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16.

Sie hatten wirklich Konstantinopel verlassen, denn André Lhéry erhielt einige Tage später von Djenane nachstehenden Brief, der den Poststempel »Saloniki« trug:

»Am 16. Mai 1904.

Lieber Freund, der Sie die Rosen so sehr lieben, warum sind Sie nicht hier bei uns? Sie, der den Orient kennt und liebt wie kein anderer Abendländer ..., warum können Sie nicht in den Palast aus alten Zeiten eindringen, wo man uns für einige Wochen unterbrachte, hinter himmelhohen Mauern, die zwar düster, aber von unten bis oben hinauf mit Blumen bewachsen sind.

Wir befinden uns hier bei einer meiner Großmütter, sehr weit von der Stadt, völlig auf dem Lande. Um uns her ist alles alt: Menschen und Gegenstände. Nur wir drei sind jung mit den Frühlingsblumen im Garten und unsere drei kleinen zirkassischen Sklavinnen, die sich in ihrer Stellung sehr glücklich fühlen und unsere Klagen nicht begreifen können.

Seit fünf Jahren waren wir nicht hierhergekommen und hatten die hiesige Lebensweise gänzlich vergessen, neben der unser Leben in Stambul fast leicht und frei erscheint. Ganz plötzlich in diese Umgebung zurückversetzt, von der uns ganze Menschenalter trennen, kommen wir uns wie Fremde vor. Man liebt uns wohl, aber man haßt die neue Seele, die in uns wohnt. Des Familienfriedens wegen versuchen wir es, uns in die hiesigen Formen zu fügen und unser Benehmen nach den früheren Gebräuchen zu modeln; aber das genügt nicht, man erkennt darunter doch die neue Seele, der man nicht verzeihen kann, sich befreit zu haben.

Und mit welchen Kämpfen, Opfern und Schmerzen haben wir jene Befreiung erkaufen müssen? Sie, André, als Abendländer, haben diese Kämpfe ja nie kennen gelernt, Ihre Seele hat sich allezeit frei entwickeln können in der Umgebung, die Ihnen beliebte. Sie können uns nicht verstehen.

O, wenn Sie uns hier sähen in den altmodischen Gärten, in dem Kiosk von durchlöchertem Holzwerk, wo ich diesen Brief schreibe, unter dem leisen Rauschen eines kleinen Gewässers, das in ein Marmorbecken niederfällt. In der Runde stehen Diwans nach der alten Mode, mit Seidenstoffen bezogen, deren Farbe dem Rot verblühter Rosen gleicht. Wir tragen keine europäischen Toiletten mehr, sondern haben die Kostüme unserer Großmütter angelegt. Zu diesem Zweck durchwühlten wir verschiedene alte Koffer, in denen wir Putzgegenstände und Geschmeide fanden, die einst im kaiserlichen Harem Abd-ul-Medjibs geglänzt haben sollen.

Die Farben unserer Roben waren wohl früher rosenrot, grün und gelb, sie haben aber jetzt eine fahle Blässe wie die welken Blumen, die man zwischen den Blättern von Büchern aufbewahrt hat.

In jene Roben gekleidet, unter dem Kiosk, neben dem kleinen Gewässer sitzend, haben wir Ihr jüngstes Buch gelesen: ›Das Land Kabul‹, ... ›unser Buch‹, das Sie selbst uns gaben. Sie, lieber Freund, hätten sich keinen schöneren Rahmen für diese Lektüre wünschen können als die Unmasse von Rosen, die uns von allen Seiten umgaben und dichte Lauben über uns bildeten.

Was aber dieses Buch selbst betrifft, so muß ich Ihnen sagen, daß es mir nicht so gut gefällt wie Ihre früheren Werke: es ist darin nicht genug von Ihrer eigenen Persönlichkeit. Auch habe ich nicht so weinen können wie beim Lesen anderer Ihrer Bücher. Ich bitte Sie: schreiben Sie nicht mehr nur mit Ihrem Geist, lassen Sie auch Ihrem Herzen wieder sein Recht geschehen! ... Sie wollen, wie ich glaube, sich nicht mehr persönlich vorführen. Aber weshalb nicht? Was gewisse Leute etwa darüber sagen, kann Ihnen doch durchaus gleichgültig sein! ... Also nochmals: schreiben Sie wieder mit Ihrem Herzen! Oder ist das jetzt so matt und gefühllos, daß man sein Schlagen nicht mehr wie sonst in Ihren Werken vernehmen kann?

Doch, es will Abend werden, und da heißt es: den Garten verlassen! Schade! man möchte hier ewig verweilen. Dieser Ort könnte wirklich ein Paradies sein. Man fühlt hier, daß mit der ›Freiheit‹ das Leben und das Glück ein und dasselbe sein könnte!

Wir gehen in den Palast zurück; dort kommt schon der Neger, der uns sucht, denn es ist schon ein wenig spät. Im großen Saal haben die Sklavinnen schon begonnen zu singen und die Laute zu spielen, um die alten Damen zu unterhalten. Hernach wird man uns nötigen zu tanzen und uns verbieten französisch zu sprechen; was jedoch keine von uns verhindern wird, einzuschlafen, ... mit einem Ihrer Bücher unter dem Kopfkissen! ...

Leben Sie wohl, lieber Freund! Denken Sie denn zuweilen an Ihre drei kleinen Schattenbilder ohne Gesicht?

›Djenane‹.«


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