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12.

In der darauffolgenden Woche erhielt André Lhéry nachstehenden Brief:

»Mittwoch, 27. April 1904.

Wir sind nie so töricht wie in Ihrer Gegenwart, und hernach, wenn Sie nicht mehr da sind, möchten wir über unsere Dummheit weinen. – Schlagen Sie es uns nicht ab, noch einmal zu kommen, ein einziges und letztes Mal! ... Wir haben alles eingerichtet für Sonnabend, und wenn Sie wüßten, unter Anwendung welcher macchiavellistischen List! Es wird aber ein Abschiedszusammentreffen sein, denn wir werden verreisen.

Ohne den Faden zu verlieren, merken Sie sich genau das Folgende:

Sie kommen nach Stambul, vor Sultan-Selim. Dort werden Sie gegenüber der Moschee, zu Ihrer Rechten, eine kleine Straße sehen, die ganz verlassen erscheint, zwischen einem Derwischkloster und einem kleinen Friedhof. Sie gehen in diese kleine Straße hinein, die Sie nach etwa hundert Metern in den Hof der kleinen Moschee Tosshum-Agha führt. Gerade Ihnen gegenüber, bei der Ankunft in jenem Hof, ist ein großes, sehr altes Haus, das einstmals braunrot angestrichen war; umkreisen Sie es! Dahinter wird sich Ihnen eine etwas dunkle Sackgasse offnen, eingefaßt von vergitterten Häusern, mit hervortretenden, verschlossenen Balkons. Auf der linken Seite der Gasse, das dritte Haus, das einzige, das eine zweiflügelige Tür hat und einen kupfernen Klopfer, ... das ist das Haus, wo wir uns befinden und Sie erwarten werden. – Bringen Sie nicht Ihren Freund mit; kommen Sie allein, das ist sicherer.

Djenane.«

*

»Von zweiundeinhalb Uhr an werde ich hinter jener halbgeöffneten Tür auf der Lauer stehen. Setzen Sie wieder den Fes auf und nehmen Sie, wenn es Ihnen möglich ist, einen mauerfarbigen Mantel um. Das ganz kleine Haus unserer letzten Zusammenkunft ist nur sehr bescheiden. Wir werden aber versuchen, Ihnen ein gutes Andenken an jene Schattenbilder zu lassen, die so rasch und flüchtig durch Ihr Leben gehuscht sind, daß Sie vielleicht schon nach einigen Tagen an deren Wirklichkeit zweifeln werden.

Mélek.«

»Wenngleich noch so leicht und flüchtig, es waren doch keine Federn, die der Wind Ihnen aus Laune zuwehte. Sie, als erster, haben gefühlt, daß auch eine arme Türkin eine Seele haben kann. Und dafür eben wollten wir Ihnen Dank sagen. Dieses ›unschuldige Abenteuer‹, so kurz und fast unwahrscheinlich, wird Ihnen keine Zeit gelassen haben, seiner überdrüssig zu werden. Es wird in Ihrem Leben ein Blatt ohne Rückseite sein.

Am Sonnabend, bevor wir für immer verschwinden, werden wir Ihnen noch vielerlei sagen, wenn die Unterhaltung nicht wieder abgeschnitten wird, wie die von Eyub, durch Schreck und durch eilige Flucht. – Also, auf Wiedersehen, ›unser Freund‹!

Zeyneb.«

»Mich, die ich die große Strategin unserer Bande bin, hat man beauftragt, den schönen Plan zu zeichnen, den ich diesem Briefe beifüge, damit Sie sich aus dem Wirrsal herausfinden. Obwohl der Ort der Zusammenkunft ein wenig nach einer Mörderhöhle aussieht, so kann Ihr Freund doch ganz unbesorgt sein; es wird durchaus ehrlich und ruhig zugehen.

Nochmals Mélek (die Schlaue).«

*

André antwortete darauf umgehend, poste restante, an »Zahide«:

»29. April 1904.

Uebermorgen, Sonnabend, um zweieinhalb Uhr, werde ich in der vorschriftsmäßigen Kleidung: Fes und mauerfarbigem Mantel, vor der Tür mit dem kupfernen Klopfer, mich den drei schwarzen Schattenbildern zu Befehl stellen.

›Deren Freund‹
André Lhéry.«


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