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35.

Djenane an André.

(Am folgenden Tage.)

Nochmals gerettet! Wir hatten furchtbare Schwierigkeiten bei unserer Rückkehr; aber jetzt herrscht Ruhe im Hause. Haben Sie bei der Heimkehr bemerkt, wie schön unser Stambul war? ...

Heute schlägt Regen und halbgeschmolzener Schnee gegen unsere Fensterscheiben, und der eiskalte Wind bläst ein trauriges Lied unter unseren Türen. – Wie unglücklich wären wir gewesen, wenn sich ein gleiches Wetter gestern entfesselt hätte! Jetzt, da unsere Promenade der Vergangenheit angehört, uns das Andenken eines reizenden Traumes hinterlassend, jetzt können sie brausen, alle die Stürme vom Schwarzen Meer!

Wir, André, werden uns nicht mehr sehen vor meiner Abreise; die Umstände erlauben es nicht, noch eine Zusammenkunft in Stambul zu ermöglichen. Mithin ist dies mein ›Lebewohl‹, das ich Ihnen sende, ... ohne Zweifel bis zum Frühjahr! ... Wollen Sie aber etwas tun, um das ich Sie flehentlich bitte? ... Dann nehmen Sie, wenn Sie nach Frankreich abreisen, Ihren Fes mit, und da Sie entschlossen sind, die Reise auf einem Paketboot zurückzulegen, so wählen Sie, bitte, eins der Linie über Saloniki. Die Schiffe haben dort einige Stunden Aufenthalt, und ich weiß ein Mittel, dort mit Ihnen zusammenzutreffen. Einer meiner Neger wird an Bord kommen, um Ihnen einen Auftrag von mir zu überbringen. Verweigern Sie mir meine Bitte nicht!

Das Glück begleite Sie, André, nach und in Ihrem Vaterlande!

Djenane.«

*

Nach Djenanes Abreise blieb André Lhéry noch fünf Wochen in Konstantinopel, wo er Zeyneb und Mélek noch sah. Als die Zeit kam, seinen zweimonatigen Urlaub anzutreten, reiste er auf der von Djenane angebenen Linie ab, nahm auch seinen Fes mit. Aber in Saloniki stellte sich kein Neger auf dem Paketboot ein. Der dortige Aufenthalt des Schiffes wurde somit für ihn nur eine Quelle des Trübsinns, infolge der getäuschten Erwartung und auch wegen der Erinnerung an Nedjibe, deren Andenken noch über dieser Stadt schwebte und den sie umgebenden öden Bergen, – Und er reiste weiter, ohne irgend etwas von seiner neuen Freundin erfahren zu haben.

*

Einige Tage nach seiner Ankunft in Frankreich erhielt André Lhéry diesen Brief von Djenane:

» Bounar-Bachi bei Saloniki, 10. Januar 1905.

Wann und durch wen werde ich dies, was ich Ihnen schreiben will, auf die Post geben können – so bewacht wie ich hier bin?

Sie sind fern, und wir sind nicht sicher, daß Sie wiederkommen werden. – Meine Cousinen haben mir den Abschied erzählt, den Sie von ihnen genommen, und ich sehe die Trauer der armen Seelen, seit Ihrer Abreise.

Wie sonderbar, André, wenn man bedenkt, daß es Wesen gibt, deren Bestimmung es ist, das Leid mit sich zu ziehen, ein Leid, das sich auf alles überträgt, was sich ihnen naht! ... Sie sind so, aber ohne ihre Schuld. Sie leiden unendlich verwickelte, vielleicht auch unendlich einfache Schmerzen; ... aber sie leiden! Die Schwingungen ihrer Seele lösen sich immer in Schmerzen auf. Man naht sich ihnen: man haßt oder man liebt sie, und wenn man sie liebt, leidet man mit ihnen, durch sie oder von ihnen! ... Und jetzt leiden beide unter der Nacht, in die sie zurückgesunken sind!

Was Sie für mich gewesen sind? Vielleicht werde ich es Ihnen eines Tages sagen. Mein Leid besteht weniger darin, daß Sie abgereist sind, als darin, daß ich Ihnen begegnet bin!

Sie werden mir ohne Zweifel zürnen, daß ich nicht eine Zusammenkunft mit Ihnen während Ihres Aufenthaltes in Saloniki bewerkstelligte. Die Sache an sich war möglich auf einem Felde, das noch ebenso öde ist wie zur Zeit Ihrer Nedjibe. Wir hätten zehn Minuten für uns gehabt, um einige Abschiedsworte auszutauschen und einen Händedruck. Allerdings, mein Kummer wäre dadurch nicht erleichtert worden; im Gegenteil.

Aus Gründen, die nur mir angehören, habe ich davon Abstand genommen. Aber es war nicht die Furcht vor der Gefahr, die mich dazu bewog, o nein! nicht im entferntesten! Wenn ich, um mit Ihnen zusammenzukommen, gewußt hätte, daß auf meinem Rückwege der sichere Tod meiner harrte, ich würde nicht gezögert haben, Ihnen, André, den Abschiedsgruß meines Herzens zu überbringen, so, wie mein Herz ihn Ihnen sagen wollte! ... Wir türkischen Frauen der Jetztzeit haben keine Furcht vor dem Tode! ... Treibt uns denn die Liebe nicht zum Tode? Und wann war denn für uns Liebe gleichbedeutend mit Leben? ...

Djenane.«

*

Mélek, die beauftragt war, diesen Brief nach Frankreich befördern zu lassen, hatte unter demselben Umschlag folgende Gedanken, die ihr eingefallen waren, hinzugefügt:

»Indem ich lange an Sie dachte, lieber Freund, fand ich, davon bin ich überzeugt, mehrere Gründe für Ihr Leid. O, ich kenne Sie jetzt, verlassen Sie sich darauf!

Zunächst wollen Sie stets alles auf ewige Dauer, .. und Sie genießen niemals etwas vollkommen, weil Sie sich sagen: ›Das wird ein Ende nehmen!‹

Und sodann: Das Leben hat Sie mit seinen Gaben so sehr überschüttet, Sie haben so viel Schönes in Händen gehabt, so vieles, von dem ein Teilchen zum Glück eines andern genügt hätte! Sie aber ließen alles fallen, weil Sie es im Uebermaß besaßen! ... Aber Ihr größtes Unglück ist, daß man Sie zu viel geliebt, und daß man es Ihnen zu oft gesagt hat! ... Man hat es Sie zu oft fühlen lassen, daß Sie unentbehrlich sind in den Lebenskreisen, denen Sie angehören. Man ist Ihnen immer entgegengekommen. Sie haben nicht nötig gehabt, irgendeinen Schritt zu tun auf dem Wege irgendeines Gefühls: Sie haben jedesmal darauf gewartet.

Jetzt fühlen Sie, daß alles leer und öde ist, – weil Sie nicht selbst lieben, ... Sie lassen sich lieben! ... Glauben Sie mir: lieben Sie Ihrerseits, gleichviel welche Ihrer unzähligen Anbeterinnen, ... und Sie sollen sehen, wie das Sie heilen wird!

Mélek.«

*

Der Brief Djenanes, der ihn als nicht natürlich genug beurteilte, mißfiel André.

»Wenn ihre Neigung so tief war,« sagte er sich, »so hätte sie vor allem und trotz allem gewünscht, mir Lebewohl zu sagen, sei es in Stambul, sei es in Saloniki!«

Es war zu viel Literatur in dem Brief ... Er fühlte sich getäuscht; sein Vertrauen zu ihr war erschüttert ... und er litt darunter. Er vergaß, daß sie eine Orientalin war, viel gefühlsdunkler als eine Europäerin und deshalb viel unerforschlicher!

Er war auf dem Punkt, sie in seiner Antwort als Kind zu behandeln, wie er es zuweilen tat: »Ein Wesen, das sein Leid mit sich zieht? ...«

»Nun also. Da sind wir ja bei dem ›unheilvollen Mann‹, den Sie selbst als unmodern seit 1830 erklärten!« Aber er fürchtete, zu weit zu gehen, und antwortete in ernstem Ton, daß sie ihn schwer getroffen habe, indem sie ihn in dieser Weise abreisen ließ. – Ein direkter Briefverkehr mit ihr in Bounar-Baschi, ihrem Dornröschenpalast, war unmöglich; alles mußte durch Stambul und die Hände Zeynebs oder Méleks oder vieler anderer »Mitschuldiger« gehen.

Nach drei Wochen erhielt er in einem Briefe Zeynebs folgende Zeilen:

»André, wie könnte ich Sie verletzen durch irgend etwas, das ich schreibe, sage oder tue, die ich ein Nichts bin neben Ihnen? Wissen Sie denn nicht, daß mein ganzes Denken, meine ganze Neigung so niedrige Dinge sind, die Ihre Füße zertreten können; ein langer alter Teppich mit immerhin noch recht hübschen Mustern, auf den zu treten Ihre Füße das Recht haben?

Das bin ich! ... Und Sie könnten sich ärgern über mich? Und mir deswegen zürnen?

Djenane.«

*

In diesem Schreiben war sie wieder vollständig Orientalin geworden, und André, der dadurch erfreut und bewegt ward, schrieb ihr sogleich wieder, und diesmal mit einem Anflug zarter Zuneigung, – um so mehr, als Zeyneb hinzufügte:

»Djenane ist krank; sie leidet an einem andauernden nervösen Fieber, das unsere Großmutter sehr beunruhigt, und der Arzt weiß nicht, was er davon halten soll!« ...

Einige Wochen später dankte Djenane ihm durch diesen kurzen und ebenso orientalischen Brief, wie sein Vorgänger es war:

» Bounar-Baschi, 21. Februar 1905.

Seit mehreren Tagen fragte ich mich: ›Wo ist das Mittel, das mich heilen kann?‹ Und nun ist es gekommen, dieses köstliche Mittel, und meine Augen – die zu groß geworden sind – haben es verschlungen, meine armen bleichen Finger halten es! O Dank! ... Dank dafür, daß Sie mir das Almosen eines Teils Ihrer selbst reichen, ... das Almosen Ihres Gedenkens! ... Seien Sie gesegnet für den Frieden, den Ihr zweiter Brief mir gebracht hat!

Ich wünsche Ihnen Glück, Freund, als Dank für den freudigen Augenblick, den Sie mir bereiteten. Ich wünsche Ihnen ein tiefes, sanftes Glück, das Ihrem Leben einen Reiz verleiht wie ein duftiger Garten, wie ein klarer, heiterer Sommermorgen!

Djenane.«

*

Krank, vom Fieber niedergeworfen, war die arme Eingesperrte wieder zum Sprößling der Ebene von Karadjiamir geworden, so wie man wieder Kind wird. Und im Licht jener Zeit gesehen, die ihrer jetzigen erstaunlichen Bildung, auf die sie so stolz ist, vorherging – liebte André sie noch mehr.

Auch diesmal war den Zeilen Djenanes wieder eine Nachschrift Méleks beigefügt. Nach den Vorwürfen über die Seltenheit seiner viel zu kurzen Briefe sagte sie:

»Wir bewundern Ihre Tätigkeit, indem wir Sie fragen, wie wir es anfangen müßten, um ebenso tätig, beschäftigt, überbürdet und dadurch ebenso behindert zu sein, an unsere Freunde zu schreiben.

Wir im Gegenteil haben den ganzen Tag hindurch Zeit zum Schreiben, zu unserm Unglück und zu dem Ihrigen.

Mélek.«


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