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7.

Am Abend des folgenden Tages ward in geheimnisvoller Weise bei André Lhéry nachstehender Brief abgegeben: »Gestern sagten Sie zu uns, daß Ihnen die jetzigen türkischen Frauen nicht bekannt seien; wir konnten es uns wohl denken, denn wer kennt uns denn überhaupt? Wer sind denn die Ausländer, die das Geheimnis unserer Seele hätten erforschen können? Leichter wäre es noch gewesen, ihnen unser Gesicht zu zeigen. Einige fremde Frauen sind zwar bis zu uns gelangt, aber sie sahen nur unsere Salons, die jetzt gänzlich nach der europäischen Mode eingerichtet sind; nichts als die äußere Seite unserer Lebensweise lernten sie allenfalls kennen und immer nur oberflächlich. –

Wohlan! Wünschen Sie, daß wir Ihnen helfen, uns zu entziffern, wenn die Entzifferung überhaupt möglich ist? Wir wissen jetzt, nach gemachter Probe, daß wir Freunde miteinander sein können; denn unsere gestrige Zusammenkunft war eine Probe. Wir wollten uns überzeugen, ob sich noch etwas anderes als ein großes Talent hinter den schönen Formen Ihrer schriftstellerischen Werke befände. – Haben wir uns getäuscht, wenn wir uns einbildeten, daß gestern, als Sie sich von den fliehenden schwarzen Gespenstern trennten, sich etwas in Ihnen regte? ... Vielleicht Neugier, Mitleid oder Enttäuschung? ... Aber doch wohl nicht Gleichgültigkeit, wie solche nach einer gewöhnlichen Begegnung zurückzubleiben pflegt?

Auch werden Sie sich gesagt haben, dessen sind wir sicher, daß diese vermummten Gestalten, ohne Form und Anmut, keine Frauen waren, wie wir selbst es Ihnen ja sagten, ... sondern Seelen, oder vielmehr ›eine Seele‹, die der neuen Muselmanin, deren Verstand sich freigemacht hat; ... sie leidet noch schwer, aber sie liebt die befreienden Leiden;... und wendet sich nun an Sie, ihren Freund seit gestern.

Wollen Sie auch für die Zukunft ihr Freund sein, so müssen Sie lernen in ihr etwas anderes zu sehen, als den Gegenstand eines interessanten Reiseabenteuers oder eine hübsche Gestalt, die eine angenehme Erinnerung in Ihrem Künstlerleben bilden wird. Beachten Sie vor allem die ersten Schwingungen ihrer endlich erwachten Seele! ...

›Medje‹, Ihre Medje ist tot! Haben Sie Dank für die geistigen Blumen, mit denen Sie das Grab der einstigen kleinen Sklavin geschmückt haben. In den Tagen Ihrer Jugend pflückten Sie mühelos das sich Ihrer Hand darbietende Glück; aber eine Zweite, wie jene kleine Zirkassierin, die im ersten jugendlichen Liebesrausch sich Ihnen in die Arme warf, gibt es nicht mehr heutzutage, denn für jede Muselmanin ist jetzt die Zeit gekommen, wo die Liebe aus Naturtrieb oder aus Gehorsam der Liebe nach eigener Wahl weichen muß.

Und auch für Sie ist es Zeit, die Liebe anders zu betrachten und zu schildern als von der romantischen oder von der leidenschaftlichen Seite. Versuchen Sie Ihr Herz dahin zu führen, daß es den tiefen Schmerz, den wir erdulden, mitzuempfinden vermag: den Schmerz, nur einen Traum lieben zu dürfen. Denn wir alle sind dazu verdammt, nur einen solchen zu lieben!

Man verheiratet uns – Sie wissen ja, in welcher Weise –, und unser einigermaßen den europäischen Gebräuchen nachgebildetes Hauswesen, wie es nun schon seit einem Menschenalter bei uns eingeführt ist, wo sonst die Odalisken und die seidenen Diwans herrschten, ... beweist immerhin einen Fortschritt, der uns schmeichelt. Aber unser häusliches Leben steht jeden Augenblick in Gefahr, durch die Laune eines leichtsinnigen Gatten, der noch eine Fremde in sein Haus einführt, gestört zu werden.

Man verheiratet uns also, ohne uns zu befragen. Zwar geschieht es zuweilen, daß der Mann, den der Zufall uns zuführt, sanft und gut ist, ... aber wir haben ihn uns nicht ausgewählt! ... Vielleicht gewöhnen wir uns mit der Zeit an ihn, ... aber dieses gewohnheitsmäßige Gefühl ist keine Liebe. – Und so entstehen in uns Gedanken, die uns häufig weit hinwegführen, nach einem Ziele, das niemand kennt, außer uns allein. – Wir lieben mit unserer Seele eine andere Seele; unser Gedanke richtet sich auf einen anderen Gedanken, unser Herz schließt sich an ein anderes Herz an. Und diese Liebe verharrt im Zustande eines Traumes, weil wir ehrbar sind, und weil uns dieser Traum zu teuer ist, als daß wir es sollten darauf ankommen lassen, ihn zu verlieren, ... indem wir. versuchten, ihn zu verwirklichen.

Diese Liebe bleibt ebenso unschuldig, wie unser gestriger Spaziergang in Pascha-Bagtsche, ... als der Wind so arg stürmte.

Dies ist das Geheimnis der Muselmanin in der Türkei im Jahre 1322 der Hegira. Unsere jetzige Erziehungsweise hat diese Entfaltung unseres Wesens herbeigeführt. –

Diese Erklärung wird Ihnen vielleicht noch überspannter erscheinen als unsere gestrige Zusammenkunft. Wir freuen uns schon im voraus auf Ihr Erstaunen darüber. Anfänglich hatten Sie vermutlich geglaubt, daß man Sie foppen wolle. Sie sind aber trotzdem gekommen, jedoch noch unentschieden, ... geneigt, an ein Abenteuer zu glauben, es vielleicht sogar erhoffend? ... Sie erwarteten wohl gar eine Zahide, von gefälligen Sklavinnen begleitet, ... neugierig, einen berühmten Romandichter in der Nähe zu sehen? ... sie selbst aber nicht abgeneigt, ihren Schleier zu erheben? ...

Und Ihnen begegneten ›Seelen‹! ...

Diese Seelen werden Ihre Freundinnen sein, wenn Sie der ihrige zu werden verstehen. –

(Gez.) Zahide, Rechedil und Ikbal


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