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Dreizehntes Kapitel

»Du, art'ger Herr, mußt mit dem Hof dich gatten.
Denn wie könnt' leben solch' Verdienst im Schatten?
Der König wird dir wohl ein Lächeln schenken,
Auf jeden Fall die Kön'gin dein gedenken.
Ihr Hofherr'n übt mit Schmeicheleien dolus,
Doch Tully meinet › Nanquam minus solus.‹«

Ich liebe die Konstitution und ehre ihren feudalen Ursprung, ihre Mängel sind für mich Schönheitspflästerchen und ihr Moder die Quintessenz der erfrischendsten Düfte. Ich bin ein Freund der Lehenspflichten und hafte mit Lust an den artigen Auszeichnungen der Adels-, Ritter- und Freisassensteuer. Wie hoch stehen nicht jene ausgezeichneten Familien, welche das unveräußerliche Recht besitzen, die Twehle zu halten, während Seine Majestät die geheiligten Hände wäscht, um so mehr, wenn das andere gesegnete Privilegium daran haftet, drei oder vier ausgedehnte Herrengüter mit Wald- und Jagdgerechtigkeit zu besitzen. Kann das neugebackene Amerika etwas so Würdevolles und Ehrfurcht Einflößendes zeigen, als die aus dem fernen Alterthume hergebrachte Gewohnheit ist, das Schlafgemach des Königs mit reinen Binsen bestreuen zu dürfen? Nein, diese und ähnliche Berichtigungen sind die Grundsteine, die Krystallisationspunkte unserer Monarchie und unserer unnachahmlichen Konstitution, welche den Neid und die Bewunderung aller angrenzenden Nationen auf sich zieht.

Ich getraue mich nicht, weiter auf diesen Gegenstand einzugehen, da ich allzu beredt zu werden fürchte, und meine Bescheidenheit würde sich verletzt fühlen, wenn mich die jungen Parlamentsmitglieder in ihren Jungfernreden citiren oder vielmehr berauben würden. Ich halte daher an mich.

Gegen Dunkel bemerkten Seine gnädigste Majestät die zunehmende Aufregung durch den Palast und nahm sich vor, höchstselbst zu untersuchen, ob ein so gar abgeschmacktes Gerücht begründet sein könne. Demgemäß schickte er gegen zehn Uhr (eine sehr späte Stunde für einen Mann von seinen regelmäßigen Gewohnheiten) nach einem der Vorstände von seinen heraldischen Kollegien. Welcher Wappenkönig der Beschiedene war, ob Rouge Croix, Norroy oder Clarencieux, kann ich nicht sagen; jedenfalls war's aber ein Mann von gutem Athem, großem Wortreichthum und einer solchen Vorliebe für Wiederholungen, daß er nur diejenigen Dinge auf Erden tödtlich haßte, welche ihre Töne nur in einer einzigen Note ausstoßen konnten, da sie mit ihm an Hartnäckigkeit wetteiferten, das Nämliche wieder und wieder zu sagen. Dem gedachten Manne war die Vergangenheit sein Gott und die Alterthumskunde das Ritual seiner Andacht. Der König theilte ihm seine Besorgnisse mit und trug ihm aus, in den Privilegien-Urkunden nachzusuchen und sich zu überzeugen, ob ein derartiges Recht, das so ganz gegen alle bonos mores gehe, wirklich existire.

Der Wappenmann erwiederte höchst unterwürfig, wenn ein solches Recht bestehe und eingetragen sei, so könne es unter keinen Umständen contra bonos mores gehen.

»Wie – wie – wie – wenn ein Mensch ein Recht in Anspruch nimmt, bei Hof ohne – ohne – ohne –?«

»Eure Majestät halten zu Gnaden, es kann Höchstdenselben individuell anstößig sein, muß aber als der lieblichste Weihrauch betrachtet werden, der Eurer geheiligten Majestät in der Eigenschaft des Quells aller Ehren, des Brunnens aller Ritterlichkeit und des Lebensbornes für alles Adelige gestreut wird.«

Nachdem der gelehrte Genealog und Etiquettenmann die nöthigen Weisungen erhalten hatte, entfernte er sich. Seine britannische Majestät verbrachte übrigens eine sehr unruhige Nacht und träumte, sie sei in die Ecke jeder Straße umgewandelt worden, welche in London und Westminster von der königlichen Börse an bis einschließlich Sharing Croß führe. Träume bieten seltsame Ideenverknüpfungen, und Shakspeare hatte Recht, als er sagte:

»Unruhig liegt das Haupt, das eine Krone trägt.«

trotz den mannigfaltigen Tugenden, die in einer halbwollenen Nachtmütze liegen.

Am andern Morgen sehr früh hatte sich der König des Alls mit dem Wappenkönige eingeschlossen. Der Erstere war sehr verdrießlich, Letzterer aber in der schwunghaftesten Stimmung, denn der Heraldiker hatte eine, wenigstens dreihundert Jahre alte Belastung von jährlichen vierzig Schillingen auf die königliche Domäne Falconditch entdeckt, welche an den Rentbeamten der Herrschaft Trestle-tree bezahlt werden sollte, damit sein Gebieter für den Zeitraum eines Jahres nicht Gebrauch mache von seinem Rechte. – Doch wir wollen das vortreffliche Latein, in welchem das Privilegium ausgedruckt war, hier aufführen. – Intrandi in conspect. regis, et suae reginae, et suae regiae, dominis proceribus presentibus, sine indusia, braceis, femoraliis, cuissibus aut ullis vestibus à puppi.

»Bei meinen drei Königreichen,« sagte Seine Majestät, mit weit aufgerissenen Augen, »ich habe nur die zwei letzten Worte verstanden: à puppy Ein Laffe., – ja, ja, ja – und ein recht unverschämter Laffe muß er sein.«

»Mit aller Unterwürfigkeit erlaube ich mir, Eure Majestät demüthigst zu bemerken, daß à puppi figürlich für die portica gebraucht ist – hum! – das will sagen: für einen ausgezeichneten Dienst, den ein Vorfahre des Sir Octavius Heinrich dem Fünften gesegneten und ruhmwürdigen Andenkens geleistet hat, besitzen seine Abkömmlinge in gerader Linie das Recht, zu irgend einer anständigen Zeit vor Eurer königlichen Majestät in Höchstdero Pallast oder an Dero Hof zu erscheinen, ohne jenen Theil von dem Anzuge eines Gentlemans zu tragen, der Knieeschnallen nöthig macht.«

»Und Ihr haltet dieses Recht für ein gutes Recht?«

»Ohne Zweifel, Eure Majestät. Eure Majestät und Höchstdero königliche Vorfahren haben seit drei Jahrhunderten jährlich vierzig Schillinge bezahlt, damit dieses Recht nicht ausgeübt werde, und es steht Sir Octavius frei, ob er im nächsten Jahre seine vierzig Schillinge nehmen, oder vom Gürtel an abwärts so nackt wie eine Meerjungfer bei Eurer Majestät Diner erscheinen will, um von Höchstdero Wein zu trinken und Dero Brod zu essen.«

»Das ist eine saubere Geschichte mit diesem alten Commodore! Wir wollen mit unserem Lordkanzler darüber sprechen.«

»Das führt zu nichts, königliche Majestät. Dieses Recht steht auf einer besseren Grundlage, als die Gesetze des Landes.«

»Wir werden's demungeachtet durch eine Cabinetsordre zu beseitigen wissen.«

»Mit Allerhöchstdero Wohlnehmen, königliche Majestät, es ist ein Fundamentaltheil der Konstitution.«

»Den wir durch unsere königlichen Vorrechte unterdrücken können,« sagte die Majestät mit einem großartigen Blicke.

»Eure Majestät halten zu Gnaden,« erwiederte der starrköpfige Schiedsrichter über die Vergangenheit; »Höchstdieselben können ebenso gut daran denken, die Erbfolge abzuändern.«

»Wir werden eine Parlamentsakte erwirken, Mann – wir werden eine Parlaments-Akte erwirken.«

»Eine Parlamentsakte, Sire, ist – eine Parlamentsakte; aber ich hege dennoch mein Bedenken darüber.«

»Hinaus mit Euch aus meinem Zimmer, Ihr alter Narr. Eine Parlamentsakte, Sir Dokumenten-Moder kann Alles, namentlich wenn etwas ungewöhnlich Lächerliches geschehen soll.«

Eine Stunde nachher sagte der König zu der Königin:

»Ich habe überlegt, Madame, daß Sir Octavius Bacuissart sich nicht wie ein Offizier und Gentleman benommen hat. Er ist nicht berechtigt, einen solchen Eingriff in die Konstitution zu thun, daß er einen jungen Adeligen, einen der Pfeiler des Staates, zwingt, sich zu ertränken. Er soll augenblicklich entlassen werden.«

»Wird er nach Hof kommen?«

»Wenn er sich untersteht, in einem Zustande zu erscheinen, der für die Hellebarden paßt, so schwöre ich feierlich bei Diesem und Jenem, er soll an dieselben gebunden werden und selbst seine sechs Dutzend erhalten.«

Edel gesprochen für das Haupt einer konstitutionellen Monarchie.

Ob dieser Schwur dem Commodore mitgetheilt wurde oder nicht, kann ich nicht sagen, denn ich weiß nur, daß die Entlassung unmittelbar erfolgte. Die Drohung, die er vor der Admiralität ausgestoßen, kam nicht in Vollzug, denn er ging mit Gefühlen, wie sie etwa ein Miethkutschergaul haben mag, der den ganzen Tag im Regen gefahren ist, nach Trestle-tree-Hall hinunter, bezog fortwährend seine vierzig Schillinge von der königlichen Domäne Falconditch und schien nie geneigt zu sein, sich am Hofe zu zeigen, weder mit, noch ohne seine Anhängsel.

Mit innigem Bedauern muß ich nun meinem Hofleben Lebewohl sagen, dabei nur noch bemerkend, daß es lange anstund, ehe die alten Weiber in und um St. James sich von der Erschütterung erholt hatten, in welche sie durch die kecke Drohung des alten Commodore, in naturalibus zu erscheinen, versetzt worden waren. Ueberhaupt hatte letztere ebenso viel Aufsehen gemacht, wie das Rasiren aller Hofdienerköpfe, weil sich unglücklicherweise eine Laus nach dem geheiligten Teller Seiner Majestät verirrt hatte.

Da wir glauben, der Leser habe inzwischen an Allem, was den Commodore betrifft, Interesse genommen, auch wir ferner den Redeschluß des Wappenkönigs, Sir Dokumenten-Moder Vertandor, um seine Version der Sache nicht bemühen wollen, so wird es am Orte sein, hier kürzlich zu berichten, durch welche Mittel die männlichen Repräsentanten der Familie Bacuissart in den Besitz ihres eigenthümlichen Rechtes gelangten, die Hochländer in ihrem Anzuge nachzuahmen.

Wenn man einen Feind geschlagen hat, so ist es stets am besten, wo es angeht, durch ihn die Sache erzählen zu lassen. Ich will mich daher nicht in einer neuen Schilderung der Schlacht bei Azincourt ergehen, sondern nur so viel daraus anführen, als sich auf die Geschichte bezieht, welche mit dem wunderlichen Privilegium des alten Commodore in Verbindung steht.

Rapin erzählt uns: Die Engländer, » malades, pour la plupart de la dyssentérie, qui les n'avait point quittez depuis leur depart d'Harfleur,« waren » la plupart d'entre eux reduits à la nécessité de combattre tous nuds de la ceinture en bas à cause de cette maladie qui les presse.«

Soviel über den allgemeinen Zustand der Kämpfer. Nun müssen wir aber in Betreff des besonderen Theiles in diesem unsterblichen Kampfe, welcher sich auf den berühmten Thomas Epinhen, den fechtenden Vorfahr des fechtenden alten Commodore, bezieht, zu dem alten Monstrelet unsere Zuflucht nehmen.

» Et là se tindrent tout coyement jusques a tant qu'il fut temps de traire, et tous les autres Anglais demourerent avec leur roy: lequel tantost feit ordonner sa bataille par un chevalier chenu de vicilleuse, nommé Thomas Epinhen, mettant les archiers au font deuant, et puis les gens d'armes. Et après feit ainsi comme deux esles de gens-d'armes et archiers, et le chevaulx et bagages furent mis derrier l'ost. Lesquels archiers ficherent deuant eux chacun un penchon aiguisé à deux bouts; iceluy Thomas enhorta à tous generallement de par le dit roy d'Angleterre, qu'ils combatissent vigoureusement pour garantir leurs vies; et ainsi cheuauchant luy troisieme par deuant la dicte bataille, après qu'il eut fait les dictes ordonnances jetta en hault un baston, qu'il tenoit en sa main, en disant, ›néstrocque‹ et descendit à pied comme estoit le roy, tous les autres: au jeter le dit baston tous les Anglais soubdainement feirent une très grand criée, dont grandement s'esmerveillirent les Français. Et quant les dicts Anglais veirent que le Français ne les approchoient, ils allèrent devers eux tout bellement par ordonnance, et derechef feirent un très grand cry en arrestant et reprenant leur haleine. Et adonc les dessudicts archers abscons audit pré, tirerent vigoureusement sur les Français, en eslevant comme les autres grand huée, et incontinent les dits Anglois approchans les Français, premièrement leurs archiers, dont il y en auait bien treize mille, commencerent à tirer à la volée contre iceux François d'aussi loing qu'ils pouvoient tirer de toute leur puissance, desquels archiers la plus grande partie estoient sans armeures en leur pourpointaux, leurs chausses auallées ayans haches pendues à leur courroyes ou espécs, et si en y auoit aucuns tous nuds pieds, et sans chapperon.«

Nachdem unser wilder Thomas diesen guten Dienst geleistet hatte und das Gefecht allgemein wurde, führte ihn das Schlachtgedränge nach der Stelle, wo Heinrich selbst – laut der historischen Phrase – »Wunder der Tapferkeit verrichtete.«

Nun war dieser Ahnherr der Bacuissarts, Sir Thomas Epinhen, ein rauher, bewährter altenglischer Ritter, der aus bloßer Kampflust und Zuneigung zu der Person des Königs sein väterliches Erbe verkauft und sich während des ganzen Feldzugs auf's Tapferste benommen hatte. Er hatte mit der Allgemeinheit gelitten und that in Bereinigung mit ihr (wie Voltaire sagte) sein Bestes, um die verfeinerten Franzosen in eine hastige und verderbliche Flucht zu schlagen. Aber ehe die Züchtigkeit der Gallier zu einer so furchtbaren Höhe stieg, um sie zu veranlassen, daß sie der Unanständigkeit ihrer Gegner die Fersen zuwandten, wurde der tapfere Heinrich selbst geworfen und von feindlichen Schaaren umgeben. Seine Lage war im höchsten Grade gefährlich, als eben noch zur rechten Zeit Sir Thomas Epinhen in das Handgemenge stürzte, mit dem Schwerdte eine Bahn hieb und sich dem am Boden liegenden König anschloß

»Zwar ritterlich bewehrt, den Sturmhut auf dem Kopfe,
Doch war der Schenkel ihm mit Schienen nicht beschützt.«

Obgleich die königliche Majestät am Boden lag, so war sie doch nicht genug beschädigt oder entmuthigt, um nicht durch das Lächerliche ihrer Lage gekitzelt zu werden. Nachdem die Feinde zurückgeschlagen waren, umarmte Heinrich den wackern Krieger, fragte ihn aber gleichwohl, wie er sich unterstehen könne, die Majestät von England so unwürdig zu behandeln. Sobald nach geschlagener Schlacht alle weitere Gefahr vorüber war, schickte der König nach seinem Befreier, umarmte ihn abermals vor dem ganzen Hofstaat und nannte ihn öffentlich seinen Lebensretter, somit auch aller Wahrscheinlichkeit nach die nicht sehr entfernt liegende Ursache des glänzenden Sieges. Dies fand unmittelbar nach der Schlacht statt, als Sir Thomas sich noch immer in seiner Sanscülottentracht befand, und er begann eben seine Entschuldigung hervorzustammeln, als der König einen feierlichen Eid schwur, daß er und seine Nachkommen für immer berechtigt sein sollten, so oft es ihnen passend dünkte, im Lager oder im Feld, in der Stadt oder am Hofe, gerade in demselben Kostüme, in welchem sich der alte Held eben befand, vor das Angesicht der Majestät zu treten. Er ließ auch alsbald einen Freibrief des gedachten Inhalts ausfertigen und übertrug zugleich dem Retter des königlichen Lebens wie auch dessen Erben für immer und ewig unterschiedliche große Ländereien und reiche Herrensitze, unter welchen der von Trestletree der bedeutendste war. Sir Thomas Epinhen sollte außerdem noch den Beinamen Bascuissarts tragen, womit der Zustand bezeichnet werden sollte, in welchem er am denkwürdigen Tage von Azincourt sich zeigte. Sein Wappen erhielt im rechten Felde drei Stäbe und als Schildhalter einen bis an den Gürtel völlig bewaffneten Ritter, dessen unterer Theil nach der heraldischen Sprache ein gewöhnlicher Mann war; dazu das Motto:

»Néstroque.« Néstroqueweg die Stöcke. Der Ursprung dieser Phrase, die man jetzt so gewöhnlich in den Straßen hört, liegt in dem Kommandoworte, dessen sich der Ahnherr des alten Commodore bediente. Wenn die Bogenschützen in die Schlacht rückten, pflegten sie in schräger Richtung lange Stöcke oder zugespitzte Pfähle vor sich aufzurichten, um die Reiterei abzuhalten, während sie ihre Pfeile abschoßen. Als Sir Thomas Epinhen bemerkte, daß die Franzosen etwas zu ceremoniös anrückten, so rief er seinen Leuten zu: » weg die StöckeNéstroque, das heißt, werft die Pfähle bei Seite und stürzt unverweilt auf sie los. Dies ist der Ursprung der Seemannsphrase: »weg den Stock«; wir dürfen ihn daher nicht da suchen, wo Einige in sehr grundloser Weise u. s. w.
( Smelfungus Noddypate von der antiquarischen Gesellschaft.

Im Laufe einiger Generationen fiel der Name Epinhen aus und die Orthographie des Wortes wurde zu Bacuissart umgewandelt, zur See aber, in Bezugnahme auf den alten Commodore, zu Backysquirt Tabackspritzer. verketzert, was wahrscheinlich seinen Grund in der Vorliebe des alten Herrn für's Tabakkauen, wie auch in dem Nachdrucke hatte, mit welchem er das dunkelfarbige Extrakt von sich sprudelte. Welchen Wechsel der Name nachher noch erlitten haben würde, wenn männliche Erben vorhanden und diese Seeleute gewesen wären, läßt sich nicht wohl errathen, da er jetzt erloschen ist und in – –; doch gleichviel, ich darf meiner Geschichte nicht vorgreifen.

Ich habe nun einen langen Kreuzzug nach Tony Lumpkin's Methode gemacht, und der Leser ist genau nach der Stelle zurückgekehrt, bei welcher er anfing, als sich der alte Commodore seines stentorianischen »Donnerwetters« entledigte.

Wir wollen nicht bei den Jahren der Unthätigkeit und Krankheit verweilen, welche den Mann befielen, nachdem er seines Kommandos beraubt war, sondern blos sagen, daß er, von Gewissensbissen, getäuschtem Ehrgeiz, langer Weile, Gicht und tausend eingebildeten Krankheiten gequält, von einem Kurorte zum anderen wanderte, in eine fast habituelle Unmäßigkeit verfiel, durch sein rohes Wesen fast alle Besuche verscheuchte und durch seine Nachsicht die schöne Tochter zu dem verderbten und fast zu Grunde gerichteten Wesen machte, als welches wir sie im Anfange dieser vortrefflichen Geschichte geschildert haben.

Es bleibt uns nun noch die Aufgabe, die systematische und fast wahnsinnige Verfolgung zu schildern, welche Lady Astell gegen ihren Bruder übte.

Da eine dieser schrecklichen Scenen zureichen wird, so wollen wir sie beschreiben und dann so bald wie möglich zu angenehmeren, heitereren Gegenständen übergehen. Die Seelenstärke der Wittwe, die so grausam ihres Kindes beraubt wurde, war durch diesen letzten Schlag völlig gebrochen; ihr Gleichmuth schien ganz und gar zerstört zu sein und ihre Ueberspanntheit grenzte an Verstandesverwirrung. Die Gefühle, die sie gegen Sir Octavius unterhielt, konnten kein Verlangen nach Rache genannt werden, und wenn man sie dessen beschuldigt hätte, würde sie die Anmuthung mit Verachtung zurückgewiesen haben. Sie bezeichnete ihr Handeln als Schritte der Sühne, wollte Reue in dem Herzen ihres Bruders wecken und ihn durch körperliche Leiden vor der ewigen Strafe retten. Sie wußte, wie unaussprechlich schmerzlich ihm ihr Benehmen wurde, setzte es aber fort, als ein Mittel zu Rettung seiner Seele. Der alte Commodore aber ertrug das, was sie über ihn verhängte, als Bruder, als Mann und als Christ.

Lady Astell lebte in der tiefsten Abgeschiedenheit. Sie hatte bereits für Daniel Danvers gesorgt, indem sie ihm für Lebenszeit achtzig Pfund Jahresrenten auswarf und ihn als Midshipman auf der Fregatte unterbrachte, welche von ihrem Neffen Kapitän Oliphant kommandirt wurde. Da Daniel der verwaiste Sohn eines Unteroffiziers war, der in dem Gefecht von Bridport den Tod gefunden hatte, so konnte dieser Zuschuß eigentlich fürstlich genannt werden. Er war nun in der Lage, es mit seinen Tischgenossen in dem Aufwande, welchen die jungen Gentlemen in dem Flottendienste zu machen pflegen, gleich zu thun. Nachdem Lady Astell in dieser Weise den Einzigen versorgt hatte, den sie wegen seiner Anhänglichkeit an ihren Sohn liebte (wenn sie damals überhaupt etwas lieben konnte), war sie ihrem Wunsche gemäß völlig allein. Nicht einmal der Geistliche ihres Sprengels durfte sie besuchen, und zum erstenmale in ihrem Leben waren ihre Thüren sogar für Mr. Underdown verschlossen. Ihr ganzes großes Hauswesen hüllte sie in die tiefste Trauer. Ihre Equipagen waren schwarz und ohne alles heraldische Gepränge – eine unheimliche Schaustellung ihres Schmerzes. Sie mochte sich nur der schwärzesten Pferde bedienen und tauchte nie aus ihrer grabartigen Einsamkeit hervor, als wenn sie zum Gebete in die Kirche gehen oder den alten Commodore verfolgen wollte. Sich selbst kleidete sie in tiefe Trauer, so daß der einfache Spitzenstrich, der über ihrer Stirne lag und ihre Haare verbarg, der einzige sichtbare Gegenstand ihres Anzuges war, welcher der schwarzen Farbe entbehrte. Sie schien in ein Leichentuch gehüllt zu sein. So gekleidet, besuchte sie mit ihrer vierspännigen Trauerkutsche und zwei Vorreitern, deren Pferde mit schwarzen gestanzten Sammtschabracken versehen waren, (überhaupt sah ihre gesammte Dienerschaft eher wie ein Trupp Leidtragender als wie das Gefolg einer Dame von ungeheurem Reichthume aus) nur zwei Orte in der ganzen Grafschaft – die Diöcesankirche und Trestletree-hall.

Aber auch der ganze Zug glich einem Leichenbegängnisse, nur daß die schwarzen Federn fehlten, und daß die blasse, gespenstische Gestalt in dem Wagen athmete und lebte. Da die auffallende Equipage stets langsam und feierlich einherfuhr, so blieben alle Vorübergehenden stehen und entblößten ehrerbietig die Häupter.

Am dritten Tage, nachdem der entlassene, gichtkranke und von Gewissensbissen gequälte Commodore auf seinem Familiensitze angelangt war, setzte er Nachmittags plötzlich sein zweites Glas Grog nieder und brach in einen Fluch aus, weil er meinte, daß ein Leichenbegängniß über seinen eigenen Grund und Boden dahin ziehe.

»He – holla! Underdown! Wuth und Feuer – schaut dahin! Ich will vom Donner gerührt werden, wenn nicht jeder Narr windwärts von diesem armen, alten, kahlen Rumpfe zu kommen sucht, den man einst den fechtenden Commodore nannte. Möge ich ganz besonders gut verdammt sein, wenn nicht dieser psalmodirende Sohn eines Kupfer-Theekessels, der Rektor, ein Recht des Durchzugs auf meinem eigenen Grund und Boden, und noch obendrein gerade unter meinen Fenstern, herstellen will! Oh, diese Gicht, diese höllische Gicht! Ich kann mich nicht rühren. Auf, Underdown, auf mit Euch! Ruft die Bedienten, die Knechte, die Helfer und die Stalljungen mit Besenstielen und Knitteln herbei; tretet an ihre Spitze und treibt das Pack zurück. Hurtig oder man macht aus meinen Privatwegen eine eigentliche Landstraße, ehe ich meine Tabackrolle aus einem Backen in den andern schieben kann.«

»Mein theurer Sir,« versetzte der ruhige Mann im sanftesten Tone, »Ihr macht mich zittern. Dies ist kein Leichenbegängniß, mein guter Sir. Faßt Eure Gicht und das Unglück in's Auge, welches kürzlich dieses Haus befallen hat. Mein theurer Commodore, hört auf Euren alten Freund und mäßigt um meinetwillen dieses Ungestüm – denn – ich glaube fast, daß – daß – dies Eure Schwester ist – die arme verlassene Lady Astell, welche Euch besuchen will.«

»Ach!« tönte es aus dem Munde des alten Helden, der jetzt vielleicht zum erstenmale in seinem Leben todtenblaß wurde.

»Ja, 's ist wirklich so,« fuhr Mr. Underdown fort, als in Leichenschritten der Wagen unter dem Fenster vorbeifuhr.

»Nehmt mich fort – meine Krücken – nehmt mich fort. Will mich Niemand auf seinen Rücken heben und mit mir davon gehen? Wo ist der große, schwerfällige Kerl, der William Butler? Er kann mich tragen. Ich will sie nicht sehen – kann nicht – kann nicht.«

»Aber ich will,« rief Miß Rebekka. »Ich will's; und wir wollen von dem armen Augustus sprechen.«

»Teufel!« entgegnete der Vater, indem er eine Flasche ungekosteter Arznei ergriff, die er ohne Zweifel nach seiner Tochter geschleudert haben würde, wenn sich nicht sein ruhiger Freund in's Mittel gelegt hätte. In diesem Augenblick flogen die Thüren auf, und die schattenhafte Gestalt seiner Schwester glitt langsam in das Gemach.

»'s ist nichts Lebendiges, 's ist ein Geist! Können wir nicht einmal im hellen Sonnenschein von solchen schrecklichen Heimsuchungen verschont bleiben? O Gott, nimm diesen Anblick von mir!«

Und entsetzt verbarg der Commodore sein Gesicht mit den Händen.

Rebekka, welche eben erst noch so begierig gewesen war, ihre Tante zu sehen, eilte kreischend in die fernste Ecke des Gemachs und kauerte sich daselbst, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, nieder.

Mr. Underdown wollte sich dem schauerlichen Gaste nähern, wurde aber durch ein nachdrückliches Winken mit der Hand zurückgewiesen. Miß Matilda saß zitternd in ihrem Stuhle und vermochte vor Schrecken nicht aufzustehen, da sie überhaupt sogar zu entsetzt war, um in Ohnmacht zu sinken.

Ein tiefes Schweigen folgte, das nur durch das krampfhafte Schluchzen der in der Ecke sich befindlichen Rebekka unterbrochen wurde.

Mr. Underdown war der Erste, welcher das Wort ergriff.

»Lady Astell,« sagte er im mildesten Tone, »dieß ist in der That nicht gut. Es ist unfreundlich von Euch, unser Leid durch eine derartige theatralische Schaustellung (denn anders kann ich sie nicht nennen) zu erschweren. Ich möchte Euch um tausend Welten nicht kränken, denn Euer Schmerz ist heilig in unsern Augen; aber ich bitte, höhnt ihn nicht und würdigt Euch nicht selbst herab durch diese Parade. Ihr seht blaß aus – seid wohl krank, und Euer Gesicht trägt einen gespenstischen Ausdruck. Ich bitte, theure Dame, weiß Euer Arzt von diesem unzeitigen Besuch? Bei meinem Leben 's ist nicht möglich! Wollt Ihr nicht mit mir sprechen – mit mir, Eurem alten, Eurem treuesten Freunde? Wenn Ihr mich – wenn Ihr uns Alle von Euch zurückstoßen wollt, so thut es menschlicher. Wollt Ihr nicht Platz nehmen? Oh, so redet doch!«

Während dieser Ansprache blieb Lady Astell so regungslos, als wäre sie in Marmor umgewandelt worden. In ihrem Auge lag kein bestimmter Zweck, und ihre Lippen trennten sich etlichemale tonlos, bis endlich die kalten gelassenen Worte daraus hervordrangen:

»Heißt diesen Mann mir in's Gesicht sehen.«

Der Commodore heftete sein Auge furchtsam auf sie und entgegnete dann mit großer Anstrengung:

»Schwester, ich habe dir schwer Unrecht gethan, aber ich nehme Gott zum Zeugen, daß ich unschuldig bin an dem Tode des Knaben. Ich that Alles, was ein schwacher armer Mann vermochte, um sein Leben zu retten. Daß ich hart – sehr hart – viehisch hart gegen ihn war, bekenne ich voll Scham und mit all der Bitterkeit unsterblicher Gewissensbisse; aber Agnes, ist dies die Art, wie sich Bruder und Schwester wiedersehen müssen?«

»Gieb mir mein Kind!«

»Warum willst du so die wenigen Tage, dir mir beschieden sind, abkürzen? Hast du nicht bereits Rache genug geübt an dem sündigen Haupte deines Bruders – deines einzigen Bruders? Du hast mich herabgewürdigt vor dem Angesicht meines Souveräns, hast mich in meinem Berufe entehrt, hast mir den einzigen Pfad, auf dem ich mich nützlich machen kann, abgeschnitten und mir kein Mittel gelassen, durch das ich mein Vergehen wieder gut machen konnte, indem ich den Rest meines elenden Lebens dem Dienste meines Vaterlandes weihte. Ist dies nicht genug? Oh, Agnes, meine Schwester!«

»Gieb mir mein Kind!«

»Wollte Gott, daß ich's könnte; auch das meinige würde mir dadurch zurückgegeben! Er ist im Himmel – in Gottes heiligen Händen. Augustus, blicke nieder auf deinen elenden Onkel und sei Richter zwischen mir und dem Steinherzen deiner Mutter!«

»Mein Kind – mein Kind – mein Kind!«

»Agnes, wird dich mein Tod zufrieden stellen? Ach, ein tausendfacher Tod würde ein Glück für mich sein – Alles, nur nicht dieses! Vergieb mir, Agnes! Ich will vor dir niederknieen – ich, der ich nie vor einem Sterblichen geknieet habe. O, sprich in dem Tone der vergangenen Zeiten: ›Bruder, Bruder!‹ und ich will im Staub vor dir kriechen – will den Saum deines Gewandes küssen.«

»Mann mit dem eisernen Herzen, ich komme, um mein Kind zu fordern. Sieh' selbst, hier ist meine Vollmacht.« Und dann nahm sie den verhängnißvollen Brief aus ihrem Busen, um dessen Inhalt vorzulesen.

»Du siehst, daß ich nur der Stimme gehorche, die aus dem tiefen, stürmischen Grabe des Oceans zu mir herauftönt. Ich fordere mein Kind. Der Verderber zittert vor der verwaisten Mutter. Ich werde wieder und wieder kommen. Nur eines ist's, was ich verlange – mein Kind. Gieb mir mein Kind, Mörder

Sie wandte sich um und entfernte sich langsam, ohne auf sonst Jemand zu achten.

»Das ist Wahnsinn,« stöhnte der alte Underdown.

»Mein Herz ist gebrochen – helft mir zu Bette.«

Dieß waren die einzigen Worte, welche der unglückliche alte Commodore in vielen Tagen ausstieß.

Lady Astell kam wieder und wieder mit demselben unheimlichen Pompe, und stellte die nämliche, eintönige, gespenstige Forderung. Sie nahm nie Platz oder ließ sich auch nur die mindesten Höflichkeiten des geselligen Lebens gefallen. Jede andere Constitution, nur nicht die ihres eichenfesten Bruders, hätte erliegen müssen. Er gab sich alle Mühe, diesen Besuchen auszuweichen, aber vergeblich. Einmal, als er das düstere Gefolge nicht durch die Thore einließ, blieb sie in feierlichem Prunke acht Stunden außen stehen, ohne auf das erbarmenlose Donnerwetter zu achten, das sie umtobte. Ihr ganzer Haushalt schien von dem gleichen Geiste der Ausdauer beseelt zu sein. Trotz des Ungewitters blieben die Postillone auf ihren Pferden und die Diener auf ihren Plätzen sitzen, während der ganzen Zeit kaum ein Lebenszeichen von sich gebend. Es sammelten sich Leute, die bis zu Hunderten stiegen; denn auf Meilen im Umkreise wußte man, warum sie kam, und zollte ihr Theilnahme. Ihre geduldige Hartnäckigkeit behauptete den Sieg. Das Zischen und Schreien des Pöbels erreichte das Herrenhaus und die Thore wurden endlich aufgeworfen. Wie gewöhnlich, stieg sie vor der Hallenthüre ab, und mehr als tausend Personen umringten ihren Wagen.

Die Menge zog ruhig wieder ab und die Begegnung der beiden Verwandten fand genau in derselben Weise, wie wir sie eben gemeldet haben, statt. Lady Astell zeigte nicht die mindeste Spur von Zorn über den Versuch, sie auszuschließen, und beschränkte sich blos auf ihre Forderung, wobei sie den Brief ihres Sohnes vorlas. Nachher wurde sie nie wieder zurückgewiesen.

Der alte Commodore machte noch einen Versuch, sich dem lebendigen Spuke zu entziehen; als aber auch dieser fehlschlug, so gab er verzweifelnd alle Hoffnung auf.

Er verfügte sich nach einem entfernten Badorte; am dritten Tage jedoch stellte sich die leichenhafte Equipage an seiner Thüre ein. Er empfing seine Schwester wieder wie gewöhnlich und jagte dann mit Postpferden nach Trestletree-Hall zurück, da es ihm am besten dünkte, das ärgerliche Aufsehen auf möglichst kleine Grenzen zu beschränken. Diese Besuche folgten sich in keiner regelmäßigen Ordnung und richteten sich augenscheinlich nur nach dem Gemüthszustande der Wittwe. Bisweilen erhielt der Commodore ihrer zwei oder gar drei in rascher Reihenfolge; dann aber konnten auch Monate entschwinden, ehe Lady Astell sich wieder zeigte.

Wir müssen dem alten Commodore zur Ehre nachrühmen, daß er das dringende Ansinnen, welches man an ihn stellte, wegen des Geisteszustandes seiner Schwester ein Writ de lunatitico inquirendo auszuwirken, mit so strenger Entschiedenheit zurückwies, daß Niemand sich getraute, darauf zurückzukommen. In dieser Weise entschwanden Jahre bis zu der Zeit, mit welcher wir das ernste Kapitel unserer Geschichte begonnen haben.


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