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21.

André Lhéry schrieb ihnen sofort. Zu Djenane sagte er: »Sie nicht mehr wiedersehen – oder besser gesagt: nicht mehr Ihre Stimme hören, denn ich habe Sie ja noch nie gesehen – und dies einzig, weil Sie mir eine hübsche Erklärung geistiger Freundschaft gemacht haben? Welche Kinderei!?«

Er versuchte, die Sache ins Scherzhafte zu wenden und sich die Rolle des alten, würdigen, schon ein wenig väterlichen Freundes, zu erteilen. In Wirklichkeit aber war er besorgt wegen der Entschlüsse, die diese kleine stolze und eigensinnige »Seele« zu fassen fähig wäre; er traute ihr in dieser Beziehung nicht recht, auch war er seinerseits sich bewußt, daß sie ihm schon sehr teuer sei, und daß ihm der ganze Sommer verleidet werden würde, wenn er sie nicht sehen sollte.

In diesem seinem Briefe erbat er sich auch die Fortsetzung der versprochenen Geschichte, und zum Schluß erzählte er zur Beruhigung seines Gewissens, wie er sie zufällig alle drei »ermittelt« hätte.

*

Am zweitfolgenden Tage erhielt er diese Antworten: »Daß Sie uns ›ermittelt‹ haben, ist ein Unglück. Interessieren diese Freundinnen, deren Gesichter Sie nie kennen lernen werden, Sie denn noch immer, jetzt, wo ihr Geheimnis offenbart ist? ...

Die Fortsetzung meiner Geschichte wünschen Sie zu erhalten? Nichts leichter als das; Sie sollen sie haben. – Uns wiederzusehen, André, ist weniger leicht. Lassen Sie mich darüber nachdenken.

Djenane.«

*

»Was mich betrifft ... ich werde Ihnen sogleich behilflich sein, uns gründlich zu ›ermitteln‹, indem ich Ihnen mitteile, wo sich unsere Wohnung befindet. Wenn Sie den Bosporus hinabfahren, an der asiatischen Seite, in der zweiten Bucht hinter Tchibukli, befindet sich eine Moschee, hinter dieser ein großes Yali, sehr alten Stils, sehr vergittert, prachtvoll ... aber traurig; auf dem schmalen Kai spaziert stets ein liebenswürdiger Neger, der hochzugeknöpft ist in seinem schwarzen Oberrock. Dort ist unsere jetzige Wohnung. Im ersten Stockwerk, das etwas nach dem Meer vorspringt, die sechs vergitterten Fenster links sind die unserer Zimmer. Da Sie die asiatische Seite ja so sehr lieben, ›passieren‹ Sie doch zuweilen dort und blicken Sie gelegentlich nach jenen Fenstern, ohne jedoch zu lange hinzublicken. Ihre Freundinnen, die Ihren Caique schon in der Ferne erkennen können, werden Ihnen durch ein Loch am unteren Teil der Fenster eine Fingerspitze oder auch den Zipfel eines Taschentuches als Freundschaftssignal zeigen.

Mit Djenane wird sich die Sache schon ordnen lassen. Rechnen Sie auf eine Zusammenkunft in Stambul für die nächste Woche.

Mélek.«

*

Er ließ sich nicht lange bitten, dort zu »passieren«. Der folgende Tag war zufällig ein Freitag, bekanntlich der türkische Wochenfesttag, an welchem die eleganten Promenaden nach den »Süßen Wassern Asiens« stattfinden, wohin André Lhéry nie ermangelte, sich zu begeben. Das alte Haus, in dem Djenane und ihre beiden Cousinen gegenwärtig wohnten, und das ohne Zweifel leicht zu erkennen war, befand sich auf dem Wege zu den Süßen Wassern.

Ausgestreckt in seinem Caique, fuhr er so dicht daran vorüber, wie es die zu beobachtende Vorsicht nur immer gestattete. Das Yali, ganz aus Holz, nach türkischem Brauch mit dunklem Ocker angestrichen, sah recht stattlich aus, aber traurig und einsam. Das Fundament wurde fast vom Wasser des Bosporus bespült, und die Fenster der drei Freundinnen überragten ein wenig das bewegte Wasser. Hinter dem Hause befanden sich Gärten, von hohen Mauern umgeben. Unter dem Hause öffnete sich eine Art gewölbter Grotte, wie sie zur Unterbringung von Booten der Bewohner des Hauses gebräuchlich ist.

Als André sich näherte, sah er daraus ein schönes Caique hervorbringen, das zur Promenade ausgestattet war. Die Ruderer in blauer Samtweste mit Gold gestickt; ein langer Teppich von dem gleichen Samt und ebenfalls mit Goldstickerei schleppte im Wasser. Wollten die drei Freundinnen auch nach den Süßen Wassern fahren? Es hatte ganz den Anschein.

Er fuhr vorüber, einen Blick nach den ihm bezeichneten Gitterfenstern werfend; aus mehreren Löchern steckten zarte Finger, mit Ringen besetzt, hervor, und auch der Zipfel eines seidenen Spitzentaschentuches. An der übermütigen Art, die hervorgestreckten Finger zu bewegen und den Zipfel des Taschentuches tanzen zu lassen, erkannte André sogleich Méleks Tätigkeit.

In Konstantinopel gibt es »Süße Wasser Europas«: ein kleines Flüßchen, zwischen Wiesen und Bäumen fließend, wohin die Volksmenge an den Freitagen im Frühjahr wandert. Und es gibt die »Süßen Wasser Asiens«: ein noch kleineres Flüßchen, beinahe nur ein Bach, der von den asiatischen Hügeln herabfließt und sich schließlich in den Bosporus ergießt. Dort versammelt man sich im Sommer an jedem Freitag.

Zu der Stunde, da André sich heute dorthin begab, kamen auch viele andere Caiques von beiden Ufern aus dorthin: die einen brachten verschleierte Damen, die anderen Herren mit rotem Fes. Am Fuße einer phantastischen Zitadelle aus dem sarazenischen Mittelalter, gespickt mit Türmen und Schießscharten, und nahe bei einem prachtvollen Kiosk mit Marmorkai, Seiner Majestät dem Sultan gehörend, öffnet sich dieser bevorzugte kleine Wasserlauf, der jede Woche so viele geheimnisvolle Schönen herbeizieht.

Bevor André in die mit Farnkraut und Rohr bewachsenen Ufer einfuhr, hatte er sich umgewandt, um zu sehen, ob seine Freundinnen auch wirklich folgten, und er glaubte in weiter Ferne das Caique mit den drei Gestalten in schwarzen Tcharchafs und die blau und goldenen Livreen der Ruderer erkannt zu haben.

Als André ankam, fand er schon große Menschenmengen vor, sowohl auf dem Wasser in den verschiedenartigsten Barken, als an den Ufern, wo sich auf den amphitheatralisch aufsteigenden Anhöhen die Volksmengen auf dem schönen weichen Rasen niedergelassen hatten, um von oben herab dem bunten Treiben auf dem Wasser zuzuschauen und sich daran zu ergötzen. – Dort oben stehen hin und wieder große Bäume, in deren Schatten einige kleine fliegende Kaffeehäuser errichtet sind. Unermüdliche Nargilehraucher hatten sich auf dem Rasen niedergelassen, auf dem sie, in orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen sitzend, in aller Gemütsruhe ihrem gewohnten Genuß frönten.

Auf beiden Seiten des Wassers waren die Hügel dicht besetzt von Schaulustigen; die obersten Reihen dieses natürlichen Amphitheaters nahmen ausschließlich Frauen ein, und es gibt nichts Harmonischeres als eine große Anzahl türkischer Frauen auf dem Lande, ohne die düsteren Tcharcharfs wie in der Stadt, sondern in langen einfarbigen Kleidern: rosa, blau, braun, rot, jede den Kopf gleichmäßig umhüllt mit einem Schleier aus weißem Musselin. Die amüsanteste Sonderbarkeit dieser Promenaden ist diese Ueberfüllung auf einem so ruhigen, so eingeschlossenen, von so vielem frischen Grün umgebenen Gewässer; mit so vielen hübschen Augenpaaren, die alles, was sie umgibt, durch die Spalten ihrer Schleier betrachten.

Häufig können die Boote gar nicht mehr vorwärts kommen, die Ruder kreuzen sich, die Caiques streifen gegeneinander, und man muß stillhalten.

Die Vernünftigen warten geduldig, bis die Fahrt frei wird, oder sie suchen einen Ausweg durch Schwenkungen nach rückwärts.

Zu den letzteren gehörte auch André Lhéry, und ihm glückte der Versuch. Als sein Caique wieder im offenen Wasser war, forschte er überall umher nach seinen drei Freundinnen, die doch unbedingt bald nach ihm bei den »Süßen Wassern« angekommen sein mußten. Er ließ deshalb alle Caiques, die von dort kamen, an sich vorüberfahren, wobei er noch ein recht angenehmes Schauspiel genoß, denn es befanden sich viele wirklich schöne Caiques dabei, mit sehr interessanten Insassen. Allerdings glich dieser Korso nicht mehr völlig denen der früheren Zeiten, denn man bemerkte heute verschiedene amerikanische Yolen der Jungtürken und banale Leihbarken, in denen schöne, aber herausfordernde Levantinerinnen ihre geschmacklos aufgeputzten, großen Sturmhüte zur Schau trugen. Indessen die Caiques herrschten noch immer vor, und es befanden sich, wie gesagt, manche prächtig ausgestattete darunter.

Endlich bei der Windung des Flüßchens erschienen die längst Erwarteten. Drei schlanke Schattengestalten auf einem kostbaren blauen Samtteppich mit Goldfransen. Drei Personen für einen Caique ist eigentlich etwas viel. Zwei saßen auf der Hauptbank; vermutlich die beiden älteren, und die dritte, die jüngste, die noch fast als Kind behandelt wurde, hatte sich zu den Füßen der anderen niedergekauert. Die beiden Caiques fuhren ganz dicht aneinander vorüber, und André erkannte alle drei jetzt genau. Selbstverständlich wechselten sie weder einen Gruß noch auch nur ein Zeichen aus; Mélek allein, die am wenigsten streng Verschleierte, lächelte ihm fast unmerklich zu.

Noch einmal kreuzten sich die beiden Caiques; dann ward es Zeit zur Rückfahrt. Die Sonne beleuchtete bald nur noch die Gipfel der Hügel, die sich allmählich leerten; die Caiques zerstreuten sich nach allen Punkten des Bosporus, um ihre schönen Insassinnen, die vor der Abenddämmerung wieder zu Hause sein mußten, zurückzuführen, die dann, wie alle ihre Leidensgefährtinnen, in ihre Harems eingesperrt wurden.

André ließ seine Freundinnen sehr weit vorausfahren, damit es nicht den Anschein habe, als verfolge er sie; dann fuhr auch er langsam an der asiatischen Küste entlang, nach Hause, um seinen Ruderern Zeit zum Ausruhen zu gönnen und. um selbst den Mond aufgehen zu sehen.


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