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33.

»14. Ramadan 1322 (22. Novbr. 1904).

Sie wissen, lieber Freund, daß morgen Mitt-Ramadan ist, und daß alle türkischen Damen an jenem Tage einen Ausflug machen. Werden Sie nicht zwischen zwei und vier Uhr nach Stambul kommen, zur Promenade von Bayazid nach Schazada-Basche?

Wir sind in diesem Augenblick sehr beschäftigt mit unseren Iftars; aber wir werden einen hübschen gemeinsamen Streifzug an der asiatischen Seite baldigst veranstalten!

Es ist dies eine Erfindung Méleks, und Sie werden sehen, wie hübsch das arrangiert sein wird.

Djenane.«

An jenem Mitt-Ramadan herrschte Südwind und schöner Herbstsonnenschein, also Wärme und Licht, erwünschtes Wetter für die schönen Ausflüglerinnen, die in jedem Jahr nur zwei oder drei Tage solcher Freiheit genießen.

Die Promenade findet im geschlossenen Wagen mit einem Eunuchen auf dem Bocksitz neben dem Kutscher, statt; aber sie hatten das Recht, den Rollvorhang zu heben und die Glasfenster herunterzulassen.

Von Bayazid ging es nach Schazada-Basche, das ist eine Entfernung von einem Kilometer. Es liegt im Mittelpunkt von Stambul, im vollen türkischen Stadtteil. Durch die Straßen der Vorzeit ging es, die an kolossalen Moscheen, den schattigen Umzäunungen für die Toten, und an den Heiligen Fontänen vorüberführen.

In diesem sonst so ruhigen Stadtteil, so wenig geschaffen für das moderne Leben, – welche Ungeheuerlichkeit war dort diese Reihenfolge von Wagen, die sich am Mitt-Ramadan ansammelten: Hunderte von Coupés und Landauern. Aus allen Teilen der gewaltigen Stadt waren sie gekommen, selbst aus den am Bosporus liegenden Palais.

Und in allen diesen Wagen nichts als geputzte Damen im Yachmak, der bis zu den Augen verschleiert, durchsichtig genug, um das übrige des Gesichts erraten zu lassen. Alle Schönheiten des Harems, heute ausnahmsweise fast sichtbar; die Zirkassierinnen rosig und blond, die Türkinnen bleich und braun.

Sehr wenig Männer, die an den offenen Wagenfenstern stehen oder zwischen den Wagen umherstreifen, und nicht ein einziger Europäer.

Auf der anderen Seite der Brücke, in Pera, weiß man niemals, was in Stambul vorgeht, oder man will es nicht wissen.

André suchte nach seinen drei Freundinnen, die gewiß große Toilette gemacht haben würden, um ihm zu gefallen, – dachte er sich.

Er suchte sie lange und konnte sie nicht entdecken, so groß war der Andrang. –

Zur selben Zeit, als die Promenierenden den Rückweg nach ihren Harems antraten, entfernte er sich auch, ein wenig enttäuscht; aber da er den Blicken so vieler schöner Augen begegnet war, die freudig lächelten an diesem schönen Tage, und ihre Freude darüber, einmal in freier Luft umherfahren zu dürfen, in so naiver Weise zeigten, – so verstand er an diesem Abend besser als jemals die tödliche Langeweile der Absperrung!


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