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40.

Es waren ihnen immerhin noch Tage anscheinender Ruhe beschieden. Der Juli ging zwar vorüber, ohne daß es ihnen möglich war, sich zu sehen, nicht einmal von weitem, bei den »Süßen Wassern«. Dieser Monat ist übrigens in Konstantinopel die Zeit der großen Winde und der Gewitter, während welcher der Bosporus sich vom Morgen bis zum Abend mit weißem Schaum bedeckt. Während dieses ganzen Monats vermochte Djenane kaum an André zu schreiben, so streng war sie von einer alten, griesgrämigen Tante überwacht worden, die aus Erivan zu Besuch gekommen, und die nicht duldete, daß eine Fahrt im Caique gemacht würde, wenn das Wasser nicht spiegelglatt war.

Aber die gute Tante räumte zum Glück anfangs August das Feld; ... und der Rest des Sommers brachte ständig wunderschönes Wetter.

André und seine drei Freundinnen wurden wieder die regelmäßigen Besucher der »Süßen Wasser« Asiens; außerdem fanden öftere Zusammenkünfte in Stambul, in dem kleinen Hause des Sultan-Selim, statt.

Aeußerlich war alles wieder wie im vorhergegangenen Sommer, bis auf den unbeweglich gebliebenen schwarzen Schleier Djenanes. Aber in ihren Seelen waren neue, noch nicht ausgesprochene Gefühle, deren man noch nicht ganz sicher schien, die jedoch zuweilen inmitten ihrer Gespräche ein längeres Schweigen herbeiführten.

Im vorhergegangenen Jahre sagten sie sich immer: »Wir haben ja noch einen zweiten Sommer vor uns!«, während jetzt alles zu Ende ging, weil André im November die Türkei verließ; – und sie dachten fortwährend an diese bevorstehende Trennung: aber sie stimmten alle darin überein, daß man die noch übrigbleibende Frist soviel als irgend möglich ausbeuten müsse.

Zunächst hieß es: Wir wollen noch einmal das Wäldchen von Beicos gemeinschaftlich besuchen; und dann wallfahrten wir alle nochmals nach dem Grabe Nedjibes. – Und André, der in diesem Jahre öfter als sonst an die Tote dachte, besonders aber am Anfang jeden Monats, sagte sich am ersten September, daß dieser Tag einen bedeutungsvollen Abschnitt für ihn bilden müsse, auf seinem abwärts führenden Lebenswege. – Der Sommer begann bereits zu schwinden, und er dachte mit innerem Grauen an den Winter. –

Und doch, wie herrlich war der heutige Morgen; welche ungestörte Ruhe herrschte auf dem Bosporus; nicht der leiseste Wind machte sich bemerkbar, und je höher die Sonne stieg, desto köstlicher wurde die Luft. Auf dem Wasser fuhr jetzt eine lange Reihe von Segelschiffen, Von einem Dampfer am Schlepptau gezogen, vorüber. Es waren dies türkische Schiffe aus alter Zeit mit schloßartigem Aufbau am Hinterteil, buntbemalt an allen Seiten; Schiffe, wie man sie nur hier noch sieht, nirgends wo anders. Alle Segel gerollt, fuhren sie langsam nach dem Schwarzen Meere, das auch heute in größter Ruhe dalag zum Erstaunen aller, die seine gewöhnliche Tücke kannten. – Am Nachmittag fuhr André in seinem Caique nach den »Süßen Wassern«, wo alles im glänzenden Sonnenlicht strahlte; er kreuzte mehrmals mit seinen drei Freundinnen und fing so manchen freundlichen Blick anderer, nur leicht verschleierter junger schöner Damen auf. – Unter einem unvergleichlich schönen Abendhimmel fuhr er zurück, die asiatische Küste streifend. Das Caique flog unter den kräftigen Ruderschlägen pfeilschnell dahin. André atmete die balsamische Abendluft in vollen Zügen ein, und die Lust am Leben erwachte von neuem in ihm. Seine Seele, die oft nichts war als ein Abgrund voller Mißstimmung und Lebensüberdruß, verwandelte sich plötzlich, er fühlte sich wieder jung und zu allen möglichen Abenteuern aufgelegt.

An diesem Abend hatte er in seinem Caique Jean Renaud mitgenommen, der ihm unterwegs anvertraute, daß er sich sterblich verliebt habe in eine schöne Dame aus den Botschafterkreisen, daß diese aber, obgleich sie ihn, wie er bestimmt wisse, ebensosehr liebe, sich ziemlich gleichgültig gegen ihn stelle.

Uebrigens liebe er Djenane, deren Gesicht er zwar noch nie gesehen habe, deren schlanke Gestalt und himmlische Stimme aber seinen Schlaf störe.

André hörte ihm ruhig zu; er fühlte sich in gleicher Stimmung mit diesem jungen Mann; das lag an der bedrückenden Luft. Fast hätte er Lust gehabt, ihm mit einer Art von Triumph zuzurufen:

»Nun wohl, junger Mann, so wissen Sie denn: ich bin mehr geliebt als Sie!«


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