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Fünftes Kapitel

... »So sahst du die Erscheinung?«
»Ich, guter Sir? Oh nein, und schätz' mich glücklich,
Daß sie unsichtbar meinen Blicken blieb.
Sie spukt wohl nicht nur, sondern redet auch?«
»Unausgesetzt drei Stunden nach der Thurmuhr.«
»Ist's wahr? Was sprach denn auch der grause Redner?«
»Die's hörten, wissen's nicht, weil ihre Herzen
So laut gepocht.«

»Ein schreckliches Gespenst!«

Altes Schauspiel.

Da Sir Octavius behauptete, er brauche keine theoretische Seefahrer und Leute an Bord, die andere Ideen von Mannszucht hätten, als er, so veranlaßte er die Admiralität, keinen Kapitän auf dem Terrific zu ernennen. Anstandshalber konnte er übrigens nicht mit der Einwendung kommen, daß er auch von der Religion nichts wissen wolle, und so wurde dem Schiffe, sehr zu seinem Aerger, ein Kaplan beigegeben. Wir achten den heiligen Beruf und ehren seine Diener; wenn wir daher einen Kaplan schildern, wie er vor sechszig Jahren war, so muß man unsere Beweggründe nicht mißverstehen, obgleich man vielleicht die Richtigkeit meiner Zeichnung bezweifeln mag.

Erstlich waren derartige Geistliche damals nicht die gelehrten frommen Männer, welche jetzt Sr. Majestät Flotte zum Segen gereichen, weil Niemand auf der See Kaplan werden wollte, dem es überhaupt seine Ordination möglich machte, eine Pfarrstelle auf dem Lande zu erlangen. Wir wissen nicht mehr genau, wie hoch sich ihr Gehalt belief, können aber sagen, daß man sie eigentlich mit einem Spottgelde abfand. Wenn der arme Geistliche an Bord seines Schiffes kam, wurde er von allen Klassen verfolgt und nur von einzelnen Individuen geehrt, welche es noch obendrein nicht einmal wagten, ihre Gefühle kund zu geben. Dann schaffte man ihn von Schiff zu Schiff, denn Jedermann sehnte sich, seiner als einer Belastung los zu werden. Brauchte z. B. Kapitän A. ein paar gute Segelmacher, die Kapitän B. entbehren und gegen ein paar tüchtige Matrosen austauschen konnte, so gab letzterer seine Mannschaft nicht ab, wenn man ihn nicht obendrein auch seines Kaplans entledigte. Gegen die allgemeine Verachtung kann Niemand Stand halten, und da gedachte Seelsorger in der Regel nicht zur Elite ihres Standes gehörten, so schmiegten sie sich bald in die Umstände und wurden Speichellecker, die noch obendrein für ihren Kapitän die Rolle eines Spions übernahmen.

Für die Schiffsmannschaft waren sie weder von geistigem noch von sonstigem Nutzen, und was das Vorlesen des Leichenbestattungsrituals betraf, so sind wir Zeuge gewesen, wie es von Offizieren ebenso erhebend, nachdrücklich und feierlich vorgenommen wurde, als von was immer für einem mit der Stola versehenen Geistlichen oder sogar einem infulirten Bischoffe. Die Kaplane jener Zeit machten sich's nie zur Aufgabe, der abscheidenden Seele Muth zuzusprechen, den wankenden Glauben zu kräftigen oder die Härte des menschlichen Herzens zu brechen und zu beschämen. Wenn sie überhaupt in etwas nützlich wurden, so geschah dies in einer seltsamen Weise, indem sie die Midshipmen unterrichteten – aber in was? In ihren Glaubensartikeln? In der Aufgabe sich zu treuen, demüthigen, selbstverläugnenden Christen zu bilden? Nein, in nichts dergleichen, sondern in der Geometrie und in der Trigonometrie, im Segeln nach einfacher und mittlerer Breite und in Herstellung eines Tagewerks, nicht aber in Erfüllung von Werken der Gnade. Und für diese ihre Thätigkeit erhielten sie monatlich je von einem Zögling eine halbe Krone.

Was mich betrifft, so will ich meine Ansicht, wie auffallend sie auch sein mag, in aller Demuth dahin kund geben, daß Kaplane in Zeiten des wirklichen Kriegsdienstes nichts an Bord von Seiner Majestät Flotten zu schaffen haben, und ich komme zu dieser Folgerung rein aus Beweggründen der Religion. Es liegt eine gewisse Heuchelei darin; denn unser gesegneter Glaube lehrt uns, den Herrn als einen Gott der Liebe anbeten, und der Unterdrückung, der Ungerechtigkeit nicht durch Blutvergießen und Mord Widerstand zu leisten; wir sollen Böses mit Gutem vergelten, dem Räuber, der uns unsern Mantel nimmt, auch den Rock lassen, und dem, der unsere linke Wange schlägt, noch obendrein die rechte darbieten. Nun wissen wir aber, daß unsere gewöhnliche Menschennatur verderbt genug ist, um uns die Höhe dieser Vollkommenheit nicht erreichen zu lassen, und ich kann daher nur sagen, daß es wie eine fromme Posse aussieht, eine Person, welche bei Allem, was uns heilig und hoch steht, verpflichtet ist, derartige Lehren zu predigen – auf eine Maschine zu setzen, welche die tödlichsten und furchtbarsten Werkzeuge der Zerstörung mit sich führt, um den Menschenmord im Großen zu betreiben. Ich habe oft gelächelt, wenn an Sonntagen in der Touloner Flotte, während wir Allem aufboten, um die Franzosen zum Gefechte zu bringen, der Kaplan mit andächtiger Salbung jenen Theil der Litanei vortrug, welcher lautet: »Vor Krieg, Mord und plötzlichem Tode – bewahre uns, o Herr!« Gewiß, gewiß liegt hierin ein bitterer Hohn.

Wir wissen nicht, ob jetzt diese besondere Bitte ausgelassen ist, und können nur so viel sagen, daß sie damals stets verlesen wurde, obschon männiglich bekannt war, daß sie in geradem Widerspruche mit den Kriegsartikeln stand, welche den Offizieren und der Mannschaft in den dürren, harten Worten unter Todesstrafe befehlen und ganz gebührendermaßen einschärfen, ihr Aeußerstes zu thun, um zu tödten, zu zerstören, zu sengen und zu brennen. So lautet der Ausdruck und Sinn des gedachten Kriegsartikels, obgleich wir ihn nicht zur Hand haben, um ihn buchstäblich anzuführen.

Nehmen wir übrigens an, daß dieser abgeschmackte Widerspruch in dem Gebete um Befreiung von Kriegsnöthen mit dem Befehle, unser Bestes zu thun, um sie herbeizuführen, geeigneten Orts erkannt und heutigen Tags der gedachte Theil der Litanei weggelassen wurde, weil er Tausende von Christen abhält, mit einer wirklich christlichen Bitte an dem Fuße der Gnade zu erscheinen und – doch wir wollen die Hörner dieses Dilemmas nicht schärfer an's Licht ziehen.

Da ferner schon ein einziger Kaplan in der Regel auf jedem Schiffe für eine Person zu viel gehalten wird, so glauben wir nicht, daß sogar der frommste Eiferer für Verbreitung religiösen Unterrichts eine Erweiterung dieses Institutes wünschen kann, und doch ist Gewissensfreiheit ein Geburtsrecht der Engländer. Manche Schiffe bergen mehr Katholiken und Presbyterianer, als Angehörige der bischöflichen Kirche, und doch bin ich Zeuge gewesen, wie die Bekenner der verschiedensten Religionsformen durch das Tauende der Hochbootsmannsmaten nach der aus dem Hauptdecke aufgetakelten Kirche getrieben wurden – eine Unduldsamkeit und Entweihung, welche von denen, die so viel Haß gegen die Inquisition zur Schau tragen, weislich vermieden werden sollte.

Ich selbst diente an Bord eines Dreideckers mit einem jungen Geistlichen, der seine Studien zu Oxford gemacht hatte – eines Mannes von gutem moralischen Charakter, der durch sein ernstes und anständiges Benehmen Achtung einflößte. Im Laufe von wenigen Monaten begann jedoch seine Stellung wesentlich auf seinen Charakter einzuwirken. Er war mit den besten Absichten von der Welt an Bord gekommen, aber statt ein Werkzeug zu bleiben, das sich ausschließlich dem Dienste des Herrn weihte, wurde er gar bald einer der Unsrigen. Ich kann die feierliche Versicherung geben, daß er, meinem besten Wissen zufolge, nie einen Mann an Bord zu einem besseren Christen machte, während wir ihn zu einem vortrefflichen Matrosen bildeten. Wir haben also hier einen Menschen unter den günstigsten Aussichten – denn unser Kapitän war von entschieden religiöser Richtung – der ganz unfreiwillig ein schlechter Geistlicher wurde, ohne irgend Jemanden an Bord zu bessern.

Aus diesen und noch vielen andern Gründen, die ich anführen könnte, bin ich der Ueberzeugung, daß kein ordinirter Geistlicher zu den Personen gehören sollte, welche man für das nothwendige Requisit eines Kriegsschiffes hält. Die Vereinigung der Kirche und des Staates, welche ich, so weit ich Gelegenheit dazu hatte, durch meine literarischen Fähigkeiten stets aufrecht zu erhalten suchte, hat sehr oft beide Theile in Verlegenheit gebracht; wir wollen daher wohl den Grundsatz bewahren, aber nicht versuchen, ihn bis in seine einzelnsten Details auszuarbeiten und das Geschrei zu erheben: »Kirche und Flotte!« Den verurtheilten Verbrechern in unseren Gefängnissen bleibt die Gewissensfreiheit in so weit ungeschmälert, daß sie den Geistlichen wählen dürfen, welcher ihnen himmlischen Trost bringen soll, und wenn es den Matrosen auf der See physisch unmöglich ist, sich eines derartigen Privilegiums zu erfreuen, so verweise man sie damit aus die Zeit, wann sie in den Hafen kommen, zwinge aber ja nicht die Katholiken oder Baptisten, an einer Congregation Theil zu nehmen, von deren Dogmen sie aus Gründen des Gewissens abweichen.

Man mache es dem Kapitän und den Offizieren zur Aufgabe, nicht nur Sittlichkeit einzuschärfen, sondern auch nach Kräften die Religion zu ermuthigen. Mögen sie durch ihr Benehmen eine gebührende Achtung vor dem Sabbath einflößen, mit Milde und Umsicht alle gotteslästerlichen Ausdrücke zur Strafe ziehen, und denen Schutz verleihen, welche zu geeigneten Zeiten, wo es (namentlich an Sonntagen) ohne Gefährdung des Dienstes geschehen kann, ihren Gottesdienst feiern wollen, aber ohne das Ansehen der Vorgesetzten wahrscheinlich Spott und Kränkung zu erfahren hätten. Der Kapitän, der in der Regel ein Mitglied der englischen Staatskirche ist, sollte jeden Sonntag mit den Angehörigen seiner Konfession, Offizieren sowohl, als Matrosen, der Andacht eine Stunde weihen, aber keinen Zwang dabei handhaben und die Leute mit Tauenden nach der extemporirten Kirche treiben lassen. Vorstellungen und Bitten sind vollkommen am Orte, aber ich muß wiederholen, daß der Zwang vom Uebel ist. Und nun habe ich mein Sprüchlein angebracht.

Dieses Gutachten über die Kaplane hat mich selbst predigen lassen und in Eifer gesetzt; da ich jedoch nicht im Sinne habe, wieder so prosaisch zu werden, so möge man mir meine Abschweifung vergeben und meinem Wunsche, der Geistlichkeit das Wort zu reden, etwas zu Gute halten.

Der Kaplan, der sich auf dem Schiffe des Commodore befand, war ein sehr gewöhnlicher, gemeiner und entschieden weltlicher Mensch. Da ich jedoch seinen Charakter nicht weitläufig auszuführen beabsichtige, will ich mich auf die Angabe beschränken, daß er ein Freund von gutem Essen war und an Gespenster glaubte, obschon er im Uebrigen der phantasieärmste Mensch von der Welt war. Was nun seinen Geisterglauben betraf, so will ich ihm damit gerade keinen Vorwurf machen, weil ich mir diese Schwäche selbst auch zur Last legen muß – doch davon später.

Da ich mit diesem Theil unserer Geschichte rasch vorwärts zu kommen wünsche, so will ich alle untergeordneteren Einzelnheiten übergehen, und den Leser schnell mit dem Geschwader in die Nähe der englischen Geschichte bringen, wo sich dasselbe gegen das Ende des Februars 17–, nachdem es seinen langen Kurs fast siebenzehn Monate verfolgt hatte, einfand. In der letzten Zeit hatte man unterwegs oft auf Schiffe getroffen, und der Commodore, der, wie sich von seinen unablässigen Anstrengungen erwarten ließ, sorgfältig auf seine Jagd achtete, stand nun zwischen den Franzosen und ihrem Hafen, denn man wußte wohl, daß der Feind nach einer so langen Abwesenheit von Europa nicht durch die Meerenge von Gibraltar laufen konnte.

Der Commodore hatte übrigens jetzt auch Neuigkeiten gehört, die ihn noch mehr ärgerten. In der Zwischenzeit waren zwei große Schlachten gekämpft worden, an welchen er nicht hatte Theil nehmen können, und diese Kunde trug nicht wenig dazu bei, seine gereizte Stimmung zu erhöhen. Trotz des fast wehrlosen Zustandes seiner Schiffe war er jedoch fest entschlossen, auf eine letzte Aussicht zu warten und, so lange er sie halten konnte (das heißt, bis zum Eintritt der Aequinoktialstürme), in der Mündung des Kanales zu bleiben. Er wollte, falls seine Schiffe so lange zusammenhielten, auch jetzt noch den Feind kapern oder zerstören.

Er und Augustus hatten sich nicht wieder versöhnt, wie denn auch in der letzten Zeit der Commodore aufhörte, dem Jüngling jene unwillkürliche Achtung zu zollen, welche dessen untadeliges Benehmen erpreßte. Er war dreifach gereizt über die wandellose, kalte Verachtung, die der Neffe gegen seinen Befehlshaber zu erkennen gab, und nicht einmal zu verbergen bemüht war. Tückische Zwischenträger und Ohrenbläser waren nicht laß gewesen, so daß Sir Octavius, als die entfremdeten Verwandten nach langer Abwesenheit zum erstenmale die tiefblauen Umrisse der Heimath wieder sahen, die denkbar schlechteste Stimmung gegen seinen Schützling unterhielt.

In der letzten Nacht des Februars legte das kleine Geschwader, nachdem es im Laufe des Tages das Landesende angethan hatte, in einer starken nordwestlichen Kühlte unter dichtgerefften Marssegeln bei. Der Himmel war klar und wolkenlos; kein Mond schien am Firmamente, und die Nacht war bitterkalt – um so empfindlicher für diejenigen, welche vor Kurzem erst die Hitze des tropischen Himmelsstrichs empfunden hatten. Bei dem Glockenzug sieben in der ersten Wache, das heißt um halb zwölf Uhr nach der Landrechnung, kam der Commodore von dem Kaplan begleitet auf das Deck und Beide stiegen nach der Hütte hinauf. Seiner Gewohnheit zufolge durchspähte Sir Octavius zuerst den Horizont mit seinem Nachtglase, zählte sein Geschwader und achtete aufmerksam auf die Stellung jedes Schiffes, während der Kaplan schaudernd an seiner Seite stand. Dieser Gentleman, in dessen Bereich blos die Sorge für die Sicherheit der ihm anvertrauten Seelen gehörte, hatte nicht vergessen, seinen eigenen Leib zu pflegen, und da ihn die zeitliche Erhaltung des Schiffes und seines sterblichen Inhalts nichts anging, so war er der Meinung gewesen, er könne sich in seinen Libationen jenes Zwanges entschlagen, den sich der Commodore stets auferlegte, wenn er zur See war. Sie hatten mit einander getafelt, und während sich der Mann des Krieges begnügte, den ganzen langen Abend seinen Claret zu schlürfen, war der Mann des Friedens bemüht gewesen, seinen sterblichen Thon mit heißem Grog anzufeuchten. Daraus muß man übrigens nicht gerade schließen, daß der Letztere betrunken war, denn er befand sich blos in einer etwas sentimentalen Stimmung, welche ihm die Gabe des doppelten Gesichts brachte – ein Zustand, in welchem er bisweilen Geister sah, oder auch die Gründe durchschaute, warum sie sich nicht blicken ließen.

Nachdem der Commodore seine Musterung beendigt und den wachhabenden Offizieren einige Austräge ertheilt hatte, da das Schiff unter dem Ungestüm des Sturms sich weit gegen das Lee hinüberneigte, klappte er seinen eisernen Haken auf einen Belegnagel und blickte nach dem Halbdecke hinunter. Der dienstthuende Lieutenant ging, von dem Bollwerke einigermaßen geschützt, auf der Luvseite hin und her, aber im Lee befand sich eine einzelne Gestalt, hoch, schmächtig und ungemein anmuthig. Sie bewegte sich langsam mit gemessenen Schritten, und bei dem matten Sternenlichte sah ihr Gesicht sehr bleich aus. Hin und wieder rauschten von der Windseite her die springenden Wellen, wie eine stürmende Schaar, voll auf das breite und geneigte Gebälk des Schiffes nieder, um sich in ihrem Hinansteigen in wirbelnde Sprüh aufzulösen, die in kalten und leichten Schauern den Jüngling traf, ohne daß derselbe sie nur so weit achtete, um die Feuchtigkeit aus seinen feuchten, triefenden Kleidern zu schütteln. Wie ein Automat ging er hin und her, unempfindlich, wie es schien, gegen den Wind, die Wogen oder das Ueberhielen des Schiffes. Der Jüngling war der Midshipman der Wache. Augustus Astell und zugleich Graf von Osmondale, obgleich er von dieser Erhöhung seines Ranges noch nichts wußte. In der kurzen Frist, die er zur See gewesen, waren nämlich seine beiden Onkel und ihr Vater der Reihe nach gestorben.

Während er auf dem ungemächlichen, trübseligen Decke auf- und abging, weilten sein Herz und seine Seele in der Heimath; er unterhielt sich in demselben Augenblicke mit seiner Mutter und sagte ihr die süßesten, zartesten Dinge, welche kindliche Liebe eingeben oder ein Mutterherz erfreuen können. Und doch raffte er sich, als würde er sich seiner Entfremdung von der unheimlichen Gegenwart bewußt, mit Anstrengung aus, kam alle fünf Minuten an das Ende des Halbdeckes, und rief mit lauter, melodischer, aber doch wehmüthiger Stimme: »Haltet guten Lugaus auf der Leelaufplanke da,« was mit dem Gegenrufe beantwortet wurde: »Sehr wohl, Sir.« »Guten Lugaus im Leebug.« »Ja, ja.« »Guten Lugaus auf dem Luvbuge.« »Ja, ja.« »Guten Lugaus auf der Luvlaufplanke.« »Ja, ja.« Und so ging der musikalische, aber fast feierliche Ruf um das ganze Schiff. Er tönte selbige Nacht in den Ohren des Commodore wie ein Leichengesang, und Sir Octavius konnte sich des Gedankens nicht entschlagen, daß sein unten vorbeigehender Neffe wie ein schattenhaftes Wesen aussehe, das auf einem Kirchhofe wandle. Er theilte diesen Eindruck dem Kaplan mit, der darob unaufhörlich heftig mit den Zähnen klapperte. Indeß hatte der Commodore bei dem abergläubischen Geistlichen die rechte Saite berührt, denn derselbe ließ sich alsbald mit einer Geistergeschichte vernehmen.

Nun war aber der Geist des Kaplans, wie alle seine übrigen, ein gemeiner und rauhköpfiger Geist mit blutigen Knochen – ein Gespenst, das sich um unbegreiflicher Zwecke willen erstaunlich viele Mühe gab, und sich mit den armseligen Vergnügungen des Rasselns mit eisernen Ketten, des Umwerfens von Stühlen und Tischen, und des Erschreckens von kleinen Kindern und alten Weibern belustigte. Während übrigens der Kaplan das neugierige Ohr des Kapitäns mit seiner Gespenstergeschichte unterhält, wollen wir dem Leser die unsrige geben.

Die Person, die dich jetzt anredet, Leser, ist ein alter, ein sehr alter Mann, ein greiser Seemann mit schneeigen Haaren, der mit der Gegenwart fast ganz abgeschlossen hat, und nur noch in der Vergangenheit oder in der Hoffnung auf die Zukunft lebt. Er hat nichts zu schaffen mit dem Heute, mit dem Gestern, oder mit vielen andern Tagen neuerer Geburt. Er vergißt sogar den Namen seines besten Freundes, der ihm täglich die Hand schüttelt, zieht gravitätisch seinen Hut ab vor seinen Urenkeln im Flügelkleide, sagt ihnen, daß er sich glücklich schätze, ihre Befehle entgegenzunehmen, und kann nie vollkommen begreifen, ob die Reformbill durchgegangen, in Verhandlung oder durchgefallen ist. Aber trotz dieses wunderbaren Mangels in seinem Gedächtnisse kann er – doch spreche ich lieber von der betreffenden Person – kann ich mich noch genau erinnern, wie Lord Howe am Morgen des denkwürdigen ersten Juni aussah, und entsinne mich genau, wie viele Diamanten in den Schuhschnallen Sr. Majestät, Georg des Dritten, gottseligen Andenkens, waren, als er und die Königin nach dem Treffen von Camperdown an Bord von Lord Duncans Schiff kamen. Ich zählte sie – denn damals war ich oft mit großen Dingen beschäftigt; aber man hat mich seit langer, langer Zeit auf den Sims geschoben. Sr. Majestät Rathgeber hätten etwas Besseres thun können; aber es ist von keinem Belang, denn ich bin ein sehr alter Mann.

Es war vor sechzig Jahren, nein, ich muß sagen einundsechzig – ich hatte eben erst meine Lieutenantsbestallung erhalten – wir trugen damals noch keine Epauletten, überhaupt kein Gold an unseren Personen, wenn wir nicht etwa einen Wechsel einkassirten oder ein spanisches Schatzkammerschiff um seine Dublonen erleichterten; aber dennoch war ich so stolz aus meine weißen Aufschläge, als irgend ein Lieutenant heutiges Tags auf den Bullionbüschel, der seine Schultern deckt. Unsere Fregatte befand sich zur Ausbesserung in dem englischen Hafen von Antigua – ein trauriges Loch, jener englische Hafen, wo man den ganzen Tag die Dämpfe des nahen Salzmoores hat und Nachts von den frostigen Winden durchkältet wird, welche wie die Eisfinger der Schwindsucht den Körper anfassen. So kam auch das gelbe Ungeheuer an Bord und begann seine Teufelstücken zu spielen. Wir lichteten dann unseren Anker und ruderten nach der offeneren Rhede von St. Johns; aber die armen Teufel, mit welchen die Krankheit ihr Spiel begonnen hatte, konnten sie nicht wieder abschütteln; denn obgleich keine weiteren Erkrankungsfälle vorkamen, wurden doch alle früher Ergriffenen ein Opfer. In der dritten Nacht, nachdem wir unseren luftigen Ankergrund erreicht hatten, war von allen Befallenen nur noch Einer am Leben – denn die Seuche machte kurze Arbeit – und dieser war ein lieblicher Knabe, ein heiterer kleiner Cherub von ungefähr zwölf Jahren und der Liebling des ganzen Schiffs. Man hatte seine Hängematte an dem kühlsten Orte der Kapitänskajüte aufgehangen und der Arzt meinte bisweilen, er werde davon kommen, obschon er ihn zu andern Zeiten wieder aufgab. Bisher hatte er alle seine Leiden wie ein kleiner Held – oder wie ein Märtyrer für die Wahrheit ertragen; aber in dieser Nacht wurde er unruhig und verlangte nach seiner Mutter, nach seiner kleinen Schwester – der arme Junge! Nun wir wollen nicht davon reden.

Er stammte von einem hochadeligen Geschlecht, und seine Mutter war eine große Dame. Als der sterbende Knabe nach ihr und seinem Schwesterchen rief, schlief die Mutter in England auf ihrem mit reichen Behängen versehenen Bette und hörte ihn nicht; aber sein unschuldiges Schwesterlein vernahm seinen Ruf. Wie kann ich dies wissen? Du sollst es sogleich hören.

Es war nicht zwölf Uhr – aber nicht weit davon – als ich von dem Halbdecke aus raschen Schrittes eine edle frauenhafte Gestalt, in einen Nachtanzug gekleidet, über das glatte Wasser daherkommen sah. Ohne auf irgend etwas zu achten, ging sie geradezu durch das Kajütenfenster hinein, und bann hörte ich auf der Stelle wo ich stand, ein Kichern der Freude, den matten Ruf: »ich danke dir,« und den rasselnden giftig des Todes, Alles unter einander gemischt. Ich erkannte daraus, daß der Knabe todt war und nicht hatte sterben können, bis sich seine Mutter eingestellt hatte, um ihn zu segnen. Als ich und der Doktor in die Kajüte hinuntergingen, fanden wir eine Leiche, ein Lächeln auf ihrem Gesichte und seine Arme ausgebreitet, als ob sie erst kürzlich Jemand umschlungen hätten.

Ich schwieg damals, aber am nächsten Morgen im hellen Sonnenlichte – es ist am besten, über derartige Dinge im Sonnenschein zu sprechen – sagte ich zu dem Wundarzt: »Frank –« dann stockte ich ein wenig – »habt Ihr – habt Ihr – gestern Nachts nichts Besonderes über dem Stern gesehen – just vor der Zeit, als der ehrenwerthe Mr. Mowbray starb?«

»Nein,« antwortete er; »vielleicht Ihr?«

Aber ich fertigte ihn mit einer Ausflucht ab, schwieg über die Erscheinung, und im Laufe der Zeit langten wir wieder in England an. Dort wollte Niemand, weder schriftlich noch mündlich, den zärtlichen Eltern den Verlust melden, den sie vor sechs Monaten erlitten hatten. Ich erbot mich daher freiwillig, diesen traurigen Dienst zu erfüllen. Die Leute urtheilen gerne strenge, und Viele gaben meinen Beweggründen eine falsche Deutung. Sie dachten, ich beabsichtige eben in eine edle Familie Eingang zu gewinnen, oder stellten mir andere unehrenhafte Gründe unter; aber ich bezweckte weiter nichts, als zu erfahren, ob die Gräfin wisse, daß ihre Seele aus dem Körper abwesend gewesen sei.

Ich war damals ein wohlgebildeter Jüngling, besaß gewinnende Manieren, hatte eine weiche, klangreiche Stimme, konnte mich ganz verstohlen der Hand einer Dame bemächtigen, und war im Stande, ihr das Herz abzuschwatzen, ohne daß weder sie oder ich an Liebe dachte. So eilte ich mit dem Empfehlungsbriefe meines Kapitäns von Chatham nach London, um einer zärtlichen Mutter die Kunde mitzutheilen, daß ihr Lieblingskind todt sei.

Ohne die edle Matrone durch eine gradweise Steigerung der Angst quälen zu wollen, ehe ich ihr die verhängnisvolle Kunde mittheilte, eröffnete ich ihr mit wenigen bebenden Worten das Schlimmste, setzte mich dann nieder und weinte an ihrer Seite. Mein ungeheuchelter Schmerz weckte, ungeachtet ihres eigenen tiefen Grams, ihre Aufmerksamkeit: sie drückte mir die Hand und verließ das Zimmer. Ihr Gatte, der seinen Gram wie ein Mann trug, kam kurz nachher zu mir und bat mich, eine Zeit lang bei ihnen zu verweilen. Dies war es, was ich wünschte. Natürlich führte ich das Gespräch so zart als möglich auf den Gegenstand, der meinem Herzen so nahe lag, indem ich das Lob des theuren Knaben wiederholte, machte aber bald die Entdeckung, daß sie nichts von dem Glück wußte, welches sie ihrem sterbenden Sohne gebracht hatte. Vor meinem Erscheinen war ihr auch nicht die mindeste Ahnung von seinem Tode aufgetaucht.

Ich blieb, ganz gegen die Etikette, eine Woche bei dieser edlen Familie, bis ich endlich durch einen Brief meines Kapitäns zu meinem Dienste zurückgerufen wurde. Ich hatte bereits freundlichen, ja sogar zärtlichen Abschied von meinem Wirthe und meiner Wirthin genommen, weilte aber noch auf der Schwelle der Empfangzimmerthüre und bat um die Erlaubniß, in das Gemach der Kindswärterin zu gehen, um ihrem hübschen, kleinen Töchterchen einen Abschiedskuß zu geben; denn ich begann zu glauben, daß meine erhitzte Einbildungskraft mir einen Streich gespielt und meine Augen überredet habe, sie sähen, während der arme kleine Knabe in Todesnöthen lag, einen Geist auf dem Wasser. Außerdem erinnerte ich mich jetzt, daß ich mir die Züge der vorübergehenden Erscheinung nicht bestimmt vorstellen konnte, obschon der Allgemeineindruck an mir haftete, sie seien schön und bleich gewesen. Nun war zwar Lady Mowbrays Antlitz schön, aber nicht bleich, und was den Umriß desselben betraf, so fand ich keine Aehnlichkeit zwischen den Zügen der Gräfin und denen der Erscheinung, welche mich damals so sehr verwirrt und mir in den Stunden der Einsamkeit so lange zugesetzt hatten.

Auf meine Bitte, die kleine Adelaide zu sehen, wollte man nach ihr schicken; ich entgegnete jedoch, es wäre mir lieb, wenn ich sie in ihrem Gemache von ihrer kleinen Manège umgeben, treffen könnte, auch möchte ich sie einige Minuten plaudern hören. Demgemäß wurde ich die Treppe hinaufgewiesen.

Sie war ein hübsches, verständiges, kleines Wesen von heiterem Temperament, mit gelegentlichen Anflügen von Sinnigkeit. Ich hatte sie schon etlichemal, wenn sie Abends in das Dinerzimmer kam, auf einige kurze Minuten gesehen, bei welchen Gelegenheiten sie sich stets an mich anzuschmiegen und mir jene plötzliche Zuneigung zu beweisen pflegte, die man oft bei Kindern von lebhaftem Gefühle findet.

Ihre Eltern beachteten dieß nicht, weil sie vielleicht entweder ihren kürzlichen Verlust noch zu schmerzlich fühlten, oder aber zu zerstreut waren, viel auf die Bewegungen ihres jüngsten Kindes zu achten, denn es saßen viele blühende Söhne und Töchter an ihrem Tische.

Ich nahm die Kleine auf meine Kniee. Sie trat, glaube ich, eben in ihr siebentes Jahr und war augenscheinlich ein sehr früh gezeitigtes Exemplar einer verschönerten Menschheit – denn die sorgfältigste Obhut hatte ihre natürliche Liebenswürdigkeit wirklich verschönert.

»Hübsche, kleine Adelaide, ich bin gekommen, um dir Lebewohl zu sagen – gib mir einen Kuß.«

»So? – das thut mir recht leid. Gute Leute kommen und lieben mich, gehen aber immer wieder, und böse Leute bleiben.«

»Es freut mich, daß du mich liebst, mein theures Kind. Aber warum liebst du mich so sehr, da ich dir doch fast ein Fremder bin?«

»Oh, das macht nichts – Ihr wart so freundlich gegen den Bruder.«

»Wie kannst du dieß wissen, meine kleine Elfe?«

»Ich sah es, ich sah es; und ich sah es hauptsächlich in jener Nacht – in der Nacht, in welcher ich Mama nicht wecken konnte.«

Dieses unschuldige Zugeständniß machte mich ungemein zittern, und Schweiß bedeckte meine Stirne.

»Oh, sage mir – erzähle mir Alles von jener Nacht, meine Theure.«

»Aber darf ich?«

»O freilich; doch warum frägst du mich, ob du dürfest?«

»Weil ich's Miß Broadling, unserer Gouvernante, erzählte. Aber ich hatte kaum angefangen, als sie mir sagte, ich solle mich zufrieden geben, denn es sei nur ein einfältiger Traum. Ich solle mich nicht abängstigen, sondern müsse versuchen, ihn zu vergessen. Aber ich kann ihn nicht vergessen und weiß gewiß, daß es kein Traum war.«

»Ich möchte doch deinen Traum hören.«

»Und ich möchte ihn Euch gerne erzählen – aber nur Euch – denn ich sah auch Euch darin und kannte Euch im Augenblick, als ich Euch wieder sah.«

»Das ist doch wunderbar! Nun, und wie war's mit dem Traume, meine kleine Lady?«

»Oh, aber es war nicht ein einziger Traum, sondern zwei, drei, vier – und es ging damit so zu. Wenn ich mich zu Bette legte, mochte ich nicht einschlafen, schloß aber doch meine Augen, und dem Geheiße der Mama zufolge sagte ich nach dem regelmäßigen Gebete an meinem Bette, ehe ich die Augen zuthat: ›Wache über mir, gütiger Gott, während ich schlafe.‹ Wenn ich nun die Augen geschlossen und gesprochen hatte, ›wache über mir, gütiger Gott, wenn ich schlafe,‹ kam es mir vor, als ob das Bette und das Zimmer umherschwimme. Und dann hörte ich die Stimme des Bruders leise, leise rufen: ›Aedie, Aedie, komm zu mir.‹ Dann öffnete ich meine Augen und sah ihn an einem fremden Orte von guten Menschen umgeben, und Ihr wart immer dabei, und der Bruder sah so krank aus, und er sagte, die Mama solle zu ihm kommen. Dann dankte er mir, daß ich so weit, so gar weit hergekommen sei, um ihn zu besuchen – und doch schien er zu wissen, daß ich hier in diesem Hause dicht neben der Mama in meinem Bette liege; denn er forderte mich auf, sie zu wecken und sie zu ihm zu schicken. Und ich versuchte es auch und rief, so laut ich konnte, aber es war nicht laut genug. Dann rüttelte ich sie, aber auch dies wollte nicht gehen, und dann weinte ich, weil sie nicht erwachen wollte. Ich meinte, das Herz müsse mir brechen, weil ich sie nicht zu dem lieben Bruder schicken konnte, der so weit weg auf dem Tode lag.«

»Aber meine kleine Schönheit, das war ganz eine Art Erscheinung, welche die Leute den Alp nennen.«

»So sagte auch die Gouvernante, als ich ihr meinen ersten Traum mittheilte; und ich erzählte ihn Niemand anders, weil sie mit mir schmälte, und so schwieg ich, wie sie mich geheißen hatte. Diese Alpe sind recht kurios und machen, daß man wirkliche, recht ernste Leute sieht, die weit weg sind; aber sie sind sehr schrecklich.«

»Du hast wohl Recht, meine liebe Kleine; aber ich möchte doch hören, wie es mit den andern drei Alpen ging.«

»Oh, sie waren alle ziemlich wie der erste, nur den letzten ausgenommen. Der Bruder wurde immer betrübter, weil ich Mama nicht wecken und zu ihm schicken konnte. Und doch sah der arme Bruder, daß ich Alles versuchte, was ich konnte. Und sein Aussehen wurde mit jedem Augenblick übler und übler, und ich glaube, er sagte, daß Mama – aber Ihr werdet's nicht weiter sagen, wollt Ihr?«

»Nein, nein, nein.«

»Daß Mama nicht kommen könne, weil sie ihre Seele nicht mit Gott versöhnt habe, ehe sie schlafen ging. Ja, das waren seine eigenen Worte. O, wie betrübte mich dies und wie fürchtete ich mich, zu Bette zu gehen.«

»Mein armes Mädchen!«

Ich habe seitdem mein Nachtgebet nie versäumt.

»Nun, was glaubt Ihr wohl, daß ich den Abend vor dem letzten Alpe that? All dieses Gehen zu meinem Bruder schien mich ganz alt und obendrein verständig zu machen, denn es setzte mir kluge Dinge in den Kopf, an die ich vorher nie gedacht haben würde. Als ich daher neben meinem Bette niederkniete und Miß Broadling das Gebet zu lesen begann, murmelte ich, statt ihr zu folgen, die ganze Geschichte von dem Tod des »kleinen Rothkehlchens« vor mich hin; und als sie fertig war, nahm sie ihre Brille ab, legte mich zu Bette, deckte mich zu, küßte mich und sagte, ich sei ein sehr gutes Mädchen, daß ich mein Gebet so gut hergesagt habe; und dann wünschte sie mir gute Nacht. Ich glaube, sie ist ebensogut ein Bischen taub, als kurzsichtig – meint Ihr nicht?«

»Ich sollte es fast selbst auch glauben, meine Liebe; aber du weißt, du hast ja blos gemurmelt.«

»Anfangs; aber sie las sehr schnell. Ich wußte, sie wollte gehen und einen langen Brief an Mr. Julius Casimer, unsern Kaplan, beendigen, denn sie hatten Streit gehabt. Und so las sie denn sehr schnell und veranlaßt mich, laut zu sprechen, weil sie mich dadurch zwang, gleichfalls schnell zu reden. Und als sie zu der Stelle kam: ›Die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen,‹ wurde meine Stimme auch ganz schnell und viel lauter, als die ihrige, als ich sagte: ›und alle die kleinen Vögel fingen an zu seufzen und zu schluchzen über den Tod des armen kleinen Rothkehlchens.‹«

»Gut, meine Liebe; und da hat dich vermuthlich in jener Nacht dein Traum nicht zu deinem Bruder geführt.«

»Oh freilich; und Mama ging auch.«

Es wurde mir ganz unheimlich zu Muthe.

»Nun, Ihr könnt denken, daß ich nicht einschlief, und ich sprach auch mein kleines Gebet nicht, ehe ich die Augen schloß, denn ich wollte meine Augen gar nicht zumachen. Oh, es stund so lange an, bis Mama zu Bette kam, und ich fürchtete, William werde schon früher sterben. Endlich kam Mama, und ich war erfreut. Ich wartete bis Mama ihr Nachtkleid angezogen hatte, und dann sagte ich: ›Mama, ich bin in der That ein recht böses, kleines Mädchen gewesen und habe heute Nacht kein Wort von meinem Gebet gesprochen – kein einziges Wort,‹ und sie wurde sehr zornig und begann auf Miß Broadling zu schmälen. Aber ich sagte ihr, ich habe das Rothkehlchen mit ihr in die Wette laufen lassen und die Gouvernante habe meine Worte nicht hören können. So tadelte die gute Mama mich ein wenig und lachte ein wenig. Und Mama wollte eben in's Bett gehen, als ich zu ihr sagte: ›liebe Mama, ich kann nicht schlafen, bis ich mein Gebet gesprochen habe. Lies mir's deshalb, Mama; das Gebetbuch liegt auf dem Ankleidetisch. Und ich sprang aus meinem Bettchen und sie nahm mich in ihre Arme und gab mir viele Küsse und sagte, ich sei ein liebes – weiß nicht mehr was – daß ich sie an ihre vernachlässigte Pflicht erinnere. Und wir knieten zusammen nieder und Mama las das Gebet, nicht wie die Gouvernante, sondern so langsam und so feierlich, und die ganze Zeit über rannen ihr Thränen über die Wangen herunter. Und ich sprach ihr jedes einzelne Wort nach und sie schienen so schön zu sein und so voll Liebe. Und wir gingen zu Bette und Mama schien unglücklich zu sein, und sie schluchzte viel, daß auch ich weinen mußte. Mama versuchte deßhalb aufzuhören und ich sagte zu ihr: ›Mama, wir werden so gut schlafen, wenn wir Beide unser letztes kleines Gebet mit einander sagen.‹ Und sie küßte mich wieder und wir Beide sprachen fast wie mit denselben Lippen: ›Wache über mir, gütiger Gott, während ich schlafe.‹ Und Mama war in einer einzigen Minute schon eingeschlafen, während ich meine Arme um ihren Nacken geschlungen hielt, und nach zwei Minuten träumte ich wieder.«

»Du kleiner Engel!« sagte ich, indem ich sie leidenschaftlich und mit thränenfeuchten Augen küßte, »und dann –«

»Der Alp brachte mich an denselben Ort, und der Bruder war viel schlimmer geworden. Aber er war so, so erfreut, mich zu sehen, und sagte mir, daß Gott mich für immer lieben werde, und daß er mich liebe, und daß er, obgleich ich ihn nie wieder sehen würde, über mir wachen wolle, so lange ich lebe, und daß mein Loos ein glückliches sein solle unter den Frauen.

»›Und nun lebe wohl,‹ sagte er, ›theure Aedie, bis wir uns wiedersehen, wo es keine Trennung mehr gibt. Aber jetzt, mein theures Schwesterchen, wecke die Mama.‹

»Und obschon ich so viele, viele Meilen weg war, fand ich, daß ich doch noch immer in den Armen der Mutter lag. Ich küßte daher zuerst die Thränen weg, die noch immer auf ihren Wangen standen und flüsterte ihr in's Ohr: ›Mama, steh auf; Bruder William ist sehr krank und wünscht dich zu küssen.‹ Mama erhob sich daher mit einemmale und ging gerade durch die Mauer hindurch. Und dann hörte mein Alp auf und ich versank in einen wirklichen gesunden Schlaf. Aber ich wußte nie, daß William todt war, bis Ihr kamt und es uns sagtet.«

»Und wußte deine Mama, daß sie von ihrem Bette aufstand?«

»Ich glaube nicht – nicht einmal, wie ich in dem Alpe, denn am nächsten Morgen konnte ich mir's nicht versagen, zu fragen: ›Mama, bist du in der letzten Nacht nicht aufgestanden?‹ ›Nein, mein liebes Kind,‹ sagte sie; ›ich hatte die gesegnetste Ruhe, die mich nur je erfreute, und das verdanke ich dir, theure Aedie.‹ Und dann sagte ich: ›hast du auch nicht geträumt, Mama?‹ Und sie sagte mir, nein, aber die ganze Nacht über habe sie in einem Bewußtsein himmlischen Daseins gelegen. Ich glaube, dies waren ihre eigenen Worte, obschon ich nicht recht verstehe, was sie damit sagen wollte.«

Als sie geschlossen, drückte ich sie an meine Brust und setzte ihr auseinander, wie gar phantastisch und seltsam Träume bisweilen seien; auch liege ein klarer Beweis von der Nichtigkeit ihrer Vorstellungen in dem Umstande, daß ihre Mutter nichts von dem gewußt habe, was, wie Aedie glaubte, ihnen Beiden zugestoßen sei. Ich lobte die Klugheit der Gouvernante, welche sie angewiesen habe, nie davon zu sprechen, und sagte ihr, sie solle sich die Sache sobald wie möglich aus dem Sinne schlagen; dann nahm ich zärtlichen Abschied von ihr, voll überzeugt von der Wahrheit in Hamlets Bemerkung:

»Mehr Dinge gibt's im Himmel und auf Erden,
Als unsre Weisheit je sich träumen ließ.«

Auch war ich mir jetzt vollkommen bewußt, daß ich den Geist eines lebenden Wesens gesehen hatte – ein Glaube, der unerschütterlich in mir geblieben ist und mit mir zu Grabe gehen wird.

Vielleicht ist übrigens in dieser geheimnißvollen Geschichte nicht weniger ausfallend, daß Miß Adelaide Mowbray, als ich sie in einem Alter von vierzehn Jahren wieder sah, wohl noch einige Erinnerung an mich und ihren kleinen Bruder bewahrte; aber ihren Traum und unser Gespräch völlig vergessen hatte. Das Versprechen, welches ihr der Sterbende gegeben, ging jedoch buchstäblich in Erfüllung. Ich habe sie um einige Jahre überlebt – ach, wen hätte ich auch nicht überlebt! – aber sie war in der That gesegnet unter den Frauen – gesegnet in jeder Beziehung des Lebens, als Gattin, Mutter und Freundin. Stets in glücklichen Verhältnissen, erfreute sie sich ihr ganzes Leben über einer ununterbrochenen Gesundheit, und ihr Tod war so sanft und ruhig, daß man ihn wohl nur einen Uebergang in die Herrlichkeit nennen konnte.

Dies ist meine Geistergeschichte – die Geistergeschichte des alten Seemanns, der dieses Buch geschrieben hat. Vielleicht erscheint sie gehaltlos und kindisch – als eine Entfaltung übernatürlicher Mittel zu keinem bedeutsamen Zwecke; ich kann übrigens nur sagen, daß sie wahr ist und vielleicht, so thöricht der Gedanke auch erscheinen mag, das Wohl dreier Seelen zum Ziele hatte.

Der Leser mag sich vorstellen, daß, während ich ihm meine Geistergeschichte erzählte, der Kaplan sich selbst in Angst setzte, indem er die seinige dem Commodore vortrug. Schriebe ich eine Dichtung, so hätte ich leicht meinen eigenen Bericht in den Mund dieses Geistlichen legen und so die Einheit meiner Geschichte wahren können; da er aber zu sehr jenen Leuten glich, deren einzige überhaupt annehmbare Reden von eigener Erfindung sich darauf beschränken, wenn sie ihren Wunsch kund geben, den Abschied zu nehmen, so wäre eine derartige Kombination von meiner Seite ungefähr das Gleiche gewesen, wie wenn ich eine italienische Musik von dem Grunzen eines kolikkranken Schweines begleiten ließe.

Seine Bemühungen schienen jedoch den Beifall des alten Commodore zu haben; denn das Schreckliche und Uebernatürliche schien für den Augenblick so ganz im Einklange mit der Stimmung des Letzteren zu sein, daß er gegen seine Gewohnheit sich der Gedanken, welche seinen Geist bedrängten, in einer vertraulichen Rede an seinen Begleiter entlastete, welcher jeden Augenblick entsetzt zusammenfuhr, da mit den rauhen Tönen des Sir Octavius die unirdischen, die von der Oberfläche der zürnenden Wogen aufstiegen, sich so innig mischten, daß der Zuhörer meinte, es spreche mehr als eine Stimme mit ihm.

»Ich will Euch sagen, wie es ist, Herr Kaplan,« sagte der Commodore; »aber haltet Euch stämmig fest, Mann, oder Ihr purzelt wie verspritzter Grog in's Lee. Ich will Euch sagen, was es ist! aber bewahrt es als ein Geheimniß in Eurer Brust. Merkt auf, denn wir haben keinen Lauscher, wenn überhaupt in dieser verdammtesten und unglücklichsten aller Böen ein Lauscher etwas hören könnte.«

»Flucht nicht, Sir Octavius; ich bitte, flucht nur jetzt nicht. Vielleicht kann Niemand hören, aber Viele können sprechen. So wahr ich lebe, ich hörte ein halb Dutzend Stimmen von der Steuerbordwindvierung aus Euren Fluch höhnend nachhallen. Laßt uns gehen und unser Gespräch in der Kajüte fortsetzen.«

»Possen! Unsinn! Haltet Euch nur fest, und wir stehen ebenso gut hier. Habt Acht! da kommt eine Welle, welche das Geripp des alten Schiffes tüchtig durchrütteln wird – hier!«

Die Woge kam heran und das Schiff überhielte, als ob es ganz umschlagen wolle; und im Nu purzelte der Kaplan, trotz seines heiligen Amtes, in die Leespeigaten hinunter, während der Commodore sich wie eine Fledermaus mit seiner eisernen Finne anhakte und allen Stößen der Wogen Trotz bot.

»He,« fuhr er, ohne seine Rede einen Augenblick zu unterbrechen fort, »Ihr zwei von der Hinterwache lest den Kaplan auf und helft ihm in's Luv herüber.«

Nachdem der zerbeulte und erschreckte Kaplan wieder an die Seite seines Befehlshabers gesetzt war, nahm der Letztere, ohne zu fragen, ob Seine Ehrwürden Schaden genommen habe, sein Gespräch wieder auf:

»Warum habt Ihr Euch nicht fest gehalten? Nun Ihr hattet die Wahl und seht jetzt die Folgen – ich wünsche Euch Glück dazu. Wir können hier so gut sprechen, wie in der Kajüte. Außerdem möchte ich sehen, wie sich das alte Schiff benimmt – es arbeitet sich furchtbar ab – meint Ihr nicht?«

»Oh! das ist schrecklich.«

»Was ist schrecklich? Ich sehe nichts Schreckliches in der Sache. Alles ist ganz natürlich und schiffsgerecht. Vielleicht meint Ihr, das Schiff würde weniger Noth haben, wenn ich das große Versuchssegel anklappen ließe? Aber nein. Freilich wird es viel Wasser fangen; doch da die Pumpen hingerichtet sind, so können wir uns leicht flott erhalten.«

»Schlimmer und schlimmer! Wißt ihr auch, daß ich in dem Klatschen jener schrecklichen Welle, die mich niederschlug, deutlich einen menschlichen Schrei hörte, der von ihrem Grunde aus zu gehen schien? Und als ich gequetscht auf der anderen Seite lag, sah ich viele feurige Sterne, die um mich hertanzten.«

»Unsinn! der Wind, wie er jetzt heult, macht bisweilen ein seltsames Getöse, und was die Sterne betrifft, so werdet Ihr morgen eben ein paar blaue Augen haben. Nein, wegen der Geister, von denen Ihr geplappert habt, werde ich nicht in die Kajüte gehen. Ich kann meine Augen (er sagte nie Auge, obschon er nur ein einziges hatte) – nicht von diesem jungen Menschen abwenden (er deutete dabei auf seinen Neffen, der noch immer seinen feierlichen Spaziergang in Mitte des tobenden Sturmes fortsetzte). Er spricht mich wahrhaftig wie ein Gespenst an. Wollte Gott ich hätte ihn nie auf die See gebracht; er wird noch mein Fluch und mein Schicksal werden. Was nun Eure Geister betrifft, Herr Kaplan, so will ich nicht sagen, daß es keine gibt, mag es Euch aber auch nicht zugestehen, denn ich habe bis jetzt noch keine gesehen, obschon ich Leute kenne, die, wie sie sagen, damit zu schaffen hatten. Aber so zuverlässig als Schiffe nach der Nadel steuern, werde ich von einem Gespenste, und zwar von einem schrecklichen, verfolgt werden, wenn diesem Jüngling etwas Uebles zustößt. Kommt näher heran, Sir, und steht nicht zitternd hier, wie eine Gallerte in der Hand eines jungen Mädchens, sondern merkt auf. Ich habe diesen Knaben fast mit Gewalt aus den Armen seiner Mutter gerissen, und als wir schieden, fiel sie mit dem feierlichen Ausruf vor mir auf die Kniee nieder: ›Wenn je meinem Sohne, und deinem Neffen etwas Uebels zustößt, so nehme ich den lebendigen Gott, den Gott der Vaterlosen und Wittwen zum Zeugen, daß ich dir's zur Last legen werde. Mein Weheruf soll für immer in deinen Ohren und in deinem Herzen hallen, wenn dich auch kein Vorwurf dabei treffen sollte, denn hast du nicht freiwillig diese schreckliche Verantwortlichkeit auf dein Haupt geladen?‹ Und dabei sah sie aus wie ein Engel mit den Augen einer Löwin.

»›Wenn er durch dich mir verloren geht, so werde ich, so lange ich lebe, dich mit meinem Fluche durch die Welt jagen, und sogar nach meinem Tode noch soll dich mein Gespenst in Wahnsinn hetzen. Das Grab wird keine Bande haben, um mich zu halten, und ich will mich losreißen von dem Throne des Erbarmers, um dich zu foltern. Der unüberwindliche Wille stirbt ebensowenig, als die Seele. Wenn du wieder vor mir stehst und ich zu dir sage: »Gib mir meinen Sohn« und du kannst's nicht, so trifft dich der Fluch einer Schwester. Weh und Unglück soll dich erdrücken – dein graues Haar soll entehrt sein vor der Menge – und selbst der Niedrigste soll nur mit Verachtung auf dich blicken!‹«

»Das ist schrecklich. Ich möchte diesen jungen Menschen nicht um die ganze Welt unter meinen Händen haben.«

»Ich war ein Thor, – ein starrköpfiger Thor und jetzt trifft mich bittre Reue. In ein paar Wochen – vielleicht nach einigen Tagen schon – werde ich im Stande sein, ihn nach Hause zu schicken; aber Gott weiß, was sich in der Zwischenzeit zuträgt. Ihr seid Zeuge, daß ich Alles gethan habe, was ich konnte. Er hat seinen Posten an der Hinterkanone des Unterdecks, wo das Gebälk am stärksten ist und im Gefecht die Kugeln am wenigsten zu besorgen stehen; aber dennoch denkt und handelt der Knabe, als ob ich ihn nicht liebte. Wenn einer von uns fallen soll, so gebe Gott, daß das Geschick mich zuerst ereile. Doch horcht! es ist Mitternacht – die acht Glockenzüge werden angezogen.«

Der Zimmermann kam und meldete sieben Fuß Wasser in dem Pumpensood. Die Backbordwache wurde aufgerufen und die Steuerbordwache auf dem Decke behalten, um der Ablösungsmannschaft an den Pumpen beizustehen, welche während des ganzen Sturmes bereit gehalten worden waren und nun Zug um Zug arbeiteten.

Das mißtönige Klank, klank, klank der Pumpen veranlaßte in der dunkeln Nacht ein unheimliches Geräusch, welches durch das Brüllen des Sturmes nicht ertränkt werden konnte; man hörte es durch das Brausen des Wassers, und es lag etwas Entsetzliches in dem Gedanken, daß der Feind sich heimlich in die Citadelle stahl. Der Commodore hatte daher eine neue Begleitung von unheimlichen Tönen für sein Gespräch, das er noch immer gegen den erschreckten Geistlichen fortsetzte.

In Zwischenräumen erhielt Sir Octavius, welcher sich immer noch an dem Belegnagel festhielt, die verschiedenen Berichte über den Zustand des Schiffes und über die Lage der in Sicht befindlichen Geschwaderfahrzeuge.

»Es ist daher mein fester Glaube, Sir, daß der Friede meines Lebens für immer dahin ist, wenn dieser Knabe sterben sollte. Sie würde mir schrecklich am Leben, am schrecklichsten aber im Tode sein; denn wenn irgend eine Dame die Riegel des Grabes zu brechen vermag, so ist's meine Schwester Agnes. Merkt Euch daher – denn ich gedenke nicht weiter über diese Sache zu sprechen – wenn der Knabe stirbt, und Ihr mich ein paar Nächte nachher mit verzerrtem Gesichte starr und todt in meiner Hängematte findet, so schweigt und entnehmt daraus, daß sie bei mir gewesen ist.«

»Um Gotteswillen, Sir Octavius, nicht weiter, laßt mich nach der Kajüte – ich bin ganz überwältigt.«

»Nein, bleibt; bald schlägt der erste Glockenschlag und dann wird Mr. Astell abgelöst. Ich habe Euch großentheils um seinetwillen hier zurückgehalten. Wenn Ihr seht, daß ihn der nächste Midshipmann ablöst, so geht zu ihm, nehmt ihn in Eure Kajüte und gebt ihm eine Herzstärkung, denn der arme Bursche ist ganz durchnäßt, und ich wette, Ihr habt irgend einen schmackhaften Bissen bei Euch, den er essen kann. Beunruhigt ihn nicht und gebt ihm gute Ermahnungen mein gelehrter Herr. Sagt ihm in freundlichen, allgemeinen Ausdrücken, wie schön es sei, wenn sich die Jugend dem Alter unterwerfe, und wie übel stolzer Trotz einer jugendlichen Stirne lasse. Sagt ihm – versteht mich wohl – daß man einen immer schwereren Stand am Tage des Gerichtes hat, je öfter ein Sünder (denn wir Alle sind Sünder) die Sonne über seinen Groll untergehen läßt. Bedeutet ihm, daß in Beurtheilung der Handlungen ihrer Vorgesetzten so junge Personen sich erinnern sollten, wie oft ein scheinbares Unrecht, das die dringende Noth des Augenblicks fordert, etwas wirklich Gutes sein kann. Versteht mich aber wohl (einer seiner Lieblingsausdrücke), auf meinen Namen darf auch nicht entfernt angespielt werden, und Ihr könnt ihm sagen, wenn junge Leute ihre Affekte haben, so könne dies auch bei den alten der Fall sein. Nun, gute Nacht! He Joseph Cummins, helft dem Kaplan die Hüttenleiter herunter; aber beeilt Euch, oder der Junker wird das Deck verlassen haben.«

Sobald der Geistliche außer Hörweite war, schüttelte der alte Gentleman wehmüthig den Kopf und fuhr fort:

»Ach ich fürchte, du bist im Grunde doch nur ein Einfaltspinsel – drei Theile Dummkopf und ein Theil Fresser. Ich fürchte trotz der Füllung, die du aus dem College erhalten hast, habe ich doch heute Nacht nur Zweckwidriges in dich hineingestopft. Nun wie dem sein mag, wenn er dem Jungen auch keinen guten Rath geben kann, wird er ihm doch für ein gutes Nachtessen sorgen können und das ist doch Etwas.«

Erst mit dem Grauen des Morgens verließ der Commodore die Hütte, aber während dieser vielen Stunden sprach er mit Niemand mehr, sondern ging verstörten Geistes auf dem Decke hin und her, hin und wieder in finsterer Zerstreutheit sich über die Luvbollwerke lehnend. Der Mann war nicht mit sich selbst zufrieden.


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