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46.

Während der zwei Wochen, die der Todeskampf der armen Mélek dauerte, konnte André die anderen beiden Freundinnen natürlich nicht sehen, denn Djenane sowohl als Zeyneb entfernten sich nicht von der Sterbenden. Sie befestigten für ihn an einem der vergitterten Fenster ein kaum bemerkbares Zeichen, das bedeutete: »Sie lebt noch!«; und es war verabredet, daß ein blaues Zeichen bedeuten sollte: »Alles ist zu Ende!«

Von jenem Morgen an und seitdem zweimal täglich ging André selbst oder sein Freund Jean Renaud oder aber sein Kammerdiener über den Begräbnisplatz von Khassim-Pascha, um von da aus angstvoll nach jenem Fenster zu blicken.

Zu dieser Zeit herrschte im Hause der kleinen Sterbenden Schweigen. Einige Imams lagen auf Verlangen der Großmutter fortdauernd im Gebet. Der Islam, der himmlische Milderer der Todeskämpfe, umfing je länger, je mehr das rebellische Kind, das allmählich furchtlos einschlief. Und so kam es, daß sogar die abergläubischen Ideen der beiden Großmütter nicht mehr die bisherige kleine Ungläubige empörten, die es ruhig geschehen ließ, daß man ihr Amuletts umhing, und daß von den Derwischen aus ihren Kleidern der »Böse Geist« vertrieben wurde, oder daß man ihre eleganten Hemden (die aus den ersten Pariser Ateliers stammten) in der Moschee von Eyub segnete.

Am Ende des Monats Oktober war sie schon ohne Sprache und vermutlich auch ohne Bewußtsein in einen tiefen schweren Schlaf versunken, den die Aerzte als den Vorboten des nahen Todes bezeichneten.


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