufzukommen oder durch die Gänge zu gehen. Miß Rebekka bleibt hier und pflegt unsere liebe Patientin, nicht wahr, mein Kind?«

»O recht gerne.«

»Dann geht, Jenny, und sagt meinem Reitknecht, er solle den Rothfuchs satteln und augenblicklich zu Doktor Ginningham hinüberreiten. Ich will einstweilen einen Brausetrank heraufschicken, welchen Ihr der Kranken verabreicht, wenn sie sich durstig fühlt. Ja, ich will meine ganze kleine Hausapotheke heraufsenden.«

Nach diesen Worten entfernte sich Mr. Underdown mit dem Dienstmädchen und berichtete unten, Miß Belmont habe sich unvorsichtigerweise in allzuleichter Bedeckung dem Mondlichtthau ausgesetzt; die Folge davon sei, daß sie jetzt in einem heftigen Fieber liege. Er untersagte zugleich alle Besuche, indem er andeutete, sie seien unnöthig, da Rebekka die Pflege der Kranken übernommen habe.

Sofort erging der Befehl, Niemand als den Doktor einzulassen, und da Rosa's schwere Krankheit im ganzen Hauswesen Glauben fand, so wurde die mittlere Abtheilung des ersten Stockes gemieden. Im Laufe der Zeit erschien Doktor Ginningham mit seinem schweigsamen Apotheker und nahm zuvörderst unter vier Augen Rücksprache mit Mr. Underdown. Dann machten die Gentlemen von Fach den Damen ihre Aufwartung und der gelehrte Doktor ersah die Gelegenheit, den Fall für höchst gefährlich zu erklären, weshalb die Patientin durchaus keine Besuche annehmen dürfe, bis die Krisis vorüber sei. Er ließ außerdem noch einige höchst beunruhigende Winke in Betreff der Ansteckungsfähigkeit des Leidens fallen und lobte höchlich Rebekka's aufopfernde Liebe. Dann verabschiedete er sich und bewies seine Ueberzeugung von der höchsten Gefahr des Falles dadurch, daß er einen Arzneikorb nach dem andern in regelmäßiger Ordnung anmarschiren ließ, wie eben so viele Truppenabtheilungen, die einer belagerten Stadt Beistand leisten sollten.

Sobald Mr. Underdown das Gemach verlassen hatte, sprang Miß Belmont aus dem Bette, warf sich in Rebekka's Arme und machte ihren Gefühlen durch ein nachhaltiges Gelächter Luft; aber obgleich Rebekka das Possierliche ihrer Lage anerkannte, war sie doch zu verwirrt, um auf die Heiterkeit ihrer Freundin einzugehen, da sie im Gegentheil oft auf dem Punkte war, sie der Herzlosigkeit zu beschuldigen.

Eben wollte sie sich in sanften Vorwürfen ergehen, als das Dienstmädchen Jenny ohne Schuhe die Treppe heraufstieg und an die Thüre klopfte. Rosa schlüpfte hurtig wieder in's Bett, und als Rebekka endlich die Thüre öffnete, wurde ihr ein in Papier eingehülltes Mahagonikästchen, als Mr. Underdowns Hausapotheke, in die Hand gegeben. Nachdem sich das Mädchen wieder entfernt hatte, verlangte Miß Belmont ihre Arznei zu sehen, während Miß Rebekka vor Begier brannte, Augustus sein Frühstück zu bringen. Letztere ordnete daher die Erfrischungen; als jedoch Rosa das Kästchen geöffnet hatte, brach sie vor Lachen fast in Krämpfe aus, denn sie fand weder Arznei, noch chirurgische Instrumente, sondern nur einen sehr vollständigen Apparat für die tägliche Erndte, welche das Kinn eines Gentleman bietet – einen Rasirzeug in bester Ordnung.

Dies veranlagte die beiden Damen zu einer abermaligen Debatte; aber ehe sie den Punkt in's Reine bringen konnten, ob Mr. Underdown Alles wisse, oder nur etwas argwöhne, machte Miß Belmont darauf aufmerksam, daß der Gentleman, welcher zu aller dieser Verwirrung Anlaß gegeben, ganz besonders struppig im Gesicht sei. Sie erinnerte daher Miß Rebekka daran, daß es am besten sein dürfte, die Hausapotheke dem Frühstück vorangehen zu lassen, und wenn nach derselben gefragt würde, so könne man ja sagen, wir hätten sie zugeschlossen und den Schlüssel verlegt.

Rebekka begab sich sofort, das Toiletten-Etuis unter dem Arm, zitternd nach der Thüre ihres Liebhabers und klopfte an.

»Schläft mein theurer Augustus?«

»Nein, meine liebe Becky. Ist Alles sicher?«

»Ich weiß es in der That nicht. Ich glaube, Mr. Underdown argwöhnt, daß Jemand im Hause verborgen ist – er benimmt sich so sonderbar. Bist du angekleidet?«

»Ja, soweit meine Lumpen eine Kleidung genannt werden können.«

»So nimm dies – wir wollen gelegentlich nach dir sehen.«

Sie schloß dann sachte die Thüre auf, öffnete sie weit genug, um das Etuis hineinstecken zu können, und wollte alsbald wieder schließen; Augustus aber kam ihr zuvor, ergriff ihre Hand und küßte sie, so wie nur hungrige Liebhaber küssen können, wenn sie Nahrung erwarten.

»Nun, hast du ihn gesehen?« fragte Rosa, als Rebekka mit bis über die Stirne erglühendem Gesicht zurückkehrte.

»Nein.«

»Warum dann diese verrätherische Farbe?«

»Er küßte meine Hand – vermuthlich verlangt er nach seinem Frühstück. Der Thee und der Kaffee sind ganz kalt. Wahrhaftig, wir sollten Feuer haben.«

»Kein Zweifel; das Thermometer hat nur siebenzig Grade im Schatten.«

Der Apotheker hatte sich sehr beeilt. Der erste Arzneikorb wurde von der stummen Jenny, welche sich auf den Zehen heranschlich, heraufgebracht und von der wachsamen Rebekka durch die halbgeöffnete Thüre in Empfang genommen. Das Mädchen meldete in Mr. Underdowns Auftrage, da jetzt die Arzneien eines regelmäßigen Praktikers angelangt seien, so würden sie besser thun, von dem, was in seiner Hausapotheke sei, keinen Gebrauch zu machen.

»Ich will mich nicht in dieser Weise quälen lassen,« versetzte Rebekka. »Melde Mr. Underdown mein Kompliment und sage ihm, ich wolle hinunterkommen, um für einen Augenblick in der Bibliothek mit ihm zu sprechen.«

Sie fand Mr. Underdown in tiefen Gedanken, wie er eben eine Proklamation vor sich hatte. Kein Lächeln begrüßte den Eintritt des schönen Mädchens; er stand jedoch auf und setzte ihr in so achtungsvoll höflicher Weise einen Stuhl, daß es ihr in's Herz schnitt. Auf dem Tische lag ein bedruckter Bogen Papier, oben mit dem königlichen Wappen verziert, dessen Inhalt mit den großen Buchstaben: »Sintemalen« begann.

»O Horace Underdown, habe ich Euch beleidigt?« sagte das arme Mädchen mit halb unterdrücktem Schluchzen.

»Nein, mein süßes Kind, Ihr standet nie höher in meiner Achtung, in meiner Bewunderung, als eben jetzt.«

»Dann küßt mich, wie Ihr sonst zu thun pflegtet, oder ich will nicht bei Euch Platz nehmen.«

»So, mein Engelsgesichtchen – aber wir müssen fortan von diesen kleinen Thorheiten ablassen. In der That, seit Miß Belmont hier ist, seid Ihr mit Einemmale von dem Kinde zur Jungfrau herangereift. Eure Gestalt hat sich so sehr verändert, daß ich sie kaum mehr kenne.«

»Gefällt sie Euch?« versetzte sie lachend, obgleich keine Heiterkeit in ihrem Lächeln lag, denn sie sprach nur so, um einige Zeit zu gewinnen, ehe sie ihr Herz seines bedrückenden Geheimnisses entlastete.

»Ungemein. Sie ist entschieden weit bezaubernder, als die Eurer theuren Mutter. Wie sehr wird sich Euer Vater über Eure Außenseite freuen!«

»O Horace, sprecht nicht mit mir über diese Eitelkeiten. Bei all' der Liebe, die Ihr zu mir und zu meiner Familie tragt, sagt mir – wißt Ihr unser schreckliches Geheimniß?«

»Becky, wir Alle haben unsere Geheimnisse – aber wir wollen und dürfen nicht davon sprechen. Erinnert Ihr Euch noch jener Drohung des schuftigen Rubasore? Rebekka, wir müssen überhaupt nicht von Geheimnissen reden. Lest diese Proklamation.«

Sie las und schauderte.

Die Proklamation war in dem blutigen Geiste jener »guten alten Zeiten« gehalten und bezog sich auf einen gewissen Jacques le Meunier, alias Kapitän Mainspring, der ein Spion und unter eidlicher Erhärtung als Verräther und geächteter Mörder angeklagt sei; wer besagten Verbrecher in eines von Seiner Majestät Gefängnissen abliefere, solle eine Belohnung von hundert Pfunden erhalten. Der Aufforderung war ein Signalement angefügt, welches die Person schilderte, wie sie zuletzt gesehen worden – ach, die Beschreibung war nur zu treu! Die Proklamation deutet ferner an, der Verbrecher gebe sich zwar für einen Franzosen aus, sei aber in Wirklichkeit ein geborener englischer Unterthan, obgleich er die französische Sprache wie ein Eingeborner spreche. Zum Schlusse verwarnte sie männiglich, dem besagten Flüchtlinge Herberge zu geben, unter Androhung strenger Strafe für die Theilnahme am Verrath oder die Verheimlichung desselben.

»Und welche Strafe trifft diese sogenannte Verheimlichung?« fragte Rebekka, nach Luft haschend.

»Der Tod. Hört selbst, theure Rebekka.«

Er nahm dann von einem Simse einen großen Folianten herunter und las ihr einige Stellen vor, die so ergreifend auf das arme Mädchen wirkten, daß ihr das Blut wie Eis in den Adern erstarrte.

»Ihr habt Euch also selbst überzeugt, Rebekka, daß den Hehler nicht nur der Tod, sondern auch Ehrlosigkeit für sich und seine Nachkommen trifft. Ich bitte Euch, schenkt mir Eure volle Aufmerksamkeit. Ich und Euer Vater sitzen in dem Friedensgerichte. Diese Proklamation ist mir ausdrücklich in meiner Eigenschaft als Magistratsperson zugeschickt worden, weßhalb ich durch einen Eid verpflichtet bin, ihr gebührende Folge zu geben.«

»Das ist zu schrecklich.«

»Rebekka, unsere Pflicht gehört zuerst unserem Vaterlande. Wir müssen die Gesetze aufrecht erhalten.«

»Aber Horace, mein Beschützer und mein bester Freund, laßt mich den Fall näher mit Euch besprechen. Gesetzt, Ihr hättet einen theuren, einen jüngeren, einen viel jüngeren Bruder, und dieses blutdürstige Papier fände auf ihn Anwendung – sagt, was würdet Ihr thun?«

»Wenn er mir eidlich denuncirt würde oder ich selbst ihn zu Gesicht bekäme, so müßte ich ihn verhaften.«

Er legte auf den letzten Theil seiner Antwort einen besonderen Nachdruck.

»Selbst wenn Ihr wüßtet, daß er unschuldig ist?«

»Ich müßte ihn dennoch festnehmen lassen. Nur die Geschwornengerichte seines Landes könnten ihn freisprechen.«

»Ich muß Euch noch härter zu Leibe gehen, mein strenger Sir. Gesetzt, es wäre mein Vater, Euer theuerster Freund?«

»Ich müßte meine Pflicht erfüllen und könnte ihm nicht helfen. Euer edler Vater selbst würde mich dazu auffordern.«

»Aber wie, wenn es Augustus wäre – der unglückliche Augustus selbst?«

»Gott möge dies in Gnaden verhüten! Doch setzt mich nicht länger in Verlegenheit, Rebekka.«

»Und wenn ich – ich selbst es wäre?«

Sie blickte dabei durch ihre Thränen nach ihm auf.

»Ihr setzt einen unmöglichen Fall, meine Theure.« Er küßte sie auf die Stirne und legte dann seine Hand väterlich auf ihr Haupt, denn sie war in ihrer Aufregung vor ihm auf die Kniee gesunken. »Ihr seht nun, meine liebe Rebekka, wie sehr ich durch diese Proklamation und durch die Krankheit Eurer Freundin in Verwirrung gesetzt bin, weßhalb Ihr zuverlässig nicht länger so grausam sein könnt, mich mit Euren Geheimnissen belasten zu wollen. Wären sie im gegenwärtigen Augenblick auch nur so unbedeutend, wie das Lachen eines Schulknaben, so würden sie mich zu Boden drücken. Haltet Alles um Rosa's Schlafgemach ruhig – schließt die Blenden Eurer Zimmer sorgfältig – zu viel Licht könnte gefährlich werden. Eure Großtante, Lady Jemima, war eine sehr große Frau – doch wozu spreche ich solchen Unsinn? – Ich dachte nur, wenn es je Mode würde, daß Männer verbrämte Kleider trügen, so ließe sich für die künftigen jungen Herren der Familie ein wahrer Schatz in der schwarzen Eichentruhe, am Ende der westlichen Gallerie, finden. Doch jetzt werdet Ihr gut thun, wenn Ihr geht und Eurer Freundin abwartet. Aber keine Geheimnisse – Ihr versteht mich. Gott behüte Euch und lasse diese schreckliche Krankheit einen glücklichen Ausgang nehmen.«

»Tausendfach Gottes Segen über Euch, als Erwiederung,« rief Rebekka, sich in seine Arme werfend. Was würde aus unsrer Familie werden, ohne Euch?«

Mr. Underdown fuhr hastig mit der Hand über seine Augen und verließ schnell das Zimmer.


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