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27.

Djenane an André.

»28. September 1904.

Welch neue Empfindungen für uns, zu wissen, daß wir unter der Menge der Besucher der Süßen Wasser einen Freund haben! Unter diesen Ausländern die uns immer unverständlich bleiben werden, und die uns für unkenntliche, alberne kleine Dinger halten, einen zu wissen, dessen Augen uns suchen – der uns vielleicht einen Gedanken freundlichen Mitgefühls sendet! ...

Als unsere Caiques dicht aneinander gerieten, sahen Sie mich nicht durch meine dichten Schleier, aber ich lächelte Ihren Augen zu, die in der Richtung der meinigen hinüber blickten.

Ist es, weil Sie neulich während unseres Beisammenseins dort auf der Höhe vor dem Schwarzen Meer so gütig, so einfach, so wirklich freundschaftlich zu mir gewesen sind? ... Oder ist es, weil ich jetzt aus Ihren Briefen, trotz aller Kürze, ein wenig wirklicher Zuneigung herausfühle? Ich weiß es nicht, ... aber Sie erscheinen mir nicht mehr so fern. – O, André, wenn Sie wüßten, welchen Wert für so lange Zeit unterdrückt gewesene Seelen wie die unsrigen ein ideales Gefühl, aus Bewunderung und Zartheit gebildet, haben kann!?

Djenane.«

*

Sie korrespondierten viel am Ende der Saison wegen ihrer gefahrvollen Zusammenkünfte. Noch konnten die drei Freundinnen ihre Briefe ziemlich leicht an André Lhéry durch einen ihnen ergebenen Neger gelangen lassen, der in einer Barke in Therapia eintraf oder ihn abends im »Tal des Großherrn« aufsuchte. Und er, dem nur die Poste restante in Stambul zu Gebote stand, antwortete ihnen meistens durch ein geheimes Zeichen beim Vorüberfahren in seinem Caique unter ihren Fenstern. –

Es galt, diese letzten Tage am Bosporus noch vor der Rückkehr nach Konstantinopel zu benutzen, wo die Ueberwachung weit strenger sein würde. Man fühlte bereits das Nahen des Herbstes, namentlich an der Trübseligkeit der Abende. Schwere dunkle Wolken kamen vom Norden her mit den Winden aus Rußland, und es gingen Regengüsse nieder, die manche der mit größter Geschicklichkeit getroffenen Vorbereitungen vernichteten.

Bei der Ebene von Beicos, in einem einsamen und unbekannten Grunde, hatten sie ein kleines wildes Wäldchen entdeckt, in dessen Mitte sich ein Teich voller Wasserpflanzen befand. Es war ein Ort vollkommenster Sicherheit, eingeschlossen zwischen schroffen Abhängen und undurchdringlichem, grünem Gestrüpp. Den einzigen Zugang bewachte Jean Renaud, der für alle Fälle mit einer Warnungspfeife versehen war.

Zweimal versammelten sich die Verschworenen an dieser lauschigen Stelle, wo sie sich auf umherliegenden, mit Moos bewachsenen Felsblöcken niederließen und, in der Runde um André sitzend, in harmlosester Weise miteinander plauderten.

Der letzte Freitag an den »Süßen Wassern« war der 7. Oktober 1904, denn in der nächsten Woche sollten die Botschaften nach Konstantinopel zurückkehren, und in dem alten Hause, das die drei Freundinnen bewohnten, bereitete man sich vor, ein gleiches zu tun.

André und seine Freundinnen hatten sich das Wort gegeben: alles, was nur irgend möglich war, tun zu wollen, um an jenem letzten Freitag bei den »Süßen Wassern« zusammentreffen zu können, weil es bis zum nächsten Sommer das letzte Mal war.

Das Wetter war bedrohlich, André fuhr aber trotzdem in seinem Caique zu dem Stelldichein ab, wenn er sich auch sagte: »Heute wird man sie, bei dem scheußlichen Winde, nicht hinauslassen!« Als er jedoch unter ihren Fenstern vorbeifuhr, sah er unter einem Gitter den Zipfel eines weißen Taschentuches hervorsehen, den Mélek tanzen ließ, was bedeutete: »Man hat es uns erlaubt! Fahren Sie nur voraus! ... Wir folgen Ihnen!«

Heute war keine Ueberfülle von Besuchern, fast gar keine Europäer, nur Türken, besonders Frauen. Die Stimmung war im allgemeinen sehr gedrückt; man las in den Augen derjenigen Damen, die ihre Schleier zu Ehren des letzten Festtages erhoben hatten, viel Melancholie im Hinblick auf die nun beginnende Winterzeit.

Andrés Caique kreuzte einige Male mit dem seiner Freundinnen, die auch sehr ernst gestimmt zu sein schienen; selbst die sonst stets heitere Mélek war sehr traurig, was man trotz ihres Schleiers deutlich erkennen konnte.

Früher als sonst leerte sich der Festplatz; die Besucher ließen sich nicht einmal durch das wundervolle Schauspiel zurückhalten, welches der Bosporus und seine Umgebungen beim Niedergang der Sonne dem Auge darbot.

Auch die drei Freundinnen hatten sich bereits entfernt; ihr Weg war nicht allzu lang bis zu ihrem stets so streng bewachten alten Hause, wo ihre Neger sie erwarteten, André dagegen, der die Meerenge durchschneiden und dann an der entgegengesetzten Seite, dem Wind entgegen, fahren mußte, kam erst nachts in Therapia an. Seine Ruderer aber waren durch ihre anstrengende Arbeit wie in Schweiß gebadet und auch von dem durch den starken Wind gepeitschten Meereswasser durchnäßt. André nahm die armen Leute mit in das von ihm bewohnte Haus, damit sie sich trockneten, erholten und durch ein kräftiges Abendessen stärkten.

Das war das Ende der Sommersaison am Bosporus. – –


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