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42.

Seit einiger Zeit hatte man ein äußerst sinnreiches Mittel erfunden, um in eiligen Fällen miteinander korrespondieren zu können. Eine der Freundinnen des Trios, die Kiamuran hieß, hatte André die Erlaubnis erteilt, bei seinen Briefen an Djenane ihre Schrift nachzuahmen, die der mißtrauischen Dienerschaft sehr bekannt war, und die Briefe auch mit ihrem Namen zu unterzeichnen; ferner hatte sie eine Anzahl von Briefumschlägen, die ihr Monogramm trugen, geliefert, die von ihrer eigenen Hand mit Djenanes Adresse beschrieben waren. André konnte ihr auf diese Weise schreiben (allerdings mit verdeckter Bedeutung der Worte, aus Sicherheitsgründen), und sein Kammerdiener, der auch die Gewohnheit angenommen hatte, einen Fes zu tragen, brachte die Briefe geradenwegs in das Yali der drei Cousinen. Zuweilen schickte André die Briefe zu einer bestimmten, vorher verabredeten Stunde; dann befand sich eine der drei wie zufällig in der Vorhalle, aus denen die Neger entfernt waren – und konnte dann sogleich dem zuverlässigen Diener eine mündliche Antwort für seinen Gebieter erteilen.

Am Tage nach dem letzten Ausfluge wagte es André, durch einen solchen mit »Kiamuran« unterzeichneten Brief sich nach Méleks Fieberzustand zu erkundigen und gleichzeitig anzufragen, ob die Promenade nach der alten Moschee droben in den Bergen trotzdem am folgenden Tage stattfinden könnte?

Abends erhielt er von Djenane die Antwort, daß Mélek zu Bett läge, mit bedeutend verstärktem Fieber, und daß die beiden anderen sich nicht von der Kranken entfernen könnten.

Er entschloß sich, diese Promenade allein zu unternehmen, am 5. Oktober, dem Tage, für welchen der letzte gemeinschaftliche Besuch der alten Moschee verabredet worden war. Bei herrlichem Herbstwetter machte er sich auf den Weg, und da er ganz allein war, konnte er rascher vorwärts kommen und auch seine ganze Aufmerksamkeit auf die prächtigen Durchblicke richten, die sich von Zeit zu Zeit vor ihm öffneten. Er fühlte sich jetzt weniger gebunden an die drei Freundinnen und war plötzlich der Meinung, daß er bei seiner Abreise weniger die Trennung von ihnen bedauern werde als die vom Orient, den er schon seit seiner Jugend geliebt, und dessen unwandelbare Schönheiten ihm nimmermehr aus dem Gedächtnis schwinden würden!

Wie schön erschien ihm heute bei dem klaren Himmel und dem leuchtenden Sonnenschein wieder alles, was ihn hier umgab. Mit stummem Entzücken blickte er, als er die Höhe erreicht hatte, auf das großartige Panorama hinab, das die Vereinigung der beiden Meere an der Grenze zwischen Europa und Asien dem Auge bietet.

Auf dem bei stürmischer Witterung von allen Winden gepeitschten, heute aber völlig ruhig daliegenden Plateau, das der alten Moschee gewissermaßen als Vorplatz dient, saßen im Grase eine Anzahl türkischer Frauen, die als Wallfahrerinnen in ihren von Ochsen gezogenen Wagen aus alten Zeiten hierhergekommen waren.

Als die Frauen André auf ihren Platz zukommen sahen, ließen sie ihre Musselinschleier, die sie aus Bequemlichkeit zurückgeschlagen hatten, alle zu gleicher Zeit wie auf Kommando hastig niederfallen, damit um des Himmels willen der fremde Mann nur nicht etwa ihre Gesichter sähe. Dann standen sie auf und zogen sich zurück, die Aussicht auf die endlose Fläche des Schwarzen Meeres freigebend.

André sagte sich bei diesem überwältigenden Anblick, daß der Reiz dieses Landes allem anderen widerstehen würde, selbst der ihm durch Djenane verursachten Täuschung und dem Bewußtsein vom Niedergang seines Lebens.


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