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Zweites Kapitel

»Ein alter Mann von zornigem Gemüth.
Der nicht vermocht', sein zornig Herz mit Liebe
Zu nähren, und doch auch nicht hassen konnte.«

Altes Schauspiel.

»Donnerwetter!«

Bedenke, lieber Leser, ob der Commodore unter so peinlichen Umständen weniger sagen konnte. Aber das Uebermaaß seines Zornes sprach sich noch weit furchtbarer in seinem Gesichte, als in dem unirdischen Brüllen seiner Stimme aus. Er ergriff die andere Krücke, welche die Tochter nicht zum Zwecke einer Peitsche gebraucht hatte, schwang sie mit der Rechten über seinem Kopfe und war im Begriffe, sie auf das am Boden liegende Käfig und den zeternden Papagai niederfallen zu lassen. Sein verwöhntes Töchterlein sprang jedoch wie eine schöne Amazone hervor, brachte ihr vor Lieblichkeit glühendes Gesichtchen fast in Berührung mit dem schroffen Gegensatze in der wüthenden Häßlichkeit ihres Vaters, und hielt mit beiden Händen den muskulösen Arm des ergrimmten Mannes fest.

»Du darfst nicht, Vater – nein, du darfst dem Vogel meiner Tante keine Feder verletzen. Du darfst nicht – ich sage, du darfst – du darfst nicht!«

Und dabei stampfte sie ungestüm mit ihren Füßchen auf den Boden.

Für einen Augenblick schwankte der eiserne Stellvertreter für die Hand eines alten Seemanns mit seinem schrecklichen Stopfer und Haken unheimlich über dem schönen Lockenkopfe der Tochter. Aber sie sah ihm ohne Furcht voll in's Gesicht und rief:

»Schlage mich! ich trotze dir! Wie? Willst du mich auch tödten, wie du Augustus tödtetest, du gottloser alter Mann? »Ich sage dir's in dein abscheuliches, altes Gesicht, daß du besser thust, wenn du mich mit dem ersten Schlage, den du mir gibst, gleich todt schlägst; denn wenn du je deine Hand zornig auf mich niederfallen lässest und mir noch Kraft genug bleibt, so will ich mich nach dem nächsten Teiche schleppen und in's Wasser springen. Hörst du dies – ich will mich ertränken – ertränken – ertränken! Wen wirst du dann, nachdem Augustus ertrunken ist, in dieser weiten Welt haben, um dich, du leidenschaftlicher alter Mann, zu lieben, wenn auch noch Rebekka ihren Tod im Wasser gefunden hat?«

»Dies ist zu schrecklich,« stöhnte der leidende Vater und sank fast völlig erschöpft in seinen Stuhl zurück. »Geh', Rebekka,« sagte er unmittelbar nachher in möglichst mildem Tone – »geh' zu deiner Tante, denn sieh', sie ist ohnmächtig geworden.«

Die verhätschelte und ungehorsame Tochter schien sich mit Einemmale, wie durch ein Wunder, in eine liebende und diensteifrige Nichte umzuwandeln – denn ihr Arm schlang sich um Matilda's Nacken und sie drückte zwei warme, leidenschaftliche Küsse auf ihre Stirne. Aber obgleich Rebekka viel Liebe zeigte, war doch nur wenig Unruhe an ihr zu bemerken, da ihre Tante oft ohnmächtig wurde und einen besonderen Takt besaß, wieder zu sich zu kommen. Letztere hatte sich bald so weit erholt, um den Käfig wieder an seinen Platz stellen zu können, und es gelang ihr, den Vogel zu beschwichtigen, so sehr er es auch übel genommen, daß man ihn gegen seinen Willen zum Wagenführer gemacht hatte.

Inzwischen war auch Sir Octavius nicht müßig gewesen. Er fühlte nun doppelte Schmerzen in seinem leidenden Gliede und sah finster nach einem Gegenstande umher, an dem er seine Zorngefühle auslassen konnte. Leider fand er diesen bald in der Person des sanften, harmlosen Mr. Underdown. Erschreckt durch die Stimme des Commodore raffte dieser hastig seine Papiere zusammen und wollte sich eilig nach seinem eigenen Zimmer zurückziehen; er hatte jedoch kaum die Schwelle erreicht, als ihm der Commodore donnernd zurief:

»Halt, du weniger als ein Mensch. Du wenigstens sollst mich nicht verachten – du sollst mich nicht behandeln wie ein eigensinniges Kind – du sollst nicht nach Belieben in meiner Gegenwart aus- und eingehen, du, der du mein Brod issest –«

Was noch weiter zum Vorschein gekommen wäre, läßt sich nicht gut errathen, denn abermals legte sich der Haustyrann in's Mittel, welcher hurtig herankam, ihm die Hand auf den Mund legte und mit unverschämter Heftigkeit ausrief:

»Schäme dich, Vater! Kein Wort mehr gegen den lieben, guten Mister Underdown. Du weißt, Vater, daß er dich durch die Welt geführt hat wie einen wilden Bären am Gängelbande – er hat dir dreimal das Leben gerettet, hat dir Schande und Schmach erspart! O Vater, du, du selbst hast mir das gesagt – er ist ein guter Mann – ein guter, ein guter Mann!«

»Ein armer, zitternder, furchtsamer, nervenschwacher –« sprudelte der Commodore heraus, so gut es gehen wollte, da die Tochter noch immer ihre Finger auf seine Lippen gedrückt hielt.

»Zitternd? – Furchtsam?« versetzte das entrüstete Mädchen. »Wer war es, sehr leidenschaftlicher Herr Vater – wer, frage ich, war es, der, als unsere Wohnung in Bath eine Flammenmasse war, durch die Gluth stürzte und dich, weil du an derselben Gicht bettliegerig warst, durch das Feuer trug, in welchem du ohne ihn zu werthloser Asche zusammengebacken wärst? Gab es unter den Tausenden, welche umherstanden, nur einen Einzigen, der dies zu versuchen wagte?«

»Ja,« sagte der starrsinnige Commodore, der seit einigen Minuten wieder zu Athem gekommen war; »aber wer war es, Miß Becky, der, nachdem er mich in Sicherheit gebracht hatte, am allerersten zu heulen anfing wie ein Weib und dann vor Schrecken in Ohnmacht sank? Wer war dies anders, als eben dieser dein ritterlicher Held, der winselnde Mister Underdown?«

»Mein theures, süßes Fräulein,« sagte der sanfte Mann, sich in's Mittel legend.

»Sei still, Lieber – sei still, oder ich will dir mit Küssen den Mund stopfen.«

Dann wandte sich die kleine Amazone wieder an ihren Vater, nahm die Attitüde einer Tragödienkönigin an und fuhr folgendermaßen fort:

»Glaubst du, Sir, ich werde zugeben, daß der beste Freund, den ich in der Welt habe, unter dem Dache, das eines Tages mir gehört, eine üble Behandlung erfahre? Er ist der einzige wahre Freund, den ich habe – was würde ich ohne ihn sein mit dieser gottlosen Gemüthsart, die du mir gegeben hast? Verdanke ich das wenige Gute, dessen ich mir bewußt bin, nicht ganz seiner Liebe? Wenn ich bisweilen zittere, Unrecht zu thun, und den Namen Gottes fürchte – ist dies nicht die Frucht seines Unterrichts? Auch hat er mich noch eine andere – eine bittere Lehre gelehrt – dich zu lieben.«

»Bitter? Oh mein Kind!«

»Bitter – ja, bitter! Was thust du auch, um irgend Jemand zu veranlassen, daß er dich liebe? Nicht einmal der Schmerz kann dich in Ordnung halten.«

»Deine Schuld, du Dirne – deine Schuld.«

»Und hat dir nicht der artige Doktor Ginningham ausdrücklich verboten, diesen unflätigen Grog zu trinken, und hat er dir nicht befohlen, alle Stunden von dieser guten Arznei einzunehmen? Aber statt zehn Tassen voll wohlthätige Arznei zu verbrauchen, hast du ebenso viele Gläser Rum und Wasser getrunken.«

»Zum Teufel mit der Arznei, zum Teufel mit dem Doktor und zum Teufel mit Allem, was anderthalb Zoll hoch ist! Oh, oh, oh! muß ich, nachdem ich in vierzig Schlachten Sieger geblieben bin, von einem Kinde Vorwürfe hinnehmen – und noch obendrein von meiner eigenen Tochter!«

»Sucht Euch selbst zu überwinden, mein geschätzter Freund,« sagte Mr. Underdown mit der allerfreundlichsten Stimme.

»Ihr macht mich noch toll,« brüllte der von allen Seiten bedrängte Commodore. »Halt dein Milchmaul, du predigender, psalmsingender, knieschnappender, bibelblätternder Sohn einer –«

Abermals legte sich Rebekkas zarte Hand auf den Vulkan feuriger Worte, die dem Munde des Commodore entströmten. »Ich habe dir ein- für allemal gesagt, Vater, ich dulde es nicht, daß Mr. Underdown unter meinem Dache mißhandelt werde. Wir sind da und geben uns alle Mühe, dich zu lieben und einen guten pflichtgemäßen, gehorsamen Vater aus dir zu machen, aber du läßt dir's nicht gefallen.«

»Ich bitte, Miß,« entgegnete der Baronet, dem trotz der Schmerzen seines Beines ein possirlicher Zug um die Muskeln seines Mundes zuckte; »darf eine unbetheiligte Person, wie ich bin, sich die ungemeine Freiheit nehmen, dich zu fragen, wie alt du bist?« –

»Im nächsten Januar sechszehn, Sir,« antwortete sie, gegen den Frager einen sehr gesetzten Knix machend.

»Und darf ich, Miß, durch eine solche Herablassung ermuthigt, mir dir weitere Frage anmaßen, ob du einen Vater oder überhaupt einen natürlichen Beschützer hast?«

»Einen guten, lieben, braven, edlen Vater, wenn er nicht –«

»Um Gottes willen!« sagte Mr. Underdown, sie mit seinen Armen umschlingend, »sprecht nicht aus.«

»Oh, Becky,« rief der schnell nachgebende Commodore, »mein Fuß, mein Fuß!«

»Lauft, Underdown, holt schnell die Salbe.«

Und im Nu lag Rebekka vor ihm auf den Knieen.

Als der gute Mann mit dem Verlangten wieder an der Schwelle erschien, trat er nicht ein, sondern schloß sachte die Thüre und entfernte sich; denn er bemerkte, daß die ungehorsame Tochter noch immer zu den Füßen ihres Vaters kniete, während sein Kopf sich auf ihre Gestalt niederbeugte und seine Arme zärtlich ihren Nacken umschlangen. Das Gemurmel und Schluchzen, mit Segenswünschen vermengt, drang wie Himmelsmusik in seine Ohren.

So endete das Abenteuer mit der Katze und dem Papagai, das dem Leser einen zureichenden Beweis liefern wird, wie schlecht geregelt das Hauswesen war, über welches Sir Octavius zu herrschen wähnte. Wir haben hier den alten Commodore in jener Nachtseite von übermäßiger Zärtlichkeit gezeigt, von der er stets am Lande befallen war, wollen ihn aber unverweilt wieder auf die See bringen, wo der Leser im Sturm der Elemente oder des Männerkampfes kaum mehr den Sir Octavius erkennen wird, der sich Morgens mit schnödem Grog und Tabak zu benebeln pflegte und von seinem eigenen Kinde trotzen ließ. Er war nun fünf Jahre ohne Kommando, und diese fünf Jahre der Untätigkeit hatten mehr dazu beigetragen, seine Konstitution zu untergraben und sein Temperament zu verbittern, als alle Krankheit und alle bisher überstanden Mühseligkeiten, denen kein Mann je tapferer die Spitze geboten hat. Die Aufregung seines leidenden Zustandes, sein Starrsinn und die ungeordnete Liebe zu seiner Tochter hatten ihn bewogen, als Mittel, sich selbst zu verlieren, den Einschärfungen des Doktors Ginningham zu trotzen und sich mit der Ausdauer eines Novemberregens beim Ostwinde auf's Trinken zu legen.

Um halb vier Uhr desselbigen Nachmittags, als die erste Dinerglocke läutete – denn in jener Periode pflegte man stets um vier Uhr zu speisen – war über die Mitglieder dieser höchst geordneten Familie in folgender Weise verfügt. Der Commodore schlief auf dem Stuhle, welchen er den ganzen Morgen eingenommen hatte, in einem glücklichen, aber etwas ruhmlosen Zustande des Vergessens sowohl in Betreff des Eigensinns seiner Tochter als der Qualen seiner Krankheit. Miß Matilda war bereits vollständig gekleidet und sah sehr zart, sehr schön und (um am wenigsten zu sagen) nicht jung aus; Rebekka half den Stalljungen in einem der Teiche des väterlichen Parks eine Wasserratte jagen, wobei ihre Haare im Winde wild um ihre Schulter flatterten und ihre Atlasschuhe sammt dem Latzschürzchen mit Schmutz und Wasser getränkt waren; Mr. Underdown aber, ihr ängstlicher Mentor, der ein Buch in der Hand hatte, umschwebte sie ohne Unterlaß und flehte sie de- und wehmüthig an, eine Unterhaltung aufzugeben, die so wenig für ihr Geschlecht, ihren Stand und für ihr edles Herz (wie er beizufügen beliebte) paßte.

Sei es nun, weil sie sich ihres Beginnens schämte, oder aus Liebe zu der Person, welche ihr so ernstliche Vorstellungen machte – genug, sie stand endlich von ihrer Belustigung ab, legte ihren Arm liebevoll in den seinigen und ging nach dem Herrenhause zurück, aufmerksam auf die moralischen Lehren lauschend, die er eifrig in ihre Ohren goß.

Als das Diner angekündigt wurde, war der Commodore gerade in dem rechten Zustande, um zu Bette zu gehen, was er denn auch that. Nichte, Tante und Mr. Underdown nahmen daher an der gut besetzten Tafel Platz und bedauerten nur wenig die Abwesenheit des Familienoberhauptes, denn sein Fehlen war zu gewöhnlich, um viel Aufsehen zu erregen. Der Abend verging wie gewöhnlich, zum Theil in ungestümen Ausbrüchen von Seiten der Miß Rebekka zum Theil in achtsamer Aufmerksamkeit auf die Anstands- und Verhaltungsregeln, welche die Tante vortrug, und in begierigem Lauschen nach werthvolleren Lehren aus dem Munde des schüchternen, aber sehr gebildeten Mr. Underdown. – Und so haben wir den Verlauf eines einzigen Tages zu Trestletree-Hall, dem Sitze des fechtenden alten Commodore Sir Bacuissart geschildert: er mag eine Probe abgeben von den vielen oder den meisten, welche ihren trägen Flug über jenen schönen Landsitz hinnahmen.


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