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Fünfzehntes Kapitel

»Ohne Ruder, ohne Brassen
Lieg' als leckes Schiff ich hier im Dock,
Von der Mannschaft schnöd' verlassen,
Und mein Doktor ist ein dummer Stock.
Schluck' ich nicht sein schnöd' Getränk,
Hör' ich alsbald sein Gezänk,
Und er höhnt den Commodore:
›Schlimmer Casus, Commodore,
Kann nichts sagen, Commodore,
Darf nicht schmeicheln, Sir, he, he, he, he!
Denn die Gicht und Kugelsaat
Euern Rumpf zerwettert hat,
Daß ihr nimmer taugt zur See.‹«

Doktor Ginningham war ein Mann von großer Praxis, folglich praktizirte er auch den großen Mann. Er hatte einen eben so großen Geist, als Körper, aber der erstere war nur mit einer einzigen bleibenden Idee angefüllt – nämlich von seinem großen Ich mit Leib und Seele. Nun ist ein Mann, der so vollständig von einer einzigen Idee besessen ist, stets ein großer Schwätzer; sein Mundwerk ging daher so rasch und unaufhörlich, daß man, wenn sich's überhaupt mit der Chronologie vertrüge, wohl hätte behaupten können, es habe Einer von dem Thurm zu Babel einen Ziegel auf seinen Kopf geworfen und ihm so den Schädel eingeschlagen. Wir wissen ferner, daß es recht gut möglich ist, ohne Gedanken endlos fortzuplaudern, obschon männiglich bekannt ist, daß dies keines Falls ohne Worte angeht. Nun haben die Worte in unserer Muttersprache ihre Schranken, obschon Doktor Ginninghams orakelhafte Vernehmlassungen nicht mit diesem Mangel behaftet waren, denn er verfing sich in einer Ewigkeit von Wiederholungen, welche er durch langjährige Gewohnheit so lieb gewann, daß er sogar jedes Echo feindselig beneidete, weil es seinem hergebrachten Rechte, dem der Repetition, in's Gehege ging. Von der unaufhörlichen Alarmglocke her, die er zwischen seinen Kinnladen führte, nahmen die Uhrmacher den ersten Wink zu Anwendung der Schraube ohne Ende, und wenn man ihm drei Stunden in einem fort geduldig zuhörte, so pflegte er unabänderlich auch noch eine vierte in Anspruch zu nehmen, dem nämlichen Grundsatze zufolge, welcher einen gewissen Bettler in der Nähe von Norton Falgate bewog, die Mildthätigen um Almosen anzusprechen, weil er über einmal nicht weniger als vier Pfund Brod essen konnte.

Und doch hatte der gelehrte Doktor, ungeachtet der Alles beherrschenden Idee des Ichs eine Art Erfindung gemacht, welche darin bestand, über Alles Nichts zu sagen und seines Redens doch kein Ende zu finden. In dieser Hinsicht war er wirklich ein wunderbarer Mann.

Er war merkwürdig groß und liebte es, seine Rednerergüsse stehend von sich zu geben. Seine Perücke war stets in ein so makelloses Weiß gepudert, als dies in unserer schnöden, befleckten Welt nur erwartet werden kann. Ihre Locken konnten ausgesucht systematisch genannt werden. Er vermied die dunkle Farbe seines Standes und trug zu Haus stets einen geblümten, reichgestickten Schlafrock, außer dem Hause einen Galaanzug von Braun mit silberner Stickerei und stählernen Knöpfen. An seinen Handgelenken befanden sich sehr reine und große Manchetten, und zwischen den Fingern führte er ein gewaltiges Rohr mit einem goldenen Zwiebel als Kopf, der fast so imponirend aussah wie sein eigener. Das gedachte Rohr wurde stets mit großer Sorgfalt in senkrechter Richtung getragen, und man sah nie, daß er es beim Gehen als Stütze brauchte, daß es schräge hing, oder nachschleppte. Verhielt er sich bei seltenen Gelegenheiten stumm, so schien es senkrecht von seiner Nase niederzuhängen; sprach er, so schob er es mit energischer Geberde vor und hielt es in der Mitte fest umkrallt. Außer seinem Privilegium, im Umkreise von dreißig Meilen die gesammte kranke Honoratiorenschaft zu Tode zu quälen, erfreute er sich auch eines hübschen Privatvermögens und eines Parasiten in dem höchst diensteifrigen und schweigsamen Apotheker.

Seinen Stock auf Armslänge vor sich hinhaltend, trat er von dem Apotheker Mr. Calumbo begleitet ein, und brachte sich so nahezu in den Mittelpunkt des Gemachs, als die Stühle derer, welche bereits Platz genommen hatten, es gestatteten.

»Ich grüße alle Anwesenden sammt und sonders. Commodore, sprecht nicht; ich kann Euch dies nicht erlauben, denn Ihr befindet Euch schlechter. Ich sehe es. Eine Complication von Krankheiten – in diesem Augenblick ist eine Pyrexia zu dem Zustande unseres Patienten getreten, Calumbo. Sprecht nicht, sondern hört! Habt Ihr – habt Ihr gestern Abend den spiritus miserere mit dem Brechweinstein, der Opiumtinktur und dem Münzenwasser unter einander gemischt? – Stille! – habt Ihr dies gestern Abend unter einander gemischt? – kein Wort!«

»Ja, und ich habe es zum –«

»Commodore, ich muß Euch Stillschweigen einschärfen. Euer Fall ist schlimm, sehr schlimm: will Euch nicht schmeicheln – warum sollte ich? Ihr werdet nicht mehr Theil nehmen an dem ›glorreichen Pompe und Treiben des Kriegs‹, Commodore. ›Othello's Amt ist aus.‹ Stille, Commodore! bin ich nicht Euer ärztlicher Berather? Bin ich's nicht, Sir Octavius? Wieder zur See gehen – bah, nimmermehr! Wie steht's mit den Pulvern gegen das Reißen? Haben wir Cinchonin und Nitrum eingenommen? Nicht daß ich glaubte, es könne Euch viel Gutes thun, denn Euer Urstoff ist dahin. So ist's eben mit der Gicht und mit den Kugeln, Commodore – Eure Zeit ist aus; aber wir haben einen Ruf festzuhalten – Ihr müßt secundum artem behandelt werden.«

»Wenn es mir gestattet ist, eine bescheidene Bemerkung einfließen zu lassen –«

»Ich kann Euch nichts gestatten, Mr. Rubasore. Die Zeit ist kostbar. Es sollte nie mehr als eine Person zumal sprechen, und die Reihe wird dann auch an Euch kommen. Ich lege Euch Schweigen auf, Sir, dann wird die Reihe auch an Euch kommen. Ihr sprecht Euch in ein Asthma hinein, Sir, wenn Ihr so ohne Unterlaß fortreden wollt. Wie geht's mit unserem Podagra, Commodore? – Ist nicht nöthig, daß Ihr Euch auch nur mit einem Worte bemüht – wir müssen mit dem Colchicum fortfahren. Pro re nata sumendus

»Merkt auf mich!« brüllte der Commodore, indem er so ungestüm auf den Tisch schlug, daß Alles, was darauf stand, in die Höhe hüpfte. »In meinem eigenen Hause muß man mich anhören – das ist freche Meuterei. Rebekka, komm hinter Mr. Rubasore's Stuhl hervor.«

»Ich will nicht, Vater. Er ist ein so angenehmer, netter Gentleman, und spricht so gutmüthig, während er dich zu unterhalten bemüht ist. Und diese artigen jungen Gentlemen zur Linken – du siehst sie nicht; schon seit einer halben Stunde machen sie alle Arten von Gesichtern und geben sich Mühe, wie drei Affen auszusehen, was ihnen auch beinahe gelingt. Du weißt nicht, Papa, wieviel es den natürlichen Ausdruck ihrer Gesichter verbessert. Thut es doch noch einmal, Gentlemen.«

»Ja, theure Miß Becky, wenn Ihr kommen und bei uns Platz nehmen wollt,« sagte der dünkelhafteste Esel des Kleeblatts. »Wir können Euch etwas so Possierliches und Drolliges zeigen – ist's nicht so, Bob?«

»Wie, noch etwas Drolligeres, als Euer Schielen, oder etwas Possierlicheres, als die krummen Beine Eures Freundes? Oh, dann will ich von Herzen gern kommen.«

Damit eilte sie durch das Gemach und trat an ihre Seite.

Man darf übrigens nicht glauben, daß Doktor Ginningham diese ganze Zeit über stumm blieb. O nein; er setzte Mr. Underdown auf's Geräuschvollste die Verdienste der beiden entgegengesetzten Systeme aus einander, welche eben damals die medizinische Welt verwirrten.

»Blut, Blut, Blut!« schreien die Clinesten, ließ sich der Doktor vernehmen, indem er pomphaft jedes einzelne Wort, wie er es aussprach, mit seinem Rohre bearbeitete. »Blut, bis die Gefahr der Blutentziehung größer ist, als die Gefahr der Krankheit. Stärkung, Stärkung, Stärkung! sagen die Brownisten. Wenn der Mensch ein Glutofen ist, so häuft noch mehr Brennstoff auf, damit das Feuer noch heller lodere! Opium und Branntwein für immer!«

»Doktor Ginningham, Doktor Ginningham, ist's mir erlaubt, in meinem eigenen Hause zu sprechen?«

»Ja, aber mit Mäßigung, und wenn ich fertig bin. Nun die Verdienste der Clinesten –«

»Wenn er fertig ist! Dann habe ich keine Hoffnung. Nun wenn's auf einen Lungenkampf ankommen soll, so wollen wir den Versuch machen.« Er hielt seine rechte Hand vor den Mund und brüllte mit einer so furchtbaren Stimme, daß das Haus zu zittern schien:

»Hände herauf und die Kriegsartikel verlesen!«

Die erstaunten Gäste verstummten für eine Weile und brachen dann, mit Ausnahme der beiden Männer vom Fach, in ein Gelächter aus.

»Darf ich jetzt sprechen, Gentlemen? Ihr seht, der alte Commodore hat noch einige Kraft in sich. Nun, Doktor, sagt mir unverholen und ohne Euer Quersegeln, werdet Ihr je im Stande sein, mich wieder herauszustutzen, daß ich diensttüchtig bin?«

»Wohlan denn, so will ich unverholen reden – Ihr habt für keine neun Monat mehr Leben in Euch.«

»Dann, bei Gott, will ich auf dem Wasser sterben.«

»Ach, so sprecht doch nicht so viel. Ich will Euch jetzt einige Fragen vorlegen. Wenn ich von neun Monaten sprach, so verstand ich dies für den Fall, daß Ihr in Eurem Trotze gegen alle Vorschriften, die ich Euch gebe, fortfahrt, und die Arzneien zurückweist, die ich Euch durch meinen guten Freund hier senden lasse.«

»Gut; und wenn ich Euch unbedingte Folge leiste, um wie viel länger kann ich's dann treiben?«

»Vielleicht zehn Monate.«

»Schönen Dank. Becky, klingle und laß mir Rum mit kaltem Wasser bringen.«

»Ich bin heute die Alleinherrin, Vater. Du sollst keinen Grog haben – hörst du?«

»Was soll dies heißen, Sir Octavius? Ihr handelt gegen meine Verordnungen – trinkt gegen meine Verordnungen und sprecht gegen meine Verordnungen. Ist dies auch eine Manier, seinen ärztlichen Rathgeber so zu behandeln? 's ist offene Beleidigung – und noch obendrein gegen einen Mann, wie ich, der große Ländereien besitzt. Calumbo, wir wollen diesem beleidigenden alten Gentleman einige Fragen vorlegen und uns dann entfernen – möge er ein denkwürdiges Opfer seines eigenen Starrsinns werden, Calumbo. Sir Octavius, Ihr weist den Rath zurück, den ich Euch bei Gelegenheit meiner vielen Besuche ertheilt habe.«

»Aber ich zahle dafür;« sagte der alte Commodore grämlich.

»Gut; soweit ist's ganz gut. Ihr nehmt übrigens nie die Arznei, die ich Euch durch meinen Freund hier, Mr. Calumbo, in so reichlichem Maße schicken lasse.«

»Aber ich zahle sie.«

»Wieder gut – aber nur theilweise gut. Nun sage ich Euch, der hundertste Theil dieser Arzneien würde Euch mehr gedient haben, als das Ganze, wenn Ihr meinen Weisungen in Betreff der Diät Folge geleistet hättet. Ihr beduselt Euch mit Rum und Wasser – eßt eingesalzenes Schweinefleisch – und dafür bezahlt Ihr auch. Sprecht kein Wort. Wenn Ihr mein Patient sein wollt, so gehorcht und hört. Wo nicht, so überantworte ich Euch Eurem Grog und dem Grabe – ich, der Doktor Ginningham!«

»Ich wollte, daß ich ihn auf dem blauen Wasser hätte.«

Da das Sprechen für den Doktor absolute Nothwendigkeit und ein Zuhörer zwar kein sine qua non, wohl aber eine recht angenehme Beigabe war, so wandte sich der gelehrte Mann an Mr. Underdown und fuhr fort, den geduldigen Rezipienten seiner pompösen Abgeschmacktheiten zu bearbeiten, während Mr. Rubasore die Gelegenheit ersah, um sein geistiges Foltersystem gegen den alten Commodore in Anwendung zu bringen.

»Mein theurer Sir Octavius, habt Ihr auch die Neuigkeiten schon vernommen – die glorreichen Neuigkeiten? Ihr werdet sie mit Lust anhören – der glänzendste Seesieg, von dem man in langer Zeit gehört hat.«

»Donner und Hagel – ich bin ganz Ohr.«

»Schade, daß Ihr nicht auch mitmachen konntet, Commodore; aber alle Aerzte sagen, Ihr seiet aufgelegt– ein bloßes Wrack, ein gebrochener Leib mit einem Geiste, welcher mit demselben verfalle –«

»Ha, die Lügner! wie könnt Ihr Euch unterstehen, Sir –«

»Vergeßt nicht, mein theurer Nachbar und Commodore, daß nicht ich so sage.«

»Das soll Euch gut kommen.«

»Aber es heißt, Ihr würdet nie wieder flott werden – Eure Gicht scheine so unüberwindlich zu sein, wie Eure Vorliebe für Rum und Wasser, und Euer Rheumatismus hafte so fest an Euch, wie Eure Liebhaberei für den Tabak. Aus Achtung gegen Euch sage ich nichts von Eurer eigenthümlichen Kopfwunde. Doch wie ist's – wünscht Ihr unter allen diesen Umständen wirklich noch ein anderes Kommando?«

»Ob ich es wünsche? Ach, nur der Himmel weiß, wie glühend ich darnach verlange! Die See, die blaue, offene See würde ein Paradies für mich sein. Bin ich nicht schnöde aus dem Dienst entlassen worden? Werde ich am Lande nicht durch meine vielgeliebte Schwester umspukt, die fast wie toll im Lande umherrennt? Was hat das Land mir Anderes zu geben, als Langeweile, Ueberdruß und Elend? Die See, Sir, würde mich kuriren. Daß ich sie missen muß – dies allein ist es, was mich zu dem armen dämischen Vieh gemacht hat, das ich zu sein scheine. Die blaue, offene, grüne See ist fast meine Wiege gewesen; sie war der Jagdgrund, der Tummelplatz und das Glück meiner Mannheit. Von ihr verlange ich den einzigen Trost für mein Alter und ein Grab für diesen martervollen Leib, wenn einmal seine gequälte Seele mit Freuden ausfährt. Und doch fragt Ihr mich, ob ich noch ein Kommando wünsche. Seid ein Mann, Sir, und höhnt mich nicht weiter.«

Alles dies war mit einem so verblüffenden Nachdruck und einer so natürlichen Würde gesprochen, daß sämmtliche Anwesende, selbst der geschwätzige Doktor nicht ausgenommen, verstummten. Rebekka schlich sich, eine große Thräne in jedem Auge, an seine Seite, küßte verstohlen seine braune Hand und flüsterte ihm in's Ohr:

»Du bist im Grunde doch ein lieber, edler Vater.«

Diese unerwartete Gemüthsaufwallung von Seiten des verwitterten und narbenvollen Seemanns bewirkte eine etwas beengende Pause, während welcher Mr. Rubasore Muße fand, freundschaftlich sein Gift zu sammeln und es endlich mit folgenden Worten in das Ohr seines Opfers zu gießen:

»Ihr habt sehr edle Gesinnungen ausgesprochen, Commodore, die Euch zu unendlicher Ehre gereichen. Aber was sind Worte? Ihr braucht Handlungen, um Euch mit Eurem Könige und Eurem Vaterlande wieder auf einen guten Fuß zu setzen, und ich fürchte, in Anbetracht Eures geschwächten Körperzustandes und um anderer zwingenden Gründe willen wird Euch hiezu nie mehr Gelegenheit gegeben werden. Ich bedaure es – Ihr bedauert's – und wir Alle bedauern es; aber ist es nicht wahr?«

»Ich fürchte, leider.«

»Nun, Ihr habt doch immerhin noch einen Trost. Jener Tapfere, der nach Eurer Entlassung Euer Nachfolger wurde – jener Tapfere, den Ihr so sehr bewundern und den Ihr so innig lieben solltet, hat den glorreichen Sieg errungen, von dem ganz London wiedertönt. Die Zeitung ist mir diesen Morgen durch einen Expressen zugegangen. Dem Vernehmen nach wird in London eine allgemeine Illumination statthaben, und natürlich werdet Ihr auch Trestletreehall auf's Prächtigste beleuchten. Das Land erwartet dies. Soll ich Euch den Bericht aus der Zeitung vorlesen? Ich weiß, Ihr werdet Euch vor Freude nicht zu lassen wissen.«

Der ruhige Underdown erhob sich plötzlich von seinem Sitze, trat unmittelbar vor den Plagegeist und blickte ihm strenge in's Gesicht. Aber da war nichts zu sehen, an was auch der empfindlichste Raufbold einen Streit hätte anknüpfen können – lauter Lächeln, Höflichkeit und Ruhe. Der demüthigende und hingebende Freund öffnete die geballten Fäuste wieder, wandte sich an den Commodore, legte seine Hand auf die Schulter des alten Gentleman, blickte ihn mit fast frauenhafter Innigkeit an, und sprach in rührendem Tone:

»Ihr freut Euch über diesen Sieg, mein Freund?«

»Gewiß, und aus ganzem Herzen. Das Haus soll heute Abend ein einziges Lichtmeer sein. Sagt meinem Steward, er soll Tische in dem Hof aufstellen und mit meinem Ale so freigebig sein, als ob es Wasser wäre. Meine Pachter sollen eingeladen und Niemand von meinen Thoren weggewiesen werden. Jetzt, Mr. Rubasore, will ich Euch bemühen, mir den Bericht vorzulesen.«

»Herrlich, Papa! herrlich, Papa!« rief Becky, vor Freuden ganz außer sich umherspringend.

Das gänzliche Fehlschlagen dieses boshaften Stoßes bewog Mr. Rubasore, ein Gesicht zu machen, als ob er Gift geschluckt hätte; er that jedoch wie ihm geheißen wurde.

Nun sollte eben dieser Tag, der so ruhig und bedeutungslos begonnen hatte, eine denkwürdige Epoche in dem Leben des alten Commodore werden.

In den geordnetsten und gesuchtesten Salons hat sich schon hin und wieder ein Tumult zugetragen. Auch ist bereits von uns gezeigt worden, in welchem Zustande von Verwirrung der Commodore sein ganzes Hauswesen beließ, und wie der Charakter seiner einzigen zärtlichen Tochter durch die Umstände verwildert war. Brauchen wir uns daher zu verwundern, daß auch in dem Salon eines reichen englischen Baronets ein Sturm losbrach, wenn wir die entzündliche Natur gewisser Personen, das mangelhafte Bekanntsein Anderer mit den geselligen Bräuchen, und die gänzliche Verschiedenheit aller Charaktere in's Auge fassen?

Die drei jungen Gentlemen, welche unter Mr. Rubasore's freundlichen Auspizien den Commodore besucht hatten, um ihn zu necken, konnten sich bis jetzt noch keiner großen Triumphe erfreuen. Einer derselben, der ein wenig Geschick im Karrikaturenzeichnen besaß, hatte sich den größten Theil des Morgens damit beschäftigt, sehr freche und beleidigende Zerrbilder des alten Seemanns zu entwerfen. Er war eben mit einer seiner Leistungen fertig geworben, als Mr. Rubasore das Lesen seines Berichtes schloß. Die drei kichernden jungen Gentlemen fühlten sich leider durch Miß Rebekkas Leichtfertigkeit nur zu sehr ermuthigt und winkten ihr heran, worauf ihr der Künstler in dem Jubel seines Herzens heimlich seine Skizze zeigte. Für einen Augenblick bedeckte ihr Gesicht die tiefe Gluth des Unwillens, im nächsten aber versetzte sie der Wange des Zeichners eine so wohlgemeinte klatschende Maulschelle, daß die Halle das Echo zurückgab. Der Schlag wurde mit der stämmigen Kraft einer Milchmagd und mit der Behendigkeit einer Columbine ertheilt. Der Empfänger verstummte unter dem Schmerze, die beiden andern aber fuhren aus und Einer rief: »Verdammt! eine Beleidigung unter seinem Dache, bei Gott!« während der Andere beifügte: »Wir können an einem Frauenzimmer keine Rache nehmen – hol' mich Gott, Commodore, da sind unsere Charten. Tod und Verdammniß.«

»Schlag sie nieder, schlag sie mit deiner Krücke nieder, Vater. Sieh welche Vogelscheuche sie auf diesem Papier aus dir gemacht haben.«

Die beiden Herren begannen, von ihrem Freunde mit der brennenden Wange begleitet, sich nach der Thüre zu bewegen, um aus dem Winde der Krücke zu kommen, als sie Underdown mit den Worten anhielt:

»Ich bin ungemein bestürzt, Gentlemen. Ihr seht, daß ich zittere, denn solche Scenen find wohl im Stande, mich ganz und gar zu überwältigen. Aber warum zwingt ihr mich, also meine Schwäche zu zeigen, und warum legt ihr mir die Notwendigkeit aus, einen um den andern an der Nase vor meinem achtbaren Freund zu zerren, damit ihr ihn um Verzeihung bittet wegen der unverantwortlichen Freiheit, die Ihr Euch genommen habt, indem Ihr Euch bemühtet, ihn vor seiner eigenen Tochter lächerlich zu machen? Doktor Ginningham, haltet die Thüre verschlossen.«

»Verdammt!«

»Höll' und Verdammniß!«

»Kommt, Sir, ich muß mit Euch den Anfang machen.«

»Laßt die Zieraffen gehen,« sagte unser Freund gutmüthig. »Es ist in der That einiges Talent in der Skizze, obgleich man mir den kurzen Zopf hätte ersparen können.«

»Es ist jetzt meine Sache, Commodore. Seid Ihr bereit, Sir?« fuhr der sonst so demüthige Underdown fort.

Da er sowohl, als die beiden Andern bereit waren, so leisteten sie ihre Abbitte und betheuerten mit ihrem Ehrenworte, daß sie keine Beleidigung im Sinne gehabt hätten. Es wurde daher für einen Augenblick der Friede proklamirt, und sämmtliche Gäste waren im Begriffe, sich zu entfernen, um sich zweifelsohne in der Provinzialstadt zu rühmen, wie vortrefflich sie sich über das Seethier, den fechtenden alten Commodore lustig gemacht hätten.

Mr. Rubasore, der noch nicht wußte, welch' eine schlimme Zugabe sein Zopf erlitten hatte, war gleichfalls mit seinen den Schützlingen und Schülern in der sinnreichen Quälkunst aufgestanden, als plötzlich die Neugierde die ganze Gesellschaft Halt machen ließ, denn ein Diener brachte einen ungeheuren amtlichen Brief herein, der das große, lackverschwenderische Siegel der Admiralität trug. Jedes Auge war auf den alten Commodore geheftet.

»Mit Eurer Erlaubniß, Gentlemen,« sagte er mit etwas bebendem Tone. Dann hielt er das Dokument mit seinem Eisenhaken auf dem Tische fest und begann den Umschlag aufzureißen, ohne auf die Pünktlichkeit Rücksicht zu nehmen, mit welcher ihn der Admiralitätsschreiber zusammengelegt hatte. Der Inhalt war kurz und bündig. Sein eigenes Auge funkelte, seine Stirne glühte, seine eiserne Finne begann in der Lust zu arbeiten, und seine verwitterten Wangen zuckten in allen möglichen geheimnißvollen Richtungen. Die Zuschauer konnten noch nicht entscheiden, ob sich der würdige alte Gentleman in einem Paroxismus von Lust oder Leid befand – ob der Brief gute oder schlimme Neuigkeiten brachte.

Er klappte das Schreiben auf den Tisch und schlug kräftig mit der flachen Hand darauf. Sein Auge blitzte durch das Gemach, und Niemand konnte jetzt den Ausdruck des Entzückens verkennen. Als er Rebekka, die sich ihm näherte, entdeckte, zog er sie mit einem Rucke des Hakens an seine Brust, versetzte ihr einen zärtlichen, warmen Kuß und sprach mit weicher Stimme:

»Gott segne dich, mein Kind!« Dann sprang er, ohne auf Gicht, Rheumatismus und Kreuzschmerzen zu achten, auf seine Beine, schleuderte seine Krücken von sich, die an Mr. Rubasore's Schienbeine flogen, erhob seine Stimme und brüllte:

»Hurrah! hurrah! jetzt bin ich wieder ein ganzer Mann – bin wieder wohl, kräftig und jung – ja, jung ihr Hunde. Wer will dem Calumbo die Salbe an den Kopf werfen? Underdown, Horace Underdown, hört, gießt dem Doktor das Colchicum in die Nase. Wer braucht Arznei? – ich nicht! – Hurrah meine Jungen, der alte Commodore ist wieder aus dem Dock, völlig aufgetakelt – mit in's Geviert gebraßten Raaen, fliegenden Farben und straff angehaltenen Tauen. Laßt die Champagnerflaschen zu Dutzenden aufpflanzen – schließt die Thüren – keine Seele soll ihr Kabel schlüpfen lassen. Wir wollen einen tüchtigen Trunk darauf thun – oder etwa nicht, meine lieben Freunde? Nun nun, nun nun, nur noch ein einziges Hurrah! Der alte Commodore ist wieder angestellt

Keiner von den Anwesenden – nicht einmal die Scheelsüchtigen und Bösgesinnten – konnten sich dem lustigen Rufe entziehen, welcher neunmal wiederholt wurde. Der gravitätische Doktor Ginningham legte mit einemmale seine Gravität bei Seite und schlug mit seinem goldbeknopften Rohre den Takt zu den tumultuarischen Hurrahs. Die Neuigkeit griff wie die Cholera um sich, traf zuerst die Bedienten, dann die Dorfbewohner, und da heute Festtag zu sein schien, so füllte sich bald der Hof vor den Salonfenstern mit den lustigen Burschen der Nachbarschaft, mit ihren Weibern und Kindern. Mit derselben Geschwindigkeit aber, mit welcher der Champagner im Innern kreiste, wurden außen schäumende Bierkrüge herumgeboten, welche unter den ungebetenen Gästen von Mund zu Munde gingen.

Es war ein trockener Sommermorgen und gute Nachrichten machen sprüchwörtlich durstig. Zudem sind die Armen klug genug, um zu trinken, wenn sie etwas kriegen können, um so dem späteren Durste zuvorzukommen.

Vergeblich bat jetzt Doktor Ginningham um die Erlaubniß, zu sprechen, und ebenso fruchtlos waren seine Bemühungen, dem Patienten Schweigen aufzuerlegen. Niemand achtete auf ihn, als er sich in gelehrten Phrasen über Kongestion gegen den Kopf vernehmen ließ und in düsterer Beredsamkeit von Phrenitis, Mania und Synnocha sprach. Der alte Commodore betheuerte, er befinde sich wieder ganz wohl, und lieferte dadurch den Beweis, daß er tanzte, und alle seine Gäste aufforderte, mit ihm zu tanzen. Der Baronet ließ sich tausend Ungereimtheiten zu Schulden kommen, und konnte bitter böse werden, wenn irgend Einer sein Glas nicht bis auf die Neige leerte.

Dann wurde ein Lunch bestellt und eingenommen, desgleichen auch Brod, Käse und kaltes Fleisch unter die Leute draußen vertheilt. Aber auch nach dem Mahle wollte sich Sir Octavius noch immer nicht von seinen Gästen trennen. Das wilde Gelage wurde endlich auf die possirlichste Weise von der Welt beschlossen. Oh, hätte ich deinen Witz, Sterne, und deinen Humor, Rabelais, um es nach Würden zu beschreiben, denn ich, der alte Seemann, war Zeuge davon, sintemal ich in Mitte dieser Orgien eintrat.

Ein schallendes Gelächter und ein Bewillkommnen der Freude begrüßten mich. Alle standen um den Tisch, der alte Commodore an dem einen, Mr. Underdown an dem andern Ende. Unter dem linken Arm des Ersteren schmiegte sich der Kopf und die Schulter seiner lieblichen Tochter – ihr auffallend schönes Gesicht glühte von dem Rausche der Freude – muß ich's wohl sagen? – auch ein wenig von dem des Champagners. Der Wahnsinn des Weines schien in ihren Zügen zur Seele geworden zu sein. Oh, wie verschieden war dieser begeisterte Blick von der gemeinen Aufregung der Trunkenheit! Sie schien eine Bacchantin zu sein, aber in ihrer Schaale fluthete nicht das Phlegma eines irdischen Weines, sondern sie brüselte von dem reinen Nektar des Himmels.

So standen Alle – der Doktor in einem fort sprechend und, wie gewöhnlich, sein Rohr senkrecht vor sich hin- und herschiebend. Er bemühte sich zu zeigen, warum er diesen fünfzehnten Toast nicht mit einem vollen Glase celebriren könne – einmal, weil er noch nicht dinirt, dann weil er noch viele Patienten zu besuchen habe, und schließlich gab er den besten aller Gründe, seinen verneinenden Willen an. Da aber dieser Trinkspruch, wie jeder andere, der bereits getrunken worden, der wichtigste und bedeutsamste war, der je ausgebracht wurde, oder in Zukunft ausgebracht werden konnte, weil er dem Helden vom Nile galt, so bestand der alte Commodore darauf, daß er ehrlich in einem vollen Glase gefeiert und ohne körperlichen oder geistigen Vorbehalt bis auf den letzten Tropfen getrunken werden müsse.

Der Doktor verwahrte sich noch immer mit großer Beredsamkeit.

»Wohlan, meine liebe Becky,« sagte der Baronet, »du siehst den Doktor dort und siehst auch das Glas in seiner Hand; desgleichen bemerkst du die schöngekräuselte und gutgepuderte Perücke auf dem Kopfe des besagten Doktors. Nun merk auf mich, meine Liebe – wenn, ehe du hundert zählen kannst, jenes Glas nicht randvoll mit Wein gefüllt und der Wein nicht durch den untern Theil jenes perückentragenden Vacuums gegossen ist, das er seinen Kopf nennt, so zerrst du ihm seine Haarhaube ab und wirfst sie zum Fenster hinaus.«

Mr. Rubasore öffnete sehr herablassend das französische Fenster, das in den Hof hinausging. Wie freundlich von dem gedachten Gentleman, der boshaften Lust anderer Leute so bereitwilligen Vorschub zu thun! Aber ach, Mr. Rubasore, es gibt ein altes Sprüchwort, daß diejenigen, welche Glasfenster haben, das Steinwerfen nicht in die Mode bringen sollten. In diesem Augenblick hattest du keine Ahnung von dem furchtbaren Ritte, den du gezwungener Weise machen solltest, noch ehe viele Minuten vorüber waren.

Rebekka, die eine große Freundin des Scherzes war, hatte bei solchen Gelegenheiten eine besondere Zählmethode.

»Ich will nicht mehr trinken, Calumbo, denn bereits schwimmen mir muscae volitantes vor den Augen. Geht augenblicklich nach Hause, guter Calumbo und fertigt mir einen Salztrank an, dem Ihr eine Unze Muskatmixtur und dreißig Tropfen Schwefeläther beifügen könnt. Ich würde es aufschreiben, wenn meine Hand nicht etwas unstät wäre. Ich will nicht weiter trinken.«

»Zehn, Zwanzig, Dreißig, Vierzig, Fünfzig, Sechzig, Siebenzig, Achtzig, Neunzig, Hundert,« rief Rebekka, worauf sie um den Tisch eilte und dem Doktor die Perücke abriß.

»Wahrhaftig, meine Perücke ist fort. Calumbo, wo ist meine Perücke?«

Aber ehe auf diese sehr natürliche Frage eine Antwort erfolgen konnte, flüchtete sich Rebekka unter dem schallenden Gelächter der Gesellschaft hinter Mr. Rubasore, als suche sie daselbst Schutz gegen die etwas unstäte Verfolgung des kahlköpfigen Doktors.

»Gebt nicht zu, daß er mich anrührt, Mr. Rubasore. Seid ein lieber, guter Mann und leidet's nicht.«

»Keineswegs, mein liebes Mädchen; er muß einen Scherz so gut hinnehmen, als wir Uebrigen. Es kommt mir vor, als sehe er ohne seine Perücke wunderweise, aber dennoch höchst possirlich aus.«

In der Zwischenzeit knetete der boshafte Unband die gepuderten Locken mit dem Vogelleime und Schusterpech an dem Ende von Mr. Rubasores Zopf so innig zusammen, daß die Verbindung, wie die Ehe nur durch den Tod gelöst werden konnte. Die Operation ging in kurzer Frist, aber auf's Nachdrücklichste von Statten. Der gordische Knoten war nicht zu trennen.

»Seht, Doktor, da hängt Eure Perücke; nehmt sie.«

Mr. Rubasore blickte zurück und bemerkte, wie das schneeige Anhängsel anmuthig auf seinem Rücken hin- und herpendelte.

Die Heiterkeit der Gesellschaft wurde nun ganz ausgelassen, während der Doktor, schlechtes Latein heraussprudelnd und Mr. Rubasore mit allen Arten von nauseosen Stoffen verfluchend, an seiner Perücke zu zerren begann. Mr. Rubasore wurde ganz blaß vor Zorn, und es kam zu einer gegenseitigen Balgerei. Perücke und Zopf hingen jedoch zu fest aneinander. Da der Doktor seinem Gegner bei Weitem an Kraft überlegen war, so beschloß er, seine Perücke solle, wie beschmutzt sie auch sei, unberührt bleiben; er brüllte deshalb aus Leibeskräften nach einer Scheere, um, wie er offen zugestand, Mr. Rubasores Zopf abzuschneiden.

Mit welcher liebenswürdigen Behendigkeit versah nicht Miß Rebekka Bacuissart den Doktor mit dem scharfen Instrumente! Süßes Kind!

Dies war genug für Mr. Rubasore. Der vorsorgliche Mann hatte für den Flug der ärztlichen Perücke die Glasthüre geöffnet, und nun schoß sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit hinaus. Mit der blanken Scheere in der ausgestreckten Hand begann der Doktor die Jagd – eine feurige Jagd von beiden Seiten, da in dem Verfolger, wie in dem Verfolgten das Feuer des Champagners glühte.

Die ganze Partie folgte unter lautem Hallo, und wie sich von selbst versteht, begann jeder Engländer, der vor Lachen dazu kommen konnte, zu wetten.

Ohne Rücksicht auf seine Gicht, begab sich der Commodore, die Krücken zurücklassend, auf den Hof hinaus, warf sich in einen Rohrstuhl und blieb daselbst sitzen. Vor Lachen mußte er sich die Seite halten, und so oft er so weit zu Athem kam, um sprechen zu können, rief er den Rennern zu, sie sollten ehrlich Spiel halten. Die Kunde von seiner Wiederanstellung hatte sich schnell verbreitet, weshalb sich eine große Anzahl von Damen und Herren einstellte, um ihre Glückwünsche darzubringen; aber auch sie benützten die schöne Gelegenheit, um sich dem Wettrennen anzuschließen. Nie hatte eine Jagd einen größeren Haufen von Zuschauern gehabt.

Anfangs mußten der Verfolgte und der Jäger sich durch Gruppen von Männern, Weibern und Knaben, die sich in dem Hofe aufgestellt hatten, Bahn brechen. Sobald sie die Mannschaft im Rücken hatten, wurde ihr Rennen zu einem eigentlichen Wettlauf. Das Gebrülle schien sogar die Schatten zu erschüttern.

»Lauf, Glatzkopf!«

»Wehre dich, Zöpflein!«

»Zwei gegen Eins auf den Klapperschenkel!«

»Gilt!«

»Drei gegen vier auf die Pillenschachtel!«

»Angenommen!«

»Wendet Euch links, Squire – er hat einen Graben vor sich.«

»Schneidet ihn ab, Doktor; er muß hier einen Bogen machen.«

Diese und ähnliche Ermuthigungen, die mit schallendem Händeklatschen begleitet wurden, erhöhten die Heiterkeit.

Es war ein drolliger Anblick, wie der glatzköpfige Doktor in seinem Galakleide hintendran trabte, noch drolliger aber, wie der flüchtige Perückenträger dahin flog. Bald flog die weiße Belästigung rückwärts in die Luft hinaus, klopfte aber dann wieder gegen Mr. Rubasores Hüften und bedeckte die gerundete Extremität seines Rückens mit Puder. Das einemal verloren sich die Wettläufer unter dem Gesträuch, kamen aber dann wieder voll auf den Rasen heraus, oder wurden nur theilweise gesehen, wie sie hurtig zwischen den Baumstämmen dahinglitten.

Sie waren sich für ein langes Rennen gut gewachsen. Wenn Mr. Rubasore behender war, so besaß Doktor Ginningham mehr Kraft, und da es auf ebenem Boden fortging, so gewann es ganz den Anschein, als ob die Jagd zu Gunsten des Verfolgers enden werde. Da kam aber dem Gehetzten ein guter Gedanke. Er wollte sein Leben für seinen Zopf wagen, denn er dachte, wenn er auch den Schimpf eines solchen Verlustes überstehen und gegen die Höhnereien der ganzen Grafschaft Stand halten könne, so sei er doch zu alt, um hoffen zu dürfen, daß sich der Raub im Laufe der Zeit wieder ersetze.

Der Doktor war bei der Verfolgung gleichfalls blosgestellt, und so behauptete auf beiden Seiten das Lächerliche dieselbe Höhe. Schlimmeres konnte nichts daraus hervorgehen, und die einzige Weise, sich mit Ehren aus dieser Abgeschmacktheit herauszuziehen, bestand darin, daß man den Sieg behauptete. Der Doktor mußte daher seine Perücke retten und eine That begehen, die man jedenfalls keinen »Lockenraub« nennen konnte, da er es auf den ganzen Haarzopf seines Gegners abgesehen hatte. Von solchen Eindrücken gespornt, verfolgten und flohen die betreffenden Partieen mit nicht erlahmendem Eifer.

Der Mann, der, wiewohl unabsichtlich, in den unrechtmäßigen Besitz der Perücke gekommen war, hub es endlich auf die Pförtnerhütte ab. Vor dem Thore standen drei oder vier Pferde, die von ebenso vielen Knaben gehalten wurden. Ohne sich mit einer Anfrage zu bemühen, sprang Mr. Rubasore auf eines der Thiere, und der Doktor folgte seinem Beispiele, trotz der Gefahr, welche seine dünnen Atlasmodesten liefen. Nun ging's dahin, dahin!

Bergauf, über die Landstraße, durch den Wiesengrund am Saume des Waldes, fort, fort, fort! Die schwebende Perücke strömte in die Luft hinaus, wie der Schwanz eines papiernen Drachen mit einer großen Troddel an seinem Ende. Sämmtliche Fußgänger blieben nun weit zurück, und nur zwei Reiter konnten die Jagenden im Gesicht behalten. Sie waren ganz außer sich vor Furcht, vor Wuth und vor Wein. Namentlich übte der Letztere seine besondere Wirkung auf Beide, denn sie begannen in ihrem Rennen eine wilde und angenehme Aufregung zu fühlen. Jetzt drängten sie ihre ermattenden Thiere mit den lautesten Rufen vorwärts, um bald wieder in die Landstraße einzubiegen. Die Pferde versuchten umsonst, wieder davon abzukommen, sondern rannten weiter dem Marktflecken zu, wo eben Markttag war. Sie stürzten durch die sich theilende, schreiende Menge, und viele Berittene, welche den Grund dieses seltsamen Spektakels nicht kannten, schloßen sich der Hatz an. Gilpin's Wettrennen ist wohl sehr merkwürdig – aber wie sehr wurde es durch die Perückenjagd übertroffen, wenn wir nur einen Cowper hätten, um sie zu besingen!

Endlich wollte Mr. Rubasores Pferd, erschöpft von dem langen Rennen und eingeschüchtert durch den Lärm, nicht länger der schwachen Hand seines Reiters gehorchen, sondern ging von der Landstraße ab und jagte nach einer schlammigen Roßschwemme, in welcher es bis an den Sattelknopf einsank. Der Doktor und seine Begleitung schossen nach und pflanzten sich an dem Rande des Teiches auf, wo sie Mr. Rubasore zuriefen, er solle herauskommen. Die Hufe des Pferdes waren jedoch in den zähen Boden eingesunken, und der unglückliche Reiter befand sich bis an die Hüfte in dem schlammigen Wasser, um sich nach seinem Ritte abzukühlen. Die Perücke war jetzt eine einzige, schmutzige Kothmasse und unwiederbringlich verderbt.

Der Volkshaufen sah nun den Doktor an und erwartete Auskunft. Mr. Ginningham saß noch immer auf seinem schnaubenden Thiere. Er blickte jetzt bedächtig umher, nahm, ehe er sprach, ein seidenes Tuch aus seiner Tasche, legte es über seinen kahlen Kopf und band es unter seinem Kinne zusammen; dann führte er eine Prise nach seiner Nase und ließ sich herab, das Wort zu ergreifen.

»Gentlemen, ich bin der Doktor Ginningham von Pharmacy Close in der Grafschaft Herfortshire.«

Bei dieser feierlichen Ankündigung nahmen viele von den Umstehenden ihre Hüte ab, denn bis jetzt hatten sie in der erhitzten, kahlköpfigen und mit Schmutz besprenkten Gestalt den berühmten und vermöglichen Doktor nicht erkannt.

»Gentlemen,« fuhr er fort, »jenes schmutzige schwarze Ding, welches auf dem Rücken jenes schmutzigen Manns dort in dem Schlammteiche hängt, ist meine Perücke. Sie soll dem gehören, der sich die Mühe nimmt, sie zu holen. Hört den Menschen nicht an, denn er ist nicht recht bei Troste. Gehe einer von Euch nach der Krone, um mir eine Chaise mit vier Pferden zu bestellen – eine Chaise mit vier Pferden für Doktor Ginningham – für Doktor Ginningham von Pharmacy Close. Das Individuum, welches ohne Hut in dem Teiche dort steckt, wird ohne Zweifel in gebührender Zeit aus seiner Klemme geholt werden. Eine verständige Person soll es zu Bette bringen – ich will ihm etwas verschreiben.«

Ohne sich durch die Heiterkeit des Pöbels irre machen zu lassen, nahm er nun sein Taschenbuch heraus, zeichnete ein Rezept auf, das er mit einigen Verhaltungsregeln begleitete, und überantwortete das Blatt derjenigen Person in seiner Nähe, welche am achtbarsten aussah.

»Besorgt, was ich hier aufgeschrieben habe, mein guter Freund,« fuhr er fort, »aber sprecht nicht. Sollte Fieber eintreten, so gebe ich es Euch aufs Gewissen, daß jenem schmutzigen Individuum in dem Teiche wenigstens vierzehn Unzen Blut abgezapft werden. Ist Niemand aus der Krone da? – Man muß nach diesen Pferden, nach dem meinigen sowohl, als nach demjenigen, welches im Schlamme steckt, gebührendermaßen sehen – auf meine Kosten – auf Kosten des Doktors Ginningham von Pharmacy Close. Wenn sie dann in einem Zustande sind, um weiter befördert werden zu können, so müssen sie zu meinem guten Freunde und höchst eigensinnigen Patienten, dem Sir Octavius Bacuissart von Trestletree-Hall gebracht werden. Gentlemen, ich danke Euch für die tiefe Aufmerksamkeit, mit welcher Ihr mich angehört habt; sie zeigt, daß Ihr ein verständiges und erleuchtetes Auditorium seid. Die Chaise soll hieher gebracht werden. Gut. Meine Freunde, da Ihr mir so freundlich an die Hand gegangen seid, so bitte ich Euch, auch meinem Reisegefährten ein wenig behülflich zu sein. Ich wünsche Euch Allen guten Tag. Jungen,« fügte er bei, während er in die Chaise stieg, »eine extra halbe Krone für scharfen Galopp. Nach Hause – nach Pharmacy-Hall.«

Und dahin fuhr der großartige Schwätzer, der scharfe Reiter und der unverwüstliche Stoiker, unter dem jubelnden Gelächter der Zuschauer, um eine neue Perücke zu holen und sich zur Zeit des Diners wieder zu Trestletree-Hall einzustellen.

Was Mr. Rubasore betrifft, so lassen wir ihn in der Roßschwemme – so schwarz, so unbeweglich und so stumm, wie die Reitersstatue zu Charing Croß. Wir wollen nicht einmal zeigen, wie er herausgeholt wurde, denn er ist uns wohl in seiner schmutzigen Patsche – ein Vorbild für Alle, welche es versuchen sollten, den alten Commodore zu verhöhnen.

Ihr Kritiker, laßt's Euch zur Warnung dienen!


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