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24.

Djenane an André.

»Den 16. September 1904.

Ich war unter den Blumen im Garten und fühlte mich dort so einsam und verlassen! ... Ein Gewitter war in der Nacht niedergegangen und hatte die Rosenstöcke vernichtet. Die Rosen waren entblättert und bedeckten den Erdboden. Auf diesen noch frischen Blättern zu wandeln erregte in mir das Gefühl, als träte ich meine Träume mit Füßen.

In diesem Garten am Bosporus verlebte ich alle Sommer meiner Kindheit und meiner Jugendjahre, mit Zeyneb und Mélek. Damals waren wir glücklich; unsere Tage flossen so sanft und ruhig dahin zwischen unseren Vergnügungen und Studien. Wir hätten nie gedacht, daß wir jemals zu bedauern sein würden.

Unsere ausländischen Erzieherinnen und Lehrerinnen, die, wie sie sagten, in ihrem Vaterlande viel erduldet hatten, befanden sich hier bei uns sehr wohl; die hier herrschende Ruhe war für sie die des Hafens nach dem Sturm. Und wenn wir ihnen zuweilen unsere Wünsche mitteilten, ebenso leben zu können wie die Europäerinnen, dann antworteten sie uns stets, wir sollten uns lieber genügen lassen an der Ruhe und Sicherheit, die uns hier umgab. Wir hatten auch in der Tat nicht Ursache, uns zu beklagen.

Mein eigenes Unglück begann erst zu der Zeit, als man mich verheiratete.

O, unser erstes Zusammentreffen, André, während des Windsturmes! Hätten Sie damals wohl geglaubt, daß Sie so bald ein uns so teurer Freund sein würden? Und Sie? Ich glaube, daß auch Sie sich zu uns bedauernswerten Türkinnen hingezogen fühlen. Etwas unbeschreiblich Süßes ist über mich gekommen seit unserer letzten Zusammenkunft in dem Augenblick, als Ihre Stimme und Ihre Augen sich plötzlich veränderten, weil Sie fürchteten, mich verletzt zu haben. Damals erkannte ich, daß Sie ein gutes Herz besitzen und wohl zustimmen werden, nicht nur mein Freund, sondern auch mein Vertrauter zu sein! ...

Ich habe Ihr Porträt hier, dicht vor mir, auf meinem Schreibtisch, und es blickt mich mit seinen klaren Augen an. Sie selbst weiß ich nicht weit von hier auf dem anderen Ufer; eine kleine Ecke des Bosporus trennt uns nur; und dennoch, welche Entfernung zwischen uns! Welche Schwierigkeiten, uns wiederzusehen! Trotzdem wünsche ich, wenn Sie unser Land verlassen haben werden, in Ihrer Erinnerung nicht nur ein unbestimmtes Schattenbild, sondern eine Wirklichkeit, wenngleich nur eine arme, kleine traurige Wirklichkeit zu sein!

Die vom Sturm vernichteten Rosen in unserem Garten erinnern mich an einen Herbsttag vor etwa zwei Jahren, am Tage vor unserer Rückkehr nach Khassim-Pascha. Ich war mit Zeyneb und Mélek nochmals im Garten gewesen, um Abschied von ihm zu nehmen und die letzten Rosen zu pflücken. Ein kalter, scharfer Wind heulte durch die kahlen Aeste der Bäume.

Die alte Irfane, eine unserer Sklavinnen, eine Art von Wahrsagerin, die im Kaffeegrund zu lesen verstand, behauptete, daß jener Tag sehr günstig sei für die Voraussagung unseres Schicksals. Sie brachte uns also drei Tassen Kaffee, die wir austrinken mußten. Wir befanden uns am äußersten Ende des Gartens, und Irfane saß zu unseren Füßen, zwischen den trockenen Baumblättern. In den Tassen Zeynebs und Méleks sah sie nichts als Vergnügungen und Geschenke. Aber sie schüttelte den Kopf, als sie in meine Tasse blickte.

›O!‹ sagte sie, ›die Liebe wacht, ... aber die Liebe ist trügerisch! ... Du wirst längere Zeit hindurch nicht an den Bosporus kommen, ... und wenn Du wieder herkommst, wird die Blüte Deines Glückes entschwunden sein! ... O, Du Arme! In Deinem Schicksal ist nichts als die Liebe und der Tod!‹ ...

Ich sollte in der Tat nicht früher hierher zurückkommen als in diesem Sommer, nach meiner traurigen Heirat.

Ist es aber wirklich ›die Blüte meines Glücks‹, die entschwunden ist, da ich doch das Glück noch gar nicht gekannt habe? ... Nein, nicht wahr? ... Niemals aber hat diese Voraussage mich so nachdenklich gemacht wie heute: die Worte nämlich: ›In Deinem Schicksal ist nichts als die Liebe und der Tod!‹ ...

Djenane.«


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