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Zweiter Teil

4.

Vier Tage später. – Die Neuvermählte, im Innern des sehr altertümlichen, aber hochherrschaftlichen Hauses ihres jugendlichen Gebieters, befand sich ganz allein in dem Teil des Harems, den man ihr als ihren eigenen Salon eingerichtet hatte. Ein Salon Louis XVI., in Weiß, Gold und Blaßblau, neu für sie zusammengestellt. Ihre rosafarbene Robe, eben erst aus der Pariser Rue de la Paix eingetroffen, war aus so fein gewirkten Stoffen, daß sie den Anschein umhüllender Wolkenschleier hatte, wie es die Laune der damaligen Frühlingsmode erforderte. Und ihr Haar war ebenfalls der neuesten Erfindung gemäß frisiert. In einer Ecke des Salons befand sich ein weißlackierter Schreibtisch, ähnlich dem ihres Zimmers in Khassim-Pascha, aber die Schiebkästen waren verschließbar, wie sie es schon längst gewünscht. Man hätte glauben können: eine Pariserin in ihrem Heim, wären nicht die vergitterten Fenster und die auf kostbaren Seidenstoffen gestickten Inschriften des Islams gewesen, die hier und da die Füllungen der Wandflächen schmückten: der Name Allahs und einige Sprüche des Korans.

Sogar ein Thron befand sich in diesem Salon: der Hochzeitsthron; sehr pomphaft, auf einer dreistufigen Estrade stehend, und überragt von einem Baldachin, dessen herabfallende Vorhänge von blauer Seide, überreich mit Blumen in Silberstickerei geschmückt waren.

Auch die gute Kondja-Gül befand sich im Salon, von dessen glänzender Einrichtung sie allerdings auffallend abstach; in der Nähe eines der Fenster sitzend, sang sie leise ein Liedchen ihrer schwarzen Heimat vor sich hin. –

Die Mutter des Beis, eine etwas einfältige Dame von 1320, erwies sich als ein im Grunde ganz unschuldiges, gutmütiges Wesen; sie konnte sogar vortrefflich genannt werden, ohne ihre blinde Abgötterei für ihren Sohn. Gleich in den ersten Tagen nach der Hochzeit wurde sie von der Liebenswürdigkeit ihrer Schwiegertochter so sehr eingenommen, daß sie ihr aus freier Entschließung ein Piano, das die junge Frau sich sehnlichst wünschte, zum Geschenk anbot. Hocherfreut darüber, fuhr diese sogleich in einem geschlossenen Wagen unter Begleitung eines Eunuchen über die Brücke des Goldenen Horns nach Pera und wählte in einem der besten Magazine ein prachtvolles Piano aus, das am nächsten Tage von stämmigen Lastträgern auf den Schultern herübergeschafft wurde.

Der junge Bei, den die Braut stets als ihren »Feind« bezeichnete, übrigens einer der stattlichsten Kapitäne des türkischen Heeres, das reich ist an eleganten und glänzend uniformierten Offizieren, – war unbestreitbar ein schöner Mann mit einer auffallend sanften Stimme und einem fast süßlichen Lächeln, augenscheinlich einem Erbteil seiner Mutter. Als junger Ehemann benahm er sich bis jetzt mit vollendeter Zartheit; er machte seiner Frau, deren geistige Überlegenheit ihm bereits klar geworden war, in achtungsvoller Weise den Hof, wie das im Orient in der vornehmen Welt Sitte ist: er bemühte sich, sie zu gewinnen, bevor er sie besaß. Denn, obgleich eine muselmanische Heirat meist sehr rasch, sogar oft ohne beiderseitige Zustimmung abgeschlossen wird, so ist nach vollzogener Zeremonie das Benehmen des jungen Ehepaares unter sich dagegen so bescheiden und rücksichtsvoll, wie dies in den Gebräuchen des Abendlandes häufig nicht zu finden ist.

Fast täglich im Jildispalast dienstlich beschäftigt, kehrte Hamdi Bei erst abends zu Pferde nach seinem Hause zurück. Er ließ sich dann bei seiner Frau anmelden und benahm sich ihr gegenüber, als wäre er bei ihr zu Besuch. Nach dem Abendessen erst setzte er sich vertraulicher zu ihr aufs Kanapee, in ihrer Gesellschaft eine Zigarette rauchend; sie beobachteten einander forschend wie vorsichtige Gegner. Er, zärtlich und schmeichelnd, mit einigen Verlegenheitspausen und Seufzern; sie, geistreich und scherzend, solange es sich nur um eine Plauderei handelte, aber sofort zurückhaltend und stolz, sobald er den Versuch machte, sie an sich zu ziehen oder sie zu umarmen.

Wenn es dann zehn Uhr schlug, küßte er ihr achtungsvoll die Hand und zog sich zurück. – Hätte sie sich ihn selbst ausgewählt, so würde sie ihn vermutlich geliebt haben, aber die ungezähmte kleine Prinzessin der Ebene von Karadjiamir beugte sich nicht vor einem ihr aufgezwungenen Gebieter.

Sie wußte indessen recht wohl, daß der Zeitpunkt nahe und unvermeidlich war, wo dieser ihr Herr und Gebieter, anstatt sich abends nach einem höflichen Gruß zurückzuziehen, ihr nach ihrem Schlafzimmer folgen werde. Auch würde sie keinen Widerstand leisten, noch weniger Bitten anwenden. Sie hatte aus ihrer Persönlichkeit jene Art von Verdoppelung gemacht, die bei vielen türkischen jungen Frauen ihres Alters und Standes üblich ist, die sich sagen: »Mein Körper ist, ohne daß man mich befragt hatte, durch Vertrag einem mir Unbekannten überliefert worden, und ich bewahre ihn ihm, denn ich bin ehrenhaft ...; aber meine Seele, die nicht befragt worden ist, gehört noch mir, und ich verschließe sie eifersüchtig, um sie für einen Seelenfreund aufzubewahren, dem ich vielleicht niemals begegnen werde, und der jedenfalls nie etwas davon erfahren soll!«

... Die Neuvermählte war also an diesem Nachmittag ganz allein in ihrer Wohnung... und da kam ihr der Gedanke, bevor ihr »Gebieter« aus dem Jildispalast zurückkäme, für André Lhéry ihr unterbrochenes Tagebuch wieder aufzunehmen und von neuem zu beginnen am verhängnisvollen 28. Sil-hidje 1318, der Hegira, dem Tage der Verheiratung. – Die früheren Blätter des Tagebuches sollte sie am folgenden Tage von der Freundin zurückerhalten, der sie diese Papiere zur Aufbewahrung übergab, weil der jetzige verschließbare Schreibtisch alle erforderliche Sicherheit zu bieten schien.

Sie begann zu schreiben:

»Am 28. Sil-Hidje 1318. (19. April 1901.)

Meine Großmutter selbst erweckte mich morgens, denn ich war in jener Nacht erst spät eingeschlafen.

›Beeile dich!‹ sagte sie zu mir. ›Du hast wohl vergessen, daß du um neun Uhr bereit sein solltest? Man schläft doch nicht solange am Tage seiner Hochzeit!‹

Welche Härte in den Worten! Es war der letzte Morgen, den ich bei ihr in diesem mir so lieb gewordenen Zimmer meiner Jugend zubrachte. Konnte sie denn nicht von ihrer Strenge lassen? wenigstens für einen Tag?

Als ich die Augen aufschlug, sah ich meine beiden Cousinen, die schon früher geräuschlos aufgestanden waren und eben ihre Tcharchafs anlegten, um rasch nach ihrem Hause zurückzukehren und ihre Toiletten zu beginnen, die lange dauern würden.

Da wir nie mehr wieder in diesem Zimmer gemeinschaftlich erwachen würden, so umarmten wir uns noch einmal recht innig zum Abschied, bevor die beiden Schwestern sich entfernten.

Schon ist es neun Uhr; die Kutschen sind bereits angelangt, die Schwiegermutter, die Schwägerinnen und die Eingeladenen des jungen Bei warten; der Zug soll sich bilden ... aber die Braut ist nicht bereit. Mehrere der Damen entbieten sich, ihr beim Ankleiden behilflich zu sein; sie lehnt jedoch jede Hilfe ab und bittet dringend, sie ganz allein zu lassen. Dann ordnet sie selbst ihre Frisur, wirft in fieberhafter Eile ihre mit Orangeblüten überreich garnierte Robe über, die eine Schleppe von drei Metern hat, sie legt auch ihre Diamanten an, ihren Schleier, und befestigt die langen Strähnen von Golddraht an ihrer Coiffure. Nur an einen Gegenstand hat sie nicht das Recht zu rühren: ihr Diadem.

Dieses gewichtige Brillantdiadem, das bei uns die Stelle des Kranzes der Europäerinnen einnimmt, soll nach dem herrschenden Gebrauch der Braut von einer jungen Frau aufgesetzt werden, die unter den anwesenden Freundinnen zu wählen ist, die sich nur ein einziges Mal verheiratete, nie geschieden wurde und in ihrer Ehe erwiesenermaßen glücklich lebt. Die dazu Erwählte spricht dabei zuerst ein kurzes Gebet aus dem Koran, dann krönt sie die zu Vermählende mit eigener Hand, indem sie ihr die besten Glückwünsche darbringt und ihr noch besonders wünscht, daß ihr eine solche Krönung nicht öfter als einmal im Leben geschehe; ... mit anderen Worten: daß sie sich nicht scheiden lassen, noch wiederverheiraten möge!

Unter den anwesenden jungen Frauen befand sich eine, die den gestellten Bedingungen so vollständig zu entsprechen schien, daß sie in Einstimmigkeit erwählt ward, nämlich meine teure Cousine Djavide! Sie war jung, schön, unermeßlich reich und seit achtzehn Monaten mit einem allgemein als höchst liebenswürdig gerühmten Manne verheiratet.

Als sie sich mir jedoch nahte, um ihr Glück auf meinen Kopf zu übertragen, sehe ich zwei große Tränen in ihren Augen Perlen, und sie sprach zu mir: »Arme Freundin! weshalb mußtet Ihr gerade mich auswählen? Wenngleich ich auch nicht gerade abergläubisch bin, so werde ich mich doch niemals darüber trösten können, Dir mein Glück übertragen zu haben! Wenn es Dir in der Zukunft beschieden sein sollte, ebenso zu leiden wie ich leide, so würde es mir scheinen, als wäre das meine Schuld!«

Also auch diese, anscheinend die Glücklichste von allen, befindet sich im Elend? ... Welch trübe Aussicht für mich!

Indessen, das Diadem ist mir auf dem Kopf befestigt, und ich sage: ›Ich bin bereit!‹ ... Man führt mich durch die langen Gänge, die vor unseren Wohnzimmern sich befinden, und die sonst bei Tage wie in der Nacht von Sklaven oder Sklavinnen besetzt sind, die uns weniger bewachen als überwachen und belauschen; denn wir sind ja wie Gefangene!

Ueber die breite Treppe gelangen wir in das untere Stockwerk und in den dort gelegenen größten der Salons, wo ich meine ganze Familie versammelt finde. Zunächst meinen Vater, von dem ich mich verabschieden muß. Ich küsse ihm die Hände, und er sagt mir einige der bei solcher Gelegenheit üblichen Worte, die ich kaum höre. Man hatte mir vorher eingeschärft, daß ich mich bei ihm öffentlich bedanken müsse für alle mir von ihm erwiesene Güte, und ganz besonders für die heutige, für die Heirat, die er mir einzugehen erlaube.

Das vermochte ich jedoch nicht; das überstieg meine Kräfte. Ich blieb stumm vor ihm stehen und wandte meine Blicke ab. Nicht ein einziges Wort kam über meine Lippen. Er hat den Vertrag abgeschlossen, er liefert mich aus und überläßt mich meinem Schicksal: er ist verantwortlich für alles! ... Ich soll ihm danken, während ich ihm in meinem Innern fluche?! ...

O, ist es denn möglich, das Entsetzliche: Plötzlich zu fühlen, daß man den Mann tödlich haßt, den man am innigsten liebte und verehrte?! ... Trotz alledem lächelte ich fortwährend, denn an einem solchen Tage muß man immer lachen oder wenigstens sich so stellen.

Nachdem noch einige alte Onkel mir ihren Segen erteilt hatten, nahmen die im Hochzeitszuge beteiligten Damen, die bis dahin im Park unter den großen Platanen Erfrischungen einnahmen, bereits ihre Tcharchafs um.

Die Braut allein nimmt keinen Tcharchaf um; aber die Neger erheben kostbare, in kunstvolle Falten gelegte seidene Damaststoffe zu beiden Seiten der Dahinschreitenden, ihr dadurch eine Gasse bildend und sie somit vor den Neugierigen auf der Straße unsichtbar machend, auf dem Wege vom Haustor bis zum geschlossenen Landauer, dessen Fensterscheiben im Innern mit durchlöcherten Holzfüllungen versehen sind. Die Zeit der Abfahrt ist gekommen, und ich durchschreite jene seidenbehangene Gasse: Zeyneb und Mélek, meine beiden Ehrendamen, beide in blauen Dominos über ihrer Galatoilette, folgen mir und steigen mit mir in den Wagen. Wir befinden uns in einem festverschlossenen Käfig, undurchdringlich allen Blicken.

Nach unserer ›Einkastelung‹, die auf mich fast den Eindruck einer Einsargung machte, trat ein tragikomisches Ereignis ein. Unser Wagen blieb unbeweglich stehen, und warum? Meine Schwiegermutter und meine Schwägerinnen, die zu uns gekommen waren, um mich nach ihrem Hause abzuholen, hatten ihre Sirupgläser noch nicht völlig geleert und verzögerten dadurch die ganze Abfahrt des Zuges. – Um so besser für mich; ich gewann dadurch noch eine Galgenfrist von einer Viertelstunde.

Endlich setzte sich der lange Zug der Wagen in Bewegung, der meinige an der Spitze. Zwischen meinen beiden Begleiterinnen und mir wird kein Wort gewechselt. Ich hätte Lust, die Wagentür zu öffnen und den Vorübergehenden zuzuschreien: ›Rettet mich! Man raubt mir mein Glück, meine Jugend, mein Leben!‹

Das Wagengerassel läßt nach, wir kommen auf die endlose Holzbrücke des Goldenen Horns; denn ich werde zukünftig eine Bewohnerin des jenseitigen Ufers sein. Sodann gelangen wir auf das Steinpflaster Stambuls, und der Gedanke, daß ich mich meinem Kerker nähere, beklemmt mich angstvoll. –

Endlich hält der Wagen an; die Tür wird geöffnet, und mein Blick fällt auf eine Menge Leute, die vor einem düsteren Hausportal wartend stehen: Neger in zugeknöpften Gehröcken, Trabanten in ihren mit Gold und Ehrenzeichen überladenen Uniformen, Hausintendanten und sogar der Nachtwächter des Bezirks mit seinem langen Stabe. Plötzlich aber erheben sich wieder zu meinen beiden Seiten die faltigen Seidenstoffe, die mich umhüllen wie bei der Abfahrt, und in dieser dadurch gebildeten Gasse gelange ich in einen mit Blumen überfüllten Flur, wo ein blonder junger Mann, in großer Uniform eines Kapitäns der Kavallerie, mir entgegenkommt. Lächelnd wechseln wir beide einen fragenden, beinahe herausfordernden Blick, und es ist geschehen: ich habe meinen Gebieter gesehen, und mein Gebieter hat mich gesehen. – Er verbeugt sich, bietet mir seinen Arm, geleitet mich in das erste Stockwerk und führt mich dort in einen großen Saal, an dessen Hauptwand sich auf einer dreistufigen Estrade ein Thron erhebt, auf den ich mich setzen muß. Sodann verbeugt sich mein Gebieter nochmals vor mir und entfernt sich; seine Rolle ist ausgespielt ... bis zum Abend! – Unwillkürlich sehe ich ihm nach auf seinem Wege durch den Saal, wo er auf eine wahre Flut von Damen trifft, die von der Treppe aus in den Saal strömen: alle in leichter Gazekleidung, mit Edelsteinen besät, mit entblößten Schultern, ohne Schleier weder vorm Gesicht noch über dem mit Diamanten und Perlen durchflochtenen Haarputz. Sämtliche Tcharchafs sind vor dem Eintritt in die Salons gefallen; man könnte glauben, eine Gesellschaft europäischer Damen in Abendtoilette vor sich zu sehen. Und mein Bräutigam, der wohl noch niemals derartiges gesehen und vielleicht auch nie wieder sehen wird, scheint mir ein wenig verwirrt zu werden als einziger Mann inmitten solchen Zusammenflusses schöner Frauen und als Zielpunkt aller ihrer Blicke, die ihn prüfend betrachten.

Er hatte seine Rolle beendet ... aber ich sollte mich den ganzen Tag hindurch auf meinem Thronsessel wie ein seltenes Tier von all den Neugierigen begaffen lassen. – Neben mir befand sich auf der einen Seite Mademoiselle Esther, auf der anderen waren Zeyneb und Mélek, ebenfalls befreit vom Tcharchaf und in offener Robe mit Blumen und Diamanten. Ich hatte sie gebeten, mich nicht zu verlassen, während des Paradezuges vor meinem Thron, der endlos zu werden drohte.

Die Verwandten, die Freundinnen, ja selbst die nur oberflächlich Bekannten, eine jede richtete an mich die Frage: Nun, meine Liebe, wie findest Du ›Ihn‹?

›Weiß ich denn selbst, wie ich ihn finde, den Mann, dessen Stimme ich noch nicht gehört, dessen Gesicht ich kaum gesehen habe, und den ich auf der Straße vielleicht nicht wiedererkennen würde?‹

Ich fand kein Wort, um den Fragenden zu antworten, nur ein Lächeln, weil das üblich ist, oder vielmehr nur eine Verzerrung der Lippen, die einem Lächeln ähnlich sieht. In den Blicken der meisten las ich ein gewisses Mitleid mit mir, einer ihrer Mitschwestern, die heute dem allgemeinen Unheil verfällt und ihre Genossin in der Erniedrigung und im Elend wird!

Und da begann ich, auf meinem Hochzeitsthron sitzend, zu überlegen, daß es ja für den schlimmsten Fall ein Mittel gäbe, sich zu befreien und wieder in den Besitz des Rechts, über sich selbst zu verfügen, gelangen zu können, ... ein Mittel, das Allah und der Prophet anzuwenden erlauben: die Ehescheidung ... Ja, das ist es, ich werde mich scheiden lassen! ... Wie kam es nur, daß ich nicht früher daran dachte?

In der Tat lassen sich in unserem Lande die Ehen sehr leicht und schnell lösen, wenn man den ernsten Willen hat.

*

Uebrigens ist dieser Vorbeimarsch an sich recht hübsch, und ich würde mich dabei gewiß sehr amüsieren, wenn ich nicht selbst das traurige Götzenbild wäre, das alle betrachten wollen. Man sieht nichts als Kanten, Spitzen, Gaze, helle und heitere Farben. Auch glaube ich nicht, – wenigstens nach dem zu schließen, was ich bei den Bällen in den europäischen Botschaften gesehen –, daß bei den Festlichkeiten der abendländischen vornehmen Welt ebenso viele wirklich schöne, reizende Damen anzutreffen sind wie bei uns. Denn alle diese den Männern unsichtbaren Türkinnen sind überaus fein, elegant und graziös; ich spreche selbstverständlich von denen der neueren Generation. Selbst die weniger schönen haben immer noch gewisse Reize und ein höchst anmutiges Benehmen.

Vergessen darf ich nicht, daß, sobald eine hochgestellte Eingeladene sich meinem Thron nähert, ich mich erheben muß, um ihre Verneigung ebenso tief zu erwidern, wie es ihr beliebte, sie vor mir zu machen, und ist sie noch jung, so muß ich sie bitten, einen Augenblick an meiner Seite Platz zu nehmen.

Nun fange ich aber an, mich wirklich zu amüsieren, als fände dieser Vorbeimarsch nicht für mich, sondern für eine andere statt. Man hat nämlich die Türen nach der Straße weit geöffnet, und jede Frau, gleichviel ob eingeladen oder nicht, welche die Braut zu sehen wünscht, darf eintreten. Und unter diesen sieht man die sonderbarsten Erscheinungen; alle wie Gespenster, mit Tcharchaf oder Yachmak, die Gesichter verdeckt, je nach der Mode der einen oder der anderen Provinz. Einzelne sind vom Kopf bis zu den Füßen eingehüllt in asiatische, kunstvoll mit Gold und Silber durchwirkte Seidenstoffe. Es erscheinen Syrierinnen in glänzenden Kostümen und Perserinnen, ganz schwarz gekleidet; auch hundertjährige Frauen, tief gebeugt auf ihre Stöcke, sieht man darunter.

Um vier Uhr kommen die europäischen Damen. Dies ist der peinlichste Augenblick des ganzen Tages. Man hatte die Damen lange am Büfett zurückgehalten, wo sie eine Unzahl kleiner Kuchen gegessen, Tee getrunken und Zigaretten geraucht hatten, um ihre Langeweile zu töten. Aber nun eilen sie in Scharen auf den Thron los, zur Besichtigung des ausgestellten seltenen Tieres.

Unter diesen Damen erscheint fast immer eine uneingeladene Fremde, deren Einführung man entschuldigen zu wollen dringend gebeten wird. Gewöhnlich eine englische oder amerikanische Touristin, die sehr begierig ist, dem Schauspiel einer türkischen Hochzeit beizuwohnen. Sie erscheint ganz ungeniert in Reisekleidung. Mit den gleichen forschenden, starren Blicken, mit denen sie die Erde von der Spitze des Himalaya oder die Mitternachtssonne vom Nordkap betrachtete, sieht sie dann auch die türkische Braut an. – Die Reisende, die das Schicksal mir bescherte, war eine Journalistin, die an ihren Händen dieselben schmutzigen Handschuhe hatte, die sie auf dem Dampfer bei der Ueberfahrt trug. Unbescheiden, zudringlich, erpicht auf Material zu einem pikanten Bericht für ein neugegründetes Journal, stellt sie mir mit äußerster Taktlosigkeit die allerfrechsten Fragen, auf die ich ihr selbstverständlich nicht antworte.

– Ich fühle mich grenzenlos gekränkt! –

Auch der nun folgende Besuch der Damen aus Pera, die übermäßig aufgeputzt erscheinen, bietet nur Unerfreuliches. Sie haben meistens schon fünfzig oder mehr Hochzeiten gesehen, und wissen deshalb bis ins einzelne, wie sich die Sachen dabei zugetragen; das verhindert aber nicht ihre ebenso albernen wie boshaften Fragen.

›Nicht wahr, Sie kennen Ihren künftigen Gatten noch gar nicht? ... Wie komisch das ist! ... Welch sonderbarer Gebrauch! ... Aber, meine liebe Freundin, Sie hätten sich einfach darüber hinwegsetzen sollen und allen ein Schnippchen schlagen! ... Sie haben es nicht getan? Ist's wahr? ... Nun, ich an Ihrer Stelle hätte es getan ... ist würde mich kurzweg geweigert haben, diese Heirat einzugehen!‹

Indem sie dies sagt, wirft sie ihrer Nachbarin, eine ebenfalls in Pera wohnenden Griechin, spöttische Blicke zu, die von der anderen durch mitleidiges Achselzucken erwidert werden.

Ich lächelte trotzdem, weil es so vorgeschrieben ist, aber ich empfinde die schamlosen Worte und das Benehmen jener beiden Geschöpfe wie blutige Schläge auf beide Wangen. –

Endlich sind sie fortgegangen, auch die anderen Besucherinnen in Tcharchafs oder mit Hüten. Nur die wirklich Eingeladenen bleiben.

Nun kann ich mir endlich erlauben, von meinem Thron herabzusteigen, auf dem ich fast sechs Stunden hindurch zur Schau saß; ich kann sogar den blauen Salon verlassen, in welchem sich die Großmütter und die sogenannten 1320erinnen, die strengen Anhängerinnen des Althergebrachten gruppiert haben. Auf den Häuptern der meisten diese Strenggläubigen thront noch der ehrwürdige kleine Turban.

Ich, meinesteils, hätte nicht übel Lust, mich unter die Menge der jungen ›Abtrünnigen‹, wie ich selbst, zu mischen die sich seit einigen Minuten nach einem Nebensaal drängen, wo ein Orchester spielt, das, nur aus Saiteninstrumenten gebildet, dazu bestimmt ist, sechs Sänger zu begleiten, die abwechselnd Strophen von Sia Pascha, Hafiz oder Sad singen, alle schwermütigen oder leidenschaftlichen Inhalts wie die orientalische Musik es im allgemeinen ist. Die Musiker – nur Männer – sind dabei hermetisch abgeschlossen von den Zuhörerinnen durch ein ungeheuer großes Belum aus Seidendamast, um das Unheil zu verhüten, daß einer der Sänger eine oder die andere der Zuhörerinnen mit Augen sähe! – Als ich in den Saal trat, hatten meine Freundinnen eine gesangliche Wahrsagungssitzung arrangiert, wie dies bei Hochzeitsfesten üblich ist. Die eine sagt dabei: ›Der erste Gesang ist für mich!‹ Eine andere sagt: ›Ich nehme den zweiten für mich!‹ und so weiter. Jede von ihnen nimmt dann die Worte jenes Gesanges als weissagend für sich in Anspruch.

Als ich eintrat, rief ich: ›Die Braut nimmt den fünften Gesang für sich in Anspruch!‹

Und als dieser fünfte Gesang begann, näherten alle ihre Ohren dem Belum, um nur ja kein Wort der Weissagung zu verlieren. Der unsichtbare Sänger aber sang mit vernehmlicher Stimme:

›Ich bin die Liebe! mein Gefühl ist zu heiß,
Wenngleich es nur bis in die Seele dringt.
Mein ganzes Leben reicht nicht hin, die Wunde zu
schließen, die ich erhalten,
Ich schwinde dahin, doch meiner Schritte Spur
bleibt ewiglich! –
Ich bin die Liebe, mein Gefühl ist zu heiß!‹ –

Mit schmelzender, hinreißender Stimme hatte der Sänger die Strophe gesungen. Ich war dorthin gekommen, um mich, gleich den übrigen, zu erheitern, denn gewöhnlich klingen diese Weissagungen sehr komisch und werden mit hellem Gelächter empfangen. Diesmal aber lachte keine der Anwesenden, und alle blickten mich besorgnisvoll an.

Mir aber erschien es nicht mehr so wie frühmorgens, daß heute meine Jugend begraben werde. O nein! Auf irgendeine Weise werde ich mich von dem Manne trennen, dem man mich auslieferte, und ich werde ein anderes Leben beginnen, gleichviel wo? ... Und dann werde ich die Liebe finden, deren Gefühl zu heiß ist! ... Und nun erschien mir alles wie verwandelt in diesem Saal. War es die ermüdende Anstrengung des Tages oder was sonst? Genug, in meinem Kopfe drehte sich alles; ich sah nichts mehr von dem, was mich umgab. Mir war auch alles gleichgültig, weil ich fühlte, daß ich einst auf meinem Lebenswege die Liebe finden werde ... gleichviel, ob ich daran sterben müsse! ...

Später, wie lange Zeit inzwischen verging, weiß ich nicht, trat meine Cousine Djavide, dieselbe, die am Morgen ihr Glück auf meinen Kopf übertragen hatte, an mich heran und sagte:

›Wie? Du bist ganz allein? Alle anderen sind in den Speisesaal hinabgegangen, wo sie Dich erwarten.‹

›In der Tat‹ erwiderte ich, ›der Saal ist leer; ich habe nichts davon bemerkt.‹

Djavide hatte den Neger mitgebracht, der meine Schleppe tragen und mir Platz verschaffen sollte in dem Andrange der Menge. Sie nahm meinen Arm und während wir die Treppe hinunterschritten, fragte sie mich leise:

›Ich bitte Dich, sage mir die Wahrheit! An wen dachtest Du, als ich Dich so einsam antraf?‹

›An André Lhéry!‹ erwiderte ich ebenso leise.

›An André Lhéry?‹ rief sie lachend. ›Bist Du närrisch, oder willst Du Dich lustig machen über mich?... An André Lhéry ... Dann wäre es also wahr, was man mir von Deiner sonderbaren Grille erzählte? ... Nun, mit dem ist wenigstens eine Zusammenkunft nicht zu befürchten. Ich aber an Deiner Stelle würde noch Besseres erträumen. Man sagte mir nämlich, daß man auf dem Monde reizende Männer fände. Das solltest Du Dir einmal überlegen. So ein ›Mondmann‹ wäre, wie mir scheint, für eine kleine Schwärmerin wie Du bist ganz geeignet!‹ Wir hatten noch etwa zwanzig Stufen hinabzusteigen bis zum unteren Stockwerk, wo uns alle mit Spannung erwarteten. Glücklicherweise mußte ich über den ›Mondmann‹ der guten Djavide herzlich lachen, und da diese in mein Gelächter einstimmte, so gelangten wir beide in einer dem ›freudigen Feste‹ angemessenen Stimmung im Speisesaal an.

Auf meine Bitte war eine besondere Tafel aufgestellt für die Jugend. Fünfzig Hochzeitsgäste unter fünfundzwanzig Jahren, eine immer reizender als die andere, umringten dort die Braut. Das Tafeltuch war bedeckt mit weißen Rosen.

Unter den jungen Türkinnen an meiner Tafel befanden sich einige Damen des kaiserlichen Palastes, die ›Saraylis‹, Zirkassierinnen, berühmt wegen ihrer wunderbaren Schönheit; auch andere Zirkassierinnen, die aus den Bergen stammten, Töchter von Landleuten oder Hirten, als kleine Kinder wegen ihrer Schönheit angekauft. Nachdem sie einige Jahre in den Serails als Sklavinnen gedient hatten, wurden sie plötzlich große Damen durch ihre Verheiratung mit irgendeinem Kammerherrn.

Man muß gestehen, daß sich diese schönen Emporkömmlinge in ihren eroberten Stellungen mit vielem Takt und bewundernswerter Sicherheit zu benehmen und zu behaupten wissen. Diese und Tausende ihrer jugendlichen Landsmänninnen, die im Laufe der Jahre nach der Residenzstadt verkauft werden, sind es, die den Schatz ihres reinen Blutes der abgestumpften eingesessenen Bevölkerung zuführen.

Unter den Tischgenossen herrschte Fröhlichkeit; heitere Gespräche und ausgelassenes Gelächter wechselten unaufhörlich miteinander ab.

Für uns Türkinnen ist ein Hochzeitsmahl stets eine Gelegenheit, die Sorgen für einige Zeit zu vergessen oder doch zu betäuben. Wir sind übrigens von Natur heiteren Charakters und überlassen uns gern den harmlosesten Vergnügungen. Sagte doch eine Dame, die der Französischen Botschaft angehörte, eines Tages, als sie im Begriffe stand, nach Paris zurückzukehren, zu mir: ›Niemals mehr in meinem Leben werde ich so harmlos und so herzlich lachen wie in den Harems von Konstantinopel!‹

Nachdem das Hochzeitsmahl durch einen zu Ehren der Braut in Champagner ausgebrachten Toast beendigt worden war, schlugen einige der jungen Damen meiner Tafelrunde vor: das türkische Orchester sich ausruhen zu lassen und selbst europäische Musik zu machen.

Leider mußte ich aber errötend gestehen, daß sich in meiner Wohnung kein Piano befindet! Allgemeines Erstaunen unter den Anwesenden und Mienen des Bedauerns, als wollte man sagen: ›Arme Kleine! Der junge Ehemann muß ja ein wahrer 1320er sein‹ ... Das Leben in diesem Hause verspricht ja recht ergötzlich zu werden!‹

Es ist 11 Uhr abends. Man vernimmt von der Straße her das ungeduldige Stampfen und Schnauben der mutigen Pferde vor den prächtigen Kutschen, und die steile alte Straße ist angefüllt von Negern in Livree, mit Laternen in den Händen. Die Eingeladenen nehmen ihre Schleier um und bereiten sich zum Gehen. Die Stunde ist allerdings schon sehr vorgerückt für Muselmaninnen, und ohne den ausnahmsweisen Umstand einer großen Hochzeit befände sich auch keine von ihnen mehr außerhalb ihrer Behausung.

Man beginnt Abschied zu nehmen, und die Braut, fortwährend aufrechtstehend, muß sich bei jeder Dame bedanken, die ›so gnädig gewesen, dieser bescheidenen Zusammenkunft beizuwohnen‹. Als meine Großmutter sich mir nähert, um sich zu verabschieden, sagt ihre zufriedene Miene deutlich: ›Endlich haben wir dieses eigensinnige Persönchen verheiratet! Welch gutes Werk!‹ ...

Alle gehen fort, mich allein lassend in meinem neuen Gefängnis. Jetzt habe ich nichts mehr, um mich zu betäuben, es bleibt mir nur die Gewißheit der Erfüllung des Unvermeidlichen.

Zeyneb und Mélek, meine geliebten kleinen schwesterlichen Freundinnen, die zuletzt zurückblieben, nähern sich mir nun, um mich zu umarmen. Wir wagen nicht, einen einzigen Blick miteinander zu wechseln, aus Furcht vor Tränen. Auch sie gehen, ihre Schleier über die Gesichter fallen lassend. – Es ist alles zu Ende! – Ich fühle mich vereinsamt, wie in einem finsteren Abgrunde. Aber heute abend habe ich den Willen, mich daraus zu befreien. Gefaßter als morgens früh bin ich zum Kampf bereit, denn ich hörte den Ruf der Liebe, deren Gefühl zu heiß ist, um jemals wieder zu verschwinden! ...

Man benachrichtigt mich, daß der Bei, mein Gemahl, oben im blauen Salon seit einigen Minuten auf das Vergnügen wartet, mit mir plaudern zu dürfen. Er kam von Khassim-Pascha zurück, von meinem Vater, bei dem ein Herrendiner stattfand.

Wohlan! Auch mir liegt daran, ihn wiederzusehen, um ihm die Stirn zu bieten. Ich werde ihm lächelnd entgegentreten, mit List gewappnet, entschlossen, ihn in Staunen zu versetzen und ihn zu blenden ... aber die Seele erfüllt von Haß und Racheplänen!«

So weit war die junge Frau mit dem Schreiben für ihr Tagebuch gekommen, als das Rauschen seidener Kleider dicht hinter ihr sie aufschreckte: ihre Schwiegermutter war auf leichten Sohlen ins Zimmer getreten, wie eine alte Katze unhörbar schleichend. Glücklicherweise konnte sie französische Schrift nicht lesen, überdies hatte sie ihr Augenglas mitzunehmen vergessen.

»Nun, nun! liebe Kleine ... das heißt zu viel schreiben! Seit fast drei Stunden sitzen Sie an Ihrem Schreibtisch! Ich bin schon mehrmals auf den Zehenspitzen hergekommen. Unser Hamdi wird bald von Jildis zurückkommen, und Ihre schönen Augen werden völlig ermüdet sein bei seinem Empfange. Ruhen Sie sich ein wenig aus und schließen Sie diese Papiere bis morgen weg!«

Das letztere ließ sich die Schreiberin nicht zweimal sagen, sie verschloß alles schleunig in den Tischkasten und drehte den Schlüssel zweimal im Schloß um; denn noch eine andere Person war soeben in der Zimmertür erschienen, eine, die Französisch verstand und einen durchdringenden Blick halte: die schöne Durdane (Perlenkern), eine Cousine Hamdis, vor kurzem von ihrem Manne geschieden und seit vorgestern hier im Hause zu Besuch. Ein zu hübsches Gesicht, mit rotgefärbten Augenlidern und ebensolchen Haaren; überdies hatte sie ein falsches Lächeln. In ihr hatte die Neuvermählte sofort eine Hinterlistige erkannt. Ihr brauchte man nicht erst zu empfehlen, ihr Aussehen zu pflegen für Hamdis Ankunft, denn sie war die Koketterie selbst, besonders vor ihrem schönen Cousin.

»Schauen Sie, liebe Kleine,« fuhr die alte Dame zu ihrer Schwiegertochter fort, indem sie ihr ein etwas verblichenes Schmuckkästchen überreichte, – »ich habe Ihnen einen Schmuck aus meiner Jugendzeit mitgebracht; da er orientalisch ist, wird niemand sagen können, unmodern. Er wird sich sehr gut zu Ihrer heutigen Robe ausnehmen.«

Es war ein antikes Kollier, das sie ihr sogleich um den Hals legte: Smaragden, deren Grün wirklich wundervoll übereinstimmte mit dem Rosa ihres Kostüms.

»O, das kleidet Sie entzückend, mein liebes Kind! ... Unser Hamdi, der sich so vortrefflich auf Farben versteht, wird Sie heute abend unwiderstehlich finden!«

Die Neuvermählte selbst wünschte, daß sie Hamdi gefalle, denn sie zählte auf ihre reizende Erscheinung als Hauptmittel des Kampfes und der Rache. Nichts demütigte sie jedoch so tief als die Narrheit ihrer Schwiegermutter, sie fortwährend zu schmücken oder zu putzen:

»Liebe Kleine, stecken Sie doch jenes allerliebste Haarlöckchen, dort am Ohr, ein wenig höher; unser Hamdi wird Sie dann noch viel schöner finden!« ... »Liebe Kleine, stecken Sie doch diese Teerose in Ihr Haar; es ist die Lieblingsblume unseres Hamdi!« ... Fortwährend so, als Odaliske oder als Staatspuppe behandelt, zum besonderen Vergnügen des Gebieters!

Mühsam ihre zornige Erregung unterdrückend, hatte sie kaum ihren Dank aussprechen können für das Smaragdkollier, als der diensttuende Neger meldete, daß der Bei schon in Sicht sei, daß er zu Pferde, ankomme und eben um die nächstgelegene Moschee biege. – Sogleich erhob sich die alte Dame und sagte zu ihrer Nichte:

»Durdane! Für uns ist es Zeit, uns zurückzuziehen. Wir dürfen das neuvermählte Paar nicht stören!« – Und beide entflohen eiligst wie zwei Aschenbrödel. Aber Durdane drehte sich auf der Türschwelle noch einmal um und sandte der Zurückbleibenden zum Abschied ein herausforderndes Lächeln zu.

Die Neuvermählte wendete sich zum Spiegel. Neulich hatte sie sich zu ihrem jungen Gatten ebenso weiß begeben wie ihr Brautkleid gewesen ... ebenso rein wie das Wasser ihrer Diamanten. Während ihrer vorhergegangenen, gänzlich den Studien gewidmeten Lebenszeit, fern vom Umgang mit jungen Männern, hatte nie ein sinnliches Bild ihre Einbildung auch nur gestreift. Aber Hamdis immer zunehmendes einschmeichelndes Benehmen, seine körperliche Nähe, seine Liebesbeteuerungen, begannen sie, gegen ihren Willen, in einer Weise körperlich zu erregen, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.

Von der Treppe her hörte man das Klirren eines Kavalleriesäbels; er war also angekommen und befand sich ganz in ihrer Nähe. Und sie fühlte, daß der Augenblick nahe sei, da sich zwischen ihnen jene innige Gemeinschaft bilden würde, die sie sich nur unvollkommen vorstellen konnte. Zum erstenmal empfand sie den bisher uneingestandenen Wunsch seiner Gegenwart. Aber die Scham über diesen Wunsch erweckte in ihrer Seele von neuem ein Gefühl der Empörung und des Hasses.


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