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23.

André Lhéry antwortete Djenane, daß Hamdi allen Männern, sowohl denen im Abendlande als denen in der Türkei, ähnelte, ... und daß sie nur ein kleines außergewöhnliches, auserlesenes Wesen sei!

Und dann bat er sie zu erwägen – was eigentlich nicht neu ist –, daß nichts so schnell entflieht als die Zeit! ... Die ihm für seinen Aufenthalt in Konstantinopel vergönnten zwei Jahre hätten schon ihre Flucht begonnen und würden sich nie mehr wiederfinden; sie müßten also den verbleibenden Rest alle beide benutzen, um ihre Gedanken auszutauschen, die ebenso schnell in das Nichts zurücksinken könnten wie die Gedanken aller Wesen in die Abgründe des Todes.

Und er empfing eine Aufforderung zu einem Stelldichein für den nächsten Donnerstag in Stambul, zu Sultan-Selim, in dem alten Hause am Ende der stillen Sackgasse.

An jenem Tage fuhr er am frühen Morgen in einem kleinen Personendampfer den Bosporus entlang und fand Stambul in vollem Sommer; es war so heiß, daß man glauben konnte, Stambul habe sich Arabien genähert. Wie war es möglich, daß diese Stadt so lange und so schneereiche Winter haben konnte? –

Um die Zeit bis zum Stelldichein auszufüllen, ging er nach Sultan-Fatih, um sich gegenüber der Moschee wie früher unter den Bäumen vor dem kleinen Kaffeehause niederzulassen. Er wurde dort als alter Bekannter begrüßt, besonders von den Imams, an deren Seite er Platz nahm. Der »Cafedji« brachte ihm außer dem einschläfernden Nargileh die kleine Tekir mit, die Hauskatze, die zur Frühjahrszeit häufig Andrés Gesellschafterin gewesen war und sich auch heute sogleich neben ihn legte, mit dem Kopf auf seine Knie, damit er sie streichle.

Nachdem er das Nargileh ausgeraucht und sich genügend ausgeruht hatte, erhob sich André zum Bedauern des Kätzchens und machte sich auf den Weg nach Sultan-Selim.

Als er gegen zwei Uhr dort ankam, war die Sackgasse fast noch stiller und einsamer als sonst. Hinter der Haustür mit dem kupfernen Klopfer traf er Mélek auf Posten, die ihn lächelnd begrüßte wie ein guter Kamerad, glücklich, ihn endlich einmal wiederzusehen. Sie trug heute nur einen einfachen Schleier, durch den ihr Gesicht fast ebensogut zu erkennen war wie das einer Abendländerin im Trauerschleier.

Oben traf er zunächst Zeyneb an, die ebenfalls nur einen einfachen Schleier angelegt hatte, so daß er zum erstenmal ihre Augen sehen konnte, aus denen ihm ein ernster, aber doch sanfter Blick begegnete. – Djenane hingegen verharrte dabei, nichts zu sein als eine schlanke schwarze Erscheinung ohne Gesicht.

Die erste Frage, die sie in einem etwas drolligen Tone an ihn richtete, war:

»Nun, wie befindet sich Ihr Freund Jean Renaud?«

»Vortrefflich, ich danke Ihnen,« antwortete er in demselben Tone; »Sie wissen seinen Namen?«

»O, man weiß alles in den Harems! Zum Beispiel: ich kann Ihnen sagen, daß Sie gestern abend bei Madame de Saint-Enogat dinierten an der Seite einer Dame in rosenroter Robe; daß Sie sich hernach mit ihr allein auf eine Bank im Garten gesetzt haben, bei hellem Mondschein, und daß die Dame eine Zigarette von Ihnen angenommen hat. – Und so weiter! ... Alles was Sie tun, alles was Ihnen begegnet, ... wir wissen es! ... Also Sie geben mir die Versicherung, daß es Herrn Jean Renaud gut geht?«

»Gewiß! wie ich Ihnen sage.«

»Dann war Deine Mühe vergebens, Mélek! ... Das wirkt nicht.«

Er erfuhr nun, daß Mélek seit einigen Tagen Gebete und sogar eine Beschwörung veranlaßt habe, um Jean Renauds Tod zu bewirken, – ein wenig aus Kinderei, indessen auch ein wenig im Ernst; denn sie bildete sich ein, daß er einen feindlichen Einfluß auf André ausübte und ihm Mißtrauen gegen die drei Freundinnen einflößte.

»So!« sagte Djenane lachend zu ihm. »Sie wollten ja die Orientalinnen kennen lernen; wohlan, so sind wir! Sobald man den Firnis ein wenig abkratzt, gleich sind die kleinen Barbaren da!«

»Jedenfalls irren Sie sich in diesem Punkt; der arme Jean Renaud schwärmt ja im Gegenteil für Sie und träumt fortwährend von Ihnen! Ohne ihn würden wir, Sie und ich, – uns noch gar nicht kennen. Zu unserer ersten Zusammenkunft in Pascha-Bagtsche am Tage des großen Windes, hat er mich förmlich hingezogen, denn ich weigerte mich, hinzugehen.«

»Der gute Jean Renaud!« rief Mélek. »Wissen Sie was? Bringen Sie ihn morgen, Freitag, nach den ›Süßen Wassern‹ mit, in Ihrem schönen Caique ... und ich werde auch dorthin kommen, ganz besonders, um ihn beim Vorüberfahren anzulächeln.«

In dem kleinen halbdunklen Harem, wo man den Glanz des wundervollen Sommertages kaum ahnen konnte, spielte Djenane noch mehr als beim letztenmal eine Sphinx und wich nicht von ihrem Platz. Man merkte, daß eine gewisse Schüchternheit und Verlegenheit sie darüber erfüllte, daß sie sich in ihren langen Briefen vielleicht zu offenherzig geäußert habe. Ihr gegenwärtiges Benehmen machte André jedoch nervös und sogar zu Angriffen geneigt. – Heute versuchte sie das Gespräch auf das »Buch« zu beschränken; sie fragte André:

»Es wird ein Roman, nicht wahr?«

»Wie könnte ich anderes schreiben? Aber noch sehe ich diesen Roman überhaupt nicht!«

»Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, was ich dachte! Ein Roman, in dem Sie selbst ein wenig vorkämen ...«

»Ach! nein, das nicht!«

»Lassen Sie mich erklären! Sie brauchten ja nicht in erster Person zu sprechen; ich weiß ja, daß Sie das nicht mehr wollen. Es könnte ja aber ein Europäer darin vorkommen, der in unserem Lande umherreist, ein Lobsänger des Orients, der mit Ihren Augen sieht und mit Ihrer Seele fühlt ...«

»Und man würde mich durchaus nicht erkennen?«

»Was täte Ihnen das? Lassen Sie mich nur fortfahren! ... Er begegnete heimlich, unter tausend unvermeidlichen Gefahren, einer unserer türkischen Mitschwestern und sie liebten einander ...«

»Und dann?«

»Dann reist er fort, wie es doch nicht anders sein kann ..., und das ist alles ...!«

»Diese kleine Verwicklung würde allerdings in meinem Werk ganz neu sein ...«

»Erlauben Sie! Es könnte doch das neu darin sein, daß die Liebe zwischen den beiden uneingestanden und rein bleibt.«

»Aha! ... Nun, und › sie‹, nach seiner Abreise?«

»Sie? ... Je nun, was kann sie anders tun? Sie stirbt!«

Dieses »sie stirbt« wurde im Ton einer so ergreifenden Ueberzeugung gesprochen, daß André davon tief erschüttert wurde und sich genötigt sah, einige Minuten zu schweigen, so daß eine allgemeine Pause entstand.

Zeyneb nahm hernach das Gespräch wieder auf, indem sie sich an Djenane mit den Worten wandte:

»Nenne doch den Titel, an den Du dachtest, und der uns so hübsch erschien: ›Das Blau, an dem man stirbt!‹« Und dann fuhr sie, zu André gewendet, fort: »Er scheint Ihnen nicht zu gefallen?«

»Der Titel ist hübsch,« erwiderte André, »ich finde ihn nur ein wenig ... wie soll ich sagen? ein wenig romanzenhaft!«

»Wohlan!« fiel Djenane rasch ein, »sagen Sie doch gleich, daß Sie ihn 1320 finden! ... Er ist Rokoko! Sprechen wir nicht weiter davon!«

»Ein Titel, der Papilloten hat!« fügte Mélek hinzu.

André sah ein, daß er seit einigen Minuten Djenane dadurch verletzt hatte, daß er in halb spöttischer Weise ihre literarischen Ideen ablehnte, die sie sich ganz allein mühsam und zuweilen mit wunderbarem Verständnis erworben hatte. Plötzlich erschien sie ihm so naiv und so jung, ... sie, die er anfänglich für ein wenig überreizt gehalten, durch vieles Lesen und Studieren. – Er war untröstlich, sie vielleicht verletzt zu haben, und änderte deshalb sofort den Ton, der ganz sanft, fast zärtlich wurde, indem er zu ihr sagte:

»Nicht doch, meine liebe, unsichtbare Freundin. Ihr Titel ist keineswegs Rokoko, ebensowenig wie Ihre Idee über den Inhalt des Romans unannehmbar ist; nur bitte ich Sie, keinen Tod hineinzubringen. Ich habe in meinen Büchern so viele Menschen sterben lassen, daß man mich für einen ›Blaubart‹ halten könnte, wenn ich es diesmal wieder ebenso machte! – Nein, keinen Tod, dagegen womöglich viel Leben und viel Jugend! Unter diesem Vorbehalt werde ich versuchen, den Roman gänzlich in der Form zu schreiben, die Ihnen gefällt; und wir werden gemeinsam daran arbeiten, mit vollem Einverständnis, wie zwei gute Kameraden; nicht wahr?«

Mit diesen Worten schieden sie für heute, viel inniger miteinander befreundet als sie es jemals vorher gewesen.


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