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Siebentes Kapitel

»Ihr habt nicht gut gekleidet Euren Zorn;
Er war zu hehr und schien ein bloßes Schaustücke«

Die Dame. »In solchem Ornament wird schrecklicher
Er nur; Ihr findet drin ein schweres Unrecht.
Dem bitt're Rache folgen wird.«

Der Teufelsproceß, von Webster.

Während der Commodore, ein Raub der bittersten Gefühle und sein Gesicht vor allen Angehörigen seiner Familie zu zeigen sich scheuend, alles Nachdenken durch den Eifer, mit welchem er sein Geschwader ausbesserte, zu verscheuchen bemüht war, müssen wir unsern Freund, den Leser – denn wir wissen, daß unser gegenseitiges Verhältniß nachgerade zu dieser Höhe von Innigkeit gediehen ist – nach Trestletree-Hall begeben.

Eben hatte der April mit seinem abwechselnden Lächeln und Weinen begonnen, und das lange Zwielicht goß einen Nebel, balsamisch von den Blüthen der Fruchtbäume, um das alte, große Herrenhaus. Obgleich es nicht gerade kalt war, belebte eine helle Flamme das Besuchszimmer, ohne daß Kerzen herbeigeschafft worden wären, da diese noch nicht als nöthig erschienen. In dem großen Gemache befindet sich zuvörderst die stattliche, noch immer sehr schöne Lady Astell; dann kommt Miß Matilda Bacuissart, die sehr vornehm, zart und hübsch aussieht, die dritte Dame ist Miß Rebekka, die Tochter unseres jämmerlichen alten Commodores, die sich mit großem Anstand benimmt, da ihr in jener Periode die Leitung und das Beispiel ihrer Tante Astell zu Statten kam. Die vierte Person ist männlichen Geschlechts, unser stiller, einsichtsvoller Freund Underdown, den wir krank zu Rio Janeiro verließen; denn da er kein flüchtiges Geschwader zu jagen hatte, so war er ungefähr vor vierzehn Tagen in vollkommener Gesundheit wieder in England eingetroffen.

Lady Astell war eben erst beim Diner angelangt und zitterte noch vor Freude und Furcht über die Kunde, daß das Geschwader des Commodore zu Spithead geankert habe. Denn sie erwartete jetzt, jeden Augenblick das Klappern von Roßhufen und das Rollen des Wagens zu vernehmen, der ihr den Bruder und den einzigen Sohn in die Arme führte. Sie war in Mr. Underdowns Geleit mit Postpferden nach Trestletree-Hall geeilt, um die Ankömmlinge daselbst zu empfangen.

Fünf Monate waren nun verflossen, seit sich die Titel und Güter der Familie ihres Gatten auf ihren Sohn Augustus verpflanzt hatten, und sie hoffte nun sehnlich, die Erste zu sein, um ihm diese Kunde mitzutheilen und ihn als Graf von Osmondale zu begrüßen – ein Wunsch, den die eigensinnige Miß Rebekka auf's Gottloseste zu vereiteln entschlossen war, selbst wenn sie dafür unter den Hufen der Rosse zertreten werden sollte.

Es war eine Stunde lebhafter Aufregung, denn Alle befanden sich in großer Unruhe – nur Mr. Underdown ausgenommen, welcher hin und wieder seine ärgerlichen Bedenken erhob, ob der erwartete Onkel und Neffe wohl denselben Abend eintreffen würden – Zweifel, welche namentlich ihm besonders übel genommen wurden. Er achtete jedoch nicht auf Miß Matilda, welche ihn unvernünftig nannte, und lachte nur darüber, wenn ihn Rebekka für langweilig erklärte und ihm sein Buch zu stehlen drohte; als er aber mit studirter Nachlässigkeit bemerkte, sie würden gut thun, für heute auf alle Hoffnungen zu verzichten, warf ihm Lady Astell einen so vorwurfsvollen Blick zu, daß er ihn tief im Herzen empfand und augenblicklich von dem Feste zu sprechen begann, welches die Pächter auf den Familiengütern längst vorbereitet hatten, um ihren jungen Grundherrn zu bewillkommnen.

Sie langten bald wieder bei dem lange bestrittenen Punkte an, ob Augustus von zwanzig jungen Pächtern, welche ihm in dieser Weise ihre Achtung bezeigen wollten, auf einem Triumphwagen durch den Park gezogen werden solle oder nicht, da die Mutter einige Bedenken über das Passende eines derartigen Einzugs hegte, indem sie angab, die Sache schmecke auf der einen Seite zuviel nach eitler Prunksucht, auf der andern aber nach Erniedrigung. Miß Rebekka war entschieden für den Wagen und die jungen Bauern, denn sie hatte sich im Geheim das Wort gegeben, an seiner Seite Platz zu nehmen, und auch Matilda war ihrer Ansicht, während Mr. Underdown zwar den Wagen passiren ließ, aber durchaus nichts von eingeschirrten Leuten wissen wollte. Er empfahl dafür vier Schimmel, neben denen eine beliebige Anzahl junger Leute gehen sollte; die Mutter aber kümmerte sich wenig um die Art, wie er in seiner künftigen Heimath einzog, und wünschte nur, daß er einmal anwesend sein möchte.

»Gewiß, es kann keine Herabwürdigung für die Leute sein,« sagte Rebekka, mit einem leichten Nasenrümpfen, ihre üppigen Locken zurückwerfend, »denn Gusty – ich wollte sagen, der Graf von Osmondale – hat mich sehr oft in dem Gartenstuhle umhergezogen; auch bin ich Zeuge gewesen, wie der Graf selbst sich für die Dorfjungen im Laubfroschspiel zum Springbocke hergab, und die Burschen bearbeiteten mit ihren groben braunen Fäusten seinen lieben Rücken tüchtig, während sie Holterpolter über ihn wegsetzten.«

»Holter polter, meine liebe Becky?« sagte die sanfte Matilda. »Ich denke das Wort nimmt sich nicht sehr hübsch aus von den Lippen einer Dame.«

»Firlefanz, Tantchen! Wie soll ich denn sagen, wenn ich ein Häuflein Jungen offen – –«

»Wende den Kopf bei Seite und sage gar nichts. Laubfrosch ist ein sehr gemeines Spiel und ich wundere mich nur, daß sich die jungen Sprößlinge des hohen Adels soweit herablassen, um sich durch eine derartige Belustigung zu erniedrigen. Meint Ihr nicht, lieber Mr. Underdown, daß derartige Spiele sehr gemein sind.«

»Fast so gemein wie Essen und Trinken,« sagte der Gentleman mit einem ruhigen Lächeln.

»Siehst du? Ich sagte dir's ja,« entgegnete Matilda. »Dein bester Freund ist gegen dich.«

»Nie, nimmermehr!« rief Rebekka, indem sie aufsprang und Underdown einen schallenden Kuß versetzte, so daß derselbe an der Pförtnerhütte draußen hätte gehört werden können.

»Das ist ja ganz entsetzlich! Pfui, Miß Rebekka Bacuissart; hast du mich je so aufspringen und Mr. Underdown in dieser wilden Weise küssen sehen?«

»So sage mir, in welcher Weise du es thun würdest?«

»In gar keiner, Miß. Und außerdem mußt du mir erlauben, dir zu bemerken, – wenn junge Damen, welche ihre Erziehung für vollständig halten, Gelegenheit haben, von jenem Körpertheile adeliger junger Herren zu sprechen, welcher mit der unzuknöpfbaren Hälfte des Rockes bedeckt ist, so erscheint es keineswegs im Einklänge mit den Begriffen von Anstand, wenn sie da von einem ›lieben Rücken‹ sprechen.«

»Possen! Possen! das war wieder eine Predigt von Tante Mat.«

»Ja wohl da, Tante Mat!« – »Agnes,« sie wandte sich an Lady Astell, ich bitte dich, ertheile doch deiner vorwitzigen Nichte einen Verweis.«

»Wir wollen diesen Abend von Rügen und Verweisen nichts hören, meine theure Schwester, denn sie ist mir sogar um der Wildheit ihres Geistes willen theuer. O Matilda, kömmt nicht Augustus nach Hause?«

»Augustus kömmt nach Hause!«

Die Worte wurden von allen Anwesenden wiederholt und waren ein Talisman des reinsten Glückes.

»Nun, meine theure Rebekka,« sagte Mr. Underdown, den schönen Wildfang fast auf seine Kniee nehmend; »wir wollen jetzt auch das Ende Eurer Argumentation hören, vermöge deren Ihr es für passend haltet, die Dorfjünglinge in Pferde umzuwandeln. Bei einer so methodischen und systematischen jungen Dame müssen die Gründe sehr zwingend sein.«

»Ah, Ihr lacht mich aus, lieber, garstiger Underdown, aber ich kehre mich nicht daran. Ich habe sehr gute Gründe dafür, – denn erstlich sind wir Beide, weder August noch ich, sehr schwer –«

»Oh, ho! So ist also endlich das Geheimniß heraus!«

Und alle Anwesenden schloßen sich dem herzlichen Gelächter des wackeren Mannes an.

»Da ist kein weiterer Grund erforderlich. Ihr wollt also mit dem Grafen fahren?«

In Mitte dieser Heiterkeit, von welcher sich der nun sehr gebesserte Wildfang nicht absonderte, hörte man das Hofthor zuschlagen, und ein einzelner Reiter sprengte im Galopp vor der Thüre an. Das Lachen machte augenblicklich Halt – doch wie mag ich blos von dem Lachen sprechen? – Jede geistige Fähigkeit schien sich bei allen Anwesenden in dem einen, Alles verzehrenden Gefühl banger Erwartung auszulösen. Niemand sprach oder rührte sich, bis man denselben Reiter wieder abziehen hörte. Als der Hufschlag des Rosses in dem Kiesgange verhallt war, überflog ein leichter, aber doch sehr bemerklicher Schauder Lady Astells Körper – es war die erste schreckliche Ahnung eines vorgefallenen Unglücks.

Das Schweigen wurde endlich durch drei langsame und eben jetzt ominöse Pochschläge an die Thüre unterbrochen; auch fühlte nur die jüngste Person in der Gesellschaft hinreichenden Muth, um die einfachen Worte: »herein« zu rufen. Der alte weißköpfige Kellnermeister trat ein und trug einen großen Brief auf einem Teller, dessen Siegel jedoch absichtlich nach unten gelegt war. Er näherte sich mit einem ernsten, langsamen Tritt der Lady Astell, welche zitternd ihre Hand ausstreckte, aber kaum befand sie sich in dem Besitz des Schreibens, als der alte Jakob mit aller Behendigkeit eines jungen Mannes aus dem Besuchszimmer eilte.

Wie Lady Astells Auge des großen, schwarzen Siegels ansichtig wurde, schleuderte sie den Brief von sich, als ob sie unvorsichtigerweise irgend ein giftiges Gewürm aufgenommen hätte.

»Ich kann nicht – ich wage es nicht, ihn zu lesen. Mr. Underdown könnt Ihr so viel Muth aufbringen?«

Nachdem sie dies gesprochen, vermochte sie sich kaum eines ohnmächtigen Zusammenbrechens zu erwehren. Miß Matilda übrigens lag bereits in einer Attitude.

Mr. Underdown las den verhängnißvollen Brief auf, klingelte aber, ehe er das Siegel erbrach, einem Diener.

»Wo ist der Bote, der dies gebracht hat?«

»Fort, Sir. Er wollte nicht einmal absteigen, Sir, und sagte, er habe Befehl augenblicklich wieder umzukehren.«

»Sagte er nicht, von wem dieses Schreiben komme?«

»Nein, Sir; er sprach nicht weiter, als was ich eben bemerkte.«

»Ihr könnt gehen.«

Nachdem sich der Diener entfernt hatte, begann Mr. Underdown in möglichst beschwichtigendem Tone:

»Meine theure Lady Astell, wir müssen uns auf irgend eine Trauerpost gefaßt halten. Laßt uns in unserem Innern um Heldenmuth beten, ehe wir dieses unheimliche Siegel erbrechen. Ich bedaure – bebaute sehr, sagen zu müssen, daß die Aufschrift von der Hand des Commodore ist.« Dann wurde seine stotternde Stimme fast unhörbar. »Wir müssen uns auf das Schlimmste gefaßt machen.«

»Ja,« sagte das liebevolle Töchterchen mit lautem Schluchzen, die Aufschrift zeigt Vaters garstige Trutenfüße. Was kann dem theuren Augustus zugestoßen sein?«

»Laßt uns niederknien und beten.«

* * *

»Ich bin jetzt vorbereitet. Mein lieber, mein edler Freund, lest den Brief stille für Euch und sagt mir dann in einem einzigen Worte mein Schicksal,« sprach die Mutter mit der schrecklichen Ruhe der Verzweiflung.

Mr. Underdown wandte sein Gesicht ab und las, während die Thränen über seine schmalen, bleichen Wangen niederströmten, langsam das mit Weh beladene Dokument vom Anfange bis zum Ende. Nachdem er dies gethan hatte, legte er das Blatt zusammen und steckte es mit bekümmerter Sorgfalt in seine Westentasche. Dann näherte er sich Lady Astell, die sich mit einem Lächeln – oh! und mit welchem matten, unheimlichen, herzzerreißenden Lächeln – erhob, um ihn zu empfangen.

»Sprecht – o mein Freund, besorgt nichts; ich bin bereit, das Schlimmste zu hören. Ich fühle mich stark – sprecht.«

»Augustus ist im Himmel.«

Lady Astell fiel in die Arme, welche ihr vormaliger Liebhaber in besorglicher Vorahnung ausgebreitet hatte. Eine glückliche Ohnmacht hatte sich ihrer bemächtigt.

Es ist am besten, wenn man über derartige Scenen rasch weggeht. Mögen meine zarten Leserinnen, wenn sie können, sich das herzzerreißende Wiedererwachen und die furchtbaren Rückfälle der kinderlosen Mutter, desgleichen die ungestümen, aber doch unendlich weniger peinlichen Krämpfe von Miß Matilda und die wilden, fast wüthenden Kummerausbrüche Rebekkas vergegenwärtigen, die bis jetzt noch nie ohnmächtig geworden war. Zählen wir dazu noch, daß es beinahe Mitternacht war, und die in schmerzliche Trauer versenkte Gesellschaft es nicht wagte, eines ihrer Glieder den fürchterlichen Wirkungen der Einsamkeit zu überlassen. Endlich erhob die verwaisete Mutter ihre Stimme und sprach:

»Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen – der Name des Herrn sei gepriesen!«

»Amen!« erwiederte Mr. Underdown feierlich.

»Aber du bist's, o mein Bruder, der diese übergrausame Handlung verübt hat. Wer wird jetzt die Lücke in dem Adel der Grafschaft ausfüllen? Die Edlen des Landes werden sich nun vergeblich nach dem Repräsentanten des edelsten ihrer Geschlechter umsehen. Er ist todt! Mein Augustus – mein holder, mein wackerer Knabe! Bruder, dein Gesicht kann ich nie wieder ansehen; wir müssen fortan für einander fremd sein. Dein Herz war Stein, als du mir meinen letzten Trost, meine Stütze und meinen Ruhm raubtest. Du kannst mir meinen Sohn nicht wieder geben. Ich verzeihe dir – ich hoffe, daß ich dir vergeben kann, aber wir wollen uns nie wieder sehen.«

»Agnes, Lady Astell!« rief der aufgeregte Underdown; »das ist unchristlich!«

»Nein, es ist nicht, es ist nicht, Sir,« kreischte das verzogene Kind; »der Vater soll sein Gesicht zeigen, wenn er es wagt – er soll kommen, sage ich. O Augustus, mein Freund, mein edler, theurer Freund und Spielgefährte, du bist todt und ich kümmre mich jetzt um nichts mehr. Ich will keine Aufgaben mehr lernen, keine Bücher lesen, nein, und auch nie wieder zur Kirche gehen – nie – denn wir werden ja doch nicht mehr mit einander in dem gleichen Stuhle sitzen, Augustus. Ich will meine Kleider zerreißen, all' mein Spielzeug zerbrechen – ja, das will ich. Was ich kann, will ich thun, um meinen Vater zu ärgern – ja, ich will, ich will!«

Und damit stampfte sie in wilder, unmächtiger und sehr ungebührlicher Leidenschaftlichkeit auf den Boden.

»Geht augenblicklich zu Bette, Miß Bacuissart,« entgegnete Mr. Underdown mit zürnender Stimme.

»Ich mag nicht. Wie könnt Ihr mich in meinem eigenen Hause zu Bette gehen heißen? Ich liebe Euch nicht länger und will auch nicht haben, daß Ihr mich liebt. Ich will die ganze Nacht aufbleiben und weinen. Ja wohl da, zu Bette gehen! Tante Agnes wird mich nicht zu Bette gehen heißen. Liebe, gute Tante Agnes, wenn du mich dazu aufforderst, so will ich's thun.« Sie kam heran, knieete zu ihren Füßen nieder und begrub ihr thränenheißes, gluthrothes Antlitz in dem Schooße der unglücklichen Mutter. »Du wirst nicht mit mir schmälen; nein, du liebtest mich um des armen Gusty willen.«

»Ja, ich liebe dich – liebe dich jetzt und für immer mein theures, theures Kind!«

»Wenn du es wünschest, so will ich zu Bette gehen, Tante.«

»Nein, meine Liebe; du hast meinem Sohn in deinem Herzen einen edlen Raum aufbewahrt und sollst nun auch unsern Schmerz theilen. Mr. Underdown, ich weiß, daß meine Aufgabe in dieser Welt erfüllt ist, und muß mich deshalb auf den Tod vorbereiten. Ein paar weitere Scenen wie diese würden mich tödten. Morgen breche ich nach meiner verlassenen Heimath auf und schicke mich an, meine Seele ihrem Schöpfer heimzugeben. Ich kann nicht länger in dem Hause dieses mordlu – dieses grausamen Bruders weilen, denn schon die Luft, die hier weht, scheint mich zu ersticken. Haltet Alles bereit für meine morgige Abreise, denn ich gedenke unmittelbar nach dem Frühstück aufzubrechen. Nach dem Frühstück? Ach, werde ich je wieder etwas genießen? Aber ehe ich meine Einsamkeit aufsuche, laßt mich Alles wissen – die Art, wie das Ungeheure vorging; ich bin zu betäubt, um einen zweiten Schlag zu fühlen. Mein erprobter, mein treuer Freund, lest den Brief.«

Ohne Zögern oder irgend eine Bemerkung las Mr. Underdown wie folgt:

S. M. S. Terrific Spithead
3. April, 17–

» Meine theure Schwester!

Ich wollte, daß ich Underdown in meiner Nähe hätte. Mit meinem Glücke ist's vorbei, wenn ich ihn nicht innerhalb meiner Rufweite habe. Ich wäre nicht im Stande, Dir die Kunde mündlich mitzutheilen, und komme daher nicht nach Hause, bis die Bö großentheils ausgeblasen hat. Sonderbares Ding, daß er, wie ich höre, zu dem Titel gekommen ist; aber wie gesagt, kein Glück, wenn Underdown fort ist, sei so gut, mir ihn sobald als möglich zu schicken. 's ist in der That eine sehr schlimme Post, Schwester, aber wir Alle sind Geschöpfe Gottes und stehen in seinen Händen. Ich bin selbst sehr gebeugt und muß, wie du weißt, das Geschwader herstellen lassen; dies mildert jedoch meinen Gram über diese unglückliche Neuigkeit nicht – aber ich vergaß, daß ich sie Dir noch nicht mitgetheilt habe. Es ist vielleicht das Beste, daß ich einen Auszug aus dem Schiffslog mache, denn du weißt, Schwester, dort findet keine Lüge Aufnahme.

»›Einunddreißigster März, Nachmittags fünf Uhr. Starke Brisen und wolkig. Wind nördlich und bei West Viertelwest. Cape la Hoque, westlich ein Viertel Süd, fünfzehn Meilen. Das französische Geschwader gesehen – sechs Linienschiffe und zwei Fregatten mit zwanzig Prisen auf dem Backbordgange in freiem Laufe dicht am Ufer. Um sechs Uhr dreißig Minuten – das französische Geschwader rudert nach Cherbourg und eröffnet ein Feuer auf den Terrific, welches mit wiederholten Breitseiten beantwortet. Um sieben Uhr vierzehn Minuten Einstellung des Feuers auf beiden Seiten. Während des Gefechts fiel der ehrenwerthe Augustus Astell, Midshipman, der eben in Verrichtung eines gefährlichen Dienstes begriffen war, über Bord und fand unglücklicherweise seinen Tod in den Wellen. Um acht Uhr Abends gefüllt und Segel gemacht‹

»Du siehst also, Schwester, wir müssen die Sache so gut tragen, als wir können. Sage Matilda, sie solle sich's nicht allzusehr zu Herzen gehen lassen. An Becky meinen Gruß; ich werde sie gehörig im Zaume halten, wenn ich nach Hause komme. Da fällt mir eben ein – nimm für eine Weile Underdown mit Dir; er versteht sich vortrefflich darauf, den Schmerz zu beschwichtigen. Vorderhand nicht weiter von

Deinem Dich liebenden Bruder
Octavius Bacuissart

Sobald das Lesen dieses Briefes beendigt war, sagte Mr. Underdown:

»Meine theure Lady Astell, obgleich unser geliebter August unbeachtet umkam, so starb er doch einen glorreichen Tod, wie nur irgend ein Held, der sich je für das Beste des Vaterlandes zum Opfer brachte. Ich will Euch jetzt nicht mit den gewöhnlichen Gemeinplätzen des Trostes lästig werden, denn der Schlag ist zu fürchterlich und Euer Schmerz muß durchdringend sein. Indeß braucht ich Euch nicht zu sagen, daß über uns eine Quelle unerschöpflicher Barmherzigkeit quillt. Holt Euch dort Stärkung, meine theure Lady.«

Aber ihr Geist wanderte über die ungestümen Wellen, unter denen sie die Leiche ihres geliebten Sohnes hin und hergeworfen zu sehen vermeinte.

»Kein Leichenbegängniß,« rief sie; »kein anständiger Beerdigungs-Gottesdienst! Am Lande finden sogar Schoßhunde einen Begräbnißplatz. O mein Sohn, mein Sohn?«

»Was sind Förmlichkeiten und Zeremonien, meine Freundin, in Vergleichung mit dem Weihrauch, den das Herz als Opfer streut? Eine reine Seele wird sich aus den Tiefen der See eben so leicht erheben, als aus einem mit gemeiseltem Marmor bedeckten Grabe. Wenn es übrigens beruhigend auf Euch wirken wird, so wollen wir, ehe wir uns für diese Nacht trennen, das Ritual für den Todten lesen.«

»Ja, es wird sehr beruhigend auf mich wirken. Die ganze Hausgenossenschaft soll sich versammeln.«

Die Scene, welche nun folgte, war höchst schmerzlich und aufregend, hatte aber doch in ihrem Schlusse eine beschwichtigende Wirkung. Alle ergoßen sich in Thränen – aber sie waren, nur mit zwei Ausnahmen, Thränen frommer Ergebung sowohl, als des Schmerzens.

Als Lady Astell sich nach ihrem Gemache begab, redete sie Underdown folgendermaßen an:

»Lady Astell, bei der reinen Liebe, die ich ehedem zu Euch trug, und bei der heiligen Freundschaft, die unsere Herzen für immer an einander ketten wird, beschwöre ich Euch, in Euerem Nachtgebete, ehe Ihr einschlaft –«

»Ehe ich einschlafe?«

»Gott wird Euch in seiner Güte Schlaf schenken. Ich beschwöre Euch, ehe Ihr einschlaft, in Eurem Nachtgebete Eures unglücklichen Bruders zu gedenken. Bittet Segen herab auf sein Haupt.«

»Ich will es – wenn ich kann.«


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