Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

52.

André erhielt am nächsten Tage folgende Briefe:

Zeyneb an André.

»Wahrlich, ich konnte nicht glauben, daß wir uns gestern zum letzten Male sähen, sonst hätte ich mich Ihnen zu Füßen geworfen und Sie flehentlich gebeten, uns nicht so zu verlassen! O, André! Sie lassen uns allein, verloren in den Finsternissen des Geistes und des Herzens! ... Sie wandeln dem Lichte, dem Leben entgegen; wir dagegen, wir verträumen unsere erbärmlichen Tage in der immer gleichen Betäubung unserer Harems.

Gestern nach Ihrem Fortgehen haben wir bitterlich geweint. – Zerichteh, die ehemalige Amme Djenanes, kam herab, schalt uns aus und nahm uns in ihre Arme; aber auch sie, die arme, gute Seele, weinte, weil sie uns weinen sah.

Ich ließ heute früh bei Ihnen einige kleine türkische Andenken abgeben. Die Stickerei stammt von Djenane: es ist der Vers des Korans, der seit ihrer Kindheit über ihrem Bette wachte. Nehmen Sie von mir die beiden Schleier an; der mit den eingestickten Rosen ist ein zirkassischer Schleier, den mir einst meine Großmutter gab; der mit der Silberstickerei befand sich in dem Koffer unseres Yali. Vielleicht werfen Sie ihn über ein Kanapee in Ihrer Pariser Wohnung.

Zeyneb.«

Djenane an André.

»Ich möchte in Ihnen lesen können, wenn das Schiff die ›Spitze des Serails‹ umfahren wird, wenn nach jeder Wendung die Zypressen unserer Friedhöfe entschwinden, unsere Minaretts, unsere Kuppeln. Sie werden sie alle betrachten, bis zum Ende: ich weiß es. – Und dann, weiterhin, schon in der Marmara, werden Sie bei der Byzantinischen Mauer mit den Augen den alten, verlassenen Friedhof suchen, auf dem wir einst in Ihrer Gegenwart an einem Ihnen so werten Grabe beteten.

Und endlich wird sich vor Ihren Augen alles verwirren; die Zypressen Stambuls, alle Minaretts, alle Kuppeln, und bald in Ihrem Herzen alle Erinnerungen!

O! Mögen sie sich doch verwirren und alle miteinander verwischen: das kleine Häuschen in Eyub, wo Ihre erste Liebe blühte, ... und die ärmliche Wohnung im Herzen von Stambul, in der Nähe einer Moschee, ... und auch die große Wohnung, in die man Sie eines Tages auf verbotenem Wege führte! ... Mögen sich auch alle Schattenbilder verwirren: das Ihrer einstigen Geliebten und die der drei Seelen, die Ihre Freundinnen sein wollten. – Vermischen Sie alle miteinander, und bewahren Sie alle gemeinsam in Ihrem Herzen, nicht nur in Ihrem Gedächtnis! ... Auch die letzten drei haben Sie geliebt, ... mehr geliebt als Sie es vielleicht glaubten!

Ich weiß, daß in Ihren Augen Tränen sein werden, sobald die letzte Zypresse verschwinden wird, ... und ich will auch für mich eine Träne ...!

Und wenn Sie in Ihrem Vaterlande angekommen sind, wie werden Sie dann an Ihre Freundinnen denken? Es ist entsetzlich, sich zu sagen, daß vielleicht nichts bleiben wird, daß Sie wohl gar die Achseln zucken und lächeln werden, wenn Sie wieder daran denken!

Welche Hast und welche Furcht habe ich, das Buch zu lesen, worin Sie von den türkischen Frauen sprechen werden, – von uns! Werde ich darin finden, was ich vergebens zu entdecken suche, seit wir uns kennen: den Grund Ihrer Seele, das wahre Innere Ihrer Gefühle, ... alles, was weder Ihre kurzen Briefe noch Ihre seltenen Worte enthüllen? ... Wohl habe ich manchmal in Ihnen eine Rührung bemerkt, aber das wurde so schnell, so heimlich wieder unterdrückt! ... Es gab Augenblicke, wo ich gewünscht hätte, Ihren Kopf und Ihr Herz öffnen zu können, um endlich zu erfahren, was sich hinter Ihren kalten und klaren Augen befindet!

O, André, sagen Sie nicht, daß ich schwärme! Ich bin so unglücklich und so allein. Ich bin leidend und denke so viel nach in der Nacht!

Leben Sie wohl, André!

Bedauern Sie mich, und lieben Sie mich ein wenig, wenn Sie können.

Djenane.«

*

André antwortete:

»Es bleibt Ihnen nicht viel zu entdecken, – glauben Sie mir, – hinter meinen ›kalten und klaren‹ Augen. Ich weiß viel weniger von dem, was sich hinter den Ihrigen befindet, liebes, kleines Rätsel!

Sie werfen mir immer mein schweigsames und verschlossenes Wesen vor; sehen Sie, das kommt daher, daß ich zu viel erlebt habe. Wenn Ihnen erst einmal ebensoviel begegnet sein wird, werden Sie mich auch besser verstehen.

Glauben Sie etwa, daß Sie nicht eisig gewesen sind, gestern im Augenblick unseres Abschieds?! ... Nun denn, auf Wiedersehen morgen um vier Uhr am traurigen Kai von Galata!

In dem wüsten Tumult der Abfahrt werde ich gut aufpassen. Ich versichere Ihnen, daß ich die Vorüberfahrt Ihres teuren schwarzen Schattenbildes nicht verfehlen werde, da dies doch das einzige ist, was Sie mir zu betrachten erlauben ...

André.«


 << zurück weiter >>