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54.

Bei seiner Ankunft in Frankreich erhielt André Lhéry diese Zeilen von Djenane: »Als Sie noch in unserem Lande waren, André, ... als wir noch die gleiche Luft einatmeten, schien es, als gehörten Sie uns noch ein wenig. – Jetzt aber sind Sie für uns verloren; alles, was Sie umgibt, ist uns unbekannt, ... und je länger je mehr entfliehen uns Ihr Herz und Ihre Gedanken. Sie selbst entschwinden uns, ... oder vielmehr: die Erinnerung an uns verblaßt bei Ihnen, um nach kurzer Zeit gänzlich zu verschwinden! ... Das ist furchtbar traurig ...!

Noch einige Zeit hindurch wird die Vollendung Ihres Buches Sie nötigen, sich unserer zu erinnern. Aber hernach? ... Ich erbitte diese Gunst von Ihnen: senden Sie mir sogleich die ersten Bogen des Manuskripts! Beeilen Sie sich! ... Diese Bogen sollen mich niemals verlassen, wohin ich auch gehe, ... selbst unter der Erde nicht; ich werde sie überall mit mir nehmen!

O! welch traurige Geschichte: Der Roman dieses Romans! Er ist jetzt das einzige Feld, auf dem ich Ihnen zu begegnen sicher bin; ... er wird bald alles sein, was von einer für immer abgeschlossenen Epoche übrig bleiben wird!

Djenane.«

*

André sandte ihr sogleich die erbetenen Bogen; aber sonst keine Antwort, überhaupt nichts weiter während fünf Wochen, bis zu diesem Briefe Zeynebs:

»Khassim-Pascha, 13. Silkada 1323.

André, morgen früh will man unsere liebe Djenane nach Stambul führen, und zum zweitenmal in das Haus Hamdi Beis, mit den gleichen, für Bräute gebräuchlichen Förmlichkeiten wie beim erstenmal. Alles ist auffallend schnell beschlossen worden, nachdem alle Schwierigkeiten ausgeglichen waren. Beide Familien haben ihre Schritte vereinigt bei Seiner Kaiserlichen Majestät, daß das Scheidungsirade zurückgenommen würde.

Djenane hat niemand, um sie zu verteidigen.

Hamdi Bei hat ihr heute wundervolle Sträuße von Nizza-Rosen geschickt. Aber wiedergesehen haben sich beide noch nicht, denn Djenane hatte Hamdis Mutter beauftragt, als einzige Gnade von ihrem Sohn zu erbitten, daß das Wiedersehen bis nach der morgigen Zeremonie hinausgeschoben werde. Sie ist mit Blumen überhäuft worden; wenn Sie ihr Zimmer sehen könnten, das Sie, wie Sie wissen, einmal betreten haben, Sie würden staunen! ... Djenane verlangte, daß alle Blumen in dieses Zimmer gebracht würden, das nun aussieht wie ein Zaubergarten.

Heute abend fand ich sie auffallend ruhig und gefaßt; aber ich fühlte, daß dies nur Ermattung und Gleichgültigkeit ist. Im Laufe des heutigen Tages ist sie, wie ich erfahren habe, bei ausnehmend schönem Wetter, nur von Kondja-Gül begleitet, ausgefahren, um die Gräber Méleks und Nedjibes zu besuchen; und dann ist sie nach Eyub gefahren, um auf dem Friedhof die Stelle aufzusuchen, wo – wie Sie wissen – meine arme, kleine Schwester Sie und Djenane zusammen photographiert hat.

Ich wollte den heutigen Abend, den letzten vor ihrer Wiederverheiratung, bei ihr zubringen, wie Mélek und ich dies am Vorabend der ersten Hochzeit taten. Aber ich sah, daß sie allein zu bleiben wünschte, und zog mich vor Einbruch der Nacht mit schwerem Herzen zurück.

Und nun befinde ich mich in meinem eigenen Zimmer in entsetzlicher Einsamkeit! ... Ich fühle, daß Djenane noch viel unglücklicher sein wird als das erstemal. Weil Hamdi mein Einfluß verdächtig erscheint, hält man mich fern; ... ich werde sie vielleicht nie mehr wiedersehen! ...

Ich glaubte nicht, André, daß man soviel Leid ertragen könnte! Wenn Sie überhaupt beteten, würde ich zu Ihnen sagen: ›Beten Sie für mich!‹ Ich beschränke mich darauf, zu sagen: ›Haben Sie Mitleid mit uns, Ihren letzten beiden Freundinnen, die übrig geblieben sind!‹ ... Glauben Sie übrigens nicht, daß Djenane Sie vergessen hat. Am 27. Ramadan, unserem Tag der Toten, wünschte sie, daß wir beide zu dem Grabe Nedjibes gingen, um ihr Blumen zu bringen ... und unsere Gebete, das einzige, was uns noch blieb von unserem verlorenen Glauben. – Wenn Sie, André, keine Briefe von ihr in letzter Zeit erhielten, so geschah dies, weil sie leidend war; aber ich weiß, daß sie die Absicht hat, Ihnen heute einen langen Brief zu schreiben, ›vor dem Einschlafen‹! So sagte sie zu mir, als ich sie verließ.

Zeyneb.«


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