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10.

An demselben Tage, zur nämlichen Stunde, rüstete sich die arme kleine Geheimnisvolle, die das abenteuerliche Unternehmen von Tchibukli geplant und geleitet hatte, – zum Ueberschreiten der gefährlichen Schwelle des Jildis-Palastes, um dort eine Rolle höchster Verzweiflung zu spielen. – In Khassim-Pascha, hinter den vergitterten Fenstern des Zimmers, das sie als junges Mädchen bewohnte, und das sie wieder eingenommen hatte, war sie augenblicklich sehr beschäftigt vor dem Spiegel. Eine Robe in Grau und Silber, mit Hofschleppe, am Tage vorher von Paris angekommen, das Werk eines der größten der dortigen Modisten, – kleidete sie wundervoll; sie schien darin noch schlanker als sonst, ihr Wuchs noch zarter und geschmeidiger. Sie wollte zu dem Besuch, den sie beabsichtigte, schön sein, und ihre beiden Cousinen, ebenso ängstlich wie sie selbst, über das, was geschehen werde, – halfen, in tiefem Schwelgen, sie zu schmücken. – Also, die Robe saß gut, die Rubinen paßten vortrefflich zu dem wolkenartigen grauen Ueberkleid des Kostüms. Man erhob die Schleppe durch ein am Gurt befestigtes Band, was in der Türkei eine Regel der Etikette ist, wenn eine Dame bei Hofe erscheint. Denn, obgleich die Courschleppe unbedingt erforderlich ist, so hat doch keine Dame, wenn sie nicht Prinzessin von Geblüt ist, das Recht, ihre Schleppe über die Teppiche des kaiserlichen Palastes schleifen zu lassen.

Nun wurde das blonde Köpfchen noch mit dem Yachmak verhüllt, dem weißen Schleier aus Musselin, der für den Eintritt in den Jildis-Palast vorgeschrieben ist, wo keine Besucherin mit dem Tcharchaf empfangen werden würde.

Endlich war es Zeit. – Nach den Abschiedsküssen ihrer Cousinen ging Zahide die Treppe hinunter und nahm sogleich Platz in ihrem schwarzen Coupé mit vergoldeten Laternen. Dann fuhr sie ab; an den Fenstern waren die Vorhänge heruntergelassen, und der unvermeidliche Eunuche thronte neben dem Kutscher.

Der Grund zu dieser Ausfahrt der armen jungen Frau bestand darin, daß die ihr zu einem Aufenthalt bei ihrer Großmutter gewährten zwei Monate abgelaufen waren, und daß Hamdi jetzt gebieterisch verlangte, daß seine Frau zu ihm in die eheliche Wohnung zurückkehre, denn er hatte eingesehen, daß sie den eigentlichen Reiz seines Hauses bildete, ungeachtet der Herrschaft, welche die andere auf seine Sinne ausübte. Und er wollte sie beide besitzen.

»Dann also die Scheidung um jeden Preis!« sagte sich die in ihrer Ehre gekränkte Frau. Wer aber sollte ihr dazu verhelfen? ... Ihr Vater, mit dem sie sich nach und nach wieder versöhnt hatte, würde sie gewiß Seiner kaiserlichen Majestät gegenüber beschützt haben, – aber ihr Vater schlief schon seit einem Jahr auf dem heiligen Friedhofe in Eyub. Ihre Großmutter war schon zu alt für solches Unternehmen und viel zu sehr 1320erin, um die Entrüstung ihrer Enkelin zu begreifen; denn zu ihrer Zeit fand man es ganz natürlich, daß in einem Hausstande zwei Frauen waren, oder drei, selbst vier! Warum auch nicht? ... Aus Europa war erst, ebenso wie der Unglaube und die Sprachlehrerinnen – die neue Mode gekommen, keine andere Frau neben sich zu dulden! ...

In ihrer Verzweiflung hatte die jugendliche Frau den Entschluß gefaßt, sich der wegen ihrer großen Güte gerühmten Sultanin-Mutter zu Füßen zu werfen; und die nachgesuchte Audienz war ohne Zögern der Tochter des seligen Hofmarschalls Tewfik Pascha bewilligt worden.

Nach der Einfahrt durch die große Umfassungsmauer in die Parks von Jildis gelangte das Coupé vor ein verschlossenes Gittertor, das in die Gärten der Sultanin-Mutter führte. Ein Neger öffnete das Tor mit einem kolossalen Schlüssel, und der Wagen, hinter dem ein Trupp von Eunuchen in der Livree der »Valide« herlief, um der Besucherin beim Aussteigen behilflich zu sein, fuhr durch blühende Alleen, um vor der Ehrenfreitreppe stillzuhalten.

Die jugendliche Bittstellerin kannte bereits die Einführungsförmlichkeiten, da sie früher schon mehrmals zu den großen Empfängen der »Valide« am Beiramfeste hierhergekommen war. Im Vestibül fand sie, wie sie es erwartete, etwa dreißig kleine »Feen« – ganz junge Sklavinnen, Wunder an Schönheit und Grazie – gleichmäßig gekleidet wie Schwestern und in zwei Reihen aufgestellt, um die Ankommende zu empfangen. Nach einem großen Gesamtgruß umringten die kleinen Feen die Besucherin wie ein schmeichlerischer Vogelschwarm und entführten sie nach dem »Salon der Yachmaks«, wo jede Dame zuerst eintreten muß, um ihre Schleier abzulegen. In einem Augenblick, ohne ein Wort zu sprechen, nahmen ihr die Feen mit vollendeter Geschicklichkeit die Musselinhüllen ab, die mit unzähligen Nadeln befestigt waren. Nun war sie bereit. Nicht eine einzige Locke ihres Haares hatte sich verschoben unter dem Turban aus feinster durchsichtiger Gaze, der hoch auf dem Kopf als Diadem getragen wird und bei Hofe unerläßlich ist; nur die Prinzessinnen von Geblüt haben das Recht, ohne Turban zu erscheinen. – Ein Flügel-Adjutant begrüßte sie sodann und führte sie in den Wartesalon. Selbstverständlich war er weiblichen Geschlechts, dieser Adjutant, weil eine Sultanin keinen Mann in ihrem Dienst haben darf. Eine zirkassische Sklavin, von großer Gestalt und vollendeter Schönheit, wird zu diesem Dienst ausgewählt; sie trägt ein Wams von Militärtuch, mit Goldschnüren, eine am Gürtel aufgehobene lange Schleppe, und eine mit Goldtressen besetzte kleine Offiziersmütze. – Im Wartesalon leistete ihr vorschriftsmäßig die Schatzmeisterin während eines Augenblicks Gesellschaft: ebenfalls Zirkassierin, aber aus guter Familie, denn nur eine solche wird für einen so hohen Posten für würdig erachtet. Mit dieser, zur vornehmen Welt zählenden Dame mußte sie sich eine Zeitlang unterhalten. – Tödlich langweilig, alle diese Formalitäten; und ihre Hoffnung wie ihr Mut schwanden je länger, je mehr.

Beim Eintreten in den so schwer erreichbaren Salon, in dem die Mutter des Kalifen sich befand, zitterte die Eingeführte wie im stärksten Fieber. –

Ein mit gänzlich europäischem Luxus eingerichteter Salon; nur die wunderbaren Teppiche und die Inschriften aus dem Islam sind türkisch; ein heller, freundlicher Salon, von oben auf den Bosporus hinabschauend, den man, von Licht strahlend, durch die Fenstergitter erblickte.

Unter fünf oder sechs Damen in Hoftracht saß die »Valide« in der Mitte des Hintergrundes, sich zum Empfange der Besucherin sogleich erhebend. Diese machte die gleichen drei großen Verbeugungen, wie sie vor den abendländischen Majestäten üblich sind; aber hier mit dem Unterschied, daß die dritte Verbeugung ein vollständiger Fußfall auf beide Knie wird. Den Kopf hielt sie bis zur Erde gebeugt, wie um den Kleiderrand der Fürstin zu küssen, die ihr indessen mit freundlichem Lächeln sogleich beide Hände reichte, um sie zu erheben.

In der Nähe der Sultanin-Mutter befand sich auch ein junger Prinz, einer der Söhne des Sultans. Diese haben wie der Sultan selbst das Recht, die Frauen mit unverschleiertem Gesicht zu sehen. Ferner waren noch zwei Prinzessinnen von Geblüt anwesend, zarte, graziöse Gestalten, mit unbedeckten Köpfen und weitausgebreiteten Schleppen. Endlich waren noch drei Damen da mit kleinen Turbanen auf der blonden Haarfrisur, die Schleppen an den Gürteln befestigt: »drei Saraylis«, ehemals Sklavinnen dieses Palastes, durch ihre Verheiratung zu großen Damen geworden. Sie befanden sich seit einigen Tagen zu Besuch bei ihrer früheren Gebieterin und Wohltäterin, da sie das Recht erworben hatten, obgleich »Saraylis« von Geburt, zu jeder Prinzessin, ohne eingeladen zu sein, auf Besuch zu gehen, ebenso wie man zu seiner eigenen Familie geht.

Es ist ein eigener Reiz fast aller wahren Fürstinnen und Prinzessinnen, sich einfach und entgegenkommend zu zeigen; aber ohne Zweifel übertrifft keine diejenigen von Konstantinopel an liebenswürdiger Einfachheit und Bescheidenheit.

»Meine liebe Kleine,« sagte heiter die Sultanin im weißen Haar; – »ich segne den günstigen Wind, der Sie uns zuführte, und vergessen Sie nicht, daß wir Sie den ganzen Tag über hierbehalten. Wir werden Sie sogar bitten, uns ein wenig Musik zu machen; Sie spielen ja so entzückend.«

Andere Schönheiten, die bisher noch nicht erschienen waren, junge Sklavinnen, denen die Pflege der Erfrischungen oblag, traten jetzt in den Salon; sie brachten auf goldenen Plateaus goldene Tassen mit Kaffee, Sirups verschiedener Art sowie goldene Schalen mit Rosenkonfitüren. Die Sultanin brachte inzwischen das Gespräch auf einige der Tagesfragen, die bis ins Innere der Serails einzudringen vermögen.

Aber die Erregung der Besucherin verbarg sich nur unvollkommen; es drängte sie, zu reden und eine Bitte auszusprechen; das zeigte sich deutlich.

Der junge Prinz zog sich mit liebenswürdiger Bescheidenheit zurück. Die Prinzessinnen und die schönen »Saraylis« gingen unter dem Vorwande, irgend etwas am Bosporus betrachten zu wollen, zu den ebenfalls vergitterten Fenstern eines Nebensalons.

»Was ist Ihnen denn, mein liebes Kind?« fragte dann ganz leise die gütige Sultanin, mütterlich niedergebeugt über Zahide, die sich wieder auf die Knie niederließ.

Die nächsten Minuten waren erfüllt von fürchterlicher, immer wachsender Angst, in der Zahide ihre verzweiflungsvolle Lage schilderte und ihr Anliegen vorbrachte. Und als sie dann, atemlos in den Zügen der Sultanin begierig nach der Wirkung ihrer vertraulichen Mitteilungen forschend, bemerkte, daß die Fürstin bestürzt vor sich niederblickte, da verlor sie alle Fassung.

Die Augen der wohlwollend auf die Kniende niederblickenden Sultanin enthielten zwar keine Ablehnung, aber ihr Ausdruck schien zu sagen:

»Die Scheidung? und überdies eine so wenig gerechtfertigte!? ... Welch schwere Aufgabe! ... Ich will es versuchen; ... aber unter den vorliegenden Umständen wird mein Sohn niemals seine Einwilligung geben!« ..

Obgleich eine ablehnende Antwort nicht erteilt worden war, mußte Zahide sie doch schon erraten haben, denn plötzlich drehte sich alles um sie her, sie glaubte zu fühlen, daß die Teppiche und der Fußboden versänken; ... sie gab sich verloren, – als es plötzlich wie ein heiliger Schauer durch den ganzen Palast fuhr. Man hörte von der Vorhalle her eiliges Laufen, in den Gängen vor den Salons warfen sich sämtliche Sklaven zu Boden. – Ein Eunuche stürzte in den Salon und meldete mit einer Stimme, die infolge seiner Erregung noch schärfer klang als sonst: »Seine kaiserliche Majestät!«

Kaum hatte er diesen Namen, vor dem sich alle beugten, ausgesprochen, als der Sultan auf der Türschwelle erschien. – Die noch immer kniende Bittstellerin begegnete einen Augenblick den fest auf sie gerichteten Augen des Gewaltigen, dann verlor sie das Bewußtsein und sank, bleich wie eine Tote, auf den Fußboden nieder.

Der, welcher in der Tür erschien, war der für die Masse der Abendländer auf der ganzen Erde am wenigsten bekannte Mann: der Kalif, mit den übermenschlichen Verantwortlichkeiten, ... der in seiner Hand den ganzen unermeßlichen Islam hält, den er nicht allein gegen die Gesamtheit der christlichen Völkerschaften, sondern auch gegen den Feuerstrom der Zeit verteidigen soll, der Mann, der bis in die fernsten Tiefen der Wüsten Asiens »Der Schatten Gottes« genannt wird.

An diesem Tage wollte er nur einfach seine verehrte Mutter besuchen, als er der Angst und der flehenden Bitte in dem brennenden Blick der knienden jungen Frau begegnete. Dieser Blick drang tief in sein geheimnisvolles Herz, das nur zuweilen die Last seiner schweren Pflichten und Würden verhärtet, das jedoch sonst den zartesten Gefühlen innigsten Mitleides zugänglich bleibt, so unbekannt dies auch sein mag. – Durch ein Zeichen empfahl er die am Boden liegende Bittstellerin seinen Töchtern, die noch in tiefer Begrüßung gebeugt stehend, das Umsinken der Ohnmächtigen nicht gesehen hatten. Die beiden Prinzessinnen erhoben eiligst die junge Frau und nahmen sie zärtlich in ihre Arme, als wäre sie ihre Schwester; ... und diese hatte ohne es zu wissen, durch den Blick ihrer Augen gesiegt.

Als Zahide nach längerer Zeit wieder zu sich kam, war der Kalif schon wieder fortgegangen. Sich plötzlich des Vorgefallenen erinnernd, blickte sie scheu umher, noch zweifelnd, ob sie die Anwesenheit des Sultans nicht nur geträumt habe. Aber die Sultanin-Mutter reichte ihr beide Hände und sagte gütig lächelnd:

»Beruhigen Sie sich, liebes Kind, und freuen Sie sich, mein Sohn versprach mir, morgen ein Irade zu unterzeichnen, das Sie frei macht.«

Als Zahide dann die Marmortreppe hinunterging fühlte sie sich wie berauscht, aber auch so leicht, als hätte sie Flügel: ihr war wie einem Vogel, dessen Käfig man geöffnet. Und sie lächelte den kleinen Feen freundlich zu, die herbeieilten, um sie wieder mit dem Yachmak zu bekleiden und die im Umsehen auf ihrer Frisur und über ihr Gesicht das vorschriftsmäßige Bauwerk von weißer Gaze mit Hilfe von hundert Nadeln wiederherstellten.

Nachdem sie ihr Coupé bestiegen hatte, und die mutigen Pferde stolz nach Khassim-Pascha zurücktrabten, fühlte sie, daß eine Wolke sich über ihre Freude legte. Sie war frei, ja; und ihr Stolz war gerächt; aber sie erkannte jetzt, daß ein nebelhafter Wunsch sie noch zu jenem Hamdi hinzog, von dem sie sich für immer befreit zu haben glaubte. – Aber mit sich selbst grollend, sagte sie sich alsbald: Das ist ein beschämender, unwürdiger Gedanke! ... Dieser Mann ist niemals zart noch treu gewesen, und ich liebe ihn nicht Er hat mich erniedrigt! Was ich auch sagen möge, ich gehöre mir nicht mehr vollständig an; denn diese Erinnerung schon bleibt ein Makel für mich. Und sollte später einmal ein anderer mir auf meinem Lebensweg begegnen, den ich lieben könnte, so bliebe mir nur meine Seele, die würdig wäre, sie ihm zu geben; und nie würde ich ihm anderes geben als das!«


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