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20.

Der ganze Monat Juli verlief jedoch, ohne daß André Lhéry die ihm versprochene Fortsetzung erhielt, ebensowenig wie eine andere Nachricht von den drei schwarzen Schattenbildern. Wie alle Uferbewohner des Bosporus zur Sommerzeit, lebte auch André viel auf dem Wasser, jeden Tag im Hin und Her zwischen Europa und Asien. Da er mindestens ebenso orientalisch wie ein Türke war, so hatte er auch seinen Caique, und seine Ruderer trugen das übliche Kostüm: Hemden aus Gaze von Brussa, mit flatternden Aermeln und Samtwesten mit Gold gestickt. Der Caique war weiß, lang, schmal und spitz wie ein Pfeil. Der Samt der Livreen war rot.

Eines Morgens fuhr er in seinem Fahrzeug am asiatischen Ufer entlang, mit zerstreutem Blick die bis zum Ufer vorspringenden alten Wohnhäuser betrachtend, deren Fenster fest vergittert waren. Sich umwendend, sah er, seinem Caique entgegenkommend, eine leichte Barke, die von drei in weiße Seide gehüllten Frauen gerudert wurde. Ein Eunuche in fest zugeknöpftem Oberrock saß am hinteren Ende, und die drei Ruderinnen arbeiteten mit voller Kraft, als gälte es einen Wettkampf. Sie kreuzten ihn ganz dicht und wendeten die Köpfe nach ihm hin; er überzeugte sich, daß sie elegante Hände hatten, aber die Musselinschleier waren tief über die Gesichter herabgelassen, und somit konnte man nichts erraten. – Und er ahnte nicht, daß er da den drei schwarzen Schattenbildern begegnet sei, die mit Beginn des Sommers weiße Schattenbilder geworden waren.

Am folgenden Tage schrieben sie ihm:

»Den 3. August 1904.

Seit zwei Tagen sind Ihre Freundinnen zurückgekehrt und haben sich am Bosporus, auf der asiatischen Seite, niedergelassen; und gestern früh hatten sie eine Barke bestiegen, um, selbstrudernd, wie das ihre Gewohnheit ist, nach Pascha-Bagtsche zu fahren, wo die Hecken voll Maulbeeren stehen und die Kornblumen sprießen.

Anstatt des Tcharchafs und der schwarzen Schleier hatten wir nur den Yeldirne von heller Seide und eine Musselinschärpe um den Kopf: am Bosporus, auf dem Lande, erlaubt man es uns. Das Wetter war schön, die Luft klar und erfrischend; anstatt aber den schönen Morgen in Ruhe zu genießen, kam uns plötzlich, ich weiß nicht woher, die tolle Idee, unsere Fahrt zu beschleunigen, und wir ließen unsere Barke auf dem Wasser dahinfliegen, wie zur Verfolgung des Glück oder des Todes ...!

Wir haben bei dieser Schnellfahrt weder das Glück noch den Tod erreicht, ... aber unseren Freund, der den Pascha spielte in einem schönen Caique, mit Ruderern in Rot und Gold. Und ich sah voll in Ihre Augen, die in die Richtung der meinigen blickten, ohne sie sehen zu können. Seit unserer Rückkunft hierher sind wir ein wenig berauscht, wie Gefangene, die ihre Zellenhaft verlassen, um in ein einfaches Gefängnis gesperrt zu werden. – Wenn Sie wüßten, wie es dort war, woher wir jetzt gekommen sind! Ist ein freier, lebenslustiger Abendländer wie Sie fähig, das Entsetzliche unserer Lage zu empfinden, und die Trostlosigkeit unseres Horizonts, an dem uns nur eine einzige Hoffnung leuchtet: – hinausgetragen zu werden zum ewigen Schlaf im kühlen Schatten einer Zypresse, im Friedhof von Eyub ...

Djenane.«

*

»Freund André, ich bin die einzige Vernünftige in unserem Trio, wie Sie gewiß schon bemerkt haben werden. Die beiden anderen – dies selbstverständlich ganz unter uns – sind ein wenig ›verschroben‹; besonders Djenane, die zwar fortfahren will, Ihnen zu schreiben, Sie aber nicht mehr wiedersehen will. Glücklicherweise bin ich aber da, um die Sache zu ordnen. Schreiben Sie uns nur unter der früheren Adresse (Madame Zahide). Uebermorgen steht uns eine zuverlässige Freundin zur Verfügung; sie wird nach der Stadt gehen und im Poste-restante-Bureau nachfragen.

Mélek.«


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