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Eilftes Kapitel

»Der Wittwe Liebe zu dem einz'gen Sohn
Ist eine Leidenschaft, die ungestümste,
Die stärkste, mächtigste von allen.
Ist er doch ihres Herbstes letzte Erndt',
Die letzte Lust in ihres Lebens Winter.«

Altes Schauspiel.

Nachdem ich im letzten Kapitel mein eigenes Abenteuer berichtet habe, ist wohl Niemand mehr berechtigt, sich überrascht zu fühlen, wenn ich in alle Hofgeheimnisse jener Zeit eingeweiht war. Der alte deutsche Page wurde viel freundlicher und mittheilsamer gegen den Kapitän Dribble (ein Name, den er immer als Dibble aussprach), als gegen den einfachen Mister, und durch meine Bekanntschaft mit diesem, wie auch mit andern Würdenträgern aus der unmittelbaren Nähe der Majestät erhielt ich ziemlich genaue Auskunft über die Vorgänge, so daß ich mir schmeicheln darf, ich war hinsichtlich der königlichen Entscheidung in einigen der wichtigsten Punkte, welche damals Europa bewegten, wenigstens eine halbe Stunde vor dem hochwohlgeborenen Mr. William Pitt unterrichtet. 's ist natürlich möglich, daß ich mich selbst täusche, denn wie ich schon oft sagte, bin ich ein sehr alter Mann, aber zu der Zeit der Vorgänge, vielleicht auch ein wenig nachher, konnte ich wenigstens Ereignisse voraussagen, was mir, wie jede verständige Person einsehen wird, unmöglich gewesen wäre, wenn ich meiner Verbindung mit dem Palastpersonale nicht die Bekanntschaft mit Staatsgeheimnissen zu danken gehabt hätte.

Mancher skeptische Nasenrümpfer fragt vielleicht, mit welchen Autoritäten ich meine Angaben belege, und ich antworte darauf ebenso triumphirend, wie das Ministerium in einer unrechten Sache, wenn es durch eine große Majorität gedeckt ist. Ach, ich bin unglücklich in Vergleichungen – aber mein Alter hindert mich, sie zu verbessern. Vielleicht übernehmen meine Kritiker diese Mühe, denn sie sind Flicker, welche zwar nicht selbst einen Kessel zu Stande zu bringen vermögen, aber doch in dem Versuche, die mangelhafte Arbeit Anderer auszubessern, bisweilen in heiß Wasser gerathen und stets zwei Löcher machen, wo ursprünglich nur eines war.

Kehren wir zur Sache zurück. Meine Antwort an den skeptischen Nasenrümpfer lautet dahin, daß ich in dem früheren Theile meines Lebens selbst mit dem alten Commodore segelte, und daß ich sowohl mit ihm, als mit seiner Familie, viele Jahre genau bekannt war. Ich habe die Ehre gehabt, Lady Astell zu besuchen, muß aber bekennen, daß ich mir nie die Freiheit nehmen durfte, ihr Fragen vorzulegen. Der Leser muß daher meinen Bericht über folgende Scene, welche zwischen Ihren Majestäten und der gnädigen Frau vorfiel, cum grano salis nehmen – das heißt, nach der Darstellung derjenigen, welche mit dem Salze zu schaffen haben und die königlichen Titel damit beschicken. Ich habe mein Latein noch nicht vergessen.

Den Tag, nachdem Lady Astell Trestletree-Hall verlassen hatte, begab sie sich in tiefer Trauertracht nach London und erbat sich eine sogenannte Privataudienz bei der Königin, die ihr auch unverweilt gestattet wurde. Sie warf sich Ihrer Majestät zu Füßen und konnte lange nicht veranlaßt werden, sich zu erheben und ihr Anliegen kund zu thun. Als sie jedoch die Schleusenthore ihrer Gefühle öffnete, die Beredsamkeit ihres mit Kummer beladenen Herzens ausströmen ließ und die überschwängliche Liebe schilderte, welche sie als Wittwe zu ihrem einzigen, edlen Kinde getragen, weinte die Königin mit ihr, denn sie hatte damals auch einen edlen Sohn, welcher sich demselben Berufe zugewendet. Es folgte dann eine leidenschaftliche Auseinandersetzung der Verfolgung, welche der Hingeschiedene erlitten, und die Mutter erging sich über den stolzen Geist, der in dem schrecklichen seelengefährdenden Abgrund des Selbstmordes Zuflucht gesucht habe gegen die Schmach der Peitsche. Fast außer sich schilderte sie den Sturz, das Plätschern und das Schließen der dunkeln Wogen über dem Haupte ihres Kindes, so daß die gütige Königin schaudernd sagte: »Können solche Dinge vorkommen?« Und als Lady Astell fortfahren wollte, fügte sie sanft bei: »Verzeiht – der König muß dies auch hören.« Und damit entfernte sie sich.

Kurze Zeit nachher wurde Lady Astell in das Privatkabinet des Königs berufen und wiederholte dort vor Ihren Majestäten die traurige Geschichte, welche sie damit schloß, daß sie den letzten Brief ihres Sohnes zeigte und vorlas.

Wenn die Seele mit den erhabensten Gefühlen erfüllt ist, so kann nur ein gewöhnlicher Schriftsteller dabei innehalten, um die Wirkung ihres Ergusses durch Schilderung der Eigenthümlichkeiten und Sprache oder Geberdung zu schwächen.

Seine Majestät saß an der Seite der Wittwe, die in so furchtbarer Weise ihres Kindes beraubt worden war, ergriff ihre Hand mit aller Zärtlichkeit eines alten Freundes und versuchte mit edler Wärme alle Trostgründe an einer Person, die sich nicht wollte trösten lassen. Er sagte Lady Astell, er wünsche herzlich, daß in dem Dienste das barbarische Peitschen, namentlich aber das Peitschen der jungen Gentlemen aufgehoben wäre; sie müsse übrigens nicht vergessen, daß es stets in der Flotte Brauch gewesen, und daß die Schmach nicht auf Seite des Gepeitschten, sondern dessen liege, welcher die demüthigende Züchtigung ungerecht befohlen habe. Dann fügte er bei, daß er sie von ganzer Seele beklage und fragte sie zum Schlusse, was er für sie thun könne.

»O gütiger, gnädiger, wohlwollender König!« lautete ihre Antwort, »ist dieser wilde, jähzornige, schlimme Mann eine geeignete Person, um ein Kommando über Eurer Majestät beste und tapferste Untertanen zu führen? Soll er sie ferner quälen, bis sie sich in dem Uebermaße ihres Schmerzes in die Wellen stürzen?«

Dies war die Berührung eines äußerst zarten Punktes. Das Land besaß keinen bessern Seemann und keinen tüchtigeren Flottenkommandeur. Der König wußte dies, erinnerte sich seiner langen Dienstzeit und dachte an den verstümmelten, narbenvollen Leib des alten Commodore. Auch vermochten nach der Meinung der Zeit und bei dem Zustande der Mannszucht in der Flotte nur so strenge und entschiedene Charaktere, wie der des Sir Octavius war, den ungestümen Sinn der Matrosen zu bändigen und zu beherrschen. Ferner zogen Seine Majestät in Betracht, daß Augustus, wäre er ein kriechender und gewöhnlicher Mensch gewesen, seine Peitschenhiebe wie tausend Andere vor ihm hingenommen hätte und nach erstandener Züchtigung wieder an seinen Dienst gegangen wäre, um seiner Zeit, wenn die Reihe an ihn kam, auch Andere peitschen zu lassen. Im Grunde hatte sich der Commodore nur eines unangefochtenen und allgemein im Schwange gehenden Privilegiums bedient, und was den Dienst betraf, konnte ihm kein Vorwurf gemacht werden. Ueberhaupt lag im Ganzen nach der Ansichtsweise jener Zeit durchaus kein Vergehen, wie tödtlich auch die verwandtschaftlichen Verhältnisse dadurch gekränkt worden sein mochten.

»Meine theure Lady Astell,« sagte Seine Majestät im zartesten Tone, »Ihr könnt doch nicht glauben, daß Sir Octavius seinen Neffen zum Selbstmord zu hetzen wünschte?«

»Euer Majestät halten zu Gnaden, das Blut meines Sohnes gehört sowohl von väterlicher als mütterlicher Seite zu dem edelsten des Landes; er wäre nicht der Neffe des Sir Octavius, noch der Sohn des Lord Astell gewesen, wenn er nicht lieber den Tod als Entehrung geduldet hätte.«

Da in jener Zeit weder der Dienst, noch der König den Commodore gut entbehren konnte, so gab Seine Majestät nur ungerne das Versprechen, er solle seines Kommandos entsetzt werden – denn dies war der erste Akt der Vergeltung, den sich Lady Astell vorgesetzt hatte. Man bot ihr Ehrenstellen an, wollte den Titel ihres Sohnes für Lebenszeit auf sie übertragen und sogar das Benehmen ihres Bruders gerichtlich untersuchen lassen. Aber sie wies alle diese Vorschläge, namentlich aber den letzteren mit Entschiedenheit zurück, da sie, trotz ihres Hasses gegen den Bruder, die Familie nicht entehrt sehen wollte.

Es wurde Allem aufgeboten, um ihre Aufreizung zu beschwichtigen und ihre gekränkten Gefühle umzustimmen, aber sie beharrte auf ihrer Bitte um Entlassung des Commodore, weil sie wußte, daß ihr Opfer auf dem Meere ihrem Bereiche entrückt war, und daß das Getümmel eines Seekriegs dem Manne keine Zeit zu Gewissensbissen ließ. Sie wollte ihn am Lande haben, damit er in Unthätigkeit eine Beute seiner Gedanken werde, und rastete nicht, bis sie die Einschärfungen ihres sterbenden Sohnes erfüllt hatte.

Mit nur wenig erleichtertem Herzen, aber dennoch erquickt von der edlen Theilnahme des hohen Königspaars, verabschiedete sie sich von Ihren Majestäten. Sie hatte eine Art halben Versprechens erzielt, daß das Kommando ihres Bruders einem Andern gegeben werden solle, falls sich Jemand finden lasse, der seine Stelle auszufüllen im Stande sei, oder überhaupt ein Beweis gegen ihn aufgefunden werden könne, daß er sich wirklich und wesentlich gegen die Regeln des Dienstes verfehlt habe. Sie kehrte nach ihrer verlassenen Heimath zurück, brütete über ihren Verlust und sann auf Plane der Rache.


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