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19.

Djenane an André.

» Bunar-Baschi bei Saloniki, 20. Juni 1904.

Ihre Freundin dachte an Sie, aber sie war mehrere Wochen hindurch zu streng bewacht, um schreiben zu können. Heute wollte sie Ihnen die unbedeutende Geschichte ihrer Verheiratung erzählen. Lassen Sie es über sich ergehen, da Sie doch die Geschichte Zeynebs und Méleks mit so großem Wohlwollen angehört haben, in Stambul, wenn Sie sich dessen noch entsinnen, im alten Häuschen meiner guten Amme.

Was mich betrifft, ... der Unbekannte, den mein Vater mir zum Gatten gegeben hatte, war weder ein Grobian noch ein Kranker: im Gegenteil, ein hübscher, blonder Offizier mit eleganten, sanften Manieren, den ich wohl hätte lieben können. Wenn ich ihn anfangs verabscheute als einen mir mit Gewalt aufgezwungenen Gebieter, so bewahre ich doch jetzt keinen Haß mehr gegen ihn. Aber ich konnte die Liebe nicht so auffassen, wie er sie verstand; eine Liebe, die nur ein Verlangen war und auf den Besitz meines Herzens keinen Anspruch machte.

Bei uns Muselmanen leben, wie Sie wissen, in demselben Hause Männer und Frauen getrennt. Das fängt zwar schon an zu verschwinden, und ich kenne Bevorzugte, die wirklich gemeinsam mit ihren Männern leben. Aber das geschieht nicht in den alten strenggläubigen Familien wie die unsrige. Der ›Harem‹, unser Aufenthaltsort, und der ›Selamlik‹, wo die Männer, unsere Gebieter, wohnen, sind durchaus verschiedene Wohnungen. Ich bewohnte also unseren großen fürstlichen Harem mit meiner Schwiegermutter, zwei Schwägerinnen und einer jungen Cousine Hamdis, namens Durdane; diese war sehr hübsch, alabasterweiß, mit brennendrotem Haar und meergrünen Augen, deren Pupillen im Dunkeln leuchteten; aber man begegnete nie ihrem Blick.

Hamdi war der einzige Sohn, und seine Frau wurde sehr verhätschelt. Man hatte mir ein ganzes Stockwerk des großen, palastartigen Hauses gegeben; ich hatte für mich allein vier glänzende Salons nach der alttürkischen Mode, worin ich mich entsetzlich langweilte! ... Das also war die Ehe? ... Zärtlichkeiten und Küsse, die niemals meine Seele suchten? Lange Stunden der Einsamkeit, der Gefangenschaft, ohne Zweck und ohne Interesse. Und dann die anderen Stunden, ... wo ich die Rolle einer Puppe spielen mußte, ... oder noch eine geringere! ...

Ich hatte versucht, mein Boudoir wohnlich und angenehm einzurichten, um Hamdi zu veranlassen, seine freien Stunden hier zuzubringen. Ich las ihm die Journale vor, ich plauderte mit ihm von den Ereignissen im kaiserlichen Palast und in der Armee, ich versuchte zu entdecken, was ihn interessiere, um zu lernen, mit ihm darüber zu sprechen. – Doch nein, das verwirrte seine angeborenen Ideen; ich sah es wohl. – ›Das alles‹, sagte er, ›ist gut für die Unterhaltungen zwischen Männern, im Selamlik!‹ ... Er verlangte von mir nur: hübsch und verliebt zu sein. Er verlangte es so oft, daß es mir zuviel wurde! ...

Eine, die es verstand, verliebt zu sein, das war Durdane! In der Familie bewunderte man sie wegen ihrer Grazie – der Grazie einer jungen Pantherin, die alle ihre Bewegungen wellenförmig machte. Abends tanzte sie oder spielte sie die Laute: sprach sehr wenig, aber lachte immer; ein Lachen, das zugleich vielversprechend und grausam klang, wobei sie ihre kleinen spitzen Zähne sehen ließ.

Sie trat oft bei mir ein, um mir Gesellschaft zu leisten, wie sie sagte. O, welche Geringschätzung sie jedesmal für meine Bücher, mein Piano, meine Schriften und meine Briefe zeigte! – Weit von alledem, zog sie mich stets in einen der türkisch eingerichteten Salons, um sich auf einen Diwan zu werfen, Zigaretten zu rauchen und, wie sie das unaufhörlich tat, mit einem kleinen Handspiegel zu spielen. – Zu ihr, die verheiratet gewesen und jung war, glaubte ich von meinem Kummer sprechen zu können. Aber sie riß ihre großen wässerigen Augen auf und brach in schallendes Lachen aus: ›Worüber kannst Du Dich beklagen? Du bist jung, hübsch und hast einen Gatten, den Du noch lieben wirst!‹ – ›Nein!‹ entgegnete ich; ›er gehört mir nicht an, denn ich habe nicht seine Gedanken!‹ – ›Was kümmern Dich seine Gedanken? Du hast ›ihn‹, und Du hast ihn für Dich ›allein!‹ – Sie betonte diese letzten Worte, sie mit einem boshaften Blicke begleitend.

Ein wirklicher Kummer für Hamdis Mutter war es, daß ich am Ende des ersten Jahres der Ehe kein Kind hatte. Sie behauptete: man habe mich behext! ... Aber ich weigerte mich, mich zu den Heilquellen führen zu lassen, in die Moscheen oder zu den Derwischen, die im Rufe standen, solch bösen Zustand heilen zu können.

Zu jener Zeit hatte Hamdi die Absicht geäußert, einen Posten im Auslande bei einer Botschaft zu erbitten. ›Ich werde Dich dorthin mitnehmen!‹ versprach er mir, ›und da wirst Du das Leben der Abendländerinnen führen, wie die Gattin unseres Botschafters in Wien oder wie die Prinzessin Emine in Schweden!‹

Ich hoffte, daß dann, wenn wir uns beide allein in einem kleineren Hausstande befänden, unser Zusammenleben viel inniger werden würde. Im Auslande, dachte ich mir, wäre er vielleicht sehr zufrieden, eine Frau zu haben, die nicht nur gebildet ist, sondern auch mit den abendländischen Gebräuchen Bescheid weiß.

Zu diesem Zwecke bemühte ich mich eifrig, meine Kenntnisse zu vergrößern; ich las die bedeutendsten französischen Revuen, die großen Journale, die erfolgreichsten Romane und Theaterstücke. – Und so kam es, daß ich begann, Sie, André und Ihre Werke genauer kennen und schätzen zu lernen. Als junges Mädchen hatte ich bereits ›Medje‹ und einige Ihrer Bücher über den Orient gelesen. Ich las sie alle noch mehrmals in jener Zeit, zu meiner Belehrung, und da verstand ich es erst vollkommen, warum wir alle, wir Muselmaninnen, Ihnen so großen Dank schulden, und warum wir Sie mehr lieben als viele andere: weil wir uns mit Ihnen in inniger Seelenverwandtschaft befinden, durch Ihre genaue Kenntnis des Islam. Denn unserem so oft gefälschten und verkannten Islam bleiben wir treu ergeben, denn er ist es nicht, der unsere Leiden wollte! ... Unser Prophet war es nicht, der uns zu dem Märtyrertum verdammte, das man uns auferlegt! Der Schleier, den er uns ehemals gab, war ein Schutzmittel und nicht ein Zeichen der Sklaverei! ... Nie, niemals hat er gewollt, daß wir nur Puppen des Vergnügens sein sollten! ... Der fromme Imam, der uns in unserem Heiligen Buch unterrichtete, hat es uns deutlich gesagt. Und Sie, André, sagen Sie es auch öffentlich, zu Ehren des Korans und als rächende Vergeltung für alle, die unter dem Unrecht leiden und gelitten haben. Sagen Sie es endlich, weil wir Sie lieben!

Nach Ihren Büchern über den Orient mußte ich auch alle die anderen lesen, und auf jede ihrer Seiten fiel eine Träne. Denken die Verfasser vielgelesener Bücher, während sie ein Werk schreiben, an die unendliche Verschiedenheit der Seelen, in die ihre Gedanken sich senken werden? Für die Frauen des Abendlandes, die das Treiben der Welt sehen, die darin leben, haften die von einem Autor bewirkten Eindrücke wohl nicht allzu lange; aber für uns, die ewig Eingesperrten, halten Sie den Spiegel, der uns jene unbekannte Welt zeigt, die wir durch Sie kennen lernen. Durch Sie fühlen wir auch, daß wir leben! – Finden Sie es unter solchen Umständen nicht erklärlich, daß der von uns geliebte Autor ein Teil von uns selbst werde?

Ich bin Ihnen überall, rund um die Erde gefolgt und habe ganze Albums, gefüllt mit Ausschnitten von Journalen, die über Sie berichteten. Ich hörte viel Schlechtes über Sie, das ich jedoch nicht glaubte. Lange bevor ich Ihnen begegnete, hatte ich längst den Mann vorausempfunden, der Sie sein müßten, und als ich Sie wirklich kennen lernte, da sah ich, daß ich Sie bereits kannte. Und als Sie mir Ihre Porträts gaben, da hatte ich sie schon alle, fest verschlossen in einem geheimen Kasten, wo sie in einem seidenen Beutelchen ruhen!! – –

Und nach einem solchen Geständnis verlangen Sie, daß wir uns wiedersehen? Nein, dergleichen Dinge sagt man nur einem Freunde, den man niemals wiedersehen wird.

Aber wie weit habe ich mich von der Geschichte meiner Ehe entfernt! ... Wie ich glaube, befand ich mich am Ende des Winters, der meinem Hochzeitsfeste folgte. Der Winter hatte in jenem Jahre sehr lange gedauert: zwei Monate hindurch lag Stambul unter dem Schnee. Ich war sehr bleich geworden und kraftlos. Hamdis Mutter erriet übrigens, daß ich nicht glücklich war, und eines Tages wurden Aerzte herbeigerufen, auf deren Rat man mich für zwei Monate nach den ›Inseln‹ schickte (lIes des Princes, im Marmarameer), wo Zeyneb und Mélek sich ebenfalls bereits befanden; Sie kennen diese unsere ›Inseln‹, André, und deren Milde im Frühjahr, nicht wahr? Man atmet dort die Liebe zum Leben und die Liebe zur Liebe ein. – In jener reinen Luft, unter den balsamisch duftenden Fichten, fühlte ich mich wie neubelebt. Die bösen Erinnerungen, die Mißtöne meines Ehelebens, alles zerschmolz. Ich machte mir Vorwürfe, meinem Gatten gegenüber so verschlossen und zurückhaltend gewesen zu sein. Dieses Klima und der Frühling hatten mich verwandelt. An den Mondscheinabenden ging ich im schönen Garten unserer Villa einsam und allein umher, ohne einen anderen Traum, ohne anderen Wunsch als den, meinen Hamdi bei mir zu haben, seinen Arm um meine Taille zu fühlen und nichts zu sein, als verliebt. Ich dachte an seine Küsse, die ich nicht verstanden hatte zu erwidern und an seine Liebkosungen, die mir unerträglich gewesen waren.

Noch vor Ablauf der festgesetzten Frist, und ohne meine Rückkunft angemeldet zu haben, reiste ich nach Stambul zurück, nur begleitet von meinen Sklavinnen.

Das Boot, das mich zurückführte, verspätete sich, und es war bereits neun Uhr abends, als ich geräuschlos in unser Haus eintrat. Hamdi mußte in dieser Stunde wie gewöhnlich, mit seinem Vater und seinen Freunden im Selamlik sein; meine Schwiegermutter hatte sich ohne Zweifel eingeschlossen, um über ihren Koran nachzusinnen, und meine Cousine stand im Begriff, sich ihre Zukunft von irgendeiner schlauen alten Sklavin aus dem Kaffeegrund weissagen zu lassen.

Ich ging also geradeswegs und leise nach meiner Wohnung; ... beim Eintreten in mein Schlafzimmer sah ich nichts weiter als Durdane in den Armen meines Mannes...!

Sie werden sagen, André, daß mein Abenteuer recht unbedeutend war, und daß ähnliches sich im Abendlande sehr häufig ereignet; ich erzählte es Ihnen auch nur wegen der daraus entstandenen Folgen.

Aber ich bin sehr erschöpft und muß die Fortsetzung bis morgen verschieben.

Djenane.«


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