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36.

Als André Lhéry nach Beendigung seines Urlaubs in den ersten Tagen des März 1905 wieder in der Türkei eintraf, hatte Stambul noch seinen Schneemantel um, aber der Himmel war strahlend blau. Das Paketboot, das André herführte, umkreisten tausende großer und kleiner Möwen. Der ganze Bosporus wimmelte von diesen lebhaften Vögeln, deren schönes weißes Gefieder prächtig zu dem Schnee paßte, der noch die Straßen, Dächer und die Grabstätten bedeckte.

Zeyneb und Mélek, welche wußten, mit welchem Schiff André ankommen würde, schickten ihm sogleich durch ihren treuesten Neger ihre Willkommen-Selams und gleichzeitig einen langen Brief Djenanes, die – wie sie sagten – geheilt sei, aber ihren Aufenthalt in dem fernen Palast noch verlängere.

Einmal wiederhergestellt, war die ehemalige Barbarin der Ebene von Karadjiamir wieder sehr eigenwillig und verschlossen geworden und durchaus nicht mehr das demütige Geschöpf, dessen Neigungen ihr Freund mit Füßen treten konnte!

O nein! Denn sie schrieb jetzt mit Heftigkeit und Empörung. Hinter den Gittern des Harems war nämlich unnötiges Geschwätz entstanden über das Buch, das André schreiben wollte. Eine junge Frau, die er nur ein einziges Mal gesehen, und zwar nur mit ihrem schwarzen Schleier, sollte sich, wie einige behaupteten, gerühmt haben, seine Freundin zu sein und ihm äußerst wichtigen Stoff für sein Werk gegeben zu haben.

Und Djenane, die arme Abgesperrte in der Ferne, empfand darüber eine ganz sonderbare Eifersucht. Sie schrieb in ihrem Briefe an André:

»Begreifen Sie nicht, welche ohnmächtige Wut uns ergreifen muß, wenn wir bedenken, daß sich andere zwischen Sie und uns drängen können? Und noch schlimmer ist es, wenn diese Nebenbuhlerei auf etwas ausgeübt wird, das unser eigenstes Gebiet ist: Ihre Erinnerungen an den Orient und Ihre dort gewonnenen Eindrücke. Wußten Sie nicht oder haben Sie es vergessen, daß wir dabei unser Leben aufs Spiel setzten? Und das nur, um Ihnen jene Eindrücke unseres Landes recht vollständig zu verschaffen, und nicht etwa, um Ihr Herz zu gewinnen, denn wir wußten ja, daß es ermüdet und fest verschlossen ist! Nein, es geschah, um Ihr künstlerisches Empfindungsvermögen aufzuklären und ihm einen Traum halber Wirklichkeit zu verschaffen – wenn man so sagen darf!?

Um dahin zu gelangen, was unmöglich schien, – Ihnen zu zeigen, was – ohne uns – Sie sich nie hätten vorstellen können, haben wir mit offenen Augen gewagt, unsere Seele mit großem Kummer und mit ewigem Unfrieden zu belasten!

Glauben Sie, daß viele Europäerinnen ebenso gehandelt hätten?

O! es gibt Stunden, in denen es eine Folter ist, zu denken, daß Ihnen andere Gedanken kommen könnten, die uns aus Ihrer Erinnerung verdrängten, daß andere Eindrücke Ihnen teurer sein würden als diejenigen unserer Türkei, die Sie mit uns und durch uns gewonnen haben!

Und ich wünschte, daß, wenn Ihr Buch fertig sein wird, Sie niemals wieder Aehnliches schrieben oder dächten, und daß Ihre scharfen, klaren Augen sich nie wieder für andere mit teilnehmenden Tränen füllten!

Wenn mir das Leben zu unerträglich wird, sage ich mir, daß es nicht mehr lange dauern wird, ... und wenn ich dann zuerst von ihm scheide, und es den befreiten Seelen möglich ist, auf die hier Zurückgebliebenen einzuwirken, so wird meine Seele sich der Ihrigen bemächtigen, um sie an sich zu ziehen, – und wo ich sein werde, dahin wird sie auch kommen müssen!

Was mir noch zu leben bleibt, würde ich auf der Stelle hingeben, um nur zehn Minuten lang in Ihrem Innern zu lesen. Ich möchte die Macht haben, Sie leiden zu lassen, um zu wissen, daß Sie leiden! Das wünsche ich, die ich noch vor kurzem mein Leben freudig hingegeben hätte, um Sie glücklich zu wissen!

Sind Sie denn so reich an Freundschaften, André, daß Sie damit so verschwenderisch verfahren? Ist es edelmütig von Ihnen, derjenigen, die Sie liebt, so großen Kummer zu bereiten, ... die Sie aus der Ferne mit uneigennütziger Herzlichkeit liebt? – Verschmähen Sie nicht leichtsinnig eine Neigung, die – wenngleich etwas anspruchsvoll und eifersüchtig – deshalb doch vielleicht die wahrste und tiefste ist, die Ihnen im Leben begegnete!

Djenane.«

*

fühlte sich völlig nervös, nachdem er diesen Brief gelesen hatte. Der Vorwurf war kindisch und durchaus nicht stichhaltig, weil er unter den türkischen Frauen keine anderen Freundinnen hatte als diese drei. Auch der Ton im allgemeinen paßte ihm nicht mehr. Er sagte sich: »Diesmal kann man es sich nicht verhehlen: hier ist eine wirklich falsche Note, ein Mißton in der Mitte dieser drei schwesterlichen Freundschaften, deren reine Harmonie ich stets für unzerstörbar hielt. – Arme Djenane, ist das überhaupt möglich?«

Er versuchte, sich diese neue Lage, die ihm ohne Ausweg zu sein schien, klar zu machen.

»Das kann nicht sein!« sagte er sich. »Das wird niemals geschehen, weil ich nicht will, daß es geschehe! Das ist alles, soweit es mich betrifft. Von meiner Seite ist die Frage hiermit erledigt!«

Sein Verdienst, so zu sprechen, war übrigens nicht sehr groß, denn er hatte die feste Ueberzeugung, daß Djenane, selbst wenn sie ihn liebte, immer unerreichbar bleiben würde. Er kannte jetzt dieses kleine Geschöpf ganz genau, das zu gleicher Zeit vertrauensvoll und hochmütig, verwegen und makellos war. –

Das Abenteuer erschien ihm trotzdem nicht weniger bedrohlich, und es kamen ihm Worte ins Gedächtnis, die sie einst gesprochen, die ihn damals kaum berührt hatten, die aber heute einen sehr ernsten Klang für ihn annahmen:

»Die Liebe einer Muselmanin für einen Abendländer hat keinen anderen Ausweg als die Flucht oder den Tod!«

*

Aber am folgenden Tage, bei schönem Wetter, erschien ihm alles schon viel weniger ernst. Wie schon einmal, sagte er auch jetzt wieder, daß der Brief viel »Literatur« enthalte, und besonders auch viel orientalische Übertreibung.

Mit erleichtertem Herzen begab er sich nach Stambul, wo ihn in Sultan-Selim Zeyneb und Mélek erwarteten, die es drängte, ihn wiederzusehen.

In dem bescheidenen Harem des alten Häuschens in der Sackgasse war es kalt. Die beiden Schwestern empfingen ihn, die Schleier hochgezogen, freundlich und vertraulich, wie man einen Bruder empfängt, der von der Reise zurück, kommt. Er wurde aber peinlich berührt von der Veränderung ihrer Gesichtszüge. Das Gesicht Zeynebs war wachsbleich, ihre Augen hatten sich vergrößert, und die Lippen waren farblos. Der diesmal im Orient sehr streng gewesene Winter hatte wohl ihr Leiden noch verschlimmert.

Auch Mélek war blasser als früher, und auf ihrer Stirn lagerte eine tiefe Falte, die dem Gesicht den Ausdruck einer gewissen Verdrossenheit verlieh.

»Man will mich wieder verheiraten!« sagte sie kurz und in scharfem Ton als Antwort auf die stumme Frage, die sie aus Andrés Blick erraten hatte.

»Nun, und Sie?« fragte er Zeyneb.

»O! ich! ... ich habe die Befreiung davon in der Hand!« antwortete sie, auf ihre Brust deutend, die von Zeit zu Zeit durch ein verdächtiges Hüsteln erschüttert wurde.

Beide beunruhigten sich wegen jenes Briefes von Djenane, der, an André adressiert, gestern durch ihre Hände gegangen, aber versiegelt war. Und sie hatten früher niemals ein Geheimnis voreinander!

»Was konnte sie Ihnen denn darin schreiben?«

»Nichts von Bedeutung! Kindereien. Irgendein unsinniges Haremsgeschwätz, über welches sie sich ohne Grund erregt hat.«

»Aha! ohne Zweifel die Geschichte von der neuen Mitarbeiterin an Ihrem Buch, die außer uns plötzlich aufgetaucht sein soll?«

»Richtig! Und daran ist kein wahres Wort, ... wie ich Ihnen versichere; denn außer Ihnen dreien und einigen schwarzen Vermummten, die Sie selbst mir vorstellten ...«

»Wir haben auch niemals daran geglaubt, weder meine Schwester noch ich! ... Aber Djenane, fern von uns ...! In der Zurückgezogenheit setzt man sich leicht etwas in den Kopf!«

»Und sie hat sich so viel in den Kopf gesetzt,« fiel André ein, »daß sie mir sehr ernstlich zürnt!«

»Keinenfalls tödlich!« sagte Mélek lächelnd, »wenigstens hat das nicht den Anschein! Da, betrachten Sie einmal dies hier, was sie mir heute früh schrieb!«

Sie reichte ihm folgende Stelle eines Briefes, nachdem sie das Blatt, um ihn den Schlußsatz nicht lesen zu lassen, zusammengefaltet hatte.

Und er las:

»Sagt ihm, daß ich ohne Unterlaß an ihn denke, daß meine einzige Freude auf der Welt der Gedanke an ihn ist. Hier beneide ich Euch; das ist alles, was ich tun kann. Ich beneide Euch wegen der Augenblicke, die Ihr beisammen sein werdet, um das, was seine Gegenwart Euch gewährt; ich beneide Euch darum, daß Ihr so nahe bei ihm seid, daß Ihr seinen Blick sehen könnt, daß Ihr seine Hand drücken dürft!

Vergeßt mich nicht, wenn Ihr beisammen seid. Ich verlange meinen Anteil an Euren Zusammenkünften sowie an Eurer Gefahr!« ...

»Augenscheinlich«, schloß er, als er den Brief zurückgab, »sieht das nicht gerade nach einem tödlichen Haß aus!«

Er hatte sein Möglichstes getan, um im leichten Ton zu sprechen, aber die von Mélek gemachten Bemerkungen überzeugten und beunruhigten ihn mehr als der an ihn gerichtete lange Brief. Hier in diesen wenigen Zeilen war keine »Literatur« enthalten: alles war ganz einfach und klar! ... Und in welch sanftmütigem Ton schrieb sie an ihre Cousinen diese durchsichtigen Worte.

Also war, gegen seine Erwartung, ganz entschieden eine Wandlung in dieser seltsamen, friedlichen Freundschaft des vergangenen Jahres mit drei Frauen eingetreten, die anfangs nur eine unauflösliche Dreieinigkeit bilden sollten! Der jetzige Zustand erschreckte ihn wohl, aber er reizte ihn auch; in diesem Augenblick fühlte er sich nicht fähig zu sagen, ob er es vorzöge, daß alles wäre wie früher oder so, wie es jetzt geworden?

»Wann kommt sie zurück?« fragte er noch.

»In den ersten Tagen des Mai,« antwortete Zeyneb. »Wir sollen uns wie im vergangenen Sommer in unserem Yali an der asiatischen Seite einrichten. Nach unserem Plan wollen wir dort noch einen Sommer, den letzten, gemeinsam verleben, wenn nicht etwa der Wille unserer Gebieter uns vorzeitig durch eine Verheiratung vor dem Herbst trennen sollte! ... Ich sage den letzten Sommer, weil mich ohne Zweifel der nächste Winter entführen wird, und weil die beiden anderen sich jedenfalls im nächsten Sommer verheiraten werden!!«

»Nun, das werden wir erst sehen!« sagte Mélek mit finsterem Trotz.

Auch für André Lhéry sollte dies der letzte Sommer am Bosporus werden. Seine Geschäfte bei der Botschaft gingen am letzten Tage des November zu Ende, und er war entschlossen, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, ein wenig aus Fatalismus, und dann auch, weil es Verhältnisse gibt, bei denen es besser ist, sie nicht übermäßig zu verlängern, besonders wenn sie keinen anderen Ausweg haben können als einen schmerzhaften oder einen strafbaren! Er sah deshalb mit viel Melancholie dem Anfang der entzückenden Saison am Bosporus entgegen, wo man in herrlich ausgestatteten Caiques auf dem blauen Wasser umherfuhr längs der beiden Ufer, an den schönen Häusern mit den vergitterten Fenstern vorüber; oder wo man die interessantesten Ausflüge machen kann nach der »Ebene des Großherrn« und in die Berge der asiatischen Seite.

Dies alles würde noch einmal, zum letztenmal, wiederkehren und dann ein Ende nehmen ohne Hoffnung auf eine Erneuerung.


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